Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzung der überwiegenden öffentlichen Nutzung eines Gebäudes auch vor Inkrafttreten des Verkehrsflächenbereinigungsgesetzes. Anwendung des Verkehrsflächenbereinigungsgesetzes bei Mischnutzung von Gebäuden
Leitsatz (amtlich)
Bei einer sowohl öffentlichen als auch anderen Zwecken dienenden Nutzung eines im Beitrittsgebiet belegenen Gebäudes ist das Verkehrsflächenbereinigungsgesetz nur anwendbar, wenn die Nutzung zu öffentlichen Zwecken bereits vor dem 3.10.1990 überwog.
Normenkette
VerkFlBerG § 1 Abs. 1 S. 5
Verfahrensgang
OLG Rostock (Urteil vom 09.06.2005; Aktenzeichen 7 U 139/03) |
LG Schwerin (Entscheidung vom 16.07.2003; Aktenzeichen 3 O 97/02) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des OLG Rostock vom 9.6.2005 im Kostenpunkt und insoweit aufhoben, als über die auf Herausgabe des Grundstücks und auf Zahlung weiterer 6.600 EUR Nutzungsentschädigung für die Zeit vom 1.10.2001 bis zum 31.12.2002 nebst anteiligen Zinsen gerichtete Klage entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks in Mecklenburg-Vorpommern. 1972 wurde auf diesem und auf dem benachbarten Grundstück ein für den Rat der Gemeinde P. bestimmtes Mehrzweckgebäude mit einer Konsumverkaufsstelle errichtet. Die Mittel für den Bau stammten nicht von der Gemeinde. In der Folgezeit wurde das Gebäude zumindest teilweise für Verwaltungsaufgaben der Gemeinde genutzt; seit dem 1.10.2001 überwiegt die Nutzung zu öffentlichen Zwecken.
[2] Der Kläger verlangt von der beklagten Gemeinde die Herausgabe seines Grundstücks nebst aufstehendem Gebäude sowie eine (weitere) Nutzungsentschädigung für die Zeit von Februar 1991 bis Dezember 2002. Seine Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.
[3] Mit der von dem Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Herausgabeanspruch und den Anspruch auf Nutzungsentschädigung für die Zeit vom 1.10.2001 bis zum 31.12.2002 weiter.
Entscheidungsgründe
I.
[4] Das Berufungsgericht hält einen Herausgabeanspruch des Klägers für nicht gegeben, da die Beklagte nach dem Verkehrsflächenbereinigungsgesetz (VerkFlBerG) zum Besitz des Grundstücks berechtigt sei. Die Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 5 VerkFlBerG, wonach das Gesetz bei einer Mischnutzung nur im Fall überwiegender öffentlicher Nutzung Anwendung finde, stehe dem nicht entgegen. Ausreichend sei, dass das auf dem Grundstück befindliche Gebäude von seiner Errichtung bis heute zumindest auch gemeindlichen Aufgaben gedient habe und jedenfalls bei Inkrafttreten des Verkehrsflächenbereinigungsgesetzes am 1.10.2001 überwiegend öffentlich genutzt worden sei. Für das Besitzrecht der Beklagten sei unerheblich, dass die frühere Gemeinde P. die Errichtung des Gebäudes nicht finanziert habe. Es genüge, dass diese Initiatorin des Bauvorhabens, Bauherrin und Hauptnutznießerin gewesen sei. Da das Verkehrsflächenbereinigungsgesetz Anwendung finde, könne der Kläger auch keine über die erhaltenen Zahlungen hinausgehende Nutzungsentschädigung verlangen.
II.
[5] Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[6] Nicht zu beanstanden ist zwar der Ausgangspunkt des angefochtenen Urteils, wonach die Beklagte dem auf § 985 BGB gestützten Herausgabeanspruch des Klägers ein Recht zum Besitz gem. § 9 Abs. 1 Satz 4 VerkFlBerG entgegen halten kann und keine weitergehende Nutzungsentschädigung für die Zeit vom 1.10.2001 bis zum 31.12.2002 zahlen muss, wenn eine von dem Verkehrsflächenbereinigungsgesetz erfasste Bereinigungslage vorliegt. Die Voraussetzungen einer solchen Bereinigungslage hat das Berufungsgericht jedoch verkannt. Seine Annahme, das Verkehrsflächenbereinigungsgesetz finde im Fall der Mischnutzung eines Gebäudes - also der Nutzung sowohl für öffentliche als auch für gewerbliche oder sonstige Zwecke (vgl. § 7 Abs. 1 SachenRBerG) - Anwendung, wenn sich feststellen lasse, dass das Gebäude jedenfalls seit dem Inkrafttreten des Gesetzes am 1.10.2001 überwiegend öffentlich genutzt werde, ist unzutreffend.
[7] Mit dem Verkehrsflächenbereinigungsgesetz sollen die Rechtsverhältnisse an Grundstücken bereinigt werden, welche in der DDR für öffentliche Zwecke in Benutzung genommen wurden, ohne dass eine förmliche Enteignung oder eine sonstige Überführung in Volkseigentum stattgefunden hatte. In zeitlicher Hinsicht knüpft das Gesetz deshalb an Nutzungen an, die nach der Schaffung sozialistischer Bodenrechtsverhältnisse im Gebiet der (späteren) DDR und vor deren Ende begründet worden sind. Die Inanspruchnahme eines Grundstücks zu öffentlichen Zwecken vor und nach den in § 1 Abs. 1 Satz 1 VerkFlBerG genannten Stichtagen (9.5.1945 und 3.10.1990) fällt demgegenüber nicht in den Anwendungsbereich des Gesetzes (vgl. Senat, Urt. v. 11.7.2003 - V ZR 83/02, BGHReport 2003, 1193 = MDR 2003, 1285 = WM 2004, 192 m.w.N.).
[8] Diese zeitliche Begrenzung gilt auch, soweit auf privaten Grundstücken errichtete Gebäude oder bauliche Anlagen nicht ausschließlich öffentlichen Zwecken dienen. Das Verkehrsflächenbereinigungsgesetz kommt in diesen Fällen nur bei überwiegender öffentlicher Nutzung zur Anwendung (§ 1 Abs. 1 Satz 5 VerkFlBerG). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist diese Voraussetzung nicht schon dann erfüllt, wenn eine zu DDR-Zeiten untergeordnete Nutzung eines Gebäudes für Verwaltungsaufgaben nach dem 3.10.1990 zu einer überwiegenden öffentlichen Nutzung ausgedehnt wurde. Eine Mischnutzung i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 5 VerkFlBerG, die vor oder nach den in § 1 Abs. 1 Satz 1 VerkFlBerG genannten Stichtagen begründet wurde, ist nicht geeignet, den Anwendungsbereich des Gesetzes zu eröffnen (ebenso Kimme/Matthiessen, Offene Vermögensfragen [Stand März 2006], § 1 VerkFlBerG Rz. 9 aE; Eickmann/Purps, Sachenrechtsbereinigung [Stand April 2006], § 1 VerkFlBerG Rz. 11). Andernfalls würden der öffentlichen Hand das Erwerbsrecht gem. § 3 Abs. 1 VerkFlBerG und das Besitzrecht gem. § 9 Abs. 1 Satz 4 VerkFlBerG aufgrund einer Nutzungssituation zustehen, die nicht schon in der DDR begründet, sondern erst unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffen worden ist. Das widerspräche der Intention des Gesetzgebers. Das Verkehrsflächenbereinigungsgesetz dient nicht dazu, der öffentlichen Hand ein Ankaufsrecht für am 1.10.2001 zu (überwiegend) öffentlichen Zwecken genutzte Privatgrundstücke unabhängig von deren Nutzung zu DDR-Zeiten zu verschaffen; insb. will es nicht öffentliche Nutzer privilegieren, die die Inanspruchnahme fremden Eigentums nach dem 3.10.1990 noch ausgeweitet haben. Es hat ausschließlich den Zweck, die während der Geltung der sozialistischen Bodenordnung durch die Inanspruchnahme privater Grundstücke entstandenen besonderen Situationen zu bereinigen (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs für ein Grundstücksbereinigungsgesetz in BT-Drucks. 14/6204, 10; Senat, Urt. v. 18.1.2002 - V ZR 104/01, BGHReport 2002, 450 = MDR 2002, 630 = WM 2002, 768, 771).
[9] Etwas anderes folgt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht daraus, dass der Anwendungsbereich des Verkehrsflächenbereinigungsgesetzes mit demjenigen des am 30.9.2001 ausgelaufenen Moratoriums in Art. 233 § 2a Abs. 9 EGBGB demnach nicht deckungsgleich ist. Das Besitzrecht nach § 9 Abs. 1 Satz 4 VerkFlBerG ist zwar einerseits als Verlängerung des Besitzmoratoriums angelegt (vgl. Senat, Urt. v. 18.1.2002 - V ZR 104/01, BGHReport 2002, 450 = MDR 2002, 630 = WM 2002, 768, 771). Andererseits erfasste das Besitzmoratorium - seinem vorläufigen Charakter entsprechend - auch Fälle, die vom Anwendungsbereich des Verkehrsflächenbereinigungsgesetzes bewusst ausgenommen worden sind (vgl. Senat, Urt. v. 11.7.2003 - V ZR 83/02, BGHReport 2003, 1193 = MDR 2003, 1285 = WM 2004, 192, 193; Kimme/Matthiessen, Offene Vermögensfragen [Stand März 2006], § 1 VerkFlBerG Rz. 12). So genügte für die Anwendung des Besitzmoratoriums die bloße Nutzung eines bebauten Grundstücks zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben, während das Verkehrsflächenbereinigungsgesetz in einem solchen Fall nur anwendbar ist, wenn auf dem Grundstück vor dem 3.10.1990 ein Verwaltungszwecken dienendes Gebäude errichtet oder ein vorhandenes Gebäude mit erheblichem baulichen Aufwand für die öffentliche Nutzung verändert worden ist. Demgemäß gibt es zahlreiche Fälle, in denen das durch das Moratorium geschaffene Recht zum Besitz trotz fortdauernder öffentlicher Nutzung mit dem 30.9.2001 beendet worden ist (zu einem solchen Sachverhalt vgl. Senat, Urt. v. 11.3.2005 - V ZR 160/04, BGHReport 2005, 820 = MDR 2005, 802 = NJW-RR 2005, 965).
III.
[10] Das angefochtene Urteil kann demnach keinen Bestand haben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die fehlende Feststellung nachholen kann, ob das Mehrzweckgebäude bereits vor dem 3.10.1990 überwiegend für öffentliche Zwecke genutzt worden ist (§§ 562 Abs. 1, 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
[11] Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
[12] 1. Ist das über die Grundstücksgrenze gebaute Gebäude, welches nach den im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen etwa zur Hälfte auf dem Grundstück des Klägers und zur Hälfte auf dem Nachbargrundstück steht, als eine wirtschaftliche Einheit anzusehen, kommt es für die Feststellung, ob das Gebäude vor dem 3.10.1990 überwiegend zu öffentlichen Zwecken genutzt worden ist, nicht nur auf die Nutzung des auf dem Grundstück des Klägers befindlichen Gebäudeteils, sondern auf die Nutzung des gesamten Gebäudes an.
[13] Das Ankaufsrecht nach § 3 Abs. 1 VerkFlBerG knüpft im Fall einer Mischnutzung an die überwiegende öffentliche Nutzung des Bauwerks (nicht des Grundstücks) an und soll dem Nutzer den Erwerb der dazugehörigen Flächen ermöglichen (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1 VerkFlBerG). Diese Anknüpfung muss auch dann maßgeblich sein, wenn sich das Gebäude über mehrere Grundstücke erstreckt (vgl. Senat, Urt. v. 20.1.2006 - V ZR 122/05, BGHReport 2006, 694 = MDR 2006, 1163 (LS) = NJW-RR 2006, 805, 807 [19]). Andernfalls könnte einer der Grundstückseigentümer den Verkauf unter Hinweis darauf verhindern, dass der auf seinem Grundstück befindliche Gebäudeteil überwiegend zu anderen als öffentlichen Zwecken genutzt worden sei, und so den Nutzer - obwohl das Gebäude in seiner Gesamtheit vor dem 3.10.1990 überwiegend öffentlichen Zwecken gedient hatte und heute weiterhin dient - daran hindern, alle zum Erwerb des Gebäudes notwendigen Flächen anzukaufen. Dem Sinn des Ankaufsrechts nach § 3 Abs. 1 VerkFlBerG widerspräche auch der umgekehrte Fall, dass ein öffentlicher Nutzer berechtigt wäre, ein Grundstück mit einem darauf befindlichen Gebäudeteil nur deshalb anzukaufen, weil (nur) dieser Gebäudeteil überwiegend für öffentliche Zwecke genutzt worden ist, während das Gebäude in seiner Gesamtheit im maßgeblichen Zeitraum überwiegend anderen Zwecken gedient hat.
[14] 2. Entgegen der Auffassung der Revision steht die Feststellung, dass das Gebäude nicht mit Mitteln des früheren Rats der Gemeinde P. errichtet worden ist, der Anwendung des Verkehrsflächenbereinigungsgesetzes nicht entgegen. Bei der Neuerrichtung eines Verwaltungszwecken dienenden Gebäudes auf einem Privatgrundstück kommt es im Interesse einer Sicherung baulicher Investitionen seitens der öffentlichen Hand (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs für ein Grundstücksbereinigungsgesetz in BT-Drucks. 14/6204, 13) nicht darauf an, aus welchen Mitteln der Bau finanziert worden ist. Es reicht vielmehr aus, dass eine staatliche Stelle Auftraggeber des Bauvorhabens war. Anders liegt es nur bei einer Mischnutzung. Hier ist die Frage der Finanzierung ausnahmsweise von Bedeutung, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Genossenschaft oder andere Wirtschaftseinheit, materiell betrachtet, Investitionsauftraggeberin gewesen und deshalb hinsichtlich des Gebäudes nach dem Sachenrechtsbereinigungsgesetz anspruchsberechtigt sein könnte (vgl. § 9 Abs. 2 Nr. 3 SachenRBerG). Eine solche verdeckte Investition hat der Senat für möglich gehalten, wenn eine Genossenschaft nur deswegen nicht selbst als Auftraggeberin aufgetreten ist, weil nur der Rat der Gemeinde über die für die Verwirklichung des Bauprojekts planungsrechtlich notwendigen Investitions- oder materiellen Kennziffern verfügte (Senat, Urt. v. 30.5.2003 - V ZR 370/02, BGHReport 2003, 1132 = MDR 2003, 1225 = WM 2003, 1973, 1974). Allerdings genügt der Umstand, dass eine Genossenschaft die Kosten der Baumaßnahme getragen hat, allein nicht, um sie als Investitionsauftraggeberin anzusehen. Erforderlich ist darüber hinaus, dass sie das Projekt auch im Übrigen wirtschaftlich in den Händen hielt und ihr nach der Bauausführung die Nutzung des Objekts ohne die Einschränkungen der Anordnung für die Übertragung volkseigener unbeweglicher Grundmittel an sozialistische Genossenschaften vom 1.10.1974 übertragen wurde (vgl. Senat, a.a.O., sowie Urt. v. 16.7.2004 - V ZR 228/03, BGHReport 2004, 1613 = VIZ 2004, 499, 500).
[15] Die bloße Möglichkeit, dass es sich bei dem Bau des Mehrzweckgebäudes in P. um die verdeckte Investition einer Konsumgenossenschaft handelt, muss die - für die Anwendbarkeit des Verkehrsflächenbereinigungsgesetzes darlegungs- und beweispflichtige - Beklagte allerdings nicht ausräumen, wenn sich erweisen sollte, dass das Gebäude vor dem 3.10.1990 überwiegend zu öffentlichen Zwecken genutzt worden ist. Da eine solche Nutzung gegen ein Auseinanderfallen von formellem (öffentlichen) und materiellem Investitionsauftraggeber spricht, genügt dann die Feststellung, dass der Rat der Gemeinde P. Initiator und Auftraggeber des Bauvorhabens war, um den Neubau als eine Investition der öffentlichen Hand anzusehen.
Fundstellen
BGHR 2007, 5 |
ZfIR 2007, 38 |
LKV 2007, 190 |
NJ 2007, 45 |