Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksame Zustellung an den Anwalt ohne vorformuliertes schriftliches Empfangsbekenntnis
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Zustellung an den Anwalt nach 212a ZPO ist nicht davon abhängig, dass das Gericht das Formular des Empfangsbekenntnisses mit übersendet.
2. Der Anwalt braucht sein schriftliches Empfangsbekenntnis nicht auf dem üblichen Formular abzugeben; er kann seinen Annahmewillen vielmehr auf beliebige andere Weise, z.B. durch Erklärung in einem Schriftsatz, bestätigen.
Normenkette
ZPO § 212a
Tenor
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 3. November 1999 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Wert: 35.193 DM.
Gründe
I.
In der ersten Instanz haben die Parteien mit Klage und Widerklage gegenseitig Zahlungsansprüche geltend gemacht. Das Landgericht hat durch Teilversäumnis- und Endurteil vom 30. April 1999 entschieden, und zwar hat es durch Teilversäumnisurteil die Klage abgewiesen und durch Endurteil auf die Widerklage hin die Klägerin unter Abweisung der Widerklage im übrigen verurteilt, an die Beklagte 35.193,05 DM zuzüglich Zinsen zu zahlen. Die Geschäftsstelle hat am 3. Mai 1999 verfügt, daß beiden Prozeßbevollmächtigten das Teilversäumnis- und Endurteil mit Empfangsbekenntnis zugestellt werden solle. Laut Vermerk vom 4. Mai 1999 ist diese Verfügung ausgeführt worden. Es heißt in dem Vermerk: „ab PV m. EB”. Ein von dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten unterzeichnetes Empfangsbekenntnis ist jedoch nicht zu den Akten gelangt.
Mit Schriftsatz ihres erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten vom 19. Mai 1999, beim Landgericht eingegangen per Telekopie am 20. Mai 1999, legte die Klägerin gegen das Teilversäumnisurteil Einspruch ein. In dem Schriftsatz heißt es, das Urteil sei „dem Beklagten zugestellt am 5. Mai 1999”.
Am 1. Juni 1999 wies der Kammervorsitzende den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin telefonisch darauf hin, daß der Einspruch wohl zu spät eingegangen sei. Der Prozeßbevollmächtigte erwiderte, das Urteil sei ihm zwar am 5. Mai 1999 zugegangen, das übliche Formular für das Empfangsbekenntnis sei jedoch nicht beigefügt gewesen. Es sei versucht worden, die Einspruchsschrift vom 19. Mai 1999 schon am Abend dieses Tages per Telefax zu übermitteln, die Übertragung sei aber gescheitert, und zwar – wie er inzwischen erfahren habe – weil das Telefaxgerät des Landgerichts mangels eingelegten Papiers nicht empfangsbereit gewesen sei.
Der Vorsitzende verfügte daraufhin die erneute Zustellung des Urteils, diesmal durch Postzustellungsurkunde. Diese erfolgte am 3. Juni 1999. Die Klägerin hat ihren Einspruch gegen das Teilversäumnisurteil später zurückgenommen.
Mit Schriftsatz vom 5. Juli 1999, beim Oberlandesgericht eingegangen an diesem Tage, hat die Klägerin gegen das Endurteil Berufung eingelegt. Auf einen Hinweis des Berufungssenates, die Berufung sei möglicherweise verspätet eingelegt worden, hat sie vorsorglich wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung dieses Antrags macht sie geltend, bei dem Telefongespräch am 1. Juni 1999 habe der Vorsitzende der Kammer des Landgerichts ihrem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten angekündigt, er werde unter diesen Umständen das Urteil erneut zustellen lassen. Sie und ihre Prozeßbevollmächtigten hätten deshalb darauf vertrauen dürfen, daß vorher keine wirksame Zustellung des Urteils erfolgt sei und daß deshalb die Berufungsfrist erst ab der angekündigten Zustellung laufen werde.
Durch den angefochtenen Beschluß hat das Berufungsgericht den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen, da sie verspätet eingelegt worden sei. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin.
II.
Die sofortige Beschwerde ist nach § 519 b Abs. 2 ZPO statthaft und auch sonst zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zu Recht als unzulässig verworfen. Es geht zu Recht und mit zutreffender Begründung davon aus, daß das Urteil der ersten Instanz der Klägerin bereits am 5. Mai 1999 wirksam zugestellt worden ist. Dem steht nicht entgegen, daß der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Klägerin kein vorformuliertes Empfangsbekenntnis über die Zustellung unterschrieben hat. Es kann in diesem Zusammenhang auch offenbleiben, ob dem ihm übersandten Urteil ein entsprechendes Formular beigefügt war oder nicht. Die Rechtswirksamkeit einer Zustellung nach § 212 a ZPO setzt auf seiten der Geschäftsstelle des Gerichts voraus, daß diese das Schriftstück dem Zustellungsempfänger übersandt hat mit dem Willen, es zuzustellen. Der Zustellungsempfänger muß die Zustellungsabsicht des Gerichts erkannt und den Willen haben, das in seinen Gewahrsam gelangte Schriftstück als zugestellt anzunehmen. Außerdem ist unabdingbar, daß der Zustellungsempfänger den Empfang mit Datum und Unterschrift schriftlich bestätigt (BGH, Urteil vom 3. Mai 1994 – VI ZR 248/93 – BGHR ZPO § 212 a Empfangsbereitschaft 2 m.w.N.).
Daß die Geschäftsstelle den Willen hatte, das Urteil dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin per Empfangsbekenntnis zuzustellen, ergibt sich eindeutig aus dem entsprechenden Zustellungsvermerk in den Akten. Dies war für den Prozeßbevollmächtigten auch erkennbar.
Das schriftliche Empfangsbekenntnis des Rechtsanwalts muß nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht auf dem üblichen Formular abgegeben werden. Der Empfänger kann vielmehr seinen Annahmewillen auf beliebige Weise schriftlich bestätigen. Eine solche Bestätigung kann auch in einem Schriftsatz enthalten sein (BGH, Urteile vom 11. März 1987 – VIII ZR 160/86 – und vom 19. April 1994 – VI ZR 269/93 – BGHR ZPO § 212 a Empfangsbekenntnis 1 und Empfangsbekenntnis 8, jeweils m.w.N.).
Der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat in der Einspruchsschrift vom 19. Mai 1999 ausdrücklich erklärt, das Urteil sei am 5. Mai 1999 zugestellt worden. Diese Mitteilung erfolgte erkennbar um darzulegen, daß die Einspruchsfrist vom 5. Mai 1999 an lief. Damit hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß er das ihm zum Zwecke der Zustellung übersandte Urteil am 5. Mai 1999 als zugestellt angenommen hat.
Daß es in der Einspruchsschrift vom 19. Mai 1999 irrtümlich heißt, das Urteil sei „dem Beklagten” zugestellt worden statt: der Klägerin, beeinträchtigt die Wirksamkeit der Zustellung nicht. Ungenauigkeiten und Unrichtigkeiten in der Formulierung des schriftlichen Empfangsbekenntnisses nach § 212 a ZPO sind unschädlich, wenn keine Zweifel daran bestehen können, was gemeint ist (BGH, Urteil vom 18. Mai 1994 – IV ZR 8/94 – BGHR ZPO § 212 a Empfangsbekenntnis 10). Im vorliegenden Fall war eindeutig erkennbar, daß der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin nicht mitteilen wollte, wann das Urteil dem Gegner zugestellt worden ist. Im übrigen war Partei des vorliegenden Rechtsstreits nicht „der Beklagte”, sondern „die Beklagte”.
Auf das einige Tage später mit dem Vorsitzenden der Kammer des Landgerichts geführte Telefongespräch kommt es in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht an, weil eine wirksam erfolgte Zustellung nicht nachträglich aufgrund eines Telefongesprächs unwirksam werden kann.
Nach § 516 ZPO beträgt die Berufungsfrist einen Monat. Sie beginnt mit der Zustellung des Urteils. Da das Urteil der Klägerin am 5. Mai 1999 zugestellt worden ist, hätte ihre Berufung spätestens Montag, den 7. Juni 1999, bei Gericht eingehen müssen. Da sie erst am 5. Juli 1999 eingegangen ist, war sie nach § 519 b Abs. 1 und Abs. 2 durch Beschluß als unzulässig zu verwerfen.
2. Zu Recht hat das Berufungsgericht es auch abgelehnt, der Klägerin wegen der Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Wiedereinsetzung kann nach § 233 ZPO nur bewilligt werden, wenn die Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten. Ein Verschulden ihrer Prozeßbevollmächtigten muß sie sich zurechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO).
Im vorliegenden Fall ist die Berufungsfrist nicht unverschuldet versäumt worden. Der Sachverhalt war den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin bekannt. Ob die Mitteilung des Zustellungsdatums in einem von einem Rechtsanwalt unterschriebenen Schriftsatz als Empfangsbekenntnis im Sinne des § 212 a ZPO ausreicht, hätten sie anhand der einschlägigen Kommentierungen zu § 212 a ZPO klären können (vgl. Zöller/Stöber, ZPO 21. Aufl. § 212 a Rdn. 8; Thomas/Putzo, ZPO 22. Aufl. § 212 a Rdn. 2). Sie konnten auch nicht aufgrund des mit dem Vorsitzenden der Kammer des Landgerichts geführten Gesprächs darauf vertrauen, daß vor diesem Gespräch noch keine wirksame Zustellung des Urteils erfolgt sei. Das gilt auch dann, wenn der Vorsitzende bei diesem Gespräch angekündigt hat, er werde das Urteil erneut zustellen lassen. Zunächst kann in einem solchen Falle eine erneute Zustellung vorsorglich erfolgen, ohne daß dadurch zwingend zum Ausdruck gebracht wird, daß bisher noch keine wirksame Zustellung erfolgt ist. Insbesondere aber hatte über die Frage, von welchem Zeitpunkt an die Berufungsfrist läuft, nicht die erstinstanzliche Kammer des Landgerichts zu entscheiden, sondern der Berufungssenat des Oberlandesgerichts. Die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin konnten jedenfalls nicht darauf vertrauen, daß der Berufungssenat – entgegen der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – die Mitteilung in dem Schriftsatz vom 19. Mai 1999, das Urteil sei am 5. Mai 1999 zugestellt worden, nicht ausreichen lassen würde.
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Hahne, Gerber, Weber-Monecke
Fundstellen
Haufe-Index 539549 |
FamRZ 2000, 1565 |
VersR 2001, 606 |