Leitsatz (amtlich)
a) Zur Berücksichtigung der Aufwendungen für eine Unfallversicherung und eine Lebensversicherung eines Selbständigen als "fixe Kosten" bei der Ermittlung des Barunterhaltsschadens.
b) Zur Berücksichtigung der Altersentwicklung von Kindern bei der Höhe des Barunterhaltsschadens eines Elternteils.
Normenkette
BGB § 844; ZPO § 287
Verfahrensgang
OLG Düsseldorf (Urteil vom 15.03.2011; Aktenzeichen I-1 U 110/10) |
LG Duisburg (Entscheidung vom 27.04.2010; Aktenzeichen 1 O 311/07) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin zu 1) wird das Urteil des 1. Zivilsenats des OLG Düsseldorf vom 15.3.2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Ehemann der Klägerin zu 1) (im Folgenden: Klägerin) und Vater des Klägers zu 2) starb am 22.9.2004 infolge eines Verkehrsunfalls. Die volle Einstandspflicht der Beklagten steht außer Streit. Im vorliegenden Rechtsstreit verlangen die Kläger den Ersatz entgangenen Unterhalts. Die Klägerin begehrt mit der Leistungsklage die Zahlung einer Geldrente, deren Höhe sie in erster Instanz für die Zeit vom 1.1.2005 bis 30.6.2005 mit 650 EUR monatlich und für die Zeit vom 1.7.2005 bis 30.9.2034 mit 707 EUR monatlich beziffert hat. Daneben begehrt sie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für ihren darüber hinausgehenden Unterhaltsschaden. Der Kläger zu 2) hat die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer monatlichen Geldrente begehrt. Das LG hat der Klage teilweise stattgegeben. Gegen dieses Urteil haben nur die Beklagten Berufung eingelegt, und zwar allein mit dem Ziel der vollständigen Abweisung des Leistungsantrags der Klägerin. Die Berufung hatte teilweise Erfolg und führte zur Ermäßigung und zeitlichen Kürzung der von den Beklagten an die Klägerin zu zahlenden Rentenbeträge. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter, soweit das Berufungsgericht zu ihrem Nachteil entschieden und die Klage abgewiesen hat.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 2
Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin gegen die Beklagten ein Anspruch auf Ersatz des ihr durch den Unfalltod ihres Ehemannes entstandenen Unterhaltsschadens in Form einer monatlich zu zahlenden Geldrente zu, jedoch für die Zeit vom 1.1.2005 bis 30.6.2005 nur i.H.v. monatlich 179,07 EUR und für die Zeit vom 1.7.2005 bis 28.2.2015 nur i.H.v. monatlich 236,18 EUR. Der Rentenanspruch ende am 28.2.2015 mit der Vollendung des 16. Lebensjahres des Klägers zu 2). Von diesem Zeitpunkt an sei die betriebliche Arbeitsleistung der Klägerin in ihrem Schausteller- und Imbissbetrieb wegen des dann geringeren Betreuungsbedarfs des Kindes auf 50 % zu erhöhen. Da der sich für diese Zeit errechnende Unterhaltsrentenbetrag der Klägerin i.H.v. monatlich 327,77 EUR geringer sei als die ihr zustehende Witwenrente, entfalle ein Rentenanspruch gegen die Beklagten.
II.
Rz. 3
Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 4
1. Das Berufungsgericht stellt zutreffend darauf ab, dass nach § 844 Abs. 2 BGB bei der Tötung eines gesetzlich zum Unterhalt Verpflichteten die unterhaltsberechtigte Person Anspruch auf Ersatz des Schadens hat, der ihr durch Entzug des Unterhaltsrechts entsteht (vgl. Küppersbusch, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 10. Aufl., Rz. 319). Der Ersatz ist grundsätzlich durch Entrichtung einer Geldrente zu leisten. Dabei hat nach §§ 823 Abs. 1, 844 Abs. 2 BGB der Schädiger dem Geschädigten bei Vorliegen der vom Berufungsgericht festgestellten weiteren Voraussetzungen insoweit Schadensersatz zu leisten, als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur Gewährung des Unterhalts nach dem Gesetz verpflichtet gewesen wäre. Dies zwingt den Richter zu einer Prognose, wie sich die Unterhaltsbeziehungen zwischen dem Unterhaltsberechtigten und dem Unterhaltspflichtigen bei Unterstellung seines Fortlebens nach dem Unfall entwickelt hätten. Er muss daher gem. § 287 ZPO eine vorausschauende Betrachtung vornehmen, in die er alle voraussehbaren Veränderungen der Unterhaltsbedürftigkeit des Berechtigten und der (hypothetischen) Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, wäre er noch am Leben, einzubeziehen hat. Dabei hat der Tatrichter bei der Festsetzung der Unterhaltsrente für die Zukunft sämtliche für die Bemessung dieser Rente im Bezugszeitraum zukünftig maßgebend werdenden Faktoren zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urt. v. 24.4.1990 - VI ZR 183/89, VersR 1990, 907; v. 4.11.2003 - VI ZR 346/02, VersR 2004, 75, 77 m.w.N.; v. 27.1.2004 - VI ZR 342/02, VersR 2004, 653; v. 25.4.2006 - VI ZR 114/05, VersR 2006, 1081 Rz. 8).
Rz. 5
2. Der Umfang der gesetzlichen Unterhaltspflicht bestimmt sich nicht nach § 844 Abs. 2 BGB, sondern nach den unterhaltsrechtlichen Vorschriften. Den nach diesen Normen geschuldeten Unterhalt setzt § 844 Abs. 2 BGB voraus (vgl. BGH, Urt. v. 4.11.2003 - VI ZR 346/02, a.a.O., S. 76).
Rz. 6
a) Bei der Ermittlung des Barunterhaltsschadens geht das Berufungsgericht zutreffend von den Grundsätzen der Rechtsprechung des BGH aus (vgl. z.B. BGH, Urt. v. 6.10.1987 - VI ZR 155/86, VersR 1987, 1243 f.; v. 31.5.1988 - VI ZR 116/87, VersR 1988, 954, 955, 957; v. 5.12.1989 - VI ZR 276/88, VersR 1990, 317 f.; v. 2.12.1997 - VI ZR 142/96, BGHZ 137, 237, 240; vgl. auch Jahnke in: van Bühren/Lemcke/Jahnke, Anwalts-Handbuch Verkehrsrecht, 2. Aufl., Teil 4 Rz. 1352 ff.; Wenzel/Zoll, Der Arzthaftungsprozess, 2012, Kap. 2 Rz. 2264 ff.; Burmann/Heß in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, 2012, Kap. 7 Rz. 459 ff.). Zu Recht beanstandet die Revision jedoch, dass dem Berufungsgericht bei der Errechnung der "fixen Kosten" des Haushalts Rechtsfehler unterlaufen sind.
Rz. 7
b) Zur Berechnung des Barunterhaltsschadens sind nach der Ermittlung des für Unterhaltszwecke verfügbaren fiktiven Nettoeinkommens des Getöteten in einem zweiten Schritt die "fixen Kosten" vorweg abzusetzen und - nach quotenmäßiger Verteilung des verbleibenden Einkommens auf den Getöteten und seine unterhaltsberechtigten Hinterbliebenen - in voller Höhe den einzelnen Unterhaltsgeschädigten anteilig zuzurechnen (BGH, Urt. v. 1.10.1985 - VI ZR 36/84, VersR 1986, 39, 40). Unter "fixen Kosten" sind jene Ausgaben zu verstehen, die weitgehend unabhängig vom Wegfall eines Familienmitgliedes als feste Kosten des Haushalts weiterlaufen und deren Finanzierung der Getötete familienrechtlich geschuldet hätte (BGH, Urt. v. 11.10.1983 - VI ZR 251/81, VersR 1984, 79, 81; v. 31.5.1988 - VI ZR 116/87, a.a.O., S. 955).
Rz. 8
aa) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, das Berufungsgericht hätte als "fixe Kosten" die Aufwendungen für die Unfallversicherung der Klägerin berücksichtigen müssen. Insoweit ist weder dargetan noch ersichtlich, dass der verstorbene Ehemann unterhaltsrechtlich zur Zahlung dieser Kosten verpflichtet gewesen wäre.
Rz. 9
bb) Der Revision kann auch nicht darin gefolgt werden, dass die Prämien für die Lebensversicherung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin als "fixe Kosten" von dem Nettoeinkommen abzusetzen seien. Da diese Lebensversicherungen mit dem Tod des Ehemannes endeten, sind darauf keine weiteren Prämien mehr zu entrichten.
Rz. 10
cc) Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht die Aufwendungen für die Lebensversicherungen der Klägerin nicht als "fixe Kosten" des Haushalts berücksichtigt, sondern in vollem Umfang als individuelle Aufwendungen angesehen hat. Sie verweist mit Recht darauf, dass die Klägerin und ihr verstorbener Ehemann nach den getroffenen Feststellungen gemeinsam selbständig in ihrem Schausteller- und Imbissbetrieb tätig gewesen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind Aufwendungen und Rücklagen von Selbständigen zur Altersvorsorge, die während der Zeit der aktiven beruflichen Tätigkeit erbracht würden, jedoch als "fixe Kosten" des Haushalts zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urt. v. 26.5.1954 - VI ZR 69/53, VersR 1954, 325, 326; v. 14.4.1964 - VI ZR 89/63, VersR 1964, 778, 779; BGH, Urt. v. 3.12.1951 - III ZR 68/51, VersR 1952, 97, 98). Aufwendungen und Rücklagen zur Altersvorsorge können, soweit den betreffenden Personen keine ausreichende gesetzliche Altersrente zur Verfügung steht, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht stets in vollem Umfang als Beiträge für "freiwillige" Versicherungen behandelt werden. Insoweit kann es sich vielmehr durchaus um "notwendige" und damit "fixe Kosten" des Haushalts handeln. Da Prämien für Kapitallebensversicherungen je nach Lage des Falles sowohl der Eigen- bzw. Altersvorsorge als auch der Absicherung der Unterhaltsberechtigten dienen können und insoweit eine besondere Form des Unterhalts darstellen, sind sie ggf. mit dem Anteil, der nicht der Vermögensbildung dient, bei der Bemessung der Rentenhöhe gem. § 844 Abs. 2 BGB vom unterhaltsrechtlich relevanten Nettoeinkommen abzuziehen (BGH, Urt. v. 3.12.1951 - III ZR 68/51, a.a.O., S. 98 f.; Wenzel/Zoll, a.a.O., Rz. 2284). Dabei unterfällt die Höhe des als "fixe Kosten" zu berücksichtigenden Anteils regelmäßig der tatrichterlichen Schätzung gem. § 287 ZPO (vgl. OLG Zweibrücken VersR 1994, 613, 614 mit NA-Beschluss des erkennenden Senats v. 26.10.1993 - VI ZR 6/93; OLG Hamm, Urt. v. 6.6.2008 - I-9 U 123/055, juris Rz. 148), wobei nach Lage des Falles auch zu berücksichtigen sein kann, in welchem Maße beide Ehegatten zum Familieneinkommen beigetragen haben.
Rz. 11
dd) Die Revision beanstandet auch mit Recht, dass das Berufungsgericht bei der Schadensschätzung gem. § 287 ZPO ermessensfehlerhaft die der Klägerin zu ersetzenden Fixkosten über 16 1/4 Jahre hinweg um je 25 % für die beiden Kinder des Getöteten gekürzt hat, obwohl möglicherweise dessen Unterhaltspflicht seit dem 1.10.2008 gegenüber der am 1.9.2008 volljährig gewordenen Tochter (und Schwester des Klägers zu 2)) nicht mehr bestanden hätte und ab 1.3.2017 gegenüber dem am 25.2.2017 volljährig werdenden Kläger zu 2) nicht mehr bestehen würde. Insoweit hat das Berufungsgericht bei der Aufteilung der "fixen Kosten" die Altersentwicklung der beiden Kinder nicht hinreichend berücksichtigt.
Rz. 12
ee) Die Revision rügt ferner mit Recht, dass das Berufungsgericht diesen Fehler wiederholt hat, indem es bei der Verteilung des nach Abzug der "fixen Kosten" verbleibenden Unterhaltsbeitrags des Getöteten den Anteil der Klägerin über 16 1/4 Jahre hinweg konstant mit 35 % bemessen hat. Auch dabei hat es den sich durch das Heranwachsen der Kinder ergebenden Veränderungen nicht in ausreichendem Maße Rechnung getragen.
Rz. 13
3. In dem dargestellten Umfang ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen, um dem Berufungsgericht Gelegenheit zu geben, die Höhe des Unterhaltsschadens unter Beachtung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats zu ermitteln. Dabei wird im Rahmen der Schadensschätzung gem. § 287 ZPO ggf. auch das Vorbringen der Revisionserwiderung zur Berechnung des Rentenanspruchs zu berücksichtigen sein.
Fundstellen
NJW 2012, 2887 |
EBE/BGH 2012, 243 |
FamRZ 2012, 1300 |
FuR 2012, 654 |
DAR 2013, 21 |
DAR 2013, 307 |
MDR 2012, 1159 |
NZV 2012, 4 |
NZV 2012, 530 |
VRS 2012, 277 |
VersR 2012, 1048 |
ZfS 2012, 686 |
NJW-Spezial 2012, 489 |
SVR 2012, 4 |
VRA 2012, 130 |
VRR 2012, 381 |
r+s 2012, 514 |