Verfahrensgang
OLG München (Entscheidung vom 13.09.2021; Aktenzeichen 21 U 2841/21) |
LG Ingolstadt (Entscheidung vom 30.04.2021; Aktenzeichen 31 O 1997/20) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 13. September 2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Er erwarb im März 2012 von einem Dritten ein von der Beklagten hergestelltes Neufahrzeug des Typs Audi A6 Avant 3.0 TDI zum Preis von 64.325 €, das mit einem V6 Turbodieselmotor (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist. Die Abgasrückführung zur Verringerung des Stickoxidausstoßes wird innerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs reduziert (Thermofenster).
Rz. 3
Der Kläger hat zuletzt die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen "Rückgabe" und Übereignung des Fahrzeugs abzüglich einer Nutzungsentschädigung, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen begehrt.
Rz. 4
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 7
Dem Kläger stehe kein Anspruch wegen eines sittenwidrigen vorsätzlichen Verhaltens der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB zu. Hinsichtlich der behaupteten Aufheizstrategie, der Lenkwinkelerkennung und des Abgasrückführungssystems fehle es schon an hinreichenden Anhaltspunkten für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung. Bezüglich des verbauten Thermofensters könne zwar zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handele. Der darlegungs- und beweisbelastete Kläger habe allerdings bereits die objektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit nicht dargetan. Angesichts der seinerzeit nicht eindeutigen Gesetzeslage zum Thermofenster fehle es an Anhaltspunkten dafür, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des Kaufvertrags im Bewusstsein gehandelt habe, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden.
II.
Rz. 8
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
Rz. 9
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
Rz. 10
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht erwogen hat. Wie der Senat nach Erlass des die Berufung zurückweisenden Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
Rz. 11
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Rz. 12
Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben, § 562 ZPO, weil er sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Rz. 13
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
Menges |
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Möhring |
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Götz |
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Rensen |
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Vogt-Beheim |
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Fundstellen
Dokument-Index HI16153119 |