Leitsatz (amtlich)
Eine Werbung, die einem Arzneimittel aus Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Werbeadressaten eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen bei einer Anwendung am Menschen beilegt (hier eine entzündungshemmende und antivirale Wirkung bei der Behandlung von Patienten mit akuten, unkomplizierten Entzündungen der Nasennebenhöhlen), ist nach § 3 Satz 1 und 2 Nr. 1 HWG irreführend und unzulässig, wenn sie nicht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht, weil sie allein auf Angaben in der Fachinformation gestützt wird, wonach sich diese Wirkungen zwar bei Tests an tierischen Organismen (hier einer Rattenpfote) und außerhalb lebender Organismen (in vitro) gezeigt haben, aber bisher keine human-pharmakologischen Untersuchungen zur klinischen Relevanz dieser Ergebnisse vorliegen.
Normenkette
UWG § 3a; HWG § 3 Sätze 1, 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des OLG Nürnberg - 3. Zivilsenat und Kartellsenat - vom 29.10.2019 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger ist ein eingetragener Verein, zu dessen satzungsmäßigen Aufgaben die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder, zu denen auch Arzneimittelhersteller zählen, gehört. Die Beklagte stellt das apothekenpflichtige Arzneimittel Sinupret® extract (Sinupret) her, das für das Anwendungsgebiet "bei akuten, unkomplizierten Entzündungen der Nasennebenhöhlen (akute, unkomplizierte Rhinosinusitis)" zugelassen ist. Die Fachinformation enthält unter Ziff. 5.1 zu den pharmako-dynamischen Eigenschaften dieses Arzneimittels u.a. folgende Angaben:
Klinische Studien: In einer doppelblinden, Placebo-kontrollierten klinischen Studie wurden 386 Patienten in zwei Gruppen randomisiert, 194 Patienten in die Gruppe mit 480 mg Wirkstoff und 192 Patienten in die Placebo Gruppe. Ziel der Studie war die Prüfung der Wirksamkeit und Verträglichkeit von Sinupret extract im Vergleich zu Placebo in einer 2-wöchigen Behandlung von Patienten mit akuter (viraler) Rhinosinusitis. Das Hauptzielkriterium, der MSS (Major Symptom Score aus nasaler Sekretion, retronasaler Sekretion, Verstopfung der Nase, Kopfschmerz, Gesichtsschmerz/-druck) in den Behandlungsgruppen an Visite 5 (FAS) betrug 2,38 + 2,54 Punkte für Verum und 3,41 + 3,36 Punkte für Placebo. Der Gruppenunterschied war statistisch signifikant (p = 0,008) und erreichte die als klinisch relevant definierte Punktzahl von mindestens einem Punkt. ... In einem Kaninchen-Modell konnte eine sekretolytische Wirkung von Sinupret Tropfen beobachtet werden. Darüber hinaus zeigte sich im Carrageenin-Ödem-Test an der Rattenpfote eine entzündungshemmende Wirkung. Sinupret hemmte die Vermehrung von verschiedenen Atemwegsviren, wie Rhinoviren (HRV14), Adenoviren und RS (respiratory syncytial-)Viren in-vitro und zeigte in Mäusen eine Verringerung der Mortalitätsrate nach Infektion mit dem Parainfluenzavirus. Zur klinischen Relevanz dieser Ergebnisse liegen bisher keine human-pharmakologischen Untersuchungen vor.
Rz. 2
Die Beklagte warb in der Ausgabe Dezember 2017 in einer Anzeige in der Zeitschrift "PTAheute - Zeitschrift der Deutschen Apotheker Zeitung für PTA", die sich an pharmazeutisch-technische Assistenten (PTA) wendet, u.a. mit folgenden Aussagen für dieses Produkt:
Außerdem wirkt das Produkt entzündungshemmend. Dajana: Moment! Aber die Ursache bei Schnupfen und Nasennebenhöhlenentzündung sind doch in aller Regel Viren. Diana: Ja genau! Die hochkonzentrierte 5-Pflanzen Kombination wirkt auch antiviral. Meist hat man bei Viruserkrankungen ja nur die Möglichkeit symptomatisch zu behandeln. Hier kann man aber sogar beides. Der Extrakt löst den zähen, festsitzenden Schleim und lässt durch seine entzündungshemmende Wirkung die Schleimhaut abschwellen.
Rz. 3
Der Kläger hält die Behauptung, das Arzneimittel wirke entzündungshemmend und antiviral, für irreführend. Er hat beantragt, die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr für das Mittel Sinupret wie geschehen zu werben. Das LG hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg (OLG Nürnberg, Urt. v. 29.10.2019 - 3 U 559/19, juris). Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Kläger beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
A. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG klagebefugte Kläger habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung der streitgegenständlichen Werbung aus §§ 8 Abs. 1, 3 Abs. 1, 3a UWG, § 3 Satz 1 und 2 Nr. 1 HWG, weil die damit getroffenen Aussagen irreführend seien. Die von der streitgegenständlichen Anzeige in erster Linie angesprochenen Apotheker und pharmazeutisch-technischen Assistenten, deren Verständnis das Berufungsgericht selbst beurteilen könne, verstünden die Werbung dahingehend, dass dem beworbenen Arzneimittel eine therapeutische Wirksamkeit i.S.v. § 3 Satz 2 Nr. 1 HWG beigemessen werde. Die Beklagte sei beweisfällig dafür geblieben, dass das gegebene therapeutische Wirksamkeitsversprechen den tatsächlichen Gegebenheiten entspreche. Die streitgegenständlichen Werbeaussagen seien durch die Fachinformation für das Arzneimittel und die dort zitierten Studien nicht gedeckt. Die Fachinformation belege eine auf human-pharmakologischen Untersuchungen beruhende therapeutische Wirksamkeit nur hinsichtlich der sekretolytischen und analgetischen Wirkungen des Arzneimittels, nicht aber in Bezug auf die behauptete antiinflammatorische und antivirale Wirkung. Der Rechtsauffassung des OLG Schleswig (Urt. v. 5.6.2019 - 6 U 5/19, juris), der zufolge es ausreiche, dass in der Fachinformation entzündungshemmende Effekte beschrieben würden, unabhängig davon, ob diese Wirkungen auf human-pharmakologischen Untersuchungen beruhten oder nicht, schließe sich der Senat nicht an. Soweit die Beklagte Beweis für die wissenschaftliche Absicherung durch Einholung eines Gutachtens angeboten habe, sei dem nicht nachzukommen, da sich der Werbende bei der ihm obliegenden Beweisführung nur auf im Zeitpunkt der Werbung bereits vorliegende und ihm bekannte Erkenntnisse stützen könne.
Rz. 5
B. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Revision stand.
Rz. 6
I. Die Revision ist uneingeschränkt zulässig. Die Entscheidungsformel des Berufungsurteils enthält keine Beschränkung der Revisionszulassung. Eine solche ergibt sich auch nicht daraus, dass das Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen ausgeführt hat, die Revision werde "im Hinblick auf die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 05.06.2019 (Az. 6 U 5/19) zugelassen". Nach der Rechtsprechung des BGH kann die Zulassung der Revision nur auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen und damit abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffs beschränkt werden (vgl. BGH, Urt. v. 31.10.2018 - I ZR 73/17 GRUR 2019, 82 Rz. 14 = WRP 2019, 68 - Jogginghosen), nicht aber auf einen bestimmten rechtlichen Gesichtspunkt oder auf ein einzelnes Entscheidungselement (vgl. BGH, Urt. v. 19.3.2015 - I ZR 94/13 GRUR 2015, 1129 Rz. 11 = WRP 2015, 1326 - Hotelbewertungsportal). Der vom Berufungsgericht angeführte Zulassungsgrund betrifft den gesamten Klageanspruch und nicht einen abtrennbaren Teil, so dass das Berufungsurteil im Rahmen der Revisionsangriffe in vollem Umfang zur Nachprüfung steht.
Rz. 7
II. In der Sache hat die Revision keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die beanstandete Werbung zu Recht nach §§ 3 Abs. 1, 3a UWG als unzulässig angesehen, weil sie gegen die Marktverhaltensregel des § 3 Satz 1 und 2 Nr. 1 HWG verstößt und dieser Verstoß geeignet ist, die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen.
Rz. 8
1. Nach § 3 Satz 1 HWG ist eine irreführende Werbung unzulässig. Eine Irreführung liegt gem. § 3 Satz 2 Nr. 1 HWG u.a. dann vor, wenn Arzneimitteln eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben. Dies hat das Berufungsgericht in Bezug auf die angegriffenen Werbeaussagen zu Recht bejaht.
Rz. 9
2. Mit dem im Heilmittelwerbegesetz nicht definierten Begriff der "therapeutischen Wirksamkeit" wird der therapeutische Erfolg der Wirkung eines Heilmittels auf bestimmten Anwendungsgebieten bei bestimmungsgemäßem Gebrauch beschrieben (vgl. zum Arzneimittelgesetz BVerwGE 94, 215, 217 f. [juris Rz. 30]), während der Begriff der "Wirkungen" generell Aussagen über die tatsächlichen oder gewünschten Folgen der Anwendung von Heilmitteln i.S.d. § 1 Abs. 1 HWG, ausgenommen Neben- oder Wechselwirkungen, betrifft (vgl. Prütting/Mand, Medizinrecht, 5. Aufl., § 3 HWG Rz. 62; ähnlich Reese in Doepner/Reese, HWG, 3. Aufl., § 3 Rz. 266 bis 267 m.w.N.; BeckOK.HWG/Reese, 3. Edition [Stand 1.6.2020], § 3 Rz. 263 bis 269). Eine exakte Unterscheidung zwischen den sich in ihrer Bedeutung überschneidenden Begriffen ist im Rahmen des Irreführungstatbestands des § 3 HWG nicht erforderlich (vgl. BeckOK.HWG/Reese, a.a.O., § 3 Rz. 263, 267).
Rz. 10
3. Das Berufungsgericht hat angenommen, die angegriffene Werbung erwecke bei den angesprochenen Werbeadressaten den Eindruck, das Produkt wirke entzündungshemmend und antiviral, und lege dem Arzneimittel insofern eine bestimmte therapeutische Wirksamkeit bei. Hierin liegt kein Rechtsfehler.
Rz. 11
a) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass auch im Heilmittelwerberecht für die Bestimmung des Inhalts einer Werbeaussage das Verständnis des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Werbeadressaten (vgl. zu diesem Maßstab nur BGH, Urt. v. 2.10.2003 - I ZR 150/01, BGHZ 156, 250, 252 [juris Rz. 13] - Marktführerschaft) maßgeblich ist. Adressaten der beanstandeten Werbeanzeige in der Zeitschrift "PTAheute" waren nach den Feststellungen des Berufungsgerichts Apotheker und pharmazeutisch-technische Assistenten.
Rz. 12
b) Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, die angegriffenen Werbebehauptungen erweckten bei den angesprochenen Fachkreisen bereits ihrem Wortlaut nach den Eindruck, als bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Wirkstoffgemisch und der behaupteten entzündungshemmenden und antiviralen Wirkung des Arzneimittels. Die getroffenen Aussagen "Außerdem wirkt das Produkt entzündungshemmend", und "Die hochkonzentrierte 5―Pflanzen Kombination wirkt auch antiviral", stellten eine eindeutige semantische Verknüpfung zwischen der Wirkung von Sinupret und der effektiven Bekämpfung einer Entzündung bzw. der Hemmung der Vermehrung von Viren her. Auch die Äußerungen "Meist hat man bei Viruserkrankungen ja nur die Möglichkeit, symptomatisch zu behandeln. Hier kann man aber sogar beides. Der Extrakt löst den zähen, festsitzenden Schleim und lässt durch seine entzündungshemmende Wirkung die Schleimhaut abschwellen", wiesen auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Wirkstoffgemisch und der entzündungshemmenden Wirkung im Sinne einer Veränderung eines physischen Vorgangs im Körper hin.
Rz. 13
c) Es liegt kein Verfahrensfehler darin, dass das Berufungsgericht das Verständnis der angesprochenen Verkehrskreise aufgrund eigener Sachkunde beurteilt hat, obwohl die Mitglieder des zur Entscheidung berufenen Gerichts diesen nicht selbst angehören.
Rz. 14
aa) Zwar ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens oder ein anderer Weg zur Ermittlung des Verkehrsverständnisses häufig dann geboten, wenn kein Mitglied des erkennenden Gerichts durch die fragliche Werbung angesprochen wird. Es lässt sich jedoch kein Rechtssatz des Inhalts aufstellen, dass eine Beweiserhebung stets veranlasst ist, wenn die Mitglieder des erkennenden Gerichts den von der in Rede stehenden Werbung angesprochenen Fachkreisen nicht selbst angehören. Denn zuweilen ist nicht ersichtlich, dass die Fachkreise für die Beurteilung einer Werbeangabe über besondere Kenntnisse und Erfahrungen verfügen (vgl. BGH, Urt. v. 10.8.2000 - I ZR 126/98 GRUR 2001, 73, 75 [juris Rz. 30] = WRP 2000, 1284 - Stich den Buben; BGHZ 156, 250, 255 [juris Rz. 20] - Marktführerschaft). Gehören die Mitglieder des erkennenden Gerichts den angesprochenen Verkehrskreisen nicht an, sind sie daher gleichwohl nicht an der Feststellung der Verkehrsauffassung aus eigener Sachkunde gehindert, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sich das Verständnis der angesprochenen speziellen Verkehrskreise von dem des Verkehrskreises unterscheiden könnte, dem sie angehören (vgl. BGH, Urt. v. 20.9.2018 - I ZR 71/17 GRUR 2019, 196 Rz. 19 = WRP 2019, 184 - Industrienähmaschinen, m.w.N.; OLG Hamburg, ZLR 2016, 715, 721 [juris Rz. 50]; Feddersen, GRUR 2013, 127, 128).
Rz. 15
bb) Hiervon ist das Berufungsgericht für den Streitfall richtig ausgegangen. Es hat rechtsfehlerfrei ausgeführt, im konkreten Fall seien keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Fachverkehr die deutsche Sprache anders verstehen könnte als jemand, der ebenfalls ein wissenschaftliches Studium absolviert habe.
Rz. 16
4. Das Berufungsgericht hat die beanstandeten Werbeaussagen, die dem Arzneimittel eine entzündungshemmende und antivirale Wirkung beilegen, als irreführend gem. § 3 Satz 1 und 2 Nr. 1 HWG angesehen, weil sie nicht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entsprächen. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revision ohne Erfolg.
Rz. 17
a) Im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung gilt für Angaben mit fachlichen Aussagen auf dem Gebiet der gesundheitsbezogenen Werbung generell, dass die Werbung nur zulässig ist, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht (sog. "Strengeprinzip", vgl. BGH, Urt. v. 6.2.2013 - I ZR 62/11, GRUR 2013, 649 Rz. 16 = WRP 2013, 772 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; Urt. v. 7.5.2015 - I ZR 29/14, GRUR 2015, 1244 Rz. 16 = WRP 2016, 44 - Äquipotenzangabe in Fachinformation, jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn dem Werbenden jegliche wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse fehlen, die die werbliche Behauptung stützen können (BGH GRUR 2013, 649 Rz. 16 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil). Unzulässig ist es außerdem, wenn mit einer fachlich umstrittenen Meinung geworben wird, ohne die Gegenmeinung zu erwähnen. Darüber hinaus kann es irreführend sein, wenn eine Werbeaussage auf Studien gestützt wird, die diese Aussage nicht tragen (vgl. BGH GRUR 2013, 649 Rz. 17 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; GRUR 2015, 1244 Rz. 16 - Äquipotenzangabe in Fachinformation).
Rz. 18
b) Der Nachweis, dass eine gesundheitsbezogene Angabe nicht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht, obliegt grundsätzlich dem Kläger als Unterlassungsgläubiger. Eine Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast kommt allerdings u.a. dann in Betracht, wenn der Kläger darlegt und nachweist, dass nach der wissenschaftlichen Diskussion die Grundlagen, auf die der Werbende sich stützt, seine Aussage nicht rechtfertigen oder sogar jegliche tragfähige wissenschaftliche Grundlage für die Behauptung fehlt (vgl. BGH GRUR 2013, 649 Rz. 32 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil).
Rz. 19
c) Welche Anforderungen an den Nachweis einer gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnis zu stellen sind, hängt von den im Wesentlichen tatrichterlich zu würdigenden Umständen des Einzelfalls ab.
Rz. 20
Studienergebnisse, die in der Werbung oder im Prozess als Beleg einer gesundheitsbezogenen Aussage angeführt werden, sind grundsätzlich nur dann hinreichend aussagekräftig, wenn sie nach den anerkannten Regeln und Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung durchgeführt und ausgewertet wurden. Dies erfordert nach dem sog. "wissenschaftlichen Goldstandard" im Regelfall, dass eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie mit einer adäquaten statistischen Auswertung vorliegt, die durch Veröffentlichung in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen worden ist (BGH GRUR 2013, 649 Rz. 19 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil, m.w.N.).
Rz. 21
Im Hinblick auf Angaben, die der Zulassung des Arzneimittels wörtlich oder sinngemäß entsprechen, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass sie im Zeitpunkt der Zulassung dem gesicherten Stand der Wissenschaft entsprochen haben (BGH GRUR 2013, 649 Rz. 35 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; GRUR 2015, 1244 Rz. 35 - Äquipotenzangabe in Fachinformation). Dies gilt zunächst für Angaben, die sich auf die therapeutische Wirksamkeit beziehen. Denn gem. § 25 Abs. 2 Satz 3 AMG fehlt die für eine Zulassung notwendige therapeutische Wirksamkeit, wenn der Antragsteller nicht entsprechend dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Ergebnisse nachweist, dass sich mit dem Arzneimittel therapeutische Ergebnisse erzielen lassen. Weitergehend gilt der Inhalt der Zulassung im Regelfall aber auch als hinreichender Beleg für Werbebehauptungen, die nicht die zum Anwendungsgebiet gehörenden, sondern darüber hinausgehende Wirkungen und pharmakologische Eigenschaften beschreiben. Aus § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AMG ergibt sich, dass auch diese nicht unmittelbar das Anwendungsgebiet betreffenden Eigenschaften Gegenstand der behördlichen Prüfung sind (vgl. BGH GRUR 2013, 649 Rz. 35 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil).
Rz. 22
Für Aussagen, die den Angaben in der Fachinformation gem. § 11a HWG entsprechen, gilt regelmäßig nichts anderes. Auch diese Angaben werden gem. §§ 22 Abs. 7 Satz 1, 25 Abs. 5 Satz 1 AMG im Zulassungsverfahren behördlich geprüft (vgl. BGH GRUR 2013, 649 Rz. 36 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil).
Rz. 23
d) Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt und den Nachweis, dass die streitgegenständlichen Werbeaussagen zur entzündungshemmenden und antiviralen Wirkung des Arzneimittels Sinupret gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechen, zu Recht als nicht erbracht angesehen.
Rz. 24
aa) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, laut der Fachinformation sei Sinupret zwar zur Anwendung bei akuten, unkomplizierten Entzündungen der Nasennebenhöhlen bei Erwachsenen zugelassen. Die therapeutische Wirksamkeit von Sinupret gegen Rhinosinusitis sei jedoch lediglich durch eine doppelblinde, placebokontrollierte klinische Studie dahingehend nachgewiesen, dass hinsichtlich der nasalen Sekretion und des Gesichtsschmerzes ein relevanter Vorteil bei der Einnahme des Arzneimittels erzielt werde. Dass diese Wirksamkeit im Zusammenhang mit einer entzündungshemmenden und antiviralen pharmakologischen Wirkung des Arzneimittels stehe oder auf einer solchen beruhe, lasse sich der Fachinformation nicht entnehmen. Damit lägen der Zulassung allein Erkenntnisse zur symptomatischen Behandlung von Entzündungen der Nasennebenhöhlen zugrunde. In human-pharmakologischen Untersuchungen gewonnene oder bestätigte Erkenntnisse zur ursächlichen oder direkten Behandlung der Entzündung bestünden auch nach der Fachinformation hingegen nicht. Vielmehr sei dort ausdrücklich ausgeführt, dass zur klinischen Relevanz dieser Ergebnisse bisher keine human-pharmakologischen Untersuchungen vorlägen. Der mit Urteil vom 5.6.2019 (6 U 5/19, juris) geäußerten Rechtsauffassung des OLG Schleswig, der zufolge es ausreiche, dass in der Fachinformation entzündungshemmende Effekte beschrieben würden, unabhängig davon, ob diese Wirkungen auf human-pharmakologischen Untersuchungen beruhten oder nicht, schließe sich das Berufungsgericht nicht an.
Rz. 25
bb) Ohne Erfolg wendet die Revision hiergegen ein, bereits aus der Zulassung für das Anwendungsgebiet "bei akuten, unkomplizierten Entzündungen der Nasennebenhöhlen (akute, unkomplizierte Rhinosinusitis)" ergebe sich, dass das Arzneimittel gegen Entzündungen wirksam sei.
Rz. 26
Entgegen der Ansicht der Revision kann der Zulassung nicht entnommen werden, dass - wie die Beklagte mit der beanstandeten Werbung suggeriert - Sinupret die Ursachen einer Entzündung zu bekämpfen in der Lage sei. Der Wortlaut der Zulassung, die das Anwendungsgebiet ("bei ... Entzündungen") beschreibt, enthält keine Aussage dahingehend, dass das zugelassene Arzneimittel auch "gegen" Entzündungen der Nasennebenhöhlen wirkt.
Rz. 27
cc) Der Fachinformation lässt sich entgegen der Auffassung der Revision nicht entnehmen, dass eine antivirale oder entzündungshemmende Wirksamkeit des Arzneimittels Sinupret durch human-pharmakologische Untersuchungen belegt ist.
Rz. 28
Unter Ziff. 5.1 der Fachinformation werden zunächst die Ergebnisse einer doppelblinden, placebokontrollierten klinischen Studie geschildert, im Rahmen derer 386 Patienten randomisiert worden seien und deren statistisch ausgewertetes Hauptzielkriterium der MSS (Major Sympton Score aus nasaler Sekretion, retronasaler Sekretion, Verstopfung der Nase, Kopfschmerz, Gesichtsschmerz/-druck) gewesen sei. Damit wird eine dem medizinischen "Goldstandard" entsprechende Studie (vgl. dazu BGH GRUR 2013, 649 Rz. 19, 45 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil, m.w.N.) allein im Hinblick auf die mit dem Arzneimittel zu erzielende Wirkung einer Reduzierung der typischen Symptome einer akuten, unkomplizierten Rhinosinusitis beschrieben, nicht aber in Bezug auf die in der Werbung behauptete ursächliche Bekämpfung von Viren und Entzündungen. Auch sonst lässt sich der Fachinformation nicht entnehmen, dass eine entzündungshemmende oder antivirale Wirkung des Arzneimittels in einer human-pharmakologischen Studie nachgewiesen worden sei. Vielmehr wird hinsichtlich der in einem Kaninchenmodell beobachteten sekretolytischen Wirkung, der an der Rattenpfote festgestellten entzündungshemmenden Wirkung, der Hemmung der Vermehrung verschiedener Atemwegsviren in vitro und der Verringerung der Mortalitätsrate von Mäusen nach Infektion mit dem Parainfluenzavirus im Folgeabsatz ausdrücklich betont, es lägen "zur klinischen Relevanz dieser Ergebnisse ... bisher keine human-pharmakologischen Untersuchungen" vor.
Rz. 29
dd) Dass der Zulassung des für eine Anwendung am Menschen vorgesehenen Arzneimittels Sinupret in Bezug auf etwaige entzündungshemmende und/oder antivirale Wirkungen keine human-pharmakologischen Studien zugrunde liegen, lässt die streitgegenständliche Werbeanzeige nicht erkennen. Vielmehr wird die entzündungshemmende und antivirale Wirkung des Arzneimittels mit den beanstandeten Werbeaussagen ohne jede Einschränkung und damit in irreführender Weise hervorgehoben (vgl. BGH, Beschl. v. 29.9.2016 - I ZR 232/15, juris Rz. 11). Vor dem Hintergrund, dass bei gesundheitsbezogener Werbung besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit einer Werbeaussage zu stellen sind (dazu Rz. 17), reicht es für die Zulässigkeit von Werbeaussagen, die einem Arzneimittel aus Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Werbeadressaten eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen bei einer Anwendung am Menschen beilegen, nicht aus, dass die Fachinformation Studien erwähnt, die diese Eigenschaften belegen, wenn dort gleichzeitig einschränkend darauf hingewiesen wird, dass in Bezug auf den menschlichen Organismus gewonnene Erkenntnisse bislang nicht vorliegen.
Rz. 30
ee) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, das Berufungsgericht habe die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast verkannt.
Rz. 31
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagte sei beweisfällig dafür geblieben, dass das therapeutische Wirksamkeitsversprechen den tatsächlichen Gegebenheiten entspreche. Der Kläger habe hinreichend dargelegt und nachgewiesen, dass die Grundlagen, auf die die Beklagte ihre Werbebehauptung stütze, ihre Aussagen nicht rechtfertigten. Da nach der Fachinformation für das streitgegenständliche Arzneimittel zur klinischen Relevanz der in Bezug auf eine entzündungshemmende und antivirale Wirkung berichteten Ergebnisse bisher keine human-pharmakologischen Untersuchungen vorlägen, sei es sachgerecht, der Beklagten die Darlegungs- und Beweislast dafür aufzuerlegen, ob Sinupret die beworbenen Wirkungsweisen zukämen oder nicht.
Rz. 32
Hierin ist kein Rechtsfehler zu erkennen. Die Revision kann dem insb. nicht erfolgreich entgegenhalten, die Beklagte habe sich für den Nachweis der Richtigkeit ihrer werblichen Aussagen auf den Inhalt der Zulassung und der Fachinformation berufen können. Wie dargelegt rechtfertigen diese die getroffenen Aussagen nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts gerade nicht.
Rz. 33
ff) Schließlich hat das Berufungsgericht die Beweisangebote der Beklagten auch nicht rechtsfehlerhaft übergangen.
Rz. 34
Ausgehend davon, dass nach dem "Strengeprinzip" gesundheitsbezogene Aussagen in einer Werbung für Arzneimittel nur dann zulässig sind, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechen (dazu Rz. 17), hat das Berufungsgericht zu Recht betont, dass der vom Werbenden in Anspruch genommene Stand der Wissenschaft bereits im Zeitpunkt der Werbung dokumentiert sein muss. Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn der Werbende sich erst im Laufe des Prozesses auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens beruft. Dies gilt ungeachtet dessen, dass - wie die Revision geltend macht - der Kläger mit seinem Unterlassungsbegehren einen in die Zukunft gerichteten Anspruch verfolgt und sich der Stand der Wissenschaft zugunsten des Beklagten ändern kann. Ein erst nachträglich eingeholtes Gutachten könnte nämlich den Vorwurf nicht entkräften, mit einer im Zeitpunkt der Werbung nicht belegten Aussage geworben zu haben (vgl. auch OLG Düsseldorf, MPR 2016, 25, 33 f. [juris Rz. 89]; OLG Hamburg WRP 2012, 1586, 1591 f. [juris Rz. 74]; OLG Saarbrücken GRUR-RR 2019, 184, 187 [juris Rz. 48]; Bornkamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl., § 5 Rz. 1.238; Feddersen, GRUR 2013, 127, 130, jeweils m.w.N.).
Rz. 35
III. Danach ist die Revision gegen das Berufungsurteil auf Kosten der Beklagten (§ 97 Abs. 1 ZPO) zurückzuweisen.
Fundstellen
NJW 2021, 1676 |
GRUR 2021, 513 |
ArztR 2021, 166 |
JZ 2021, 147 |
MDR 2021, 311 |
MDR 2021, 59 |
WRP 2021, 327 |
GRUR-Prax 2021, 236 |
GesR 2021, 201 |
PharmaR 2021, 197 |
A&R 2021, 36 |
Mitt. 2021, 142 |
StoffR 2021, 34 |