Entscheidungsstichwort (Thema)
Erwerb besonders risikobehafteter Aktien. NASDAQ-Computersystem. Unzureichende Aufklärung durch Vermögensverwalter. Haftung
Leitsatz (amtlich)
Zur Haftung eines Vermögensverwalters wegen unzureichender Aufklärung beim Erwerb von besonders risikobehafteten („Marktenge”) Aktien, die über das amerikanische NASDAQ-Computersystem gehandelt werden.
Normenkette
BGB §§ 276, 675 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Entscheidung vom 11.01.2001) |
LG Düsseldorf |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 11. Januar 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin schloß am 30. Mai 1994 mit der beklagten Vermögensberatungsgesellschaft einen Depotverwaltungsvertrag ab, der insbesondere den An- und Verkauf von in- und ausländischen Wertpapieren durch die Beklagte im Namen und für Rechnung der Klägerin zum Gegenstand hatte.
In der Zeit vom 13. Juni 1994 bis 15. November 1995 zahlte die Klägerin insgesamt 53.176,69 US-Dollar an die Beklagte, die diese Summe in mehreren Tranchen und in unterschiedlichen Wertpapieren anlegte. Der größte Teil des Geldes wurde dabei zum Ankauf von Aktien der Firma H. verwendet, die über das amerikanische NASDAQ-Computersystem gehandelt werden.
Beim Verkauf der erworbenen Wertpapiere erhielt die Klägerin im November 1995 21.743,80 US-Dollar zurück. Sie verlangt den Verlustbetrag von 31.432,89 US-Dollar nebst Zinsen ersetzt. Sie macht geltend, die Beklagte habe sie insbesondere im Zusammenhang mit dem Ankauf der H.-Aktien nicht ausreichend über die Risiken des Geschäfts aufgeklärt.
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Über die Revision ist gemäß §§ 557 a.F., 331 ZPO durch Versäumnisurteil, jedoch aufgrund sachlicher Prüfung zu entscheiden (vgl. BGHZ 37, 79, 81 ff). Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Die Klage ist nicht dadurch unzulässig geworden, daß die Beklagte im Laufe des Berufungsverfahrens wegen Vermögenslosigkeit nach § 141 a Abs. 1 FGG gelöscht worden ist. Die Löschung hat keine rechtsgestaltende Wirkung in dem Sinne, daß dadurch die Gesellschaft ohne weiteres ihre Parteifähigkeit verliert (§ 50 Abs. 1 ZPO). Stellt sich nach der Löschung heraus, daß die Gesellschaft doch noch Vermögen hat, so findet eine Liquidation statt (§ 66 Abs. 5 Satz 1 GmbHG; vgl. auch BGHZ 48, 303, 307). Dies ist hier der Fall, da noch vor Abschluß des Berufungsverfahrens ein Liquidator bestellt worden ist (§ 66 Abs. 5 Satz 2 GmbHG).
II.
Das Berufungsgericht hat die Abweisung der Klage – nach Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen für Warentermin-, Termin-, Börsen- und Wertpapierhandel – im wesentlichen wie folgt begründet:
Den Ausführungen des Sachverständigen sei insgesamt zu entnehmen, daß das NASDAQ-System als ordentlicher Markt zu bewerten sei, so daß eine weitergehende Aufklärung nach den Grundsätzen der Rechtsprechung zu Hinweis- und Warnpflichten bei OTC-Werten nicht geboten gewesen sei. Der Umstand, daß es an der NASDAQ wegen des weiten Auseinanderliegens von Angebots- und Nachfragepreis im Einzelfall eher zu einer zeitweiligen Einschränkung der Handelbarkeit bestimmter Wertpapiere kommen könne als bei herkömmlichen Börsen, stelle für einen regelmäßig ausschließlich am Wertzuwachs interessierten Kapitalanleger keinen so ausschlaggebenden Gesichtspunkt dar, daß eine besondere Belehrung erforderlich sei.
Eine Pflichtverletzung der Beklagten ergebe sich des weiteren nicht daraus, daß die Klägerin nicht über die Existenz des sogenannten Spread (Differenz zwischen Kauf- und Verkaufspreis einer Aktie) aufgeklärt worden sei und ihr gegenüber keine näheren Angaben zum Besitz und zum Handelsvolumen der H.-Aktie gemacht worden seien. Das Vorhandensein unterschiedlicher Kurse für An- und Verkauf oder einer (vermeintlichen) Marktenge stellten nur mit Wertpapiergeschäften allgemein verbundene Risiken dar, aus denen sich die Notwendigkeit einer besonderen Belehrung nicht ableiten lasse.
Entgegen der Auffassung des Sachverständigen könne der Beklagten auch kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß sie die Klägerin nicht auf die Möglichkeit einer Stopp-Loss-Order hingewiesen und davon auch keinen Gebrauch gemacht habe. Hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß eine dahingehende Order vorliegend notwendig gewesen sei, lägen nicht vor.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
III.
Das Berufungsgericht hat den zwischen den Parteien zustande gekommenen Depotverwaltungsvertrag als Vermögensverwaltungsvertrag qualifiziert, also als Geschäftsbesorgungsvertrag mit Dienstvertragscharakter (§ 675 Abs. 1 BGB). Diese von der Revision für zutreffend erachtete Einstufung läßt keinen Rechtsfehler erkennen.
Ist – wie hier – die Vermögensverwaltung auf den An- und Verkauf von Wertpapieren ausgerichtet, so ist der Vermögensverwalter bei Vertragsschluß oder jedenfalls vor Vollzug einer Anlageentscheidung dazu verpflichtet, dem Vertragspartner ein zutreffendes Bild von den Chancen und Risiken der auszuführenden Geschäfte zu vermitteln. Inhalt und Umfang der Informations- und Beratungspflichten hängen von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei sind entscheidend einerseits der Wissensstand des Interessenten über Anlagegeschäfte der vorgesehenen Art und dessen Risikobereitschaft, wobei das vom Kunden vorgegebene Anlageziel zu berücksichtigen ist, und andererseits die allgemeinen Risiken, wie etwa Konjunkturlage und Entwicklung des Kapitalmarkts, und die speziellen Risiken, die sich aus den besonderen Gegebenheiten des Anlageobjekts ergeben (vgl. BGHZ 123, 126, 128 f; BGH, Urteil vom 9. Mai 2000 – XI ZR 159/99 – NJW-RR 2000, 1497, 1498 zu den Beratungspflichten einer Bank gegenüber einem Anlageinteressenten).
Bei der Klägerin handelt es sich nach eigenem Bekunden um eine „Durchschnittsanlegerin”. Das Berufungsgericht hat, von der Revision unangegriffen, dem Sachvortrag der Klägerin nicht die Behauptung entnehmen können, sie sei über das mit dem Erwerb von Aktien allgemein vorhandene Risiko (insbesondere Kursrisiko) überhaupt nicht informiert worden.
Aufgrund dessen ist bei der revisionsgerichtlichen Nachprüfung zu unterstellen, daß – zum einen – die Klägerin über keine Kenntnisse und Erfahrungen hinsichtlich des amerikanischen Aktienmarkts, insbesondere des NASDAQ-Computersystems, verfügt hat, und – zum anderen –, daß ihr insoweit keine besonderen Hinweise oder Informationen gegeben wurden.
Ausgehend hiervon hat das Berufungsgericht eine Pflichtverletzung der Beklagten im Zusammenhang mit dem Ankauf von Aktien der Firma H. rechtsfehlerhaft verneint.
1. In den Tatsacheninstanzen hat sich die Klägerin vor allem auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs berufen, wonach derjenige, der Geldanlagen in am amerikanischen OTC (Over-the-Counter)-Markt gehandelte Penny Stocks (Billigaktien) vermittelt, gesteigerten Aufklärungspflichten unterliegt. Dem liegt die Erwägung zugrunde, daß für den OTC-Handel mit Penny Stocks eine Marktenge typisch ist, die Kursmanipulationen durch Broker und Aktieninhaber begünstigt, und daß demzufolge für den Anleger ein unkontrollierbares zusätzliches Risiko besteht, welches in keinem Zusammenhang mit der Ungewißheit über den wirtschaftlichen Erfolg der emittierenden Aktiengesellschaft steht. Deshalb ist über die besonderen Gefahren der Spekulation in Penny Stocks umfassend aufzuklären, was angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Zusammenhänge schriftlich zu geschehen hat (BGH, Versäumnisurteil vom 22. Januar 1991 und Urteil vom 5. März 1991 – XI ZR 151/89 – NJW 1991, 1108 f; 1947 f).
Diese Rechtsprechung ist, wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, hier nicht einschlägig.
Nach den Ausführungen des Sachverständigen, denen das Berufungsgericht insoweit gefolgt ist, ist der NASDAQ Stock Market aufgrund der Handelstechnik, der Überwachung und der Vielzahl professioneller Market Maker (Broker/Dealer-Firmen) nicht mit dem den Entscheidungen aus dem Jahre 1991 zugrundeliegenden (sonstigen) OTC-Markt vergleichbar. Darüber hinaus kann im allgemeinen von Penny Stocks nur gesprochen werden, wenn der Kaufpreis der Aktie weniger als 5 US-Dollar beträgt (vgl. Joswig, DB 1995, 2253, 2254 f). Im hier in Rede stehenden Zeitraum lag der Kurs der H.-Aktie, ungeachtet aller Schwankungen, deutlich über diesem Wert.
2. Der Umstand, daß die für die Klägerin erworbenen H.-Aktien nicht als Penny Stocks im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs angesehen werden können, rechtfertigt indes nicht den vom Berufungsgericht – verfahrensfehlerhaft – gezogenen Umkehrschluß, daß insoweit überhaupt keine besonderen Aufklärungs- und Beratungspflichten bestanden haben.
a) Zwar hat der Sachverständige, dem das Berufungsgericht insoweit gefolgt ist, angegeben, daß aufgrund der regulierten und überwachten Handelstätigkeit, der elektronischen Veröffentlichung der Kurse usw. die Kursbildung am NASDAQ Stock Market ähnlich verlaufe wie die Kursbildung an einer Präsenzbörse. Gleichwohl bestehen nach Darstellung des Sachverständigen beim NASDAQ Stock Market Besonderheiten; so sei es durchaus möglich, daß an der NASDAQ-Computerbörse kein Handel in einer bestimmten Aktie stattfinde, weil Angebot und Nachfrage (Differenz = Spread zwischen Ankaufspreis/Ask-Kurs und Verkaufspreis/Bid-Kurs) zu weit auseinander stehen. Dieser Spread-Risikofaktor sei insbesondere dann von Bedeutung, wenn es sich – wie bei der H.-Aktie – um einen Wert mit relativ geringem Handelsvolumen handele; dadurch ergebe sich eine nicht zu unterschätzende Marktenge, die schon bei relativ geringen Umsätzen zu stark schwankenden Kursen führe. Damit sei eine Manipulation der Kurse schon mit relativ geringen Mengen an Aktien möglich. Dabei sei bei dem am 13. Juni 1994 vollzogenen Ankauf von 1.900 H.-Aktien auffällig, daß der der Klägerin in Rechnung gestellte Kaufpreis um mehr als 11 % über dem Schlußkurs dieses und des vorangegangenen Handelstages gelegen habe.
Mit diesen Ausführungen des Sachverständigen hat sich das Berufungsgericht, wie die Revision zu Recht rügt, nicht hinreichend auseinandergesetzt. Darüber hinaus hat das Berufungsgericht die vom Sachverständigen sowohl mit den Eigenheiten der H.-Aktien als auch mit den Eigenheiten des Marktplatzes NASDAQ in Zusammenhang gebrachten Risiken im wesentlichen als solche angesehen, mit denen der Anleger auch im „normalen” Parketthandel konfrontiert werde bzw. die zu den allgemeinen Risikofaktoren dieser Kapitalanlageform gehörten, ohne daß ersichtlich ist, woher das Berufungsgericht die Sachkunde für diese von der Bewertung des Sachverständigen abweichende Beurteilung des Sachverhalts nimmt.
b) Die in diesem Zusammenhang vom Berufungsgericht angestellte Erwägung, Beschränkungen der Disponibilität einer Aktie stelle für einen regelmäßig ausschließlich am Wertzuwachs interessierten Kapitalanleger keinen für seine Entscheidung so ausschlaggebenden Gesichtspunkt dar, daß hieran eine Belehrungspflicht angeknüpft werden könne, ist, wie die Revision zutreffend geltend macht, ebenfalls nicht tragfähig.
Weder aus dem Sachvortrag der Parteien noch aus dem Wortlaut des Depotverwaltungsvertrags läßt sich entnehmen, daß es der Klägerin bei ihrer Kapitalanlage vorrangig auf einen langfristig zu erzielenden Wertzuwachs ankam. Daher geht es nicht an, den Liquiditätsaspekt bei der Festlegung der von einem Vermögensverwalter gegenüber einem durchschnittlichen Kapitalanleger geschuldeten Aufklärung und Beratung zu vernachlässigen (s. zu diesem Aspekt Schade, in: Vortmann, Prospekthaftung und Anlageberatung, 2000, § 7 Rn. 128 ff; vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 1991 aaO S. 1109).
c) Insgesamt kann daher die Verneinung einer Pflichtverletzung keinen Bestand haben. Dabei braucht der Senat nicht allgemein dazu Stellung zu nehmen, ob überhaupt und mit welcher Intensität einem Vermögensverwalter oder Anlageberater schon deshalb besondere Aufklärungs- und Beratungspflichten obliegen, weil der Erwerb von Aktien in Rede steht, die im NASDAQ-Computersystem gehandelt werden (s. dazu Joswig aaO S. 2253 f). Jedenfalls durfte die Beklagte vor dem Hintergrund der vom Berufungsgericht nicht verfahrensfehlerfrei widerlegten Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen der Klägerin nicht ohne zusätzliche Aufklärung und Beratung anraten, das für Aktienkäufe zur Verfügung gestellte Geld so umfangreich wie geschehen (ca. 60 % des eingesetzten Kapitals) in – nach Einschätzung des Sachverständigen im Anlagezeitraum als „mit besonderen Risiken belastet” einzustufenden – H.-Aktien anzulegen.
d) Hinzu kommt, daß nach Behauptung der Klägerin die Beklagte nicht nur jede spezifische Risikoaufklärung und -beratung im Zusammenhang mit dem Erwerb von H.-Aktien unterlassen hat, sondern darüber hinaus die Klägerin mit auf angebliche Insiderinformationen und Marktanalysen gestützten Renditeversprechungen zum Ankauf von H.-Aktien geradezu „überredet” hat. Zur Stützung dieses mit Beweisangebot versehenen Vorbringens hat sie darüber hinaus von der Beklagten vertriebene Börsenbriefe vorgelegt, in denen „der Einstieg in die (H.-)Aktie massiv” empfohlen wurde. Auch mit diesem Sachvortrag, der, wie die Revision zu Recht rügt, genügend Substanz aufweist, hat sich das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft nicht auseinandergesetzt.
3. Wie ausgeführt, hat sich der Sachverständige eingehend mit der Situation der H.-Aktie im Jahr 1994 befaßt. Daher kann keine Rede davon sein, daß – wie das Berufungsgericht gemeint hat und von der Revision als aktenwidrig beanstandet wird – das Urteil des Sachverständigen, das Setzen einer Stopp-Loss-Order sei geboten gewesen (= Verlust-Begrenzungs- bzw. Gewinn-Sicherungs-Stopp), auf allgemeinen Vorstellungen (Standardrepertoire eines jeden Anlageberaters) und nicht auf einer Bewertung des konkreten Sachverhalts beruht hat.
IV.
Die Abweisung der Klage kann keinen Bestand haben. Das Berufungsurteil ist aufzuheben.
Zu einer eigenen Sachentscheidung ist der Senat nicht in der Lage. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Klägerin über die mit dem Erwerb der H.-Aktien verbundenen Risiken aufgeklärt worden ist. Dies bedarf der Klärung durch den Tatrichter. Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Rinne, Wurm, Streck, Schlick, Dörr
Fundstellen
NJW 2002, 1868 |
BGHR 2002, 541 |
BGHR |
EWiR 2002, 425 |
NZG 2002, 684 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2002, 913 |
WuB 2003, 515 |
ZIP 2002, 795 |
MDR 2002, 1081 |
VersR 2002, 1248 |
BKR 2002, 397 |
ZBB 2002, 222 |