Leitsatz (amtlich)
a) Rechnet der Beklagte mit einer in einem anderen Verfahren bereits aufgerechneten Gegenforderung in einem weiteren Prozess erneut auf, so hat das mit der Zweitaufrechnung befasste Gericht - soweit es auf die Einwendung ankommt - zu prüfen, ob die Gegenforderung (noch) besteht. Es ist unzulässig, die Gegenforderung in dem zweiten Prozess nur deswegen zu verneinen, weil über sie bereits in dem ersten Verfahren sachlich entschieden werde.
b) Bei einer doppelten Prozessaufrechnung ist es im Allgemeinen zweckmäßig, den zweiten Prozess bis zur Erledigung desjenigen Verfahrens auszusetzen, in dem die erste Aufrechnung erklärt wurde. Das gilt auch dann, wenn die Zweitaufrechnung in einem Urkundenprozess erfolgt ist.
Normenkette
ZPO §§ 145, 148, 322 Abs. 2, §§ 592, 598
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 25.10.2003) |
LG München II |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 23. Zivilsenats des OLG München v. 25.10.2003 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht der Beklagten die Aufrechnung mit der Gegenforderung aus einem Vollstreckungsschaden i. H. v. 208.409,60 DM versagt hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin macht als Erbin ihres verstorbenen Ehemannes Dr. F. S. im Urkundenprozess Abfindungsansprüche i. H. v. ursprünglich 102.258,38 Euro geltend. Die Beklagte hat hilfsweise mit mehreren Gegenforderungen die Aufrechnung erklärt, darunter einem Anspruch auf Ersatz ihres angeblichen Schadens von 208.409,60 DM (= 106.558,13 Euro) aus der Vollstreckung eines Urkundenvorbehaltsurteils in dem Verfahren 3 O 1795/94 LG München II. Das LG hat durch Vorbehaltsurteil die Beklagte zur Zahlung von 94.413,57 Euro nebst Zinsen verurteilt und jene Aufrechnung als im Urkundenprozess unstatthaft zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das OLG die Urteilssumme auf 93.672,59 Euro nebst Zinsen ermäßigt. Die Aufrechnung mit dem Gegenanspruch wegen eines Vollstreckungsschadens hat es wegen einer von der Beklagten bereits in dem Verfahren 10 O 6306/99 LG München II erklärten Primäraufrechnung mit derselben Forderung endgültig nicht durchgreifen lassen; der Vorbehalt einer Ausführung der Rechte im Nachverfahren ist entfallen. Im Umfang dieser versagten Aufrechnung hat der erk. Senat die Revision der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt, zugelassen.
Entscheidungsgründe
Da die Klägerin im Verhandlungstermin trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht vertreten war, ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Inhaltlich beruht dies jedoch nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. BGH BGHZ 37, 79 [81 ff.]).
Die Revision hat in dem zugelassenen Umfang Erfolg. Sie führt insoweit zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Zu der im Revisionsverfahren allein noch interessierenden doppelten Prozessaufrechnung führt das Berufungsgericht aus: Die Existenz eines Gegenanspruchs aus Vollstreckungsschaden i. H. v. 208.409,60 DM sei im vorliegenden Verfahren nicht festzustellen. Mit derselben Forderung habe die Beklagte im Verfahren 10 O 6306/99 LG München II bereits am 6.7.2001 gegen eine höhere Forderung der Klägerin unbedingt die Aufrechnung erklärt. Es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass diese Aufrechnung unwirksam sei. Auf eine Feststellung des Bestehens der Aufrechnungsforderung in dem Verfahren 10 O 6306/99 komme es nicht an. Dies habe auf den vorliegenden Rechtsstreit keine Auswirkung. Stelle das LG München II im erwähnten Verfahren die Berechtigung dieser Forderung fest, so sei diese durch die zeitlich frühere Aufrechnung verbraucht. Stelle das LG München II die Aufrechnungsforderung nicht fest, fehle es von vornherein an einer zur Aufrechnung im vorliegenden Verfahren geeigneten Forderung.
II.
Diese Erwägungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis nicht stand.
1. Mit der Sachabweisung der Gegenforderung verstößt das Berufungsgericht freilich nicht - was das Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen hat (BGH BGHZ 36, 316 [319]; Zöller/Gummer, ZPO, 24. Aufl., § 557 Rz. 8) - gegen das Verbot der Schlechterstellung des Berufungsklägers im Berufungsverfahren (§ 528 ZPO). Das Berufungsurteil verschlechtert zwar die Rechtslage der Beklagten insofern, als es deren Aufrechnung nicht mehr nur als im Urkundenprozess unstatthaft (§ 598 ZPO), sondern endgültig - mit Wirkung somit auch für ein etwaiges Nachverfahren (§§ 559 Abs. 1, 600 ZPO; vgl. dazu BGH, Urt. v. 17.1.1973 - VIII ZR 48/71, NJW 1973, 467 [468]; Urt. v. 24.11.1992 - XI ZR 86/92, MDR 1993, 475 = NJW 1993, 668; Musielak/Voit, ZPO, 3. Aufl., § 600 Rz. 9 f.; abw. Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 600 Rz. 20; jeweils m. w. N. zum Streitstand) - zurückweist. Das muss die Beklagte aber ebenso hinnehmen wie im umgekehrten Fall der Kläger eine ihm ungünstige Sachentscheidung bei der Anfechtung einer Prozessabweisung. Insofern ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass das Rechtsmittelgericht auf das Rechtsmittel des Klägers ein Prozessurteil auch durch ein klageabweisendes Sachurteil ersetzen darf (BGH, Urt. v. 2.3.2000 - III ZR 65/99, MDR 2000, 717 = NJW 2000, 1645 [1647]; Urt. v. 25.11.2002 - II ZR 69/01, MDR 2003, 277 = GmbHR 2003, 171 = BGHReport 2003, 172 = NZG 2003, 127 [129]; vgl. auch v. 21.4.1988 - VII ZR 372/86, BGHZ 104, 212 [214] = MDR 1988, 769). Ebensowenig wie bei einer Prozessabweisung wird einer Partei durch die Zurückweisung ihrer Einwendung nur als im Urkundenprozess unstatthaft eine schutzwürdige Rechtsposition irgendeiner Art zuerkannt (vgl. Kapsa, Das Verbot der reformatio in peius im Zivilprozess, 1976, S. 120 ff., 123 f.).
Unzulässig ist allerdings der Wegfall des Vorbehalts. Dem Beklagten, welcher dem geltend gemachten Anspruch widersprochen hat, ist in allen Fällen, in denen er verurteilt wird, die Ausführung seiner Rechte im Nachverfahren vorzubehalten (§ 599 Abs. 1 ZPO).
2. Der Senat versteht entgegen der Revision das Berufungsgericht nicht dahin, dass es die zweite Prozessaufrechnung in entsprechender Anwendung des § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO für unzulässig hielte. Eine Prozessaufrechnung macht die Gegenforderung nach der ständigen Rechtsprechung des BGH nicht rechtshängig (BGH BGHZ 57, 242 [243 ff.]; Urt. v. 12.1.1994 - XII ZR 167/92, MDR 1994, 613 = NJW-RR 1994, 379 [380]; v. 17.12.1998 - VII ZR 272/97, MDR 1999, 562 = NJW 1999, 1179 [1180]; ebenso etwa Peters in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 145 Rz. 29; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 145 Rz. 42 ff.; Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 145 Rz. 18; teilweise abweichend: Schreiber in Festgabe 50 Jahre BGH, Bd. III, S. 227 ff., 251). Der Beklagte ist daher aus prozessualen Gründen regelmäßig nicht gehindert, mit seiner bereits aufgerechneten Gegenforderung gegen einen anderen Klageanspruch in einem weiteren Verfahren nochmals aufzurechnen. Das stellt auch das Berufungsgericht nicht in Frage.
3. Dem Berufungsurteil ist nicht hinreichend zu entnehmen, dass es auf der anderen Seite die Gegenforderung der Beklagten auf Grund eigener Prüfung aus sachlichen Gründen verneinen wollte. In der Begründung seiner Entscheidung heißt es zwar, es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die (Erste) Aufrechnung der Beklagten in dem Verfahren 10 O 6306/99 LG München II unwirksam sei. Das kann sich jedoch dem Zusammenhang nach lediglich auf die Zulässigkeit dieser Aufrechnung beziehen. Anders lassen sich die einleitende Bemerkung des Berufungsgerichts, die Existenz des Gegenanspruchs sei im vorliegenden Verfahren nicht festzustellen, sowie die unmittelbar folgende Verweisung zur Frage des Bestehens der Aufrechnungsforderung auf die Feststellungen des in dem anderen Verfahren zu erwartenden Urteils und schließlich auch das Fehlen jedweder Auseinandersetzung des Berufungsgerichts mit Grund und Höhe des bestrittenen Gegenanspruchs nicht erklären.
4. Demnach meint das Berufungsgericht offenbar, es sei einer eigenen Prüfung und Feststellung, ob die von der Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit erneut aufgerechnete Gegenforderung (noch) bestehe, im Hinblick auf die Rechtskraft des künftigen Urteils im Parallelprozess enthoben. Es sieht dabei ausschließlich zwei von der erweiterten Rechtskraftwirkung des § 322 Abs. 2 ZPO abgeleitete Alternativen: Stelle das LG im Parallelverfahren die Berechtigung der Forderung fest, sei diese verbraucht, andernfalls fehle es von vornherein an einer zur Aufrechnung geeigneten Forderung.
Diese Sichtweise ist zu eng und reduziert die Entwicklung des Parallelprozesses unzulässig auf nur zwei Varianten. Richtig ist zwar, dass ein in dem anderen Verfahren über die Primäraufrechnung der Beklagten sachlich entscheidendes Urteil gem. § 322 Abs. 2 ZPO rechtskraftfähig auch darüber befinden würde, ob die aufgerechnete Gegenforderung - bis zur Höhe des Klageanspruchs - nicht oder als durch die Aufrechnung verbraucht nicht mehr besteht (vgl. nur BGH, Urt. v. 13.12.2001 - VII ZR 148/01, BGHReport 2002, 389 = MDR 2002, 601 = NJW 2002, 900). Ein solches künftiges Urteil lässt sich aber hier nicht vorwegnehmen. Es sind vielfache Gründe denkbar, aus denen es im Parallelprozess entweder überhaupt nicht zu einem Urteil oder nicht zu einem Sachurteil oder jedenfalls nicht zu einer Entscheidung über die Aufrechnung der Beklagten kommt. Als Beispiele wären zu nennen: Klagerücknahme, Prozessvergleich, Unterbrechung oder Ruhen des Verfahrens ohne dessen erneute Aufnahme, Abweisung der Klage als unzulässig oder als unbegründet schon wegen Nichtbestehens der Klageforderung, prozessuale oder materiell-rechtliche Aufrechnungshindernisse. Solche Fallgestaltungen mögen im Einzelfall mehr oder minder wahrscheinlich sein, und mit dem zuletzt genannten Hindernis hat sich das Berufungsgericht sehr knapp auch befasst. Ausschließen lassen sich derartige, nicht zuletzt auch vom künftigen Prozessverhalten der Parteien abhängige Abläufe indessen keineswegs. Es ist deswegen unzulässig, die in einem zweiten Verfahren nochmals aufgerechnete Gegenforderung dort nur deshalb als nicht bestehend zu behandeln, weil über sie bereits im ersten Prozess entschieden werde und nur deren Nicht- oder Nichtmehrbestehen Ergebnis des dortigen Rechtsstreits sein könne. Vielmehr hat auch das mit der zweiten Aufrechnung befasste Gericht, soweit es auf diese Einwendung ankommt, selbst sachlich zu untersuchen, ob die mit der Zweitaufrechnung geltend gemachte Gegenforderung besteht oder möglicherweise bereits durch die Erstaufrechnung verbraucht ist.
In Fällen dieser Art wird es allerdings vielfach zweckmäßig sein, auf der Grundlage des § 148 ZPO den zweiten Prozess bis zur Erledigung desjenigen Verfahrens auszusetzen, in dem die erste Aufrechnungserklärung erfolgt ist. Das gilt auch im Urkundenprozess. In diesem Verfahren wird zwar eine Aussetzung der Verhandlung nach § 148 ZPO nur unter besonderen Umständen angemessen erscheinen, weil sonst der Zweck der Verfahrensart, dem Kläger schnell einen vollstreckbaren Titel zu verschaffen, leicht vereitelt werden könnte (RG SeuffA 58 Nr. 88; OLG Hamm NJW 1976, 246 [247]; OLG München JurBüro 2003, 154; Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 148 Rz. 4, 3 vor § 592). Eine Ausnahme von dieser Regel ist aber auch dann begründet, wenn andernfalls die Gefahr widersprechender rechtskräftiger Entscheidungen besteht (so zutreffend OLG München JurBüro 2003, 154; Bloching, JurBüro 2003, 121 ff.; Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 593 Rz. 5; a. A. wohl Peters in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl. § 148 Rz. 3; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 25. Aufl., § 148 Rz. 6; s. auch Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl., § 148 Rz. 31; Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 21. Aufl., § 595 Rz. 6).
III.
Weil das Berufungsgericht die erforderliche Sachprüfung der aufgerechneten Gegenforderung unterlassen hat, kann sein Urteil insoweit nicht bestehen bleiben. Die Sache ist daher unter teilweiser Aufhebung des Berufungsurteils an das OLG zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird nunmehr zunächst der primär vom Tatrichter zu beantwortenden Frage nachgehen müssen, ob die Beklagte den ihr obliegenden Beweis einer bestehenden und aufrechenbaren Gegenforderung mit den Beweismitteln des Urkundenprozesses führen kann; andernfalls wäre ihre Einwendung mit dem LG nach § 598 ZPO als im Urkundenprozess unstatthaft zurückzuweisen. Sollte § 598 ZPO nicht entgegenstehen, wird das Berufungsgericht eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen zu erwägen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 1118746 |
BB 2004, 576 |
BGHR 2004, 689 |
EBE/BGH 2004, 4 |
NJW-RR 2004, 1000 |
WM 2004, 2324 |
MDR 2004, 705 |
ZZP 2004, 497 |
ProzRB 2004, 147 |