Entscheidungsstichwort (Thema)
Urkundenprozess. Statthaftigkeit. Klage auf Zahlung rückständiger Miete. Behauptete anfängliche Mängel der Mietsache. Minderung. Einrede des nicht erfüllten Vertrags. Annahme als Erfüllung. Beweislastumkehr
Leitsatz (amtlich)
Eine Klage auf Zahlung von Miete aus einem Wohnraummietvertrag ist auch dann im Urkundenprozess statthaft, wenn der Mieter, der wegen behaupteter anfänglicher Mängel der Mietsache Minderung geltend macht oder die Einrede des nicht erfüllten Vertrages erhebt, die ihm vom Vermieter zum Gebrauch überlassene Wohnung als Erfüllung angenommen hat, ohne die später behaupteten Mängel zu rügen, sofern dies unstreitig ist oder vom Vermieter durch Urkunden bewiesen werden kann (im Anschluss an BGH, Urt. v. 1.6.2005 - VIII ZR 216/04, NJW 2005, 2701; v. 20.12.2006 - VIII ZR 112/06, NJW 2007, 1061).
Normenkette
BGB §§ 363, 535-536; ZPO § 592
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Urteil vom 26.06.2008; Aktenzeichen 21 S 177/07) |
AG Düsseldorf (Entscheidung vom 09.03.2007; Aktenzeichen 30 C 15434/06) |
Tenor
Auf die Revisionen der Klägerin werden die Urteile der 21. Zivilkammer des LG Düsseldorf vom 26.6.2008 und vom 11.9.2008 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Die Beklagten sind seit Mai 2004 Mieter einer Wohnung der Klägerin in D. . Nach dem Mietvertrag beträgt die monatliche Nettomiete 453,24 EUR zzgl. einer Betriebskostenvorauszahlung i.H.v. 100 EUR. Die Beklagten zahlten von April bis Juni 2006 monatlich jeweils 128,14 EUR, für die Monate Juli bis Oktober 2006 sowie für den Zeitraum April bis Dezember 2007 zahlten sie nichts.
[2] Die Klägerin fordert im Urkundenprozess unter Vorlage des Mietvertrages für den Zeitraum von April bis Oktober 2006 3.488,26 EUR rückständige Miete nebst Zinsen und für den Zeitraum April bis Dezember 2007 85 % der Miete i.H.v. 4.323,25 EUR nebst Zinsen. Die Beklagten sind der Ansicht, die Klage sei im Urkundenprozess unstatthaft, weil der Anspruch der Klägerin auf Mietzahlung durch Minderung wegen verschiedener Mängel der Mietsache, die teilweise bereits bei Einzug der Beklagten vorgelegen hätten, erloschen sei. Außerdem erheben sie die Einrede des nicht erfüllten Vertrages.
[3] Das AG hat die Beklagten unter Vorbehalt ihrer Rechte im Nachverfahren hinsichtlich der Klage auf Zahlung von 3.488,26 EUR antragsgemäß und hinsichtlich der Klage auf Zahlung von 4.323,25 EUR i.H.v. 3.615,16 EUR nebst Zinsen unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt. Auf die Berufungen der Beklagten hat das LG die Vorbehaltsurteile abgeändert und die Klagen als im Urkundenprozess unstatthaft abgewiesen. Mit ihren vom Berufungsgericht zugelassenen Revisionen erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Urteile. Der Senat hat die beiden Revisionsverfahren zur gemeinsamen Entscheidung miteinander verbunden.
Entscheidungsgründe
[4] Die Revisionen haben Erfolg.
I.
[5] Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidungen im Wesentlichen ausgeführt:
[6] Die Klage sei im Urkundenprozess gem. § 592 ZPO nicht statthaft. Denn die Klägerin habe keinen im Urkundenverfahren zulässigen Beweis für die Mängelfreiheit der Mietsache bei Übergabe angetreten.
[7] Zwar könnten grundsätzlich Ansprüche auf Miete auch dann im Urkundenprozess geltend gemacht werden, wenn der Mieter sich mit behaupteten Mängeln verteidige und die Einrede des nicht erfüllten Vertrages gem. § 320 BGB erhebe, sofern der Mieter die Wohnung unstreitig in vertragsgemäßem Zustand erhalten habe und der Mangel erst nachträglich eingetreten sei. Vorliegend hätten die Beklagten jedoch - neben nachträglich eingetretenen Mängeln - im Rahmen der Einrede des nicht erfüllten Vertrages geltend gemacht, die Elektroinstallation der Wohnung habe bei ihrem Einzug nicht den vertraglichen Absprachen und dem vertragsgemäßen Zustand entsprochen, weil die Strominstallation veraltet und damit mangelhaft gewesen sei. Insoweit treffe die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast, dass die Mietsache mangelfrei übergeben worden sei oder der behauptete Mangel im streitgegenständlichen Zeitraum bereits behoben worden sei.
II.
[8] Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Mit der gegebenen Begründung kann die Statthaftigkeit einer Klage auf Zahlung rückständiger Miete im Urkundenprozess gem. § 592 ZPO nicht verneint werden. Das Berufungsgericht geht zu Unrecht davon aus, die mangelfreie Übergabe der Mietsache sei als anspruchsbegründende Tatsache von der Klägerin durch Urkunden zu beweisen.
[9] 1. Wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, steht der Statthaftigkeit des Urkundenprozesses nach der Rechtsprechung des BGH nicht entgegen, dass der beklagte Mieter wegen behaupteter Mängel der Mietsache Minderung geltend macht (BGH, Urt. v. 1.6.2005 - VIII ZR 216/04, NJW 2005, 2701, unter II 2b; BGH, Beschl. v. 10.3.1999 - XII ZR 321/97, NJW 1999, 1408, unter II) oder dass der Mieter die Einrede des nicht erfüllten Vertrags gem. § 320 BGB darauf stützt, ein Mangel sei nachträglich eingetreten, sofern der Mieter die Wohnung unstreitig in vertragsgemäßem Zustand erhalten hat (BGH, Urt. v. 20.12.2006 - VIII ZR 112/06, NJW 2007, 1061, Tz. 9 ff.). Offengelassen hat der Senat dabei, ob dies auch dann gelte, wenn der Mieter die Einrede des nicht erfüllten Vertrages darauf stützt, er habe die Sache überhaupt nicht erhalten oder - wie hier - sie sei von Anfang an mit Mängeln behaftet gewesen (Senat, a.a.O., Tz. 12).
[10] 2. Der Senat entscheidet diese Frage nunmehr dahin, dass die Klage auch dann gem. § 592 ZPO im Urkundenprozess statthaft ist, wenn der Mieter, der wegen behaupteter anfänglicher Mängel der Mietsache Minderung geltend macht oder die Einrede des nicht erfüllten Vertrages erhebt, die ihm vom Vermieter zum Gebrauch überlassene Wohnung als Erfüllung angenommen hat, ohne die später behaupteten Mängel zu rügen.
[11] Zwar muss nach allgemeinen Beweislastgrundsätzen der Vermieter beweisen, dass er seine vertragliche Pflicht, dem Mieter die Mietsache in vertragsgemäßem Zustand zu überlassen, erfüllt hat. Demgegenüber trägt nach Überlassung der Mietsache gem. § 363 BGB grundsätzlich der Mieter die Beweislast dafür, dass die Mietsache zum Zeitpunkt der Übergabe mangelhaft war, wenn er die ihm überlassene Sache als Erfüllung angenommen hat (BGH, Urt. v. 15.11.2006 - XII ZR 120/04, NJW 2007, 2394, Tz. 23 f. m.w.N.; BGH, Urt. v. 13.2.1985 - VIII ZR 154/84, NJW 1985, 2328, unter II 2b). Die Vorschrift des § 363 BGB führt zu einer Beweislastumkehr (Palandt/Grüneberg, BGB, 68. Aufl., § 363 Rz. 3). Ihr liegt zugrunde, dass demjenigen, der eine Leistung als Erfüllung annimmt, die Beweislast obliegt, wenn er die Leistung später nicht mehr als die geschuldete gelten lassen will (Flatow, DWW 2008, 88, 91).
[12] Demzufolge ist die Klage des Vermieters im Urkundenprozess statthaft, wenn entweder unstreitig ist, dass der Mieter die Mietsache als Erfüllung angenommen hat, oder wenn der Vermieter ein solches Verhalten des Mieters durch Urkunden - etwa ein Übergabeprotokoll oder Kontoauszüge, aus denen sich ergibt, dass der Mieter zunächst die ungeminderte Miete gezahlt hat - beweisen kann. Dazu hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen.
III.
[13] Nach alldem können die Urteile des Berufungsgerichts keinen Bestand haben; sie sind daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif, weil es, wie vorstehend ausgeführt, weiterer Feststellungen bedarf. Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Fundstellen
NJW 2009, 3099 |
BGHR 2009, 1173 |
EBE/BGH 2009, 300 |
NZM 2009, 734 |
ZAP 2009, 1130 |
ZMR 2010, 19 |
AnwBl 2009, 221 |
JZ 2010, 95 |
MDR 2009, 1297 |
WuM 2009, 591 |
Info M 2009, 395 |
RÜ 2009, 634 |
ZGS 2009, 436 |
IWR 2009, 76 |
NRÜ 2009, 498 |