Leitsatz (amtlich)
Zur Zulässigkeit einer ohne Einwilligung erfolgten Veröffentlichung von Fotos, die ein ehemaliges Staatsoberhaupt nach einem Großeinkauf auf dem Parkplatz eines Supermarktes zeigen.
Normenkette
KUG §§ 22-23; BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 15. Zivilsenats des OLG Köln vom 19.1.2017 aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 28. Zivilkammer des LG Köln vom 27.4.2016 abgeändert und die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung einer Bildberichterstattung in Anspruch.
Rz. 2
Der Kläger war vom 30.6.2010 bis zu seinem Rücktritt am 17.2.2012 Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Im Januar 2013 wurde die Trennung von ihm und seiner Frau Bettina öffentlich. Mit Pressemitteilung vom 6.5.2015 bestätigte ein Rechtsanwalt des Klägers in dessen Auftrag, dass der Kläger und seine Frau wieder zusammen lebten. Bettina und Christian Wulff bäten nachdrücklich darum, die ihrer Familie zustehende Privatsphäre zu respektieren. Sollte die Privatsphäre der Familie - etwa durch Nachstellungen von Fotografen - verletzt werden, seien die Anwälte beauftragt, mit allen rechtlichen Mitteln vorzugehen.
Rz. 3
Die Beklagte verlegte u.a. die Illustrierten NEUE POST und PEOPLE. Am 13.5.2015 veröffentlichte die Beklagte in der Wochenzeitschrift PEOPLE unter der Überschrift "Liebes-Comeback" u.a. zwei Fotos, von denen das eine den Kläger und seine Ehefrau gemeinsam an ihrem Auto (im Folgenden: Auto-Foto), das andere den Kläger beim Schieben eines vollen Einkaufswagens zeigt. In dem Begleittext zu den Bildern heißt es u.a.: "Liebe ist ... mit seiner Frau zusammen für die Familie einzukaufen. Letzten Samstag schob der CDU-Politiker Christian Wulff, 55, einen vollbepackten Einkaufswagen aus einem Supermarkt (...) Am Auto wartete schon seine Frau (...) Knapp zwölf Monate nach seinem Rücktritt als Bundespräsident (...) hatte sich das Paar getrennt (...) Erst vor wenigen Wochen wurde die Scheidung (...) eingereicht (...) Nun wohnen sie wieder zusammen mit den zwei Söhnen (...) 'Es ist zutreffend, dass Bettina und Christian Wulff wieder zusammenleben', erklärte Wulffs Anwalt (...)."
Rz. 4
Am 20.5.2015 berichtete die Beklagte in der Wochenzeitschrift NEUE POST unter der Überschrift "Nach der Versöhnung - Christian Wulff - Wer Bettina liebt, der schiebt" ausführlicher über den Supermarkteinkauf und bebilderte den Artikel u.a. mit einem nahezu identischen Foto des Klägers beim Schieben des Einkaufswagens (im Folgenden: Einkaufswagen-Foto). In dem Artikel heißt es u.a.: "Mineralwasser, ein Baguette-Brot, Salat, Schokoküsse und vieles mehr ... Brav hat Christian Wulff (55) den Einkaufszettel abgearbeitet und alles aus dem Supermarkt (...) besorgt, was Ehefrau Bettina (41) ihm wohl vorher aufgeschrieben hat. Seit der überraschenden Versöhnung der beiden vor wenigen Tagen (NEUE POST berichtete) gilt anscheinend: Der ehemalige Bundespräsident ist nun für den Großeinkauf der Familie verantwortlich (...)." In das Foto ist folgender Text eingeschoben: "Hab den Wagen vollgeladen ... Christian Wulff beim Großeinkauf. Glücklich sieht er hier aber nicht aus".
Rz. 5
Das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, es zu unterlassen, das Auto-Foto aus der PEOPLE-Berichterstattung vom 13.5.2013 und das Einkaufswagen-Foto aus der NEUE POST-Berichterstattung vom 20.5.2015 zu veröffentlichen. Die Berufung der Beklagten hat das OLG zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht hat die angegriffene Bildberichterstattung nach §§ 22, 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG als unzulässig erachtet. Die mangels Einwilligung des Klägers erforderliche Abwägung der verfassungsrechtlich geschützten Belange der Parteien führe zu der Feststellung, dass es sich im Zusammenhang mit der Wortberichterstattung nicht um Bildnisse der Zeitgeschichte (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG) handele, jedenfalls aber berechtigte Interessen des Klägers verletzt seien (§ 23 Abs. 2 KUG).
Rz. 7
Zwar zeigten die Fotos den Kläger in einer Alltagssituation im öffentlichen Raum und seien als solche nicht abträglich. Zugleich habe der Kläger in der Vergangenheit sein Ehe- und Familienleben in die Öffentlichkeit getragen und sich insoweit selbst geöffnet ("mediale Inszenierung"). Auch nach seinem Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten habe der Kläger sein Privatleben nicht situationsübergreifend und konsistent verschlossen. Es bestehe ein erhebliches öffentliches Interesse am Leben des - weiter politisch und gesellschaftlich engagierten - Klägers. Zugleich könne den Artikeln nicht jedes Berichterstattungsinteresse abgesprochen werden. In den Artikeln werde über die Wende im Beziehungsleben des Klägers und seiner Ehefrau berichtet. Die streitgegenständlichen Bilder hätten eine gewisse Belegfunktion diesbezüglich und bezüglich der vom Kläger nunmehr wahrgenommenen familiären Pflichten (Erledigung des Wocheneinkaufs). Schließlich stünden die Artikel in zeitlichem Zusammenhang mit der vom Rechtsanwalt des Klägers veröffentlichten Presseerklärung.
Rz. 8
Trotz alledem überwögen letztlich die Interessen des Klägers. Die Fotos seien der Privatsphäre des Klägers zuzuordnen. Sie beträfen einen völlig belanglosen Vorgang; der Berichterstattung fehle jeder Bezug zur politischen Tätigkeit des Klägers. Es gehe ausschließlich um das Privatleben des Klägers und dessen Beziehung zu seiner Ehefrau. Das Interesse hieran könne auch durch Beifügung von genehmigten oder genehmigungsfrei verwendbaren Fotos befriedigt werden. Gerade der Neuanfang vormals getrennt lebender Eheleute sei oftmals schwierig und werde durch die "Blicke der Öffentlichkeit" zusätzlich erschwert. Die frühere Zusammenarbeit des Klägers und seiner Ehefrau mit der Presse sei allein kein Grund, ihm jeden Schutz vor einer Veröffentlichung von Fotos zu nehmen.
II.
Rz. 9
Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat die in besonderer Weise herausgehobene Stellung des Klägers als ehemaliges Staatsoberhaupt, den Kontext der beanstandeten Bildberichterstattung sowie das Ausmaß der vom Kläger in der Vergangenheit praktizierten Selbstöffnung nicht hinreichend berücksichtigt und deshalb rechtsfehlerhaft dem Persönlichkeitsrecht des Klägers den Vorrang vor der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Pressefreiheit der Beklagten eingeräumt.
Rz. 10
1. Die Zulässigkeit von Bildveröffentlichungen ist nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG zu beurteilen (grundlegend BGH, Urt. v. 6.3.2007 - VI ZR 51/06, BGHZ 171, 275 Rz. 9 ff.; vgl. hiernach etwa BGH, Urt. v. 10.3.2009 - VI ZR 261/07, BGHZ 180, 114 Rz. 9; v. 18.10.2011 - VI ZR 5/10, VersR 2012, 116 Rz. 8 f.; v. 22.11.2011 - VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rz. 23 f.; v. 28.5.2013 - VI ZR 125/12, VersR 2013, 1178 Rz. 10; v. 21.4.2015 - VI ZR 245/14, VersR 2015, 898 Rz. 14; jeweils m.w.N.), das sowohl mit verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. BVerfGE 120, 180, 210) als auch mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Einklang steht (vgl. EGMR, NJW 2012, 1053 Rz. 114 ff.). Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Die Veröffentlichung des Bildes einer Person begründet grundsätzlich eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (BVerfG, NJW 2011, 740 Rz. 52 m.w.N.). Die nicht von der Einwilligung des Abgebildeten gedeckte Verbreitung seines Bildes ist nur zulässig, wenn dieses Bild dem Bereich der Zeitgeschichte oder einem der weiteren Ausnahmetatbestände des § 23 Abs. 1 KUG positiv zuzuordnen ist und berechtigte Interessen des Abgebildeten nicht verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG). Dabei ist schon bei der Beurteilung, ob ein Bild dem Bereich der Zeitgeschichte zuzuordnen ist, eine Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Presse aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK andererseits vorzunehmen (BGH, Urt. v. 27.9.2016 - VI ZR 310/14, NJW 2017, 804 Rz. 5; v. 21.4.2015 - VI ZR 245/14, VersR 2015, 898 Rz. 14; v. 19.6.2007 - VI ZR 12/06, VersR 2007, 1135 Rz. 17).
Rz. 11
2. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger in die Veröffentlichung der Fotos nicht eingewilligt (§ 22 Satz 1 KUG). Die beanstandeten Aufnahmen dienen jedoch der Bebilderung einer Berichterstattung über ein Ereignis der Zeitgeschichte und sind damit selbst Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG).
Rz. 12
a) Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Der Begriff des Zeitgeschehens darf nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit umfasst er nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern ganz allgemein das Geschehen der Zeit, also alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Er wird mithin vom Interesse der Öffentlichkeit bestimmt.
Rz. 13
Es gehört zum Kern der Presse- und Meinungsfreiheit, dass die Medien im Grundsatz nach ihren eigenen publizistischen Kriterien entscheiden können, was sie des öffentlichen Interesses für wert halten und was nicht (vgl. BGH, Urt. v. 22.11.2011 - VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rz. 19; v. 26.10.2010 - VI ZR 230/08, BGHZ 187, 200 Rz. 20; v. 10.3.2009 - VI ZR 261/07, BGHZ 180, 114 Rz. 11; v. 1.7.2008 - VI ZR 67/08, VersR 2008, 1411 Rz. 14; BVerfGE 120, 180, 197; BVerfGE 101, 361, 389; jeweils m.w.N.). Auch unterhaltende Beiträge, etwa über das Privat- und Alltagsleben prominenter Personen, nehmen grundsätzlich an diesem Schutz teil (vgl. BGH, Urt. v. 22.11.2011 - VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rz. 19; v. 26.10.2010 - VI ZR 230/08, BGHZ 187, 200 Rz. 20; v. 10.3.2009 - VI ZR 261/07, BGHZ 180, 114 Rz. 11; v. 14.10.2008 - VI ZR 272/06, VersR 2009, 78 Rz. 14; v. 9.12.2003 - VI ZR 373/02, NJW 2004, 762, 764; BVerfGE 120, 180, 197, 205; 101, 361, 389 ff.), ohne dass dieser von der Eigenart oder dem Niveau des jeweiligen Beitrags oder des Presseerzeugnisses abhängt (vgl. BGH, Urt. v. 28.5.2013 - VI ZR 125/12, NJW 2013, 2890 Rz. 17; v. 10.3.2009 - VI ZR 261/07, BGHZ 180, 114 Rz. 11, 14; v. 6.3.2007 - VI ZR 51/06, BGHZ 171, 275 Rz. 32; jeweils m.w.N.). Gerade prominente Personen können der Allgemeinheit Möglichkeiten der Orientierung bei eigenen Lebensentwürfen bieten sowie Leitbild- und Kontrastfunktionen erfüllen. Auch Aspekte aus ihrem Privatleben wie beispielsweise die Normalität ihres Alltagslebens können der Meinungsbildung zu Fragen von allgemeinem Interesse dienen (BGH, Urt. v. 2.5.2017 - VI ZR 262/16, AfP 2017, 310 Rz. 24; v. 10.3.2009 - VI ZR 261/07, BGHZ 180, 114 Rz. 11; v. 28.10.2008 - VI ZR 307/07, BGHZ 178, 213 Rz. 13; BVerfG NJW 2017, 1376 Rz. 15; BVerfGE 120, 180, 204; BVerfGE 101, 361, 390).
Rz. 14
Im Rahmen einer zulässigen Berichterstattung steht es den Medien demnach grundsätzlich frei, Textberichte durch Bilder zu illustrieren (BGH, Urt. v. 28.10.2008 - VI ZR 307/07, BGHZ 178, 213 Rz. 15). Es ist Sache der Medien, über Art und Weise der Berichterstattung und ihre Aufmachung zu entscheiden. Sie haben das Recht, Art und Ausrichtung, Inhalt und Form eines Publikationsorgans frei zu bestimmen (BGH, Urt. v. 28.5.2013 - VI ZR 125/12, NJW 2013, 2890 Rz. 15 und 17; BVerfGE 101, 361, 389). Eine Bedürfnisprüfung, ob eine Bebilderung veranlasst war, findet nicht statt. Bildaussagen nehmen am verfassungsrechtlichen Schutz des Berichts teil, dessen Bebilderung sie dienen (BGH, Urt. v. 28.10.2008 - VI ZR 307/07, BGHZ 178, 213 Rz. 15; BVerfGE 120, 180, 196).
Rz. 15
b) Ein Informationsinteresse besteht jedoch nicht schrankenlos, vielmehr wird der Einbruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt (BGH, Urt. v. 27.9.2016 - VI ZR 310/14, NJW 2017, 804 Rz. 7; v. 11.6.2013 - VI ZR 209/12, VersR 2013, 1272 Rz. 9; v. 22.11.2011 - VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rz. 24; jeweils m.w.N.). Nicht alles, wofür sich Menschen aus Langeweile, Neugier und Sensationslust interessieren, rechtfertigt dessen visuelle Darstellung in der breiten Medienöffentlichkeit. Wo konkret die Grenze für das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der aktuellen Berichterstattung zu ziehen ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls entscheiden (BGH, Urt. v. 28.10.2008 - VI ZR 307/07, BGHZ 178, 213 Rz. 14).
Rz. 16
c) Es bedarf mithin einer abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen (vgl. BGH, Urt. v. 13.4.2010 - VI ZR 125/08, AfP 2010, 259 Rz. 14; v. 1.7.2008 - VI ZR 243/06, AfP 2008, 507 Rz. 20; BVerfGE 120, 180, 205). Die Belange der Medien sind dabei in einen möglichst schonenden Ausgleich mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von einer Berichterstattung Betroffenen zu bringen (BGH, Urt. v. 27.9.2016 - VI ZR 310/14, NJW 2017, 804 Rz. 8).
Rz. 17
aa) Im Rahmen der Abwägung ist von maßgeblicher Bedeutung, ob die Medien im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtern, damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllen und zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen oder ob sie lediglich die Neugier der Leser nach privaten Angelegenheiten prominenter Personen befriedigen (vgl. BGH, Urt. v. 22.11.2011 - VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rz. 25; v. 10.3.2009 - VI ZR 261/07, BGHZ 180, 114 Rz. 12; v. 14.10.2008 - VI ZR 272/06, VersR 2009, 78 Rz. 15; BVerfGE 101, 361, 391; BVerfGE 120, 180, 205; EGMR, NJW 2012, 1053 Rz. 108 ff.; 1058 Rz. 89 ff.). Je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt aber auch der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen umso schwerer, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist (BGH, Urt. v. 26.10.2010 - VI ZR 230/08, BGHZ 187, 200 Rz. 10; v. 6.3.2007 - VI ZR 51/06, BGHZ 171, 275 Rz. 20).
Rz. 18
Der Informationsgehalt einer Bildberichterstattung ist im Gesamtkontext, in den das Personenbildnis gestellt ist, zu ermitteln, insb. unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung. Daneben sind für die Gewichtung der Belange des Persönlichkeitsschutzes der Anlass der Berichterstattung und die Umstände in die Beurteilung mit einzubeziehen, unter denen die Aufnahme entstanden ist. Auch ist bedeutsam, in welcher Situation der Betroffene erfasst und wie er dargestellt wird (BGH, Urt. v. 27.9.2016 - VI ZR 310/14, NJW 2017, 804 Rz. 8; vgl. BGH, Urt. v. 28.5.2013 - VI ZR 125/12, VersR 2013, 1178 Rz. 13; v. 22.11.2011 - VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rz. 26).
Rz. 19
bb) Bei der Prüfung der Frage, ob und in welchem Ausmaß die Berichterstattung einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung leistet und welcher Informationswert ihr damit beizumessen ist, ist von erheblicher Bedeutung, welche Rolle dem Betroffenen in der Öffentlichkeit zukommt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unterscheidet zwischen Politikern ("politicians/personnes politiques"), sonstigen im öffentlichen Leben oder im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehenden Personen ("public figures/personnes publiques") und Privatpersonen ("ordinary person/personne ordinaire"), wobei einer Berichterstattung über letztere engere Grenzen als in Bezug auf den Kreis sonstiger Personen des öffentlichen Lebens gezogen seien und der Schutz der Politiker am schwächsten sei (vgl. EGMR, NJW 2015, 1501 Rz. 54; EGMR, Urteil vom 30.3.2010, Beschwerde-Nr. 20928/05, BeckRS 2012, 18730 Rz. 55). Er erkennt ein gesteigertes Informationsinteresse der Öffentlichkeit hinsichtlich politischer Akteure an, wobei nicht nur die Amtsführung, sondern unter besonderen Umständen im Hinblick auf die Rolle der Presse als "Wachhund der Öffentlichkeit" auch Aspekte des Privatlebens betroffen sein können (vgl. EGMR, NJW 2012, 1053 Rz. 110; NJW 2010, 751 Rz. 44 ff.; NJW 2004, 2647 Rz. 63). Auch der Senat hat für Personen des politischen Lebens ein gesteigertes Informationsinteresse des Publikums unter dem Gesichtspunkt demokratischer Transparenz und Kontrolle stets als legitim anerkannt, weshalb eine Berichterstattung über die Normalität ihres Alltagslebens oder über Umstände der privaten Lebensführung durch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerechtfertigt sein kann (vgl. BGH, Urt. v. 24.6.2008 - VI ZR 156/06, BGHZ 177, 119 Rz. 17 unter Verweis auf BVerfGE 101, 361, 390).
Rz. 20
cc) Stets abwägungsrelevant ist die Intensität des Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (vgl. BVerfGE 120, 180, 209).
Rz. 21
d) Nach diesen Grundsätzen ist der vorliegende Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers in seiner Ausprägung als Recht am eigenen Bild durch das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerechtfertigt.
Rz. 22
aa) Der Kläger war von Juni 2010 bis Februar 2012 Bundespräsident und damit Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland (zur Stellung des Bundespräsidenten als Staatsoberhaupt und den damit verbundenen verfassungsrechtlichen Befugnissen im Überblick statt aller Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Lfg. 54 Januar 2009, Art. 54 Rz. 2 ff.). Als Inhaber des höchsten Staatsamtes war er in besonders herausgehobener Weise politische Person im Sinne der o.g. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, weshalb das öffentliche Interesse an seiner Person in besonderer Weise als grundsätzlich gerechtfertigt anzusehen ist (vgl. BGH, Urt. v. 24.6.2008 - VI ZR 156/06, BGHZ 177, 119 Rz. 15).
Rz. 23
Die politische Bedeutung des Klägers und die Berechtigung des öffentlichen Interesses an seiner Person endeten auch nicht mit dem Rücktritt des Klägers vom Amt des Bundespräsidenten im Februar 2012; die besondere Bedeutung des Amtes wirkt vielmehr nach. Es besteht ein berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit, darüber informiert zu werden, wie ein hochrangiger Politiker sein Leben nach dem Abschied aus der aktiven Politik gestaltet. Ein Politiker ist daher auch nach seinem Ausscheiden aus der Politik nicht wie jedwede Privatperson zu behandeln, sondern bleibt - jedenfalls für eine Übergangszeit - trotz des Amtsverlustes politische Person in o.g. Sinne, die Leitbild- oder Kontrastfunktion erfüllen kann und deren Verhalten weiterhin Gegenstand öffentlicher Diskussionen sein darf (vgl. BGH, Urt. v. 19.5.2009 - VI ZR 160/08, VersR 2009, 1241 Rz. 14 f.; v. 24.6.2008 - VI ZR 156/06, BGHZ 177, 119 Rz. 21). Dies gilt in besonderer Weise für einen ehemaligen Bundespräsidenten, dessen politisches und gesellschaftliches Engagement regelmäßig nicht mit dem Ausscheiden aus dem Amt endet. So liegt der Fall auch hier. Der Kläger selbst weist - allgemeinbekannt - auf seiner Website auf seine vielfältigen öffentlichen Verpflichtungen als "Altbundespräsident" bis hin zur Vertretung Deutschlands bei auswärtigen Veranstaltungen hin (http://christian-wulff.de/was-macht-eigentlich-ein-altbundespraesident/, zuletzt abgerufen am 6.2.2018). Die fortdauernd große politische Bedeutung des Klägers wird gespiegelt durch die besondere Form seiner nachamtlichen Versorgung. Dies gilt für die lebenslange Alimentierung durch Zahlung eines Ehrensoldes in voller Höhe der Amtsbezüge (§ 1 BPräsRuhebezG), mehr noch aber für die zeitlich unbegrenzte Übernahme von Repräsentationskosten durch die Bereitstellung von Sach- und Personalmitteln für einen Dienstwagen mit Fahrer und ein ausgestattetes Büro mit Schreibkraft und Referenten (vgl. BT-Drucks. 17/13660, 16 f. - Bericht des Petitionsausschusses; heute im bundestag [hib] 311/2017 vom 17.5.2017, Ruhebezüge des Bundespräsidenten - Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses; zu Umfang, Art und Begründung der nachamtlichen Versorgung des Bundespräsidenten im Allgemeinen Aßmann, Die Besoldung und Versorgung des Bundespräsidenten, 2014, S. 16 ff.; zum Rücktritt des Klägers im Besonderen Pieper, in: BeckOK/GG, Stand 1.6.2017, Art. 54 Rz. 31.1 ff., jeweils m.w.N.).
Rz. 24
bb) Die - nicht angegriffene - jeweils zugehörige Textberichterstattung leistet einen Beitrag zu einer Diskussion allgemeinen Interesses. Sie nimmt die Versöhnung des Klägers mit seiner Ehefrau in Bezug und macht deren eheliche Rollenverteilung zu ihrem Gegenstand. Angesichts der politischen Bedeutung der vom Kläger ausgeübten Staatsämter sowie der im Verlauf seiner politischen Karriere und darüber hinaus von ihm und seiner Frau immer wieder gewährten tiefen Einblicke in ihr Eheleben - das Berufungsgericht spricht insofern wiederholt von "medialer Inszenierung" - hatte die Versöhnung des Ehepaares Nachrichten- und Informationswert und war damit unter Berücksichtigung des weiten, die Reichweite der Pressefreiheit angemessen berücksichtigenden Begriffsverständnisses ein zeitgeschichtliches Ereignis. Der Kläger selbst hat diesem Nachrichten- und Informationswert mit Pressemitteilung vom 6.5.2015 Rechnung getragen.
Rz. 25
Der Bezug hierzu ist offensichtlich für den Text des - nur eine Woche später und damit in der nächsten Ausgabe erschienenen - PEOPLE-Artikels vom 13.5.2015. Die Beklagte zitiert hierin aus der Pressemitteilung des Rechtsanwalts des Klägers und rekapituliert knapp, jedoch ernsthaft und sachbezogen den Verlauf der Beziehung des Klägers zu seiner Ehefrau. Aber auch die Textberichterstattung in dem NEUE POST-Artikel vom 20.5.2015 weist einen hinreichenden aktuellen Bezug zum Versöhnungsereignis auf. Auch in diesem Artikel knüpft die Beklagte an die "überraschende Versöhnung der beiden vor wenigen Tagen" an, um diesen eher abstrakten Umstand im Folgenden für ihre Leserschaft anschaulich zu machen durch eine Erörterung der damit verbundenen Alltagspflichten wie der Erledigung des Großeinkaufs der Familie.
Rz. 26
Die streitgegenständlichen Fotos bebildern diese Berichterstattung und nehmen auf diese Weise an deren Ereignisbezug teil. Sie besitzen einen eigenen Aussagegehalt, indem sie den Kläger und seine Ehefrau gemeinsam am Auto (Auto-Foto) und den Kläger beim Schieben eines gefüllten Einkaufswagens (Einkaufswagen-Foto) zeigen. Damit machen sie die praktischen Konsequenzen der Versöhnungsnachricht sichtbar und dienen zugleich als deren Beleg. Sie sind kontextgerecht, ergänzen und veranschaulichen den jeweiligen Wortbeitrag. Unter diesen Umständen musste sich die Beklagte auch nicht auf die Verwendung eines genehmigten oder genehmigungsfrei verwendbaren Fotos verweisen lassen (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 17.2.2009 - VI ZR 75/08, VersR 2009, 841 Rz. 17).
Rz. 27
cc) Der Kläger hat sein Ehe- und Familienleben in der Vergangenheit immer wieder intensiv öffentlich thematisiert und sich dadurch mit einer öffentlichen Erörterung dieses Themas einverstanden gezeigt. Diese Selbstöffnung wirkt fort, nachdem der Kläger und seine Frau ihre Ehe auch nach dem Rücktritt des Klägers vom Amt des Bundespräsidenten nicht situationsübergreifend und konsistent verschlossen haben (vgl. BGH, Urt. v. 14.10.2008 - VI ZR 272/06, NJW 2009, 754 Rz. 23).
Rz. 28
dd) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts betrifft die streitgegenständliche Bildberichterstattung den Kläger lediglich in seiner Sozialsphäre. Die Fotos sind zur Einkaufszeit auf dem Parkplatz eines Supermarktes und damit im öffentlichen Raum entstanden (vgl. BVerfG NJW 2017, 1376 Rz. 19). Auch im Zusammenhang mit der zugehörigen Textberichterstattung beruhen die Beiträge ausschließlich auf Wahrnehmungen, die typischerweise durch die Öffentlichkeit des Orts ermöglicht wurden und keine indiskrete Beobachtung im Einzelnen voraussetzen (vgl. hierzu BVerfG, NJW 2000, 2194, 2195). Zwar ist Privatsphäre nicht allein räumlich zu verstehen. Privatheit und die daraus abzuleitende berechtigte Erwartung, nicht in den Medien abgebildet zu werden, erfordern nicht notwendig eine durch räumliche Abgeschiedenheit geprägte Situation, sondern können in Momenten der Entspannung oder des Sich-Gehen-Lassens außerhalb der Einbindung in die Pflichten des Berufs und des Alltags auch außerhalb örtlicher Abgeschiedenheit entstehen (vgl. BGH, Urt. v. 14.10.2008 - VI ZR 272/06, NJW 2009, 754 Rz. 17; v. 1.7.2008 - VI ZR 243/06, VersR 2008, 1411 Rz. 24). Die streitgegenständlichen Fotos zeigen den Kläger jedoch gerade nicht in einem Moment der Entspannung oder des Sich-Gehen-Lassens außerhalb der Einbindung in die Pflichten des Alltags, sondern in Erfüllung derselben, nämlich bei Erledigung des Wocheneinkaufs.
Rz. 29
3. Bei dieser Sachlage und der gebotenen Würdigung der Berichterstattung in ihrer Gesamtheit (vgl. BGH, Urt. v. 6.3.2007 - VI ZR 51/06, BGHZ 171, 275 Rz. 33) kommt den einer Veröffentlichung der Abbildungen entgegenstehenden berechtigten Interessen des Klägers kein überwiegendes Gewicht zu (§ 23 Abs. 2 KUG).
Rz. 30
a) Die Fotos selbst weisen keinen eigenständigen Verletzungsgehalt auf. Die Aufnahmen würdigen den Kläger nicht herab, sondern zeigen ihn in unverfänglichen Alltagssituationen. Dies gilt ohne Weiteres für das Auto-Foto, auf dem nur der Kopf des Klägers zu sehen ist, während der Rest seines Körpers vom Auto verdeckt wird. Dies gilt aber auch für das Einkaufswagen-Foto, das den Kläger in gepflegter Alltagskleidung hinter seinem Einkaufswagen und damit in der sympathischen Rolle eines fürsorgenden Familienvaters zeigt.
Rz. 31
Auch die mit dem Einkaufswagen-Foto übermittelte Information über die vom Kläger erworbenen Produkte führt nach den Umständen des Streitfalls zu keinem anderen Ergebnis. Zwar kann auch die Berichterstattung über Art und Anzahl von ihm erworbener Alltagsprodukte die Privatsphäre eines Betroffenen berühren, was etwa für Artikel aus dem Bereich der Körper- und Gesundheitspflege keiner näheren Erläuterung bedarf. Doch sind auf dem angegriffenen Foto keine derartigen Produkte erkennbar. Soweit sich auf dem Foto überhaupt einzelne Produkte identifizieren lassen, sind diese im Übrigen in der zugehörigen - nicht angegriffenen - Textberichterstattung ausdrücklich benannt ("Mineralwasser, Baguette-Brot, Salat, Schokoküsse"), so dass der Abbildung keine zusätzliche Information zu entnehmen ist.
Rz. 32
Soweit der Kläger auf die dem Einkaufswagen-Foto zugehörige Bildunterschrift ("Hab den Wagen vollgeladen ... Christian Wulff beim Großeinkauf") abstellt und darin eine ihm abträgliche Anspielung auf das gleichlautend beginnende Volkslied ("Hab den Wagen vollgeladen/Voll mit alten Weibsen") sieht, kann dem schon deshalb keine maßgebliche Bedeutung zukommen, weil die Textberichterstattung - und damit auch die genannte Bildunterschrift - vom Kläger nicht beanstandet wurde. Dies gilt entsprechend für den weiteren Inhalt des vom Kläger als gehässig empfundenen NEUE POST-Artikels.
Rz. 33
b) Dies alles wird durch die zugunsten des Klägers zu berücksichtigenden Umstände wie insb. die Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Fotos nicht zufällig entstanden sind, sondern von einem "Paparazzo" geschossen wurden, nicht aufgewogen. Dies gilt zumal die Fotos nach den insoweit nicht angegriffenen weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts weder heimlich aufgenommen noch der Kläger oder seine Frau durch die konkrete Aufnahmesituation besonders belästigt wurden.
III.
Rz. 34
Da keine weiteren Feststellungen mehr zu treffen sind, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Fundstellen
Haufe-Index 11575935 |
NJW 2018, 1820 |
NVwZ 2018, 8 |
GRUR 2018, 549 |
GRUR 2018, 9 |
NZG 2018, 5 |
JZ 2018, 308 |
JuS 2018, 487 |
JuS 2018, 9 |
MDR 2018, 472 |
VersR 2018, 554 |
ZUM-RD 2018, 327 |
GRUR-Prax 2018, 196 |
K&R 2018, 323 |
RÜ 2018, 280 |
IPRB 2018, 128 |
Jura 2018, 959 |
NZFam 2018, 8 |