Entscheidungsstichwort (Thema)
Mißachtung der Risikobegrenzung aus Vermögensverwaltungsvertrag. Billigung der Anlagestrategie. Schadensberechnung. Entgangener Gewinn aus Spekulationsgeschäften
Leitsatz (amtlich)
Zur Ermittlung des dem Kapitalanleger entgangenen Gewinns (hier: Gewinn aus Spekulationsgeschäften in Aktien), wenn der Vermögensverwalter die vertraglich vereinbarte Anlagestrategie („konservativ, Wachstum”) mißachtet.
Normenkette
BGB § 252; ZPO § 287
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 1. März 2001 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Im März 1997 beauftragte der Kläger die Beklagte, ein international tätiges Finanzdienstleistungsunternehmen, sein Vermögen in Aktien anzulegen. Nach dem schriftlichen Vermögensverwaltungsvertrag sollte die Vermögensanlage nach folgender Konzeption erfolgen: „konservativ, Wachstum, 5 % Aktienoptionen (Gewinne aus Optionsgeschäften können reinvestiert werden)”. Als Entgelt hatte der Kläger eine Erfolgsprämie in Höhe von 25 % des jährlichen Wertzuwachses, der über 40 % des Eigenkapitals hinausging, zu zahlen.
Am 21. April 1997 eröffnete der Kläger bei der Beklagten ein Anlagekonto mit einem Guthaben von 215.671 US-Dollar. Die Beklagte kaufte für den Kläger Optionen und investierte vor allem in Aktien, die an der NASDAQ notiert wurden.
Am 6. April 1998 kündigte der Kläger den Vermögensverwaltungsvertrag. Die Beklagte errechnete zum 24. April 1998 einen Depotbestand von 147.645,77 US-Dollar und zahlte dem Kläger 130.639,15 US-Dollar zurück.
Der Kläger macht geltend, die Beklagte habe abredewidrig mehr als 5 % des Anlagekapitals in Optionen angelegt. Sie habe bei den Aktien hochspekulative Nebenwerte erworben. Bei vertragsgemäßer Anlage von 95 % des Anlagekapitals in konservativ-wachstumsorientierten Aktien hätte er dieses nahezu ganz (95 %) behalten und darauf einen Zuwachs von 56 % erzielt. Die Beklagte müsse das verlorene Kapital und den entgangenen Gewinn ersetzen.
Das Landgericht hat die Klage in Höhe eines Betrages von 215.863,80 DM durch Teilurteil abgewiesen. Das Berufungsgericht hat über die Klage insgesamt entschieden und dem Kläger 294.524,75 DM nebst Zinsen zugesprochen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Die Beklagte sei dem Kläger schadensersatzpflichtig, weil sie das ihr zu Anlagezwecken überlassene Vermögen des Klägers nicht entsprechend den vertraglichen Bedingungen verwaltet habe. Die vereinbarte Begrenzung der Aktienoptionen auf 5 % des Anlagekapitals sei nicht eingehalten worden. Bei der Anlage in Aktien sei die Vorgabe „konservativ, Wachstum” nicht beachtet worden. Hätte die Beklagte, wie vom Kläger ausbedungen, 95 % des Depots in konservativ-wachstumsorientierte Werte investiert, hätte dieser sein Anlagekapital behalten und einen Kursgewinn von 56 % erzielt. Auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten in diesem Fall verdienten Erfolgsprämie errechne sich für den Kläger ein Schaden in Höhe von (mindestens) 294.524,75 DM.
II.
Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten in entscheidenden Punkten der rechtlichen Prüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Beklagte den mit dem Kläger geschlossenen Vermögensverwaltungsvertrag schuldhaft verletzt hat.
a) Der Beklagten war gestattet, 5 % des Anlagekapitals in Aktienoptionen zu investieren; weitere Optionsgeschäfte waren lediglich aus den Gewinnen der jeweils vorherigen Anlagen dieser Art, nicht aber aus dem restlichen Kapital zulässig. Nach den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte von Anfang an diese Risikobegrenzung mißachtet. Die Summe der Optionskäufe lag – mit einer Ausnahme – jeweils über derjenigen der Verkäufe und damit über den hieraus erzielten Gewinnen; die fehlenden Beträge wurden dem für Anlagen in Aktien bestimmten Kapital entnommen. Die weisungswidrige Ausweitung der Optionsgeschäfte geschah vorsätzlich.
b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts haben die Investitionen im Aktienbereich ebenfalls nicht den vertraglichen Vereinbarungen entsprochen. Die Vermögensanlage in in- und ausländischen Wertpapieren habe einer mit „konservativ, Wachstum” beschriebenen Anlagepolitik folgen sollen. Die Beklagte habe indes ganz überwiegend in Technologiewerte investiert, die an der Börsenplattform NASDAQ gehandelt würden und schon im Ansatz nicht als konservativ eingeordnet werden könnten. Auch die in das Portefeuille genommenen, an der New Yorker Börse (New York Stock Exchange) notierten Werte seien nicht als konservativ zu beurteilen. Gegen diese Feststellungen erhebt die Revision Verfahrensrügen; sie greifen nicht durch. Der Senat sieht gemäß § 565 a Satz 1 ZPO von einer Begründung ab.
Das Berufungsgericht hat die von der Beklagten bei den Investitionen in Aktien verfolgte Anlagepolitik als „grobe”, mithin von der Haftungsbeschränkung nach Nr. 5 Satz 3 des Vermögensverwaltungsvertrages nicht erfaßte, Vertragsverletzung beurteilt. Das läßt Rechtsfehler nicht erkennen und wird von der Revision hingenommen.
2. Die Revision weist jedoch mit Recht darauf hin, das Berufungsgericht habe das Schreiben des Klägers vom 9. September 1997, worin er sich mit der von der Beklagten betriebenen Anlagepolitik teilweise einverstanden erklärt habe, nicht gewürdigt. Zu der danach gebotenen Auslegung ist der Senat selbst befugt, weil weitere tatsächliche Feststellungen nicht zu erwarten sind.
a) Der Kläger hat mit Schreiben an die Beklagte vom 9. September 1997 erklärt, er sei, was die getätigten Geschäfte bzw. das Anlagevolumen betreffe, „in den ersten sechs Wochen Ihrer Betreuung sehr zufrieden” gewesen. Darin kann nicht, wie die Revisionserwiderung meint, ein bloßes „Stilmittel” gesehen werden. Das vorangegangene Schreiben des Klägers an die Beklagte vom 30. August 1997 belegt, daß er ein „Zwischenfazit” gezogen und die vertragswidrige Ausweitung der Aktienoptionen erkannt hatte. Wenn er dennoch mit dem Schreiben vom 9. September 1997 seine „Zufriedenheit” mit der Vermögensverwaltung während der ersten sechs Wochen äußerte, konnte das von der Beklagten nur dahin verstanden werden, er billige die Überschreitung der für Aktienoptionen vereinbarten Grenze von 5 % des Gesamtportefeuilles in der Zeit vom 21. April 1997 (Eröffnung des Anlagekontos) bis – sechs Wochen später – zum 2. Juni 1997.
b) Eine weitergehende Billigung der Anlagestrategie, die die Beklagte in den ersten sechs Wochen verfolgte, ist dem Schreiben des Klägers vom 9. September 1997 aber nicht zu entnehmen. Der Kläger konnte damals noch nicht übersehen, daß die von der Beklagten ganz überwiegend an der NASDAQ erworbenen Aktien – wegen der an dieser Börse bestehenden besonderen Risiken, wegen der unterbliebenen Diversifikation und wegen des Fehlens einer langfristigen Strategie – den vereinbarten Anlagezielen („konservativ, Wachstum”) nicht entsprachen. Dem vorgenannten Schreiben kann auch nicht entnommen werden, daß der Kläger allgemein in eine Abkehr von der vertraglichen Anlagestrategie („konservativ, Wachstum”) – hin zu einer spekulativeren Strategie – eingewilligt hätte. Ebensowenig ist ein den Schadensersatz wegen positiver Vertragsverletzung ausschließendes Einverständnis darin zu sehen, daß der Kläger die Depotauszüge der Beklagten („Brokerage Account Statement”), denen die An- und Verkäufe sowie die prozentuale Aufteilung der „Assets” in „Cash Balance”, „Stocks, Rights, Warrants”, „Options” zu entnehmen waren, zunächst widerspruchslos zur Kenntnis nahm (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 1994 – XI ZR 45/91 – BGHR BGB § 826 Churning 1).
c) Ist davon auszugehen, daß der Kläger die Überschreitung der Marge für Aktienoptionen (5 % des Anlagekaptials) für die Zeit vom 21. April 1997 bis zum 2. Juni 1997 genehmigte, kann die Schadensberechnung des Berufungsgerichts nicht bestehen bleiben. Denn sie legt zugrunde, daß während der gesamten Dauer der Vermögensverwaltung (21. April 1997 – 24. April 1998) 95 % des Anlagekapitals (= 204.887,45 US-Dollar) in Aktien hätten angelegt sein müssen. Der Kläger kann nur verlangen, so gestellt zu werden, wie er gestanden hätte, wenn die Beklagte während der ersten sechs Wochen des Vertrages (21. April 1997 – 2. Juni 1997) den tatsächlich nicht für Aktienoptionen verwandten Teil des Anlagekapitals (215.671 US-Dollar abzüglich des genehmigten Anteils für Aktienoptionen) und danach (3. Juni 1997 – 24. April 1998) 95 % des Anlagekapitals nach der vereinbarten Anlagestrategie „konservativ, Wachstum” in Aktien investiert hätte.
3. Das Berufungsgericht hat sachverständig beraten den Gewinn, der dem Kläger entgangen sein soll, gemäß den §§ 252 BGB, 287 ZPO nach der Kursentwicklung geschätzt, die der Fonds A. der A. I. genommen hatte. Der Fonds A. habe eine Anlagekonzeption gehabt, die derjenigen, die die Parteien vereinbart hätten, weitgehend entsprochen habe, und damit in der Zeit von April 1997 bis April 1998 ein Plus von 56 % des Anlagekapitals erzielt.
Diese Schadensbemessung wird von den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht getragen.
a) Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings nicht ein durchschnittliches, sondern das – außerordentlich gute – Börsenjahr 1997 zugrunde gelegt. Denn es ging gerade um den Gewinn, den der Kläger in der Zeit von April 1997 bis April 1998 – bei vertragsgerechter Anlagepolitik – gemacht hätte.
b) Gemäß § 252 Satz 2 BGB gilt als entgangen der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Dazu kann auch der Gewinn aus Spekulationsgeschäften in Aktien gehören (vgl. BGH, Urteile vom 29. November 1982 – II ZR 80/82 – NJW 1983, 758 und vom 18. Februar 2002 – II ZR 355/00 – UA S. 7, zur Veröffentlichung vorgesehen). Der Geschädigte muß lediglich die Umstände dartun und beweisen, aus denen sich mit Wahrscheinlichkeit ergibt, daß er einen solchen Gewinn erzielt hätte.
Im Streitfall ist für die Schadensberechnung zugrunde zu legen, daß die Beklagte bei vertragsgerechtem Verhalten während der ersten sechs Wochen des Vermögensbetreuungsvertrages den nach den genehmigten Optionsgeschäften verbliebenen Teil des Anlagekapitals, danach bis zur Schließung des Depots am 24. April 1998 95 % des Anlagekapitals in konservativ-wachstumsorientierte Aktien investiert hätte. Solche Aktien hätten – die Zulässigkeit des Vergleichs mit dem Fonds A. von A. I. unterstellt (vgl. dazu im folgenden unter c) – in der Zeit von April 1997 bis April 1998 einen Kursgewinn von 56 % erzielt. Bei der Prüfung, ob nach den besonderen Umständen des Falles ein Gewinn mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (§ 252 Satz 2 BGB), kam es aber nicht nur auf die Kurse am 21. April 1997 (Eröffnung des Depots) und 24. April 1998 (Schließung des Depots), sondern auch auf die zwischenzeitliche und die weitere Kursentwicklung an (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 1982 aaO).
c) Das Berufungsgericht hat die Kursentwicklung des Fonds A. der A. I. zum Anhaltspunkt für den – fiktiven – Depotwert genommen, den die Beklagte von April 1997 bis April 1998 bei vertragsgemäßer konservativ-wachstumsorientierter Anlagepolitik erwirtschaftet hätte. Nach den derzeitigen Feststellungen kann nicht ausgeschlossen werden, daß dieser Vergleich nicht sachgerecht ist. Die Revision weist zu Recht darauf hin, daß es hier um die Betreuung eines Einzeldepots, nicht um die Beteiligung an einem Fonds ging. Die voraussichtliche Wertentwicklung eines Einzeldepots kann nicht ohne weiteres mit derjenigen eines Fonds gleichgesetzt werden, wovon das Berufungsgericht aber ausgegangen ist. Ein Fonds kann aufgrund des größeren Anlagekapitals anders diversifizieren und damit Risiken ausgleichen als ein Einzeldepot, das im Fall des Klägers ein Anfangskapital von 215.671 US-Dollar hatte. Möglicherweise kann ein Fonds zudem aufgrund seiner starken Marktmacht günstigere Bedingungen beim An- und Verkauf der Wertpapiere erreichen. Diese – jedenfalls für die rechtliche Prüfung zugrunde zu legenden – Vorteile der Fondsverwaltung müßten bei einem Vergleich der Gewinnentwicklung eines Fonds einerseits, eines nach der gleichen Anlagekonzeption geführten Einzeldepots andererseits berücksichtigt werden, gegebenenfalls durch einen nach § 287 ZPO zu schätzenden pauschalen Abschlag.
III.
Erreicht der von dem Berufungsgericht nach den vorbeschriebenen Grundsätzen neu ermittelte Schaden (Verlust bei dem für Aktien vorgesehenen Anlagekapital, entgangener Gewinn) nicht die Klagesumme, ist zu prüfen, ob dem Kläger – auf positive Vertragsverletzung und § 826 BGB (i.V.m. §§ 31, 831 BGB) gestützte – Schadensersatzansprüche wegen Churnings zustehen (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 1994 aaO und Senatsurteil vom 23. September 1999 – III ZR 214/98 – BGHR BGB § 826 Churning 2). Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagte habe die Aktien viel zu häufig ge- und verkauft; ihre Vermögensverwaltung sei ein unsystematisches „Herumgezocke” mit dem Ziel der Spesenschinderei gewesen. Das Berufungsgericht hat Feststellungen, die bei konkreter Schadensberechnung einen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher Vertragsverletzung und sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung dem Grunde nach rechtfertigen können, getroffen.
Unterschriften
Rinne, Wurm, Kapsa, Dörr, Galke
Fundstellen
BB 2002, 1336 |
DB 2002, 1931 |
DStR 2002, 1363 |
NJW 2002, 2556 |
BGHR 2002, 692 |
BGHR |
EBE/BGH 2002, 172 |
EWiR 2002, 861 |
NZG 2002, 682 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2002, 1177 |
WuB 2002, 957 |
ZIP 2002, 1586 |
MDR 2002, 892 |
BKR 2002, 538 |
ZGS 2002, 210 |
Bank 2003, 4 |
FB 2002, 696 |
Kreditwesen 2002, 5652 |