Löschungsanspruch gegen Twitter umfasst auch kerngleiche Tweets
Nach einer Entscheidung des LG Frankfurt ist Twitter verpflichtet, umfassender als bisher gegen „Hate Speech“ vorzugehen. Danach umfasst der Anspruch eines Users auf Löschung eines ehrverletzenden Tweets nicht nur die konkret beanstandete Veröffentlichung, sondern auch Tweets mit kerngleichen Inhalten.
In Tweets Vorwürfe von Antisemitismus und persönlichem Fehlverhalten
Gegenstand des vom LG entschiedenen Fall war ein Antrag des Antisemitismusbeauftragten des Landes Baden-Württemberg auf einstweiligen Rechtsschutz. Ein User hatte sich in insgesamt 46 Tweets in ehrverletzender Weise über ihn geäußert.
Vorwürfe ohne Tatsachengrundlage
Das LG Frankfurt kam in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass der Großteil der aufgestellten Behauptungen jeglicher Tatsachengrundlage entbehrt. Die Äußerungen seien ehrverletzend und deshalb nicht durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung gemäß Art. 5 GG geschützt. Die Äußerungen zielten erkennbar darauf ab, den Antisemitismusbeauftragten zu diskreditieren und in emotionalisierender Weise gegen ihn Stimmung in der Bevölkerung zu machen.
Löschungsanspruch umfasst auch inhaltsgleiche Äußerungen
Nach der Entscheidung des LG war Twitter deshalb verpflichtet, auf Verlangen des Antisemitismusbeauftragten die widerrechtlichen Kommentare unverzüglich zu entfernen. In seiner Entscheidung betonte das LG, dass Twitter nicht nur die beanstandeten Kommentare zu entfernen, sondern dafür zu sorgen habe, dass auch weitere Kommentare dieser Art, die mit unwesentlichen Abweichungen den gleichen Äußerungskern aufweisen, gelöscht würden.
Twitter muss eigeninitiativ handeln
Das LG legte Wert auf die Feststellung, dass Anbieter von Social-Media verpflichtet sind, aus eigener Initiative abgewandelte Kommentare, die im Kern den gleichen Inhalt wie die konkret beanstandeten Kommentare aufweisen, zu löschen. Ein gesonderter Antrag des betroffenen Users sei hierfür nicht erforderlich. Voraussetzung sei allerdings, dass Twitter Kenntnis von der konkreten Persönlichkeitsverletzung erlangt. Der Nachrichtendienst sei nicht verpflichtet, nach möglichen inhaltsgleichen Tweets zu fahnden. Eine allgemeine Monitoring-Pflicht habe Twitter gegenüber seinen 237 Mio Nutzern nicht.
Mitteilung der Listung als Antisemit durch Wiesenthal-Zentrum ist zulässig
In der konkreten Entscheidung hat die Kammer einen der als Tweet geäußerten Kommentar von der Unterlassungs- bzw. Löschungsverpflichtung ausgenommen. Die Mitteilung, der Antragsteller sei in die jährlich vom (selbst ernannten) Simon-Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles (das ursprüngliche Simon-Wiesenthal-Institut befindet sich in Wien) veröffentlichte Liste der größten Antisemiten aufgenommen, entspreche der Wahrheit und sei daher nicht zu beanstanden. Soweit der Antisemitismusbeauftragte die Auffassung vertrete, seine Listung als Antisemit sei nicht gerechtfertigt, müsse er sich gegen die Listung gegenüber dem Wiesenthal-Zentrum in Los Angeles im öffentlichen Meinungskampf selbst zur Wehr setzen.
Urteil noch nicht rechtskräftig
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und kann mit der Berufung angefochten werden
(LG Frankfurt a.M., Urteil v. 14.12.2022, 2-03 O 325/22)
Hintergrund:
In seinem jetzigen Urteil setzt das LG Frankfurt seine Rechtsprechung zur Pflicht von Social-Media-Plattformen zur Löschung einer Meme (Wort/Bild-Kombination) fort. In seiner damaligen Entscheidung hatte das LG Facebook verurteilt, Falschzitate betreffend die Grünen-Politikerin Renate Künast auch ohne erneuten Hinweis der Betroffenen bei kerngleichem Inhalt aus eigener Initiative zu löschen (LG Frankfurt, Urteil v. 8.4.2022, 2-03 O 188/21). Mit dieser Rechtsprechung korrespondiert auch eine Entscheidung des OLG Celle, wonach auch die Verlinkung in einer Suchmaschine (Google) zu einem ehrverletzenden Beitrag zu unterlassen ist (OLG Celle, Beschluss v. 19.8.2022, 5 W 25/22; ähnlich EuGH, Urteil v. 13.5.2014, C-131/12).
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