Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflegevereinbarung
Leitsatz (amtlich)
Verlangt der Gläubiger von Pflegeleistungen wegen der Zerrüttung des Verhältnisses zum Schuldner nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage Zahlung, obliegt es zur Bemessung des Zahlungsanspruchs nicht dem Schuldner zu beweisen, daß ihn an der eingetretenen Zerrüttung kein Verschulden trifft.
Normenkette
BGB § 282 a.F.
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 20. September 2000 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Der Rechtsstreit wird im Umfang der Aufhebung zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin war Eigentümerin eines Einfamilienhausgrundstücks in M. Mit notariellem Vertrag vom 2. September 1988 übertrug sie das Grundstück den Beklagten. Als Gegenleistung sollten die Beklagten u.a. der Klägerin den lebenslänglichen Nießbrauch an dem Grundstück bestellen, 50.000 DM an sie zahlen und sie und ihren zwischenzeitlich verstorbenen Lebensgefährten, den Vater der Beklagten zu 2, „in gesunden und kranken Tagen” pflegen und betreuen.
Der Nießbrauch ist bestellt, die geschuldete Zahlung ist geleistet. Die vereinbarten Pflege- und Betreuungsleistungen wurden von den Beklagten zunächst erbracht. Später kam es zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien. Die Beklagten stellten die Pflege und Betreuung der Klägerin ein. Mit Schreiben vom 27. November 1992 erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Vertrag. Mit der Klage hat sie von den Beklagten die Rückauflassung des Grundstücks Zug um Zug gegen Zahlung von 50.000 DM, hilfsweise die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von monatlich 2.396,80 DM seit dem 15. Oktober 1993 verlangt. Die Beklagten haben geltend gemacht, sie seien weiterhin zur Pflege und Betreuung der Klägerin bereit. Diese scheiterten an dem Verhalten der Klägerin. Sie lehne die Entgegennahme ihrer Leistungen ab und habe ihnen Hausverbot erteilt.
Das Landgericht hat einen Auflassungsanspruch der Klägerin verneint und die Beklagten auf den Hilfsantrag zur Zahlung von monatlich 1.680 DM seit dem 15. Oktober 1993 verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten und die Anschlußberufung der Klägerin, mit der sie ihre vom Landgericht zurückgewiesenen Anträge weiterverfolgt hat, zurückgewiesen. Mit der Revision erstreben die Beklagten die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht sieht die Beklagten als zahlungspflichtig an. Es hat festgestellt, zwischen den Parteien bestehe ein so tiefgreifendes Zerwürfnis, daß der Klägerin die Entgegennahme von Betreuungsleistungen der Beklagten nicht mehr zugemutet werden könne. Es meint, der Vertrag vom 2. September 1988 sei nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage der geänderten Situation dahingehend anzupassen, daß an die Stelle der von den Beklagten geschuldeten Pflege- und Betreuungsleistungen ein Zahlungsanspruch trete. Die Höhe dieses Anspruchs sei nach den Kosten zu bestimmen, die die Klägerin aufzuwenden habe, um die von den Beklagten geschuldeten Dienste von einem Dritten zu erhalten. Nach der Ersparnis der Beklagten könne der Zahlungsanspruch nur bestimmt werden, wenn das Zerwürfnis zwischen den Parteien der Klägerin anzulasten sei. Dies könne jedoch ebensowenig festgestellt werden wie ein Verschulden der Beklagten an dem Zerwürfnis. Nach dem Grundsatz von § 282 BGB a.F. hätten sie die Folgen der Unaufklärbarkeit zu tragen.
Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung teilweise nicht stand.
II.
Auf die schuldrechtlichen Pflichten der Parteien aus dem Vertrag vom 2. September 1988 findet nach Art. 229 § 5 EGBGB das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung Anwendung.
1. Die Revison wendet sich nicht gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, daß aufgrund des zwischen den Parteien eingetretenen Zerwürfnisses der Klägerin eine Pflege und Betreuung durch die Beklagten nicht mehr zugemutet werden kann, und auch nicht gegen die hieraus abgeleitete Folgerung, daß an die Stelle dieser Pflichten der Beklagten nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage eine Zahlungsverpflichtung getreten ist. Rechtsfehler sind insoweit auch nicht ersichtlich. Verträge, in denen die Übertragung eines Grundstücks und die Verpflichtung zur Pflege und Betreuung einander gegenüber stehen, werden seitens der Übertragenden regelmäßig in der Erwartung geschlossen, der Übernehmende werde die vereinbarte Pflege persönlich leisten. Der Übernehmende ist häufig wirtschaftlich nicht in der Lage, die vereinbarte Pflege und Betreuung des Übertragenden durch einen Dritten vornehmen zu lassen. Hierzu kann er sich nur verpflichten, weil er davon ausgeht, ohne größeren wirtschaftlichen Aufwand die von ihm geschuldeten Dienste erbringen zu können. Werden Pflege und Betreuung durch den Übernehmenden dem Übertragenden später unzumutbar, tritt nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage eine Zahlungsverpflichtung des Übernehmenden an die Stelle dieser Pflichten (vgl. Senatsurt. v. 20. März 1981, V ZR 152/79, WM 1981, 657, 658, u. v. 23. September 1994, V ZR 113/93, WM 1994, 2161, 2162).
2. Fehlerfrei geht das Berufungsgericht ferner davon aus, daß nicht festzustellen ist, welche Partei es zu vertreten hat, daß die Pflegeleistungen der Klägerin nicht mehr zumutbar sind. Nicht zu folgen ist dagegen der Auffassung, daß das Risiko der Nichterweisbarkeit in entsprechender Anwendung von § 282 BGB a.F. die Beklagten treffe.
Wird die Zahlungsverpflichtung des Übernehmenden nach einem Betrag bestimmt, der es dem Übertragenden erlaubt, die vom Übernehmenden geschuldeten Pflegeleistungen entgeltlich von einem Dritten vornehmen zu lassen, so werden die wirtschaftlichen Folgen der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse auf den Übernehmenden verlagert und ihm eine Verpflichtung aufgebürdet, von der nicht angenommen werden kann, daß er sie jemals eingegangen wäre. Wird die Höhe der Zahlungsverpflichtung dagegen allein nach der Ersparnis bemessen, die mit dem Wegfall der Verpflichtung zur Pflege des Übertagenden für den Übernehmenden verbunden ist, treffen die wirtschaftlichen Folgen der Unzumutbarkeit der Pflege durch den Übernehmenden im wesentlichen den Übertragenden, weil die Ersparnis des Übernehmenden zur Bezahlung eines Dritten in der Regel nicht annähernd ausreicht. Die Leistungsverpflichtung des Pflegebedürftigen ist mit der Übertragung des Grundstückseigentums jedoch vollständig erfüllt. Er hat alles getan, seine Pflege und Betreuung lebenslänglich sicher zu stellen.
Auf dieser Grundlage ist der Ausgangspunkt der Erwägung des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, nach der bei der Bemessung des Zahlungsanspruchs der Frage Bedeutung zukommt, ob dem Übertragenden oder dem Übernehmenden das Zerwürfnis anzulasten ist, das zur Unzumutbarkeit der Entgegennahme der vereinbarten Leistungen führt. § 282 BGB a.F. kann zur Lösung jedoch weder direkt noch entsprechend herangezogen werden.
Scheidet die Pflege durch den Übernehmenden aufgrund eines unüberwindbaren Zerwürfnisses der Vertragsparteien aus, ist Grundlage des Zahlungsanspruchs des Übertragenden nicht die Unmöglichkeit seiner Pflege oder das Unvermögen des Übernehmenden, sondern die Unzumutbarkeit persönlicher Leistungen des Übernehmenden für den Übertragenden. Das hat mit der in § 282 BGB a.F. geregelten Frage, ob der Gläubiger oder der Schuldner im Falle der Unmöglichkeit der Leistung den Beweis des Verschuldens bzw. den Beweis des Nichtverschuldens an der Unmöglichkeit zu führen hat, nichts zu tun. Der Grundgedanke der Vorschrift, daß der Schuldner den Beweis fehlenden Verschuldens zu führen hat, weil er den Vorgängen, die zur Unmöglichkeit geführt haben, in der Regel näher steht und diese besser kennt als der Gläubiger (BGHZ 4, 192, 195; BGH, Urt. v. 19. Mai 1965, Ib ZR 97/63, NJW 1965, 1583, 1584, v. 14. November 1981, X ZR 116/88, NJW-RR 1989, 446, 447; MünchKomm-BGB/Emmerich, 4. Aufl., § 282 Rnr. 3; Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., § 282 Rnr. 3; Staudinger/Löwisch, BGB [2001], § 282 Rnr. 3; Baumgärtel/Strieder, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, 2. Aufl., § 282 Rnr. 3), trifft nur zu, wenn feststeht, daß die Umstände, die zum Erlöschen eines vertraglichen Leistungsanspruchs führen, dem Verantwortungsbereich des Schuldners zuzurechnen sind. So verhält es sich nicht, wenn Pflegeleistungen des Schuldners dem Gläubiger nicht zugemutet werden können. Die Ursache der Unzumutbarkeit kann in einem solchen Fall ebenso im Verhalten des Gläubigers wie des Schuldners oder beider liegen. Eine Entlastung kann vom Schuldner jedoch nur verlangt werden, wenn feststeht, daß das Hindernis, das der Annahme seiner Leistungen durch den Gläubiger entgegensteht, allein aus seinem Verantwortungsbereich stammt (vgl. BGH, Urt. v. 8. Oktober 1981, III ZR 190/79, NJW 1982, 437, 438).
Daß es sich hier so verhält, steht nicht fest. Da jedoch auch die Beklagten den Beweis nicht führen können, daß die Zerrüttung des Verhältnisses zwischen den Parteien allein der Klägerin vorzuwerfen ist, sind die wirtschaftlichen Folgen der eingetretenen Situation von beiden Parteien zu tragen.
III.
Zu einer abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits ist der Senat allerdings nicht in der Lage. Für diese ist festzustellen, welchen Betrag die Beklagten dadurch sparen, daß sie die Klägerin nicht mehr zu pflegen brauchen. Soweit dieser Betrag die der Klägerin für eine Ersatzkraft entstehenden Kosten nicht deckt, ist die Differenz zwischen den Parteien grundsätzlich zu teilen.
Unterschriften
Wenzel, Schneider, Krüger, Klein, Gaier
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 01.02.2002 durch Kanik, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 707646 |
NJW 2002, 2234 |
NWB 2002, 1248 |
BGHR 2002, 441 |
BGHR |
NJW-RR 2002, 853 |
DNotI-Report 2002, 61 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2002, 772 |
ZAP 2002, 613 |
ZEV 2002, 510 |
DNotZ 2002, 714 |
JZ 2002, 774 |
MDR 2002, 626 |
NotBZ 2002, 304 |