Facebook/Meta muss illegale Inhalte konsequenter löschen

Wegweisende Entscheidung des LG Frankfurt im Künast/Facebook-Prozess: Facebook/Meta muss nicht nur ehrverletzende Falschzitate konsequent löschen, sondern auch inhaltlich kerngleiche Posts und sog. „Memes“.

Die grüne Politikerin Renate Künast hat einen wichtigen Erfolg gegen Meta, ehemals Facebook, errungen. Das LG verurteilte die Internetplattform, rechtswidrige Inhalte konsequenter und nachhaltiger zu sperren bzw. zu löschen. 10.000 Euro Schmerzensgeld gibt es für die Politikerin on top.

Künast-Bild mit Falschzitat gepostet

Gegenstand des vom LG Frankfurt entschiedenen Rechtsstreits war ein auf der Internetplattform Facebook erschienener Post mit einem Foto der Grünen-Politikerin Renate Künast. Das Bild war kombiniert mit einem Text (Bild-Text-Kombination, sog. „Meme“), der ein angebliches Zitat der Politikerin enthielt: „Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen!“. Wie das Gericht festgestellt hat, hat Künast diese Äußerung nie getätigt.

Gleicher Künast-Post in immer neuen Varianten

Nachdem Künast zunächst den Originalpost bei Facebook erfolgreich beanstandet hatte, erschien in der Folge der Post auf Facebook in verschiedenen Varianten. Der Text wurde teilweise erweitert, teilweise gekürzt, Teile des Fotos der Politikerin mit Pixeln versehen, teilweise wurde einfach das Layout verändert. Die Varianten waren immer mit einer neuen URL versehen. Vor dem LG hat die Grünen-Politikerin gegen Meta auf Unterlassung sämtlicher inhaltsgleichen Varianten des Postings geklagt.

Politikerin in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt

Das LG sah die Grünen-Politikerin durch die ins Netz gestellten Falschzitate in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt. Der Plattform-Anbieter habe seine ihm u.a. gemäß § 3 NetzDG auferlegte Pflicht nicht erfüllt, rechtswidrig ins Netz gestellte Beiträge konsequent zu entfernen. Zwar müsse ein Diensteanbieter nicht ohne entsprechenden Hinweis sämtliche ins Netz gestellten Beiträge auf eine eventuelle Rechtsverletzung hin prüfen. Da die Grünen-Politikerin Facebook aber konkret und umfassend auf den Rechtsverstoß des ursprünglichen Postings hingewiesen habe, hatte der Diensteanbieter nach Auffassung der Kammer die Pflicht, auch die weiteren, den gleichen Sachverhalt betreffenden Posts auf ihre Rechtswidrigkeit hin zu überprüfen.

Glaubwürdigkeit ist das Kapital des Politikers

Die Persönlichkeitsverletzung durch die Falschzitate wiegt nach Auffassung der Kammer auch deshalb besonders schwer, weil die persönliche Glaubwürdigkeit das Kapital eines jeden Menschen und besonders einer Politikerin sei. Diese Glaubwürdigkeit würde durch die Zuschreibung von Falschzitaten in hohem Maße in ehrenrühriger Weise beschädigt, Falschzitate verzerrten darüber hinaus den Meinungskampf und schadeten damit auch der Allgemeinheit.

Die Initiativpflicht liegt bei Diensteanbieter

Die Kammer vertrat die Auffassung, für einen Diensteanbieter sei es unschwer erkennbar, dass Varianten von Postings mit auf den ersten Blick erkennbar kerngleichen Inhalten genauso rechtswidrig sind wie der Ursprungspost. In diesen Fällen der offenkundigen Inhaltsgleichheit müsse der Diensteanbieter von sich aus tätig werden und die Inhalte sperren bzw. löschen.

Diensteanbieter müssen inhaltsgleiche Memes aufspüren

Das vom Meta vorgebrachte Argument, die Inhaltsgleichheit von Postings sei für einen Diensteanbieter bei unterschiedlichen URLs keinesfalls ohne weiteres erkennbar, ließ die Kammer nicht gelten. Das deutsche Recht mute es jedem zu einer Unterlassung Verpflichteten zu, selbst festzustellen, ob in Abwandlungen und Varianten das Charakteristische der ursprünglichen Rechtsverletzung erneut zum Ausdruck kommt und die Varianten damit in ihrem Kern gleich seien. Außerdem habe die Beklagte nicht nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen es ihr technisch und wirtschaftlich unzumutbar sein soll, ohne konkrete Bezeichnung der jeweiligen URL identische bzw. inhaltsähnliche Memes zu identifizieren.

Menschliche Moderationsentscheidung ist zumutbar

Im Ergebnis stehen nur dem Plattformbetreiber nach Bewertung der Kammer die erforderlichen technischen Werkzeuge zur Identifizierung rechtswidriger Inhalte zur Verfügung, während es den Geschädigten nicht zumutbar sei, zu jedem unter einer neuen URL veröffentlichten Posting jeweils separat ein Beschwerdeverfahren einzuleiten. Soweit das Aufspüren rechtswidriger Inhalte dem Diensteanbieter nicht allein durch Einsatz entsprechender Techniken möglich sei, so bedürfe es in diesen Fällen einer menschlichen Moderationsentscheidung, die auch einem Internetanbieter zumutbar sei.

Schmerzensgeld für Künast on top

Schließlich verurteilte das Gericht die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an Künast in Höhe von 10.000 Euro. Die Politikerin Künast sei infolge der Falschzitate einer ganzen Reihe von Anfeindungen ausgesetzt gewesen. Die Schwere der hierdurch verursachten, auch psychisch äußerst belastenden Beeinträchtigungen rechtfertige ein Schmerzensgeld in dieser Höhe.

(LG Frankfurt, Urteil v. 8.4.2022, 2-03 O 188/21)

Hintergrund:

Für die Anbieter von Social-Media-Diensten, aber auch für Suchmaschinen wie Google & Co. werden die Zeiten härter. Eine wesentliche Bedeutung der Entscheidung des LG Frankfurt liegt darin, dass der von einer Fake-News Betroffene nicht verpflichtet ist, gegen jede Variante eines Posts bei einer neuen URL separat vorzugehen. Die URL (Uniform Resource Locator) ist die Adressbezeichnung bzw. die Identifikationsbezeichnung einer Webseite, also die Webadresse.

Urteil zu Künast/Facebook entspricht der EuGH-Rechtsprechung

Die Entscheidung des LG steht in Übereinstimmung mit der sog. Glawischnig-Entscheidung des EuGH. Eine Obfrau der Grünen in Österreich hatte Facebook ebenfalls auf Beseitigung mehrerer inhaltsgleicher Postings vor österreichischen Gerichten verklagt. Im Rahmen einer Vorlage des österreichischen Obersten Gerichtshofs hatte der EuGH entschieden, dass es den Gerichten eines Mitgliedstaates nach der EU-Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (2000/31/EG) nicht verwehrt ist, einem Hosting-Anbieter aufzugeben, mehrere rechtswidrige Postings mit sinngleichem Inhalt zu sperren oder zu entfernen (EuGH, Urteil v. 3.10.2019, C-18/18).

Auskunftsansprüche ergänzen den Löschungsanspruch

Erst kürzlich hat das OLG Schleswig-Holstein die Social-Media-Plattform Instagram verpflichtet, einem User über Namen, E-Mail-Adresse und Telefonnummer eines Nutzers Auskunft zu erteilen, wenn durch den Account dieses Nutzers das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers in strafrechtlich relevanter Weise verletzt wird. Ein solcher Auskunftsanspruch besteht gemäß § 21 Abs. 3 TTDSG (Telekommunikation-Telemedien-Datenschutzgesetz), soweit die Auskunft zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche wegen der Verletzung absolut geschützter Rechte aufgrund rechtswidriger Inhalte erforderlich ist (Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss v. 23.3.2022, 9 Wx 23/21).

EuGH-Verfahren zu Prüfungspflichten von Suchmaschinenbetreibern

Am 7.4.2022 hat der Generalanwalt am EuGH nach einer Vorlage des BGH in seinem Schlussantrag plädiert, dass der Suchmaschinenbetreiber Google verpflichtet wird, bei einem Antrag auf Löschung unrichtiger Inhalte aus dem Suchindex initiativ zu werden und die Richtigkeit der Inhalte im Rahmen seiner Möglichkeiten selbst zu überprüfen. Voraussetzung sei allerdings, dass der betroffene Antragsteller einen Anfangsbeweis für die Unrichtigkeit der Inhalte erbringt. Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH sich diesem Votum des Generalanwalts - wie in der Praxis häufig - anschließt (EuGH, Rechtssache C-460/20).

Regulierungspaket der EU soll kurzfristig nationales Recht werden

In diesem Zusammenhang bereitet die Bundesregierung zurzeit das „Gesetz über digitale Märkte“ sowie das „Gesetz über digitale Dienste“ vor. Beide Gesetzesvorhaben beruhen auf dem von der EU-Kommission vorgelegten umfassenden Regulierungspaket. Ein wesentlicher Pfeiler ist der „Digital Services Act“, der einheitliche Regeln zu Sorgfaltspflichten und Haftungsausschlüssen für Onlineplattformen und zu den Voraussetzungen für die Entfernung illegaler Inhalte vorsieht. Der „Digital Markets Act“ stellt einen Verhaltenskodex für große Digitalunternehmen auf und sieht daneben eine Beschränkung der Macht marktbeherrschender Digitalkonzerne vor. Die endgültigen Fassungen sollen kurzfristig innerhalb der EU verabschiedet werden und nach einer kurzen Übergangsfrist unmittelbar geltendes Recht in allen EU-Staaten werden.

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