Verfahrensgang

OLG Bamberg (Entscheidung vom 05.07.2022; Aktenzeichen 5 U 111/21)

LG Bamberg (Entscheidung vom 04.03.2021; Aktenzeichen 23 O 294/20)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 5. Juli 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufungsanträge zu 1, zu 3 und zu 4 zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

Rz. 2

Die Klägerin erwarb am 13. Februar 2015 für 30.000 € ein von der Beklagten hergestelltes, neues Kraftfahrzeug BMW 318d, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe N 47 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Die Emissionskontrolle erfolgt u.a. unter Verwendung eines Thermofensters.

Rz. 3

Die Klägerin hat gestützt u.a. auf die Verwendung des Thermofensters die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen und von Deliktszinsen jeweils Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten beantragt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt sie ihre Berufungsanträge mit Ausnahme des auf die Zahlung von Deliktszinsen gerichteten Antrags zu 2 weiter.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 4

Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

Rz. 5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Rz. 6

Die Klägerin habe keinen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB. Denn bei einer im gewöhnlichen Fahrbetrieb wie auch im Betrieb auf dem Prüfstand arbeitenden Einrichtung, wie etwa dem Thermofenster, bedürfe es zur Begründung der Sittenwidrigkeit besonderer Umstände. Solche habe die darlegungspflichtige Klägerin nicht hinreichend vorgetragen. Für das Vorhandensein eines "hard cycle beating" fehle es an greifbaren Anhaltspunkten. Soweit die Klägerin ein Kaltstartaufheizen behaupte, stehe dem Vorhandensein dieser dem schnelleren Erwärmen eines NO  x  -Speicher-Katalysators dienenden Funktion entgegen, dass das Fahrzeug der Klägerin nicht über einen solchen Katalysator verfüge. Die behauptete Manipulation des Diagnosesystems habe schließlich keinen Einfluss auf die Emissionskontrolle.

Rz. 7

Der Klägerin stehe auch kein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu, weil in den genannten Bestimmungen keine Schutzgesetze lägen. Sie schützten nicht das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden.

II.

Rz. 8

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

Rz. 9

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

Rz. 10

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeschlossen hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

Rz. 11

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023  III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; ­ III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023  VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

Rz. 12

Das Berufungsurteil ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO.

Rz. 13

Insbesondere kann der Senat entgegen den Einwänden der Revisionserwiderung auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und nach Maßgabe des Senatsurteils vom 26. Juni 2023 (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023  VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 59 ff.) ein Verschulden der Beklagten nicht ausschließen. Zwar müssen der objektive und der subjektive Tatbestand einer Pflichtverletzung zeitlich zusammenfallen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 2007 ­ II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rn. 8) und kommt es für die Frage, ob der Beklagten ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann, insoweit nur zusätzlich noch auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 61; Urteil vom 16. Oktober 2023  VIa ZR 1511/22, juris Rn. 12 f.). Dass zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs, wie die Revisionserwiderung geltend macht, keine Zweifel an der Zulässigkeit von Thermofenstern bestanden hätten, sondern erst durch die spätere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union begründet worden seien, ließe  selbst wenn der Einwand der Revisionserwiderung zuträfe  das Verschulden indessen nicht entfallen. Dass sich ein Hersteller nicht ohne weiteres und gestützt auf eine zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr oder weniger verbreitete Auffassung von der Zulässigkeit bestimmter Abschalteinrichtungen entlasten kann, hat der Senat entschieden und näher dargelegt (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 69; zu den Anforderungen an die Darlegung eines unvermeidbaren Verbotsirrtums außerdem BGH, Urteil vom 25. September 2023  VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064 Rn. 13 ff.). Dass ein Differenzschaden durch von der Klägerin gezogene Vorteile vollständig aufgezehrt sei, ergeben die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht.

Rz. 14

Die Sache ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

Menges     

Möhring     

Götz

Rensen     

Vogt-Beheim     

 

Fundstellen

Dokument-Index HI16178077

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