Entscheidungsstichwort (Thema)

Hausratversicherung. Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG. Belehrung. Berufung auf Fristablauf. Unzulässige Rechtsausübung. Treuwidrigkeit. Fristsetzung gegenüber Versicherungsnehmer. Kein Hinweis auf Fristsetzung gegenüber dem Bevollmächtigten. Verwirrung des Versicherungsnehmers hinsichtlich des Laufs der Frist

 

Leitsatz (amtlich)

Das Berufen des Versicherers auf den Ablauf der Frist des § 12 Abs. 3 VVG ist treuwidrig, wenn er den Versicherungsnehmer hinsichtlich des Laufs der Frist verwirrt hat (hier: dem Versicherer zurechenbarer unterschiedlicher Kenntnisstand des Versicherungsnehmers und seiner Bevollmächtigten).

 

Normenkette

VVG § 12 Abs. 3; BGB § 242

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Urteil vom 16.09.2004; Aktenzeichen 8 U 120/97)

LG Hannover

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des OLG Celle v. 16.9.2004 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer bei ihr genommenen Hausratversicherung in Anspruch, der die Allgemeinen Hausratversicherungsbedingungen 1992 (VHB 92) der Beklagten zugrunde liegen.

Zwischen den Parteien bestand seit dem 1.7.1994 ein Vertrag über eine Hausratversicherung für die Wohnung des Klägers mit einer Versicherungssumme von 96.000 DM (49.084,02 EUR). Am 16.7.1994 kam es in der vom Kläger und seiner damaligen Ehefrau bewohnten Dachgeschosswohnung in einem Wohn- und Geschäftshaus zu explosionsartigen Verpuffungen, die die gesamte Wohnung in Brand setzten und das Gebäude erheblich beschädigten. Der vom Sachverständigen der Beklagten festgestellte Schaden betrug 81.660 DM (41.752,10 EUR).

Mit Schreiben v. 24.1.1996 lehnte die Beklagte ggü. den Bevollmächtigten des Klägers eine Eintrittspflicht wegen vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalles ab. Eine Belehrung über die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG war in diesem Schreiben nicht enthalten, jedoch der Hinweis darauf, dass der Kläger persönlich eine Abschrift des den Bevollmächtigten übersandten Schreibens erhalten habe. Diese Abschrift erhielt der Kläger mit Schreiben der Beklagten vom gleichen Tage gegen Einschreiben/Rückschein. Es ging dem Kläger am 27.1.1996 zu. Ob sich in diesem Brief an den Kläger zusätzlich noch ein Anschreiben an diesen persönlich mit einer Belehrung über die Klagefrist des § 12 Abs. 3 VVG befand, war zwischen den Parteien in den Vorinstanzen streitig. Die vom Kläger am 13.9.1996 eingereichte Klage wurde der Beklagten am 6.11.1996 zugestellt.

Das LG hat die Klage auf Zahlung von Versicherungsleistungen aus der Hausratversicherung abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt er seine Berufungsanträge weiter.

 

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. 1. Das Berufungsgericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass die dem Kläger am 27.1.1996 zugegangene Postsendung der Beklagten nicht nur eine Ablichtung des Schreibens der Beklagten an die Bevollmächtigten des Klägers enthielt, sondern auch eine an den Kläger persönlich gerichtete Belehrung über die Folgen nicht fristgerechter Geltendmachung des Leistungsanspruchs. Das nimmt die Revision als Ergebnis tatrichterlicher Würdigung hin. Damit ist die Frist des § 12 Abs. 3 VVG in Lauf gesetzt worden. Der Kläger hat seinen Anspruch erst etwa eineinhalb Monate nach Ablauf dieser Frist durch Klageerhebung geltend gemacht.

2. Der Kläger ist der Ansicht, der Beklagten sei es nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf die Versäumung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG zu berufen.

Dazu hat das Berufungsgericht ausgeführt:

Die Berufung des Versicherers auf den Fristablauf könne in Einzelfällen gem. § 242 BGB rechtsmissbräuchlich sein, etwa dann, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer hinsichtlich des Laufs der Frist durch sein Verhalten verwirrt habe. Die Bevollmächtigten des Klägers hätten im vorliegenden Fall mangels ausdrücklichen Hinweises zunächst nicht davon ausgehen können, dass der Kläger neben einer Ablichtung des an sie gerichteten Schreibens auch ein gesondertes Schreiben mit der Belehrung nach § 12 Abs. 3 VVG erhalten habe. Gleichermaßen habe es für den Kläger als verständigen Versicherungsnehmer nahegelegen, dass seine Bevollmächtigten dieselbe Nachricht erhalten hätten wie er. Von einem treuwidrigen Verhalten der Beklagten könne jedoch nicht gesprochen werden. Zu einer Versäumung der Frist habe es aus ihrer Sicht nur kommen können, wenn der Kläger seine Bevollmächtigten weder bei Erhalt des Schreibens noch später während des Laufs der Frist auf die erfolgte Belehrung nach § 12 Abs. 3 VVG und die Notwendigkeit einer fristgerechten Klageerhebung hingewiesen hätte. Damit habe auch die Beklagte nicht zwingend rechnen müssen. Sie habe vielmehr davon ausgehen können, dass der Kläger seine Bevollmächtigten bei Erhalt des Schreibens, welches ihm durch Einschreiben/Rückschein zugestellt worden sei, auf die Fristenfrage hinweisen oder diese zumindest fragen würde, ob sie eine Abschrift des an ihn gerichteten Schreibens erhalten hätten. Dem Kläger hätte im Übrigen während des Laufs der Frist auffallen müssen, dass seine Bevollmächtigten keine Anstalten unternahmen, nunmehr Klage zu erheben. Deshalb hätte sich der Kläger noch vor Ablauf der Frist Ende Juli 1996 bei seinen Bevollmächtigten erkundigen müssen, was angesichts der laufenden Frist im Hinblick auf die Klageerhebung in die Wege geleitet worden sei. Das habe die Beklagte berechtigterweise erwarten dürfen.

Für ein arglistiges Vorgehen der Beklagten mit dem Ziel, eine Versäumung der Frist herbeizuführen, bestünden keine Anhaltspunkte. Die Fristsetzung gerade ggü. dem Kläger persönlich habe ihren Grund in dem Umstand gehabt, dass der Kläger sich trotz Bevollmächtigung einer Rechtsanwältin mehrfach persönlich mit der Beklagten in Verbindung gesetzt habe, so dass diese nicht mehr sicher gewesen sei, ob der Kläger seine Rechte selbst habe wahrnehmen oder sich weiter anwaltlich habe vertreten lassen wollen.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Zwar hat der Kläger die wirksam in Lauf gesetzte Frist des § 12 Abs. 3 VVG unstreitig nicht eingehalten. Die Beklagte ist jedoch nicht von der Verpflichtung zur Leistung frei geworden. Ihre Berufung auf die Versäumung der Frist ist im vorliegenden Fall eine unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB).

1. Das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung (Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 242 Rz. 38, m.w.N.). Welche Anforderungen sich daraus im Einzelfall ergeben, ob insb. die Berufung auf eine erworbene Rechtsposition rechtsmissbräuchlich erscheint, kann regelmäßig nur mit Hilfe einer umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände entschieden werden. Diese tatrichterliche Würdigung kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht (BGH, Urt. v. 16.2.2005 - IV ZR 18/04, MDR 2005, 926 = BGHReport 2005, 828 = VersR 2005, 629, unter II 2a, m.w.N.).

2. Gemessen daran begegnet die Würdigung des Berufungsgerichts durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie trägt den Besonderheiten des von der Beklagten gewählten Vorgehens ggü. dem Kläger und seinen Bevollmächtigten nicht hinreichend Rechnung.

a) Dass die Berufung des Versicherers auf Leistungsfreiheit wegen Versäumung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen kann, ist in der Rechtsprechung seit langem anerkannt (BGH, Urt. v. 16.2.2005 - IV ZR 18/04, MDR 2005, 926 = BGHReport 2005, 828 = VersR 2005, 629, unter II 2b). Treuwidrigkeit kommt etwa in Betracht, wenn der Versicherer durch sein Verhalten ggü. dem Versicherungsnehmer den Eindruck erweckt, er werde sich auf den Ablauf der Frist nicht berufen (BGH, Urt. v. 22.6.1988 - IVa ZR 25/87, MDR 1988, 1038 = VersR 1988, 1013, unter I), aber auch dann, wenn er ihn in anderer Weise davon abhält, seine Ansprüche fristgerecht gerichtlich zu verfolgen oder wenn er den Versicherungsnehmer hinsichtlich des Laufs der Frist verwirrt hat.

b) So liegt der Fall hier: Zwar ist der Versicherer auch dann, wenn der Versicherungsnehmer - wie der Kläger - zur Wahrung seiner rechtlichen Interessen einen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten eingeschaltet und dies dem Versicherer angezeigt hat, nicht gehindert, sein mit der Belehrung über die Rechtsfolgen der Versäumung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG verbundenes Ablehnungsschreiben dem Versicherungsnehmer persönlich zu übersenden (BGH, Urt. v. 19.12.1966 - II ZR 131/64, VersR 1967, 149, unter I 3; Römer/Langheid, Rz. 53; BK/Gruber, VVG, § 12 Rz. 64). Dabei hat es die Beklagte aber nicht bewenden lassen. Sie hat vielmehr gleichzeitig den Bevollmächtigten des Klägers zwar die Leistungsablehnung mitgeteilt, die ggü. dem Kläger in Lauf gesetzte Frist aber unerwähnt gelassen. Der Kläger und seine Bevollmächtigten waren daher zu Beginn des Laufs der Sechsmonatsfrist durch ein der Beklagten zurechenbares Verhalten nicht auf gleichem Kenntnisstand: Der Kläger hatte zwar Kenntnis von der Frist des § 12 Abs. 3 VVG, die mit dem ihm selbst zugegangenen Schreiben in Lauf gesetzt worden ist. Er musste aber nicht davon ausgehen, dass gerade diese Kenntnis seinen Bevollmächtigten fehlen und diese deshalb die notwendigen Schritte zur Fristwahrung unterlassen könnten. Wenngleich das ihm in Ablichtung mitgeteilte Schreiben der Beklagten an seine Bevollmächtigten eine Fristsetzung gem. § 12 Abs. 3 VVG nicht enthielt, schloss das nicht aus, dass den Bevollmächtigten ebenso in Ablichtung das an ihn gerichtete Schreiben mit Fristsetzung übermittelt worden war. Letzteres lag vielmehr besonders nahe, weil mit Ablauf der Frist der endgültige Verlust seines Anspruchs zu besorgen war und für den Kläger kein Anlass bestand anzunehmen, die Beklagte werde seine Bevollmächtigten gerade über diese einschneidende, mit der in Lauf gesetzten Frist unmittelbar drohende Rechtsfolge in Unkenntnis lassen. Aus eben diesen Gründen aber konnten auch die Bevollmächtigten des Klägers nicht davon ausgehen, dass über die ihnen mit Schreiben vom 24.1.1996 mitgeteilte Leistungsablehnung hinaus ggü. dem Kläger persönlich die Frist gem. § 12 Abs. 3 VVG in Lauf gesetzt worden sein könnte. Das gilt schon deshalb, weil sie darin ausdrücklich darauf hingewiesen worden sind, dass eine Kopie "dieses" Schreibens auch dem Kläger persönlich übersandt worden sei.

c) Infolge dieses Vorgehens der Beklagten hat diese beim Kläger einerseits und bei dessen Bevollmächtigten andererseits Unklarheiten darüber geschaffen, was zur Wahrung der Rechte des Klägers erforderlich war. Während der Kläger davon ausgehen durfte, dass seine Bevollmächtigten in vermeintlicher Kenntnis der in Lauf gesetzten Frist den allein durch Zeitablauf eintretenden Rechtsverlust verhindern würden, konnten die Bevollmächtigten annehmen, die Beklagte habe von einem Vorgehen gem. § 12 Abs. 3 S. 2 VVG gerade abgesehen. Schon diese von der Beklagten verursachte irrtümliche Einschätzung der Rechtslage - die sie durch vollständige Information der Bevollmächtigten hätte ausschließen können - hindert sie, sich auf den Ablauf der Frist des § 12 Abs. 3 S. 1 VVG zu berufen (§ 242 BGB). Dass die Beklagte insoweit einen Arglistvorwurf nicht trifft, ist unbeachtlich.

III. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden. Die Beklagte hat sich auch noch aus anderen Gründen auf Leistungsfreiheit berufen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1406406

NJW 2005, 3571

BGHR 2005, 1440

NJW-RR 2005, 1341

ZAP 2005, 1175

DAR 2005, 565

JZ 2006, 419

MDR 2006, 91

NZV 2006, 34

VersR 2005, 1225

ZfS 2005, 551

BBKM 2006, 28

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