Leitsatz (amtlich)
a) Für die Folgen eines Verkehrsunfalls hat der Linksabbieger, der die ihn gem. § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO gegenüber dem Gegenverkehr treffende Wartepflicht missachtet hat, regelmäßig in vollem Umfang allein oder doch zumindest zum größten Teil zu haften.
b) Im Falle einer nur quotenmäßigen Haftung des Schädigers hat dieser dem Geschädigten dessen Sachverständigenkosten nur im Umfang der Haftungsquote zu erstatten.
Normenkette
StVG § 17 Abs. 2; BGB § 254 Abs. 1; StVG § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1; StVO § 9 Abs. 3 S. 1, § 37 Abs. 2 S. 3 Nr. 1; BGB § 249
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 22. Zivilsenats in Darmstadt des OLG Frankfurt vom 5.4.2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagten zur Zahlung von mehr als 579,91 EUR nebst Zinsen und zur Erstattung vorgerichtlicher Kosten von mehr als 41,77 EUR nebst Zinsen verurteilt worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger befuhr am 6.3.2008 mit seinem Pkw die Friedrichstraße in N.-I., um an der mit einer Lichtzeichenanlage geregelten Kreuzung nach links in die Frankfurter Straße abzubiegen. Der Beklagte zu 1) befuhr mit einem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw die auf diese Kreuzung in Gegenrichtung zuführende Wilhelmstraße. Er beabsichtigte, geradeaus in die Friedrichstraße weiterzufahren. Im Kreuzungsbereich kam es zur Kollision beider Fahrzeuge, die jeweils auf der rechten Seite beschädigt wurden. Der vom Kläger beauftragte Sachverständige schätzte den Wiederbeschaffungswert seines Pkw auf 7.300 EUR brutto und den Restwert auf 2.700 EUR. Der Kläger hat Ersatz des Wiederbeschaffungsaufwands von 4.600 EUR und der Sachverständigenkosten von 747,57 EUR, die Zahlung einer Kostenpauschale von 26 EUR und die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten begehrt. Das LG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das OLG ihr i.H.v. 2.988,02 EUR nebst Zinsen sowie hinsichtlich eines Teils der geltend gemachten Anwaltskosten stattgegeben. Es hat dem Kläger jeweils 50 % des mit 4.428,90 EUR errechneten Nettowiederbeschaffungsaufwands und der Kostenpauschale nebst Ummeldekosten von insgesamt 52 EUR zuerkannt und ihm einen Anspruch auf vollumfänglichen Ersatz der Sachverständigenkosten von 747,57 EUR zugebilligt. Mit der vom OLG zugelassenen Revision erstreben die Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils, soweit sie zur Zahlung von mehr als 579,91 EUR nebst Zinsen und zur Erstattung vorgerichtlicher Kosten von mehr als 41,77 EUR nebst Zinsen verurteilt worden sind.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 2
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in SP 2011, 255 veröffentlicht ist, billigt dem Kläger gem. §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 VVG einen Anspruch auf Ersatz der Hälfte des ihm entstandenen Schadens zu. Sowohl der Kläger als auch der Beklagte zu 1) hätten gegen Verkehrsvorschriften verstoßen. Der Kläger habe als Linksabbieger das Vorrecht des ihm entgegenkommenden Beklagten zu 1) missachtet (§ 9 Abs. 3 StVO); der Beklagte zu 1) habe gegen § 37 Abs. 2 StVO verstoßen, indem er bei Gelb oder sogar bei Rot in die Kreuzung eingefahren sei. Da beide Sorgfaltspflichtverstöße gleich schwerwiegend seien, sei eine hälftige Haftungsteilung gerechtfertigt. Die Haftungsquote gelte für den zu ersetzenden Wiederbeschaffungsaufwand und die Kostenpauschale, nicht jedoch auch für die geltend gemachten Sachverständigenkosten. Diese seien vielmehr vollumfänglich zu ersetzen, weil es sich um Kosten handele, die in voller Höhe der Schadensfeststellung dienten. Eine Quotelung solcher Kosten könne nur in Betracht kommen, wenn der Geschädigte die Möglichkeit habe, ihr Entstehen entsprechend der späteren gerichtlichen Quotelung zu begrenzen, er mithin bei korrekter Einschätzung der Haftungsquote nicht auf einem Teil des Schadens sitzen bleibe. Dies sei ihm in der Praxis aber nicht möglich. Da der Geschädigte vielmehr immer den gesamten Fahrzeugschaden durch einen Gutachter ermitteln lassen müsse, seien die Sachverständigenkosten auch im Falle einer Haftungsteilung in vollem Umfang erforderliche Kosten der Schadensfeststellung. Da die obergerichtliche Rechtsprechung hierzu uneinheitlich sei, werde die Revision zugelassen.
II.
Rz. 3
1. Die Revision ist zulässig. Sie ist insb. uneingeschränkt statthaft (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Das Berufungsgericht hat die Revision unbeschränkt zugelassen. Dies ergibt sich aus dem Tenor des angefochtenen Urteils. Aus den Entscheidungsgründen lässt sich eine Beschränkung der Revision nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit (vgl. dazu BGH, Urt. v. 1.12.2009 - VI ZR 221/08, VersR 2010, 642 Rz. 11; BGH, Urt. v. 12.11.2004 - V ZR 42/04, NJW 2005, 894, 895, insoweit in BGHZ 161, 115 nicht abgedruckt; Beschl. v. 14.5.2008 - XII ZB 78/07, NJW 2008, 2351 [2352]) entnehmen.
Rz. 4
2. Die Revision ist begründet.
Rz. 5
a) Sie beanstandet mit Erfolg die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verantwortungsbeiträge nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG. Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB oder des § 17 StVG ist zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob der Tatrichter alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat (vgl. BGH, Urt. v. 13.12.2005 - VI ZR 68/04, VersR 2006, 369 Rz. 16; v. 16.10.2007 - VI ZR 173/06, VersR 2008, 126 Rz. 16; v. 17.11.2009 - VI ZR 58/08, VersR 2010, 270 Rz. 11; v. 1.12.2009 - VI ZR 221/08, a.a.O., Rz. 13, jeweils m.w.N.; BGH, Urt. v. 20.7.1999 - X ZR 139/96, NJW 2000, 217 [219]; v. 14.9.1999 - X ZR 89/97, NJW 2000, 280 [281 f.]). Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen (vgl. BGH, Urt. v. 26.4.2005 - VI ZR 228/03, VersR 2005, 954 [956]) Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben (BGH, Urt. v. 20.9.2011 - VI ZR 282/10, VersR 2011, 1540 Rz. 14 m.w.N.); das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung. Einer Überprüfung nach diesen Grundsätzen hält das Berufungsurteil nicht stand.
Rz. 6
b) Die Revision wendet sich mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht den Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 1) als ebenso schwerwiegend bewertet hat wie denjenigen des Klägers. Eine solche Beurteilung berücksichtigt nicht in hinreichendem Maß das unterschiedliche Gewicht der beiderseitigen Verkehrsverstöße.
Rz. 7
aa) Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass der Beklagte zu 1) bei Rot in die Kreuzung eingefahren ist, sondern hält dies nur für möglich. Im Revisionsverfahren ist deshalb zugunsten der Beklagten zu unterstellen, dass die Lichtzeichenanlage für den Beklagten zu 1) noch nicht auf Rot umgesprungen war. Das Berufungsgericht hat allerdings festgestellt, dass der Beklagte zu 1) in die Kreuzung eingefahren ist, obwohl die Lichtzeichenanlage für ihn schon längere Zeit Gelb zeigte. Darin hat es mit Recht einen Verstoß gegen § 37 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 StVO gesehen, wonach das Wechsellichtzeichen Gelb an einer Kreuzung anordnet, auf das nächste Zeichen zu warten. Hiergegen hat der Beklagte zu 1) verstoßen, denn das Berufungsgericht nimmt an, dass er in die Kreuzung eingefahren ist, obwohl die Lichtzeichenanlage für ihn schon mehrere Sekunden lang Gelb zeigte. Im Hinblick darauf ist es davon ausgegangen, dass es ihm möglich gewesen wäre, seinen Pkw vor der Kreuzung anzuhalten, wozu er mithin auch verpflichtet gewesen wäre.
Rz. 8
bb) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht diesen unfallursächlichen Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1) indessen als ebenso schwerwiegend bewertet wie das Verkehrsverhalten des Klägers. Letzterer ist an der Kreuzung nach links abgebogen, obwohl ihm erkennbar der von dem Beklagten zu 1) gelenkte Pkw entgegenkam. Damit hat der Kläger, wie auch das Berufungsgericht nicht verkannt hat, gegen § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO verstoßen. Nach dieser Vorschrift muss, wer links abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. Den Linksabbieger trifft mithin eine Wartepflicht. Deren Nichtbeachtung stellt nach ständiger Rechtsprechung einen besonders schwerwiegenden Verkehrsverstoß dar. Genügt ein Verkehrsteilnehmer dieser Wartepflicht nicht und kommt es deshalb zu einem Unfall, hat er in der Regel, wenn keine Besonderheiten vorliegen, in vollem Umfang oder doch zumindest zum größten Teil für die Unfallfolgen zu haften (vgl. BGH, Urt. v. 11.1.2005 - VI ZR 352/03, VersR 2005, 702 m.w.N.). Der Linksabbieger muss den Vorrang des Gegenverkehrs grundsätzlich auch dann beachten, wenn dieser bei Gelb oder bei frühem Rot einfährt (Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl. 2007, Stand: 10.1.2010, § 14 Rz. 125). Selbst eine erhebliche Geschwindigkeitsüberschreitung des geradeaus Fahrenden hebt dessen Vorrecht nicht auf (vgl. BGH, Urt. v. 14.2.1984 - VI ZR 229/82, VersR 1984, 440; OLG Hamm, NZV 2001, 520). In Fallgestaltungen dieser Art wird allerdings je nach Gewichtung der beiderseitigen Verursachungsanteile unter Berücksichtigung der jeweiligen konkreten Umstände regelmäßig eine Mithaftung beider Unfallbeteiligter anzunehmen sein. Eine überwiegende Haftung des geradeaus Fahrenden als auch eine Haftungsquote von 50 % ist nur ausnahmsweise in besonders gelagerten Einzelfällen gerechtfertigt (vgl. Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, 12. Aufl. Rz. 222 und Vorbemerkung vor Rz. 221). Eine Haftungsteilung je zur Hälfte ist in der Rechtsprechung teilweise bei einer Kollision zwischen dem wartepflichtigen Linksabbieger und einem entgegenkommenden Verkehrsteilnehmer auf einer mit einer Lichtzeichenanlage geregelten Kreuzung etwa dann angenommen worden, wenn der entgegenkommende Unfallgegner in später Gelbphase oder beginnender Rotphase an anderen, auf einem parallelen Fahrstreifen bereits haltenden Fahrzeugen vorbei in den Kreuzungsbereich eingefahren ist (vgl. OLG Düsseldorf [Urt. v. 16.10.1975 - 12 U 156/74] r+s 1976, 205; KG, VerkMitt 1984, 36 f.; OLG Hamm VersR 1990, 99). Um eine solche oder eine ähnlich zu bewertende Fallgestaltung handelt es sich vorliegend jedoch nicht.
Rz. 9
cc) Das Berufungsgericht hat abgesehen von dem Gelblichtverstoß des Beklagten zu 1) keine Besonderheiten festgestellt, die vorliegend ein Abweichen von dem allgemeinen Grundsatz rechtfertigen könnten, dass der Linksabbieger, der die ihn gem. § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO gegenüber dem Gegenverkehr treffende Wartepflicht missachtet, regelmäßig in vollem Umfang allein oder doch zumindest zum größten Teil für die Unfallfolgen zu haften hat. Im Hinblick darauf erweist sich die vorgenommene Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile als rechtsfehlerhaft. Bei dieser Sachlage kann die angeordnete Haftungsquote von 50 % keinen Bestand haben.
Rz. 10
c) Die Revision hat auch insoweit Erfolg, als sie sich dagegen wendet, dass das Berufungsgericht dem Kläger trotz Annahme einer Mithaftungsquote von 50 % einen Anspruch auf vollumfänglichen Ersatz der Sachverständigenkosten zugebilligt hat. Der in der Rechtsprechung und im Schrifttum vereinzelt vertretenen Auffassung, der Schädiger habe auch im Falle einer nur quotenmäßigen Haftung dem Geschädigten dessen Sachverständigenkosten zu 100 % zu erstatten, vermag der erkennende Senat nicht zu folgen.
Rz. 11
aa) Nach der außer vom Berufungsgericht insb. vom OLG Rostock (vgl. OLG Rostock DAR 2011, 263, 264 und NJW 2011, 1973 f. mit Anm. Balke, SVR 2011, 337 f. und Anm. Nugel, jurisPR-VerkR 10/2011 Anm. 2) im Anschluss an das AG Siegburg (vgl. AG Siegburg NJW 2010, 2289 mit Anm. Poppe, jurisPR-VerkR 12/2010 Anm. 1; Winnefeld, DAR 1996, 75) und vereinzelten Stimmen in der Literatur (vgl. Poppe, DAR 2005, 669 f.; ders., jurisPR-VerkR 12/2010 Anm. 1; Kappus, DAR 2010, 727, 729; Janetz, SVR 2011, 213 f.) vertretenen Auffassung ist der Anspruch auf Ersatz der Sachverständigenkosten nicht entsprechend der Verursachungsquote zu kürzen. Diese Kosten seien vielmehr in vollem Umfang erstattungsfähig, weil sie nur entstünden, wenn der Geschädigte seinen erstattungsfähigen Anteil des Gesamtschadens gegenüber dem Schädiger beziffern und belegen müsse; sie fielen überhaupt nicht an, wenn der Geschädigte den Unfall allein verursacht habe, und dienten ausschließlich dazu, den aufgrund der jeweiligen Haftungsquote erstattungsfähigen Anteil von dem Schädiger ersetzt zu bekommen. Auch könne hier nicht - anders als bei den Rechtsanwaltskosten - ein Anteil entsprechend den Schadensverursachungsbeiträgen errechnet werden, weil der Sachverständige seine Leistung insoweit nicht teilen könne.
Rz. 12
bb) Diese Auffassung ist abzulehnen, denn sie findet im Gesetz keine Stütze und ist mit den Grundsätzen des Schadensersatzrechts nicht vereinbar (vgl. OLG Düsseldorf, r+s 2011, 268 f. mit Anm. Balke, SVR 2011, 335 ff. und Anm. Wenker, jurisPR-VerkR 11/2011 Anm. 3; OLG Celle, Urt. v. 24.8.2011 - 14 U 47/11, juris Rz. 26 ff. mit Anm. Wenker, jurisPR-VerkR 23/2011 Anm. 3; vgl. auch LG Aurich, SP 2011, 281; AG Landshut, SP 2010, 404; Wortmann, NJW 2011, 3482 [3483 f.]).
Rz. 13
(1) Wird ein Fahrzeug bei einem Verkehrsunfall beschädigt, hat der Schädiger dem Geschädigten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB den zur Wiederherstellung der beschädigten Sache erforderlichen Geldbetrag zu zahlen. Soweit zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs eine Begutachtung durch einen Sachverständigen erforderlich und zweckmäßig ist, gehören die Kosten eines vom Geschädigten eingeholten Schadensgutachtens zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gem. § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen (vgl. BGH, Urt. v. 30.11.2004 - VI ZR 365/03, VersR 2005, 380; v. 23.1.2007 - VI ZR 67/06, VersR 2007, 560 Rz. 11; BGH, Urt. v. 29.11.1988 - X ZR 112/87, NJW-RR 1989, 953 [956]). Ebenso können diese Kosten zu dem nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlichen Herstellungsaufwand gehören, wenn eine vorherige Begutachtung zur tatsächlichen Durchführung der Wiederherstellung erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. BGH, Urt. v. 6.11.1973 - VI ZR 27/73, VersR 1974, 90, insoweit in BGHZ 61, 346 nicht abgedruckt; v. 29.1.1985 - VI ZR 59/84, VersR 1985, 441 [442]; v. 30.11.2004 - VI ZR 365/03, a.a.O.; v. 23.1.2007 - VI ZR 67/06, VersR 2007, 560 Rz. 11; Wortmann, VersR 1998, 1204 [1210 f.]). Unter beiden Gesichtspunkten sind diese Kosten grundsätzlich in vollem Umfang erstattungsfähig.
Rz. 14
(2) Ist der geschädigte Fahrzeughalter in erheblicher Weise für den Schaden mitverantwortlich, so führt dies nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG allerdings zu einer Beschränkung von Grund und Umfang des Schadensersatzanspruchs. Die Bestimmung statuiert - ebenso wie § 254 Abs. 1 BGB, § 9 StVG und § 4 HaftPflG - eine Ausnahme von dem Grundsatz der Totalreparation (Alles-oder-Nichts-Prinzip des Schadensersatzrechts). Sie hat zur Folge, dass auch der Anspruch auf Ersatz der Kosten eines Sachverständigengutachtens nur ungeschmälert fortbestehen kann, wenn sich aus "den Umständen", insb. aus der Feststellung, "inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist" (§ 17 Abs. 1 StVG) ein solches Ergebnis rechtfertigen lässt (OLG Düsseldorf, a.a.O.).
Rz. 15
(3) Aus den "Umständen", insb. den Verursachungsbeiträgen, ergibt sich eine solche Rechtfertigung hier nicht. Auch die Kosten des Sachverständigengutachtens sind durch den Unfall verursacht, denn ohne die Unfallbeteiligung des Geschädigten wäre es dazu nicht gekommen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts dient die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht allein dem Nachweis des vom Schädiger zu tragenden Schadensanteils. Sie liegt auch im eigenen Interesse des Geschädigten, weil das Gutachten ihm Gewissheit über das Ausmaß des Schadens und die von ihm zu tragenden Kosten verschafft. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Grundsätzen zur Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Anwaltskosten, denn bei dieser Schadensposition handelt es sich um eine Nebenforderung, deren Höhe sich erst bestimmen lässt, wenn die Hauptforderung konkretisiert ist. Das trifft auf Sachverständigenkosten nicht zu, denn diese sind, wie oben ausgeführt, dem Sachschaden zuzurechnen und damit auch Bestandteil der Hauptforderung (vgl. BGH, Urt. v. 23.1.2007 - VI ZR 67/06, a.a.O., Rz. 10 ff.; OLG Düsseldorf, a.a.O.). Zudem hängt ihre Höhe nicht in gesetzlich bestimmter Weise vom Umfang des übrigen Schadens ab. Während bei den Anwaltskosten eine Berücksichtigung der Mitverantwortung des Geschädigten nicht durch eine Quotelung der Kosten, sondern durch eine Quotelung des Streitwerts erfolgt, der nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren bestimmt, kennt das für den Ersatz von Sachverständigenkosten maßgebende Schadensersatzrecht eine solche Differenzierungsmöglichkeit nicht. Hier kann die Mitverantwortung des Geschädigten für die Schadensentstehung nicht anders als durch eine Quotelung dieser Kosten Berücksichtigung finden (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Einer solchen Quotelung steht auch die sog. Differenzhypothese nicht entgegen, wonach die Frage, ob ein zu ersetzender Vermögensschaden vorliegt, grundsätzlich durch einen Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben hätte, zu beurteilen ist (vgl. BGH, Urt. v. 18.1.2011 - VI ZR 325/09, BGHZ 188, 78 Rz. 8; v. 15.11.2011 - VI ZR 4/11, z.V.b., jeweils m.w.N.), denn diese Grundsätze betreffen allein die Frage der Schadenshöhe, nicht die Frage der Haftungsverteilung (OLG Düsseldorf, a.a.O.; a.A.: AG Siegburg, a.a.O.; Poppe DAR 2005, 669). Im Falle einer nur quotenmäßigen Haftung des Schädigers hat dieser dem Geschädigten dessen Sachverständigenkosten mithin im Umfang der Haftungsquote zu erstatten (vgl. auch OLG Hamm DAR 2012, 20; OLG München, Urt. v. 27.5.2010 - 10 U 3379/09, juris Rz. 24 f.; OLG Hamm NJW-RR 2011, 464 [465]).
Rz. 16
3. Das angefochtene Urteil kann nach alledem keinen Bestand haben. Die Sache ist gem. § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird unter Berücksichtigung obiger Ausführungen zu Ziff. II. 2. über die Haftungsverteilung gem. § 17 Abs. 1 StVG erneut zu befinden haben.
Fundstellen
NJW 2012, 1953 |
NJW 2012, 8 |
EBE/BGH 2012, 94 |
ZAP 2012, 440 |
ZIP 2012, 1181 |
DAR 2012, 201 |
MDR 2012, 398 |
MDR 2012, 7 |
NJ 2012, 3 |
NJ 2012, 349 |
NZV 2012, 217 |
VRS 2012, 140 |
VersR 2012, 504 |
ZfS 2013, 198 |
NJW-Spezial 2012, 203 |
RÜ 2012, 282 |
RdW 2012, 351 |
RdW 2012, 5 |
SVR 2012, 256 |
VRA 2012, 39 |
VRA 2012, 76 |
VRR 2012, 122 |
VRR 2012, 185 |
r+s 2012, 196 |
DS 2012, 163 |
NRÜ 2012, 152 |
PAK 2012, 55 |
V&S 2012, 11 |