Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechnung im Konkursverfahren bei Masseunzulänglichkeit
Leitsatz (amtlich)
Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Konkursverwalter bindet das Prozessgericht nicht.
Normenkette
KO §§ 60, 55 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
OLG Celle (Urteil vom 16.08.2001; Aktenzeichen 11 U 261/00) |
LG Hannover |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 11. Zivilsenats des OLG Celle v. 16.8.2001 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von 73.834,73 DM an die D. AG und von 268.018,74 DM an den Kläger, jeweils nebst 4 % Zinsen seit dem 11.2.1999, verurteilt worden ist.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter in dem Konkursverfahren über das Vermögen der A. GmbH (fortan: Gemeinschuldnerin), das am 1.3.1993 eröffnet worden ist. Am 1.6.1993 hat er durch Veröffentlichung im Niedersächsischen Staatsanzeiger Masseunzulänglichkeit angezeigt. Die Beklagte ist im August 1993 als eine von drei Auffanggesellschaften gegründet worden. Der Kläger verlangt - soweit in der Revisionsinstanz noch von Interesse - Zahlung von 341.853,47 DM nebst Zinsen. Die Forderung als solche ist unstreitig. Sie ergibt sich i.H.v. 268.018,74 DM aus Zahlungseingängen bei der Beklagten in den Jahren 1993 bis 1995, die der Masse zustehen. i.H.v. 73.834,73 DM handelt es sich um Zahlungen der Fa. AM aus den Jahren 1996 und 1997 an die Beklagte auf Forderungen, die an die D. AG abgetreten worden waren; der Kläger verlangt insoweit Zahlung an die D. AG. Die Beklagte rechnet mit Gegenforderungen in gleicher Höhe auf, die für sich genommen ebenfalls unstreitig sind. i.H.v. 152.464,45 DM betreffen sie Lieferungen und Leistungen der Beklagten an die Masse vor dem 28.10.1993.
Die Parteien streiten um die Frage, ob die Aufrechnung wegen der angezeigten Masseunzulänglichkeit unzulässig ist. Die Beklagte hat sich außerdem auf eine ihrer Darstellung nach zwischen den Parteien bestehende Saldovereinbarung berufen. Das LG hat die Klage in dem jetzt noch streitigen Umfang wegen der Aufrechnung abgewiesen; das Berufungsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte den Antrag auf Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Aufrechnung gem. § 55 S. 1 Nr. 1 KO unzulässig. Die Beklagte sei den geltend gemachten Betrag nach Eröffnung des Konkursverfahrens und nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zur Masse schuldig geworden und habe ihre Forderung ebenfalls erst nach Eröffnung und nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit erworben. Eine etwa getroffene Saldierungsvereinbarung wäre gem. § 134 BGB wegen Verstoßes gegen das gesetzliche Aufrechnungsverbot des § 55 KO nichtig gewesen. Zweifel an der Redlichkeit der Vorgehensweise des Klägers änderten daran nichts.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Die Vorschrift des § 55 S. 1 Nr. 1 KO gilt - jedenfalls bei unmittelbarer Anwendung - nicht für Massegläubiger. Mit eigenen Ansprüchen gegen die Konkursmasse kann jeder Gläubiger grundsätzlich gegen Masseforderungen aufrechnen (BGH BGHZ 30, 248 [250]; v. 18.5.1995 - IX ZR 189/94, BGHZ 130, 38 [45] = MDR 1995, 1225; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl., § 55 KO Anm. 3c aa; Uhlenbruck, KO, 11. Aufl., § 55 Rz. 7g; Jaeger/Lent, KO, 8. Aufl., § 55 Rz. 4). Das folgt schon aus dem Wortlaut des Gesetzes, das eine Forderung "gegen den Gemeinschuldner" (also nicht gegen die Masse) voraussetzt (BGH v. 18.5.1995 - IX ZR 189/94, BGHZ 130, 38 [41] = MDR 1995, 1225; Jaeger/Lent, KO, 8. Aufl., § 55 Rz. 4). Zweck des § 55 KO ist es außerdem, die Masse möglichst vollständig zur gleichmäßigen Befriedigung der Konkursgläubiger zu erhalten und eine ungerechte Benachteiligung der Konkursmasse zu verhindern (BGH, Urt. v. 6.12.1990 - IX ZR 44/90, MDR 1991, 755 = WM 1991, 251 [252]; Jaeger/Lent, KO, 8. Aufl., § 55 Rz. 4). Insbesondere ist es dem Schuldner eines Gemeinschuldners verwehrt, eine infolge des Konkurses entwertete Forderung billig an sich zu bringen und zum Schaden der Konkursgläubiger durch Aufrechnung in vollem Umfang durchzusetzen. Massegläubigern stehen jedoch - vom Ausnahmefall der Masseunzulänglichkeit abgesehen - vollwertige Forderungen zu, die sie auch im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen könnten (BGH v. 18.5.1995 - IX ZR 189/94, BGHZ 130, 38 [46] = MDR 1995, 1225). Es besteht daher kein Grund, ihnen die Aufrechnung gegen Masseforderungen zu verbieten. Im Fall der Masseunzulänglichkeit (§ 60 KO) werden die Vorschriften der §§ 53 bis 55 KO sinngemäß angewandt (BGH v. 18.5.1995 - IX ZR 189/94, BGHZ 130, 38 [46 f.] = MDR 1995, 1225; BFH v. 1.8.2000 - VII R 31/99, UR 2001, 120 m. Anm. Stadie = ZIP 2001, 428 [430]).
2. Das Berufungsgericht hat jedoch zu Unrecht nicht geprüft, ob die Masse in dem Zeitpunkt, in dem die beiderseitigen Forderungen einander aufrechenbar gegenüberstanden, überhaupt unzulänglich war.
a) Nach der Rechtsprechung des BGH hat der Tatrichter im Rahmen des § 60 KO die bestrittene Masseunzulänglichkeit entsprechend § 287 Abs. 2 ZPO zu beurteilen (BGH v. 22.2.2001 - IX ZR 191/98, BGHZ 147, 28 [36 ff.] = MDR 2001, 1076 = BGHReport 2001, 711; v. 3.4.2003 - IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358 [369] = BGHReport 2003, 759 m. Anm. Ringstmeier = MDR 2003, 1015). Darlegung und Nachweis obliegen dem Verwalter. Ob dieser seiner Darlegungslast schon durch den Hinweis auf eine Bekanntmachung im Staatsanzeiger genügt, hat der BGH bisher offen gelassen. Nach der Rechtsprechung des BAG ersetzt im Passivprozess des Konkursverwalters gegen den Massegläubiger die öffentliche Bekanntmachung nicht die Darlegung und den Beweis der Massearmut (ZinsO 2002, 889 mit zust. Anm. Berscheid, ZInsO 2002, 868 [869]; ebenso: BFH v. 23.7.1996 - VII R 88/94, ZIP 1996, 1838 [1840]; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl., § 60 Anm. 2; a.A.: OLG Düsseldorf v. 22.11.1995 - 9 U 86/95, OLGReport Düsseldorf 1996, 20 = ZIP 1995, 2003 [2004], mit zust. Anm. Uhlenbruck, EWiR 1996, 33). Dieser Ansicht schließt sich der Senat an.
aa) Die Vorschrift des § 60 KO setzt voraus, dass die Konkursmasse zur vollständigen Befriedigung aller Massegläubiger nicht ausreicht. Es ist Aufgabe des Konkursverwalters, das Vorliegen dieser Voraussetzung im Konkursverfahren festzustellen und öffentlich bekannt zu machen (OLG Düsseldorf v. 22.11.1995 - 9 U 86/95, OLGReport Düsseldorf 1996, 20 = ZIP 1995, 2003 [2004], m.w.N.). Daraus ergeben sich jedoch keine unmittelbaren Rechtswirkungen für von ihm geführte Rechtsstreitigkeiten. Als Begründung, die entsprechende Feststellung der Überprüfung durch das Prozessgericht zu entziehen, reicht die Zuständigkeit des Konkursverwalters allein nicht aus. Ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung, die in der Konkursordnung fehlt, kann eine Bindung des Prozessgerichts an die im Konkursverfahren erfolgte Anzeige nicht angenommen werden.
bb) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung lässt sich die Rechtsprechung des Senats zu § 208 InsO (BGH v. 3.4.2003 - IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358 [360 f.] = BGHReport 2003, 759 m. Anm. Ringstmeier = MDR 2003, 1015) nicht auf eine Anzeige der Masseunzulänglichkeit nach § 60 KO übertragen. Der Senat hat in der genannten Entscheidung auf die Entstehungsgeschichte des § 208 InsO und auf den Sinn und Zweck dieser Vorschrift abgestellt. Sie soll dem Insolvenzverwalter ermöglichen, die noch vorhandene Insolvenzmasse gem. § 208 Abs. 3 InsO auf rechtlich gesicherter Grundlage abzuwickeln. Die bindende Wirkung der Anzeige schafft Planungssicherheit; der Rechtsverlust, den die Altmassegläubiger gem. § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO erleiden, ist im Interesse einer möglichst günstigen Verwertung der Masse hinzunehmen und wird durch die ggü. der Konkursordnung verschärfte Haftung des Verwalters nach § 61 InsO ansatzweise ausgeglichen.
Die Abwicklung eines massearmen Konkursverfahrens würde ebenfalls erleichtert, wenn die Massearmut bindend feststünde. Die Konkursordnung kennt jedoch kein besonderes Verfahren der Abwicklung massearmer Konkurse. Eine "Vorwirkung" der Insolvenzordnung hat der Senat nur dort angenommen, wo es an einer gesetzlichen oder richterrechtlichen Klärung der in Rede stehenden Frage fehlte, so dass der Berücksichtigung des künftigen Rechts weder die Bindung des Richters an das geltende Gesetz noch ein schutzwürdiges Vertrauen auf eine von der Regelung des neuen Rechts verschiedene Rechtspraxis entgegenstand (BGH v. 21.11.1996 - IX ZR 148/95, BGHZ 134, 116 [125 f.] = MDR 1997, 473). Liegt der Neuregelung dagegen ein vom vorhergehenden Recht abweichendes Konzept zu Grunde, hat der Senat eine Vorwirkung abgelehnt (BGH v. 18.5.1995 - IX ZR 189/94, BGHZ 130, 38 [43] = MDR 1995, 1225). Die Behandlung massearmer Insolvenzverfahren in §§ 208 ff. InsO ist in bewusster Abgrenzung zur Rechtslage nach der Konkursordnung in der Auslegung durch den BGH geregelt worden (Begründung des Regierungsentwurfs zu § 318 InsO-RegE, RWS-Dokumentation I S. 432). Eine Vorwirkung dieser Vorschriften kommt auch deshalb nicht in Betracht.
b) Der Kläger hat behauptet, die Masse habe schon am 1.6.1993 nicht zur Befriedigung aller Masseverbindlichkeiten ausgereicht. Schon das eigene Vorbringen des Klägers gibt jedoch Anlass zu Zweifeln, ob er den Rechtsbegriff der "Masseunzulänglichkeit" zutreffend verwandt hat. Der Kläger hat auf Vorhalt der Beklagten eingeräumt, im Herbst 1993 für den Verkauf der Gesellschaftsanteile an der Beklagten und deren Anlagevermögen einen Betrag von 9,4 Mio. DM erhalten zu haben. Dieser Erlös habe ihm - so sein weiterer Vortrag - ermöglicht, auf die am 28.10.1993 einvernehmlich festgestellte Forderung der Beklagten aus Lieferungen und Leistungen i.H.v. 902.464,45 DM eine Abschlagszahlung von 750.000 DM zu erbringen. Weitere Zahlungen seien "wegen der Entwicklung im weiteren Rahmen des Verfahrens" nicht möglich gewesen. Damit ist nicht zureichend dargelegt, dass und von welchem Zeitpunkt an die Masse unzulänglich geworden ist. Die Masseverbindlichkeiten am 10.8.1999, die der Kläger mit 3.037.343,06 DM beziffert hat, betreffen zu § 59 Abs. 1 Ziff. 1 KO einerseits Gerichts- und Anwaltskosten in beträchtlichem Umfang, andererseits "diverse Arbeitnehmer", "diverse Krankenkassen" und die Arbeitsämter Hameln und Hannover; sie können schlechterdings nicht im Zeitraum zwischen der Eröffnung des Verfahrens am 1.3.1993 und der Anzeige der Masseunzulänglichkeit am 1.6.1993 entstanden sein.
3. Da nicht feststeht, dass die Masse im Zeitpunkt der Begründung der Aufrechnungslagen unzulänglich war, kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um dem Kläger Gelegenheit zu geben, sein Vorbringen entsprechend zu ergänzen und ggf. tauglichen Beweis anzutreten.
III.
Für die erneute Verhandlung weist der Senat auf folgende rechtlichen Gesichtspunkte hin:
1. Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung dauert die erstmalige - rechtsfehlerfrei festgestellte - Masseunzulänglichkeit nicht zwingend an. War die Masse am 1.6.1993 unzulänglich, reichte sie aber zu einem späteren Zeitpunkt - etwa infolge der Zahlung von 9,4 Mio. DM - zur Begleichung aller Masseverbindlichkeiten aus, ist dies erheblich. Es kommt jeweils auf den Zeitpunkt des Entstehens der Aufrechnungslage an.
2. Die Frage, welcher Rangklasse des § 59 KO die zur Aufrechnung gestellten Forderungen der Beklagten angehören, ist unerheblich. Hinsichtlich des Teilbetrages von 73.834,53 DM wird das Berufungsgericht im Hinblick auf den klägerischen Vortrag, der für die Beklagte handelnde Zeuge G. habe bewusst die für die Masse bestimmten Schecks zu Gunsten der Beklagten eingelöst, ggf. die Voraussetzungen des Aufrechnungsverbots des § 393 BGB zu prüfen haben.
3. Wenn und soweit die von der Beklagten behauptete, vom LG aber nicht als erwiesen angesehene Saldierungsvereinbarung eine Aufrechnung trotz eines konkursrechtlichen Aufrechnungsverbotes erlauben sollte, wäre zu prüfen, ob sie insolvenzzweckwidrig und damit unwirksam war (BGH v. 25.4.2002 - IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353 [360 f.] = BGHReport 2002, 707 = MDR 2002, 1270). Soweit die Aufrechnung zulässig ist, kommt es auf sie nicht an.
Fundstellen
BB 2005, 2150 |
DStZ 2005, 688 |
BGHR 2005, 1481 |
EBE/BGH 2005, 276 |
WM 2005, 1851 |
ZIP 2005, 1519 |
DZWir 2006, 35 |
InVo 2006, 9 |
MDR 2006, 116 |
NZI 2005, 561 |