Leitsatz (amtlich)
Zur Zulässigkeit einer Bildberichterstattung über einen Bundespolizisten, der bei einem Einsatz anlässlich eines Neonazifestivals Aufnäher an seiner Uniform trug.
Normenkette
BGB §§ 823, 1004 Abs. 1 S. 2; KunstUrhG §§ 22, 23 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
OLG Naumburg (Entscheidung vom 17.12.2020; Aktenzeichen 9 U 119/20) |
LG Dessau-Roßlau (Entscheidung vom 18.09.2020; Aktenzeichen 4 O 213/20) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 17. Dezember 2020 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung einer Bildberichterstattung in Anspruch.
Rz. 2
Der Kläger ist Beamter der Bundespolizei. Er unterstützte bei der Veranstaltung "Rechts rockt nicht" am 22. Juni 2019 in Ostritz die Landespolizei Sachsen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben. Die Veranstaltung richtete sich gegen ein gleichzeitig in Ostritz stattfindendes, als "Schild- und Schwertfestival" ("SS-Festival") bezeichnetes Neonazifestival.
Rz. 3
Die Beklagte veröffentlichte auf ihrer Internetseite www.bild.de unter dem Datum 24. Juni 2019 einen Artikel mit folgendem Wortlaut:
"Nach Twitter-Foto
Aufregung um Polizisten-Abzeichen bei Neonazi-Treffen
[…] Die Initiative ‘Rechts rockt nicht‘ postete am Samstag das Foto eines Bundespolizisten, der zur Absicherung des Neonazi-Festivals in Ostritz (Sachsen) eingesetzt war und stellte seine Gesinnung in Frage.
Nach BILD-Recherchen steht auf dem unteren Patch auf griechisch: ‘Molon labe‘ - zu deutsch ‘Komm hol sie dir‘. Ursprung: Die Worte erwiderte Spartas König Leonidas seinen Feinden auf die Aufforderung, die Waffen niederzulegen."
Rz. 4
An dieser Stelle des Artikels ist eine Kurznachricht aus dem Internetportal Twitter - ein Tweet - der Initiative "Rechts rockt nicht!" vom 22. Juni 2019 abgebildet mit einem unverpixelten, portraitähnlichen Foto des Klägers. Er trägt eine Uniform mit der Aufschrift "POLIZEI" in Brusthöhe und darunter zwei Aufnäher. Einer davon zeigt ein Schwert mit Schild und Flügeln. Darüber steht: "RECTE FACIENDO NEMINEM TIMEAS", übersetzt: "Tue Recht und scheue niemand". Der andere zeigt ein griechisches Omega mit Spartanerhelm und gekreuzten Schwertern, darunter steht: "ΜΟΛΟΝ ΛΑΒΕ" (Molon Labe), übersetzt: "Komm und hol sie dir". Unter dem Bild des Klägers heißt es in der Twitter-Nachricht der Initiative "Rechts rockt nicht!": "Was sollen denn diese Abzeichen bedeuten @PolizeiSachsen @bpol§pir? Sind diese offiziell oder mal wieder ein Einzelfall?" Am Ende des Tweets steht: "1.454 Nutzer sprechen darüber". In dem Artikel heißt es weiter:
"Der Spruch wird auch von den Waffen-Fans in den USA genutzt. Das obere Abzeichen bedeutet: ‘Tue Recht und scheue niemand.‘ Und erinnert an das Symbol des berüchtigten Templer-Ordens während der Kreuzzüge.
‘Eine Überprüfung ergab, dass die zwei Abzeichen an der Uniform des Beamten der Bundespolizei strafrechtlich nicht relevant waren‘, erklärt ein Polizeisprecher. ‘Der Kollege wurde dennoch gebeten, sie abzunehmen. Er unterstand am Einsatztag der Leitung der Landespolizei Sachsen, für deren Mitarbeiter es nicht erlaubt ist, die Dienstkleidung derart zu verändern.‘"
Rz. 5
Dieser Artikel erschien im Wesentlichen wortgleich zusammen mit der an derselben Stelle des Artikels eingefügten Kurznachricht der Initiative "Rechts rockt nicht!" mit dem Bild des Klägers auch auf der Seite www.bz-berlin.de der Beklagten.
Rz. 6
Außerdem veröffentlichte die Beklagte auf ihrer Internetseite www.bild.de einen Artikel unter dem Datum 24. Juni 2019 mit der Überschrift:
"Berlin-Bürgermeister Müller schlägt im Bild-Talk Alarm
‘Das kann man auf keinen Fall durchgehen lassen‘
Polizist mit umstrittenen Abzeichen auf Neonazi-Konzert"
Rz. 7
Nach dieser Überschrift folgt im Artikel ein Ausschnitt des Fotos des Klägers. Zu sehen ist aber nur der Brustbereich, nicht der Kopf. Unter dem Foto steht:
"Bei einem Neonazi-Festival im sächsischen Ostritz fiel ein Bundespolizist durch Abzeichen auf seiner Uniform auf, die Initiative ‘Rechts rockt nicht!‘ stellte ein Bild auf Twitter".
In dem Artikel heißt es weiter:
"Am Wochenende sorgte ein Polizisten-Foto aus Sachsen für Wirbel: Ein Bundespolizist, der ein Neonazi-Festival in Ostritz bewachen sollte, fiel dabei durch merkwürdige Aufnäher auf seiner Uniform auf. Im Internet wurde darüber heftig diskutiert.
Auch die Politik ist bereits alarmiert:
Im BILD-Talk ‘Die richtigen Fragen‘ äußerte sich […] Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller […] besorgt: ‘Es gibt solche Einzelfälle und das kann man auf keinen Fall durchgehen lassen.‘"
Rz. 8
Es folgt ein Video mit dem damaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin, in dem das unverpixelte portraitähnliche Foto des Klägers mit den beiden Aufnähern zu sehen ist. Unter dem Video heißt es im Artikel weiter:
"Dazu gebe es auch polizeiinterne Maßnahmen. Müller betonte aber, dass ihm die Entwicklung im Netz sogar noch mehr Sorgen bereitete:
‘Aber das besorgniserregende ist eigentlich die große Zahl von Mitläufern inzwischen und derjenigen, die glauben sie können sich im Netz alles erlauben und damit andere anstacheln. Die dann sich eben ermutigt fühlen zu Übergriffen und irgendwelchen Gewaltakten.‘
Der umstrittene Tweet
Das Foto des Polizisten war von der ‘Rechts rockt nicht‘ auf Twitter gepostet worden. Darauf sieht man auf der Uniformsjacke des Polizisten zwei Stoffaufnäher."
Rz. 9
Danach ist der Tweet der Initiative "Rechts rockt nicht!" mit dem unverpixelten, portraitähnlichen Foto des Klägers wiedergegeben. In dem Artikel heißt es weiter:
"Sparta- und Tempelritter-Symbolik
Nach BILD-Recherchen steht auf dem unteren Patch auf griechisch: ‘Molon labe‘ - zu deutsch ‘Komm hol sie dir‘. Ursprung: Die Worte erwiderte Spartas König Leonidas seinen Feinden auf die Aufforderung, die Waffen niederzulegen.
Der Spruch wird auch von den Waffen-Fans in den USA genutzt. Das obere Abzeichen bedeutet: ‘Tue Recht und scheue niemand.‘ Und erinnert an das Symbol des berüchtigten Templer-Ordens während der Kreuzzüge.
‘Eine Überprüfung ergab, dass die zwei Abzeichen an der Uniform des Beamten der Bundespolizei strafrechtlich nicht relevant waren‘, erklärt ein Polizeisprecher. ‘Der Kollege wurde dennoch gebeten, sie abzunehmen. Er unterstand am Einsatztag der Leitung der Landespolizei Sachsen, für deren Mitarbeiter es nicht erlaubt ist, die Dienstkleidung derart zu verändern.‘
Die Polizei Sachsen stellte klar, dass ein weiteres Vorgehen wegen des Vorfalls in der Zuständigkeit der Bundespolizei liege.
Polizeigewerkschaft: ‘Etwas in Schieflage geraten‘
Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg R[…], hat bestätigt, dass in der Bundespolizei Mitarbeiter mit rechtsnationalen Parteien sympathisieren. ‘Da ist bei vielen Beamten etwas in Schieflage geraten, was sich in Sympathien für das rechtsnationale Parteienspektrum ausdrückt‘, sagte der Bundespolizist R[…] der ‘Rheinischen Post‘ […].
Für R[…] geht das auf die Entscheidungen der Bundesregierung im Jahr 2015 zurück. Für viele Polizisten sei in [der] Flüchtlingskrise unklar geblieben, warum die unerlaubte Einreise nicht konsequent unterbunden wurde. Für ihre Arbeit habe es zudem zu wenig Wertschätzung gegeben. ‘Daraus haben sich bei Bundespolizisten Sympathien für die AfD entwickelt. Eine politische Spätfolge davon ist, dass heute Bundespolizisten bei Landtagswahlen für die AfD kandidieren.‘"
Rz. 10
Der Kläger macht geltend, die Veröffentlichung seines Bildes im Zusammenhang mit der Kommentierung im Text vermittele dem Leser, dass die an seiner Uniform angebrachten Aufnäher seine rechte Gesinnung zum Ausdruck brächten. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, es zu unterlassen, das Foto des Klägers mit dessen für Dritte erkennbarem Gesicht, wie auf den Internetseiten der Beklagten unter www.bild.de und www.bz-berlin.de sowie im Video "BILD-TALK ‘DIE RICHTIGEN FRAGEN‘ ‘Das kann man auf keinen Fall durchgehen lassen‘" geschehen, zu veröffentlichen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe
A.
Rz. 11
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 12
Der Kläger habe keinen Anspruch auf Unterlassung der Wiedergabe seines unverpixelten Bildes im Zusammenhang mit der Berichterstattung. Bei dem verbreiteten Foto handele es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Es zeige den Kläger bei seinem Einsatz anlässlich des Festivals "Schild und Schwert" im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit. Die Textberichterstattung hierzu beziehe sich auf das Foto und werfe die Frage auf, inwieweit rechtes Gedankengut in der Polizei verbreitet sei. Das Bild habe, wie auch die Wortberichterstattung, aufgrund der öffentlichen Diskussion über rechte Tendenzen innerhalb der Sicherheitsorgane hohen Informationswert. Der Artikel sei von einer sachlichen Darstellung getragen. Es könne dahinstehen, ob die vom Kläger gezeigten Aufnäher tatsächlich rechter oder rechtsradikaler Natur seien. Wenn der Kläger, der anlässlich eines Neonazifestivals mit dem Namen "Schild und Schwert" eingesetzt worden sei, Aufnäher trage, die Schwert und Schild darstellten, liege für den unbefangenen Betrachter die Vermutung nahe, dass er damit seine Sympathie für die Veranstaltung zum Ausdruck bringe. Es komme allein auf den äußeren Anschein und nicht auf das tatsächlich vom Kläger Gewollte an, da nur der äußere Anschein für die Öffentlichkeit und die Presse sichtbar werde. Gegenüber dem Interesse der Presse an der Veröffentlichung wiege die Beeinträchtigung des Rechts des Klägers auf Schutz seiner Persönlichkeit weniger schwer. Zwar mache das Bild in identifizierender Weise ein Verhalten des Klägers öffentlich bekannt, das ihn in den Augen des überwiegenden Teils der Leser negativ qualifiziere. Bei der Frage der Gewichtung der Beeinträchtigung sei aber zu berücksichtigen, dass der Kläger auch nur von einem kleinen Kreis von Personen vollständig identifiziert werden könne, nämlich von seinem beruflichen und näheren persönlichen Umfeld. Hinzu komme, dass sich der Kläger selbst in diese Situation begeben und für das Tragen der Aufnäher unter Verletzung von Dienstvorschriften entschieden habe. Dass er als Beamter der Bundespolizei bei einem Einsatz anlässlich eines Neonazifestivals im Fokus der Öffentlichkeit stehe, sei vorhersehbar. Dass die Bildveröffentlichung ihn belaste, stehe außer Frage. Nach Abwägung dieser Kriterien sei die identifizierende Berichterstattung zulässig.
B.
Rz. 13
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Unterlassung der Veröffentlichung seines Bildnisses im Kontext der Berichterstattungen der Beklagten vom 24. Juni 2019 nach § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, § 823 Abs. 1 und 2 BGB i.V.m. §§ 22, 23 KUG, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG.
Rz. 14
I. Artikel mit der Überschrift "Aufregung um Polizisten-Abzeichen bei Neonazi-Treffen" (www.bild.de; www.bz-berlin.de)
Rz. 15
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Zulässigkeit einer Bildveröffentlichung sich nach dem abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KUG beurteilt (Senatsurteile vom 29. September 2020 - VI ZR 449/19, ZUM 2021, 50 Rn. 16; vom 7. Juli 2020 - VI ZR 250/19, ZUM-RD 2020, 642 Rn. 9; jeweils mwN). Dieses steht sowohl mit verfassungsrechtlichen Vorgaben als auch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention in Einklang (vgl. BVerfGE 120, 180, 211 ff., juris Rn. 78 ff.; EGMR, NJW 2012, 1053 Rn. 114 ff.).
Rz. 16
Danach dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Hiervon bestehen allerdings gemäß § 23 Abs. 1 KUG Ausnahmen. Diese Ausnahmen gelten aber nicht für eine Verbreitung, durch die berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG). Die Veröffentlichung des Bildes einer Person begründet grundsätzlich eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (vgl. Senatsurteile vom 29. September 2020 - VI ZR 449/19, ZUM 2021, 50 Rn. 17; vom 7. Juli 2020 - VI ZR 250/19, ZUM-RD 2020, 642 Rn. 9; jeweils mwN).
Rz. 17
2. Die vom Kläger angegriffene Bildberichterstattung über ein zeitgeschichtliches Ereignis war nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG ohne Einwilligung des Klägers zulässig.
Rz. 18
a) Die Beurteilung, ob ein Bildnis dem Bereich der Zeitgeschichte im Sinne von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG zuzuordnen ist, erfordert eine - revisionsrechtlich voll zu überprüfende - Abwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten aus Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK einerseits und den Rechten der Medien aus Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK andererseits.
Rz. 19
aa) Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des Zeitgeschehens. Dieser darf nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit umfasst er alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse. Es gehört zum Kern der Freiheit der Presse, dass diese innerhalb der gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt, in dem sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was öffentliches Interesse beansprucht. Dazu zählt auch die Entscheidung, ob und wie ein Presseerzeugnis bebildert wird. Eine Bedürfnisprüfung, ob eine Bebilderung veranlasst war, findet nicht statt (vgl. Senatsurteile vom 29. September 2020 - VI ZR 449/19, ZUM 2021, 50 Rn. 22; vom 7. Juli 2020 - VI ZR 250/19, ZUM-RD 2020, 642 Rn. 12 f.; jeweils mwN). Bilder können einen Wortbericht ergänzen und dabei der Erweiterung seines Aussagegehalts dienen, etwa der Unterstreichung der Authentizität des Geschilderten. Auch kann ein von Art. 5 Abs. 1 GG geschütztes Informationsanliegen darin liegen, durch Beigabe von Bildnissen die Aufmerksamkeit des Lesers für den Wortbericht zu wecken. Bildaussagen nehmen am verfassungsrechtlichen Schutz des Berichts teil, dessen Bebilderung sie dienen (vgl. BVerfG, NJW 2017, 1376 Rn. 11, 16; Senatsurteil vom 17. Mai 2022 - VI ZR 141/21, juris Rn. 50 mwN).
Rz. 20
bb) Allerdings besteht das Informationsinteresse nicht schrankenlos. Es bedarf einer abwägenden Berücksichtigung der kollidierenden Rechtspositionen. Die Belange der Presse sind dabei in einen möglichst schonenden Ausgleich mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des von einer Berichterstattung Betroffenen zu bringen. Im Rahmen der Abwägung kommt dem Gegenstand der Berichterstattung maßgebliche Bedeutung zu, wobei der Informationsgehalt einer Bildberichterstattung im Gesamtkontext, in den das Personenbildnis gestellt ist, zu ermitteln ist, insbesondere unter Berücksichtigung der zugehörigen Textberichterstattung (Senatsurteile vom 29. Mai 2018 - VI ZR 56/17, VersR 2018, 1136 Rn. 16; vom 27. September 2016 - VI ZR 310/14, NJW 2017, 804 Rn. 8). Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob die Presse im konkreten Fall eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ernsthaft und sachbezogen erörtert, damit den Informationsanspruch des Publikums erfüllt und zur Bildung der öffentlichen Meinung beiträgt, oder ob sie - ohne Bezug zu einem zeitgeschichtlichen Ereignis - lediglich die Neugier der Leser befriedigt (vgl. Senatsurteile vom 29. September 2020 - VI ZR 449/19, ZUM 2021, 50 Rn. 23; vom 7. Juli 2020 - VI ZR 250/19, ZUM-RD 2020, 642 Rn. 15 ff.; jeweils mwN).
Rz. 21
Je größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter den Informationsbelangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt der Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen desto schwerer, je geringer der Informationswert für die Allgemeinheit ist (vgl. Senatsurteile vom 29. September 2020 - VI ZR 449/19, ZUM 2021, 50 Rn. 24; vom 7. Juli 2020 - VI ZR 250/19, ZUM-RD 2020, 642 Rn. 17; jeweils mwN). Daneben sind für die Gewichtung der Belange des Persönlichkeitsschutzes der Anlass der Berichterstattung und die Umstände in die Beurteilung mit einzubeziehen, unter denen die Aufnahme entstanden ist. Auch ist bedeutsam, in welcher Situation der Betroffene erfasst und wie er dargestellt wird (Senatsurteile vom 29. September 2020 - VI ZR 449/19, ZUM 2021, 50 Rn. 25; vom 7. Juli 2020 - VI ZR 250/19, ZUM-RD 2020, 642 Rn. 19; jeweils mwN; EGMR, NJW 2019, 741 Rn. 30). Von Bedeutung ist ebenfalls die Rolle des Betroffenen in der Öffentlichkeit. Wenn Fragen von allgemeinem Interesse betroffen sind, ist das Maß hinnehmbarer Kritik bei einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes, wenn er in amtlicher Eigenschaft tätig wird, weiter als bei Privatpersonen (EGMR, AfP 2014, 430 Rn. 33 f.; EGMR, NJW 2006, 1645 Rn. 80).
Rz. 22
Die von der Freiheit der Meinungsäußerung umfasste Veröffentlichung von Fotos betrifft einen Bereich, in dem der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts besondere Bedeutung hat (vgl. EGMR, NJW 2012, 1053 Rn. 103; EGMR, GRUR 2004, 1051 Rn. 59). Es kann sich aber niemand über eine Verletzung des Schutzes seines guten Rufs als Teil des Rechts auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EGMR beschweren, wenn sie die vorhersehbare Folge eigenen Verhaltens ist (vgl. EGMR, GRUR 2012, 741 Rn. 83).
Rz. 23
b) Nach diesen Maßstäben stellt das unverpixelte Foto des Klägers in den im Wesentlichen gleichlautenden Artikeln auf www.bild.de und www.bz-berlin.de mit der Überschrift "Aufregung um Polizisten-Abzeichen bei Neonazi-Treffen" ein Bildnis der Zeitgeschichte dar. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die im Rahmen des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG vorzunehmende Abwägung hier zugunsten der Beklagten ausfällt.
Rz. 24
aa) Das portraitähnliche Foto zeigt den Kläger mit unverpixeltem und halb ins Profil gedrehtem Kopf ohne Kopfbedeckung. Er trägt eine Sonnenbrille; sein Gesicht mit Ausnahme seiner Augen ist gut zu erkennen. Aufgrund des portraitartigen Charakters des Bildes kann er im Kollegen- und Bekanntenkreis identifiziert werden. Er steht vor einem Einsatzfahrzeug der Polizei in Uniform. Zu sehen ist nur der Oberkörper. Auf seiner Schutzweste ist in Brusthöhe der Schriftzug "POLIZEI" zu lesen. Unter diesem Schriftzug sind zwei Aufnäher zu erkennen. Der eine zeigt ein Schwert mit nach unten zeigender Spitze und einem auf der Klinge des Schwertes unterhalb des Griffs angebrachten Schild mit rotem Kreuz. Rechts und links der Klinge sind Flügel mit Federn zu sehen. Über dem Schwert steht in Großbuchstaben "RECTE FACIENDO NEMINEM TIMEAS", übersetzt: "Tue Recht und scheue niemand". Auf dem zweiten Aufnäher ist ein griechisches Omega zu sehen. Das Rund des griechischen Buchstabens umschließt einen Spartanerhelm mit zwei gekreuzten Schwertern. Unterhalb des Buchstabens steht "ΜΟΛΟΝ ΛΑΒΕ" (Molon Labe), übersetzt: "Komm und hol sie dir".
Rz. 25
Das Foto des Klägers ist Teil einer Kurznachricht der Initiative "Rechts rockt nicht!", die sich mit den Fragen "Was sollen denn diese Abzeichen bedeuten? Sind diese offiziell oder mal wieder ein Einzelfall?" auf Twitter an die Polizei Sachsen und die Bundespolizei wendet. Mit dem Bild des Klägers und diesem Text stellt die Initiative die Gesinnung des Klägers in Frage. Aus der Angabe unter dem Tweet "1.454 Nutzer sprechen darüber" ergibt sich darüber hinaus, dass hierüber im sozialen Netzwerk Twitter bereits zahlreich diskutiert wird.
Rz. 26
Der Tweet mit dem Foto des Klägers ist Bestandteil von zwei nahezu wortgleichen Artikeln auf www.bild.de und www.bz-berlin.de mit der Überschrift "Aufregung um Polizisten-Abzeichen bei Neonazi-Treffen". In diesen Artikeln wird mitgeteilt, wann das Bild entstanden ist, nämlich bei einem Neonazi-Treffen im sächsischen Ostritz. Es wird auf die Kurznachricht der Initiative "Rechts rockt nicht!" hingewiesen und angegeben, diese stelle die Gesinnung des Bundespolizisten in Frage. Der Artikel schildert, was auf den beiden Aufnähern, die der Kläger auf dem Bild trägt, zu erkennen ist. Es wird der geschichtliche Ursprung des Spruchs "Komm und hol sie dir" beleuchtet und erklärt, dass auch "Waffen-Fans in den USA" diesen Spruch nutzen würden. Außerdem wird mitgeteilt, das Symbol auf dem Abzeichen mit dem Spruch "Tue Recht und scheue niemand" erinnere an das Symbol des "berüchtigten Templer-Ordens während der Kreuzzüge". Schließlich wird angegeben, dass es am Einsatztag nicht erlaubt gewesen sei, die Dienstkleidung der Polizei derart zu verändern.
Rz. 27
Für den unvoreingenommenen und verständigen Leser (vgl. Senatsurteile vom 27. April 2021 - VI ZR 166/19, AfP 2021, 336 Rn. 11; vom 17. Mai 2022 - VI ZR 141/21, juris Rn. 29; jeweils mwN) wirft die Bildberichterstattung im Gesamtzusammenhang die offene Frage auf, ob der Kläger mit der rechten Szene sympathisiert. Mit diesem Informationsgehalt beeinträchtigt die angegriffene Berichterstattung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers zusätzlich in seinen Ausprägungen des Schutzes der Berufsehre und der sozialen Anerkennung (vgl. dazu Senatsurteile vom 27. September 2016 - VI ZR 250/13, NJW 2017, 482 Rn. 17, 31; vom 26. Januar 2021 - VI ZR 437/19, VersR 2021, 856 Rn. 18).
Rz. 28
bb) Den Berichterstattungen kommt erheblicher Informationswert zu. Der Artikel befasst sich bereits in seinem ersten Absatz, in dem der Inhalt des Tweets der Initiative "Rechts rockt nicht!" erläutert wird, auch mit der Problematik, inwieweit Polizisten mit rechtsnationalen oder gar rechtsradikalen Gruppierungen sympathisieren. Anders als die Revision meint, beschäftigt er sich nicht nur damit, welche Bedeutung die vom Kläger getragenen Aufnäher haben könnten und ob diese Abzeichen an der Uniform erlaubt gewesen seien.
Rz. 29
Die in dem Artikel aufgeworfenen Fragen sind von großem gesellschaftlichen Interesse und Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Der Fall des Klägers hatte bereits eine Diskussion im sozialen Netzwerk Twitter ausgelöst, die der Bericht aufgreift. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Neutralität, Objektivität, Unparteilichkeit und Verfassungstreue der Polizei hängt zu einem erheblichen Teil vom Auftreten und dem äußeren Erscheinungsbild dieser Beamten ab. Auch nach außen müssen Polizeibeamte eine innere Haltung ausdrücken, die durch Neutralität, Distanz und Objektivität geprägt ist (vgl. BVerwGE 168, 129 Rn. 27). Treten bei einem dienstlichen Einsatz aufgrund an der Uniform getragener Symbole Zweifel an dieser Haltung von Polizeibeamten auf, liegt eine Auseinandersetzung mit der Bedeutung dieser Symbole und der dadurch möglicherweise zum Ausdruck kommenden Haltung im gesellschaftlichen Interesse.
Rz. 30
cc) Die schutzwürdigen Interessen der Beklagten überwiegen die des Klägers.
Rz. 31
(1) Das Bild des Klägers mit dem Text des Tweets der Initiative "Rechts rockt nicht!" illustriert die sachlich gehaltene Textberichterstattung der Beklagten zu der Thematik, dass ein Bundespolizist bei einem dienstlichen Einsatz anlässlich eines Neonazifestivals am 22. Juni 2019 zwei fragwürdige Aufnäher an der Uniform getragen habe. Der Kläger hat nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eingeräumt, dass einzelne auf den Aufnähern zu erkennende Elemente in der rechten Szene Verwendung finden. Er hat nur bestritten, dass die beiden Aufnäher in ihrer Gesamtheit in diesen Kreisen benutzt würden. Da die Berichterstattung gerade nicht die Tatsachenbehauptung aufstellt, die vom Kläger auf dem Bild getragenen Aufnäher würden in ihrer Gesamtheit in der rechten Szene verwendet, musste das Berufungsgericht dieser Frage nicht nachgehen. Es musste auch die vom Kläger behauptete teils religiöse Bedeutung der Aufnäher nicht weiter aufklären. Schließlich konnte offen bleiben, ob der Spruch "Molon Labe", wie im Artikel behauptet und vom Kläger bestritten, tatsächlich auch von "Waffen-Fans in den USA" genutzt wird. Selbst wenn sich diese Tatsachenbehauptung als falsch herausstellen sollte, änderte dies am Aussagegehalt des Artikels in Bezug auf den Kläger, der eingeräumt hat, dass jedenfalls einzelne Elemente der beiden Aufnäher in der rechten Szene Verwendung finden, nichts Entscheidendes.
Rz. 32
Die Berichterstattung transportiert auch nicht die Behauptung, dass der Kläger tatsächlich rechtsnationale oder gar rechtsradikale Ansichten habe. Sie wirft ausgehend vom Tweet der Initiative "Rechts rockt nicht!" nur die Frage nach der durch das Tragen der Aufnäher zum Ausdruck kommenden Gesinnung des Klägers auf, beantwortet diese Frage aber nicht. Die Frage als solche drängt sich - auch wenn der Artikel dies nicht ausdrücklich thematisiert - schon angesichts des Umstands auf, dass der Kläger bei einer Gegendemonstration zu einem Neonazifestival, das als "Schild- und Schwertfestival" bezeichnet wurde, eingesetzt war und dabei Aufnäher trug, die jeweils Schwerter und ein Aufnäher auch ein Schild zeigten.
Rz. 33
(2) Die Bildberichterstattung macht ein Verhalten des Klägers im Rahmen seiner Dienstausübung öffentlich bekannt. In den Augen der Leser wirft der Artikel durch die Infragestellung seiner Gesinnung Zweifel an der Neutralität und Objektivität des Klägers auf. Bei der Gewichtung der Beeinträchtigung seines Persönlichkeitsrechts ist zu berücksichtigen, dass der Grad der Identifizierbarkeit des Klägers eingeschränkt ist, da sein Name in dem Bericht nicht genannt wird und er auf dem Foto eine Sonnenbrille trägt. Aufgrund des portraitartigen Charakters des Bildes kann er aber im Kollegen- und Bekanntenkreis identifiziert werden.
Rz. 34
(3) Bei der Gewichtung der Beeinträchtigung des Klägers ist weiter zu berücksichtigen, dass er in einer Situation, in der mit einer intensiven Beobachtung durch die Presse und Dritte zu rechnen war, gewollt Aufmerksamkeit erregte. Wer als Polizist bei einem dienstlichen Einsatz private Aufnäher auf seiner Uniform sichtbar trägt, tritt bewusst aus der Menge der einheitlich gekleideten Einsatzkräfte hervor. Er hinterlässt den Eindruck, eine Botschaft, eine private Meinung, kundtun zu wollen. Denn die Uniform soll die Neutralität ihres Trägers zum Ausdruck bringen. Sie soll sichtbares Zeichen dafür sein, dass die Individualität der Polizeivollzugsbeamten im Dienst hinter die Anforderungen des Amtes zurücktritt. Polizeiliche Maßnahmen sollen losgelöst von der Person des handelnden Beamten als Maßnahmen des Staates empfunden werden (vgl. BVerwGE 125, 85 Rn. 25; BVerwGE 168, 129 Rn. 26). Diese Neutralität hat der Kläger durch die Verwendung von Aufnähern auf der Uniform bewusst aufgehoben. Er hat dadurch den Anlass für die Fragen der Initiative "Rechts rockt nicht!" an die Polizei nach der Bedeutung seiner Aufnäher und seiner Gesinnung über das soziale Netzwerk Twitter selbst geschaffen. Diese Fragen hat die Beklagte mit ihrer Berichterstattung aufgegriffen.
Rz. 35
(4) Bei dieser Sachlage kommt der Berichterstattung auch keine Pranger- oder stigmatisierende Wirkung zu. Zwar ist mangels abweichender Feststellungen des Berufungsgerichts der Vortrag des Klägers revisionsrechtlich zu unterstellen, dass er seit der Berichterstattung Beschimpfungen, Bedrohungen und Beleidigungen sowohl in den sozialen Medien als auch im Privatbereich und durch Dritte auf offener Straße ausgesetzt ist. Dies ist jedoch seinem eigenen Verhalten zuzuschreiben und überschreitet die Grenze zu einer aufgrund der Schwere nicht mehr hinzunehmenden Beeinträchtigung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht.
Rz. 36
c) Durch die Verbreitung des Bildnisses wird kein berechtigtes Interesse des Klägers verletzt (§ 23 Abs. 2 KUG). Umstände, aus denen sich ein eigenständiger Verletzungsgehalt des portraitähnlichen Bildes ergibt, sind nicht festgestellt.
Rz. 37
II. Artikel mit der Überschrift "‘Das kann man auf keinen Fall durchgehen lassen‘ - Polizist mit umstrittenen Abzeichen auf Neonazi-Konzert"
Rz. 38
1. Der unter I. 2. b) aa) beschriebene Tweet der Initiative "Rechts rockt nicht!" mit dem dortigen Text und Bild des Klägers ist auch Teil der Berichterstattung mit der Überschrift "‘Das kann man auf keinen Fall durchgehen lassen‘ - Polizist mit umstrittenen Abzeichen auf Neonazi-Konzert" auf www.bild.de. Das Bild des Klägers ist in diesem Artikel und in dem in den Artikel eingefügten Video zu sehen.
Rz. 39
Der Artikel gibt zum einen den Inhalt des unter I. 2. b) aa) beschriebenen Textes mit der Überschrift "Aufregung um Polizisten-Abzeichen bei Neonazi-Treffen" wieder. Zum anderen teilt er die Einschätzung eines Vertreters der Gewerkschaft der Polizei mit, dass viele Bundespolizisten mit rechtsnationalen Parteien sympathisierten und nennt mögliche Ursachen dafür. Als Fall, der das zu bestätigen scheine, wird der Kläger angeführt, der als - namentlich nicht genannter - Bundespolizist bei einem Einsatz anlässlich eines Neonazifestivals "merkwürdige" Aufnäher getragen habe.
Rz. 40
Für den unvoreingenommenen und verständigen Leser (vgl. Senatsurteile vom 27. April 2021 - VI ZR 166/19, AfP 2021, 336 Rn. 11; vom 17. Mai 2022 - VI ZR 141/21, juris Rn. 29; jeweils mwN) wirft auch diese Bildberichterstattung im Gesamtzusammenhang die offene Frage auf, ob der Kläger mit rechtsnationalen Parteien oder der rechten Szene sympathisiert. Mit diesem Informationsgehalt beeinträchtigt auch diese Berichterstattung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers zusätzlich in seinen Ausprägungen des Schutzes der Berufsehre und der sozialen Anerkennung (vgl. dazu Senatsurteile vom 27. September 2016 - VI ZR 250/13, NJW 2017, 482 Rn. 17, 31; vom 26. Januar 2021 - VI ZR 437/19, VersR 2021, 856 Rn. 18).
Rz. 41
2. Der Berichterstattung kommt aus den unter I. 2. b) bb) dargelegten Gründen erheblicher Informationswert zu. Darüber hinaus geht der Bericht der ebenfalls wichtigen Frage nach möglichen Gründen für Sympathien von Bundespolizisten mit rechtsnationalen Parteien nach.
Rz. 42
3. Die schutzwürdigen Interessen des Klägers haben bei Anwendung der unter I. wiedergegebenen Maßstäbe auch hier hinter denen der Beklagten zurückzutreten. Im Einzelnen wird auf die Ausführungen unter I. 2. b) cc) verwiesen, die hier entsprechend gelten.
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