Entscheidungsstichwort (Thema)

Kenntnis rechtswidrig geposteter Inhalte verpflichtet Plattformbetreiber zur Löschung sinn- und kerngleicher Posts

 

Normenkette

BGB §§ 823, 1004; GG Art. 1-2; EMRK Art. 2, 8

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 08.04.2022; Aktenzeichen 2-03 O 188/21)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 8.4.2022, Az. 2-03 O 188/21, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und die Klage hinsichtlich des Urteilsausspruchs zu Ziffer 2 abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 1/5 und die Beklagte 4/5 zu tragen.

Das Urteil ist für beide Parteien gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags (Kosten) vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf EUR 50.000,- festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über die Pflichten der Beklagten im Umgang mit von Nutzern ihres Dienstes auf der von ihr betriebenen Social-Media Plattform hochgeladenen oder geteilten identischen und ähnlichen Posts mit einem sog. Meme, auf welchem die Klägerin mit Bild und unter Nennung ihres Vor- und Zunamens und einer in Zitatzeichen gesetzten Äußerung gezeigt wird, die sie unstreitig nie getätigt hat.

Das vorprozessuale Anwaltsschreiben der Klägerin vom 1.4.2021 bezog sich auf den sog. Post 1 (Anlage K1/GA 13, in Farbe GA 72), welcher von der Beklagten innerhalb der ihr gesetzten Frist entfernt wurde und nicht mehr Gegenstand der Klage ist, sowie Post 2 (Anlage K2/GA 14, in Farbe GA 73). Die in der Klageschrift genannten URL beziehen sich auf Post 3 (Anlage B2/GA 98) und Post 2. Post 2 wurde von der Beklagten am 5.5.2021 entfernt, Post 3 am 10.6.2021. Ferner nimmt die Klageschrift auf Seite 9f Bezug auf Post 4 (Anlage K7/GA 24, in Farbe GA 76), dessen Löschung die Beklagte am 17.8.2021 veranlasste. Mit ihrer Replik vom 5.1.2022 hat die Klägerin ferner die Posts 5 bis 7 (GA 121f und 126) in den Rechtsstreit eingeführt, welche seit dem 18.1.2022 nicht mehr in Deutschland abrufbar sind.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil (i.V.m. dem Beschluss auf Tatbestandsberichtigung) unter Abweisung der Klage im Übrigen die Beklagte strafbewehrt zur Unterlassung verpflichtet, alle zu dem nachfolgend wiedergegebenen Meme (Wort- Bild-Kombination),

(Von der Darstellung des nachfolgenden Bildes wird abgesehen - die Red.)

das unter Verwendung eines Fotos der Klägerin, des Namens "X" und der Aussage "Integration fängt damit an, dass Sie als Deutscher mal türkisch lernen" den Eindruck vermittelt, die Kläger habe diese Aussage getroffen,

zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Urteils vorhandenen identischen und kerngleichen Inhalte auf der Plattform www.(...).com öffentlich zugänglich machen zu lassen, wie geschehen unter der URL www.(...).com... und wie aus Anlage K1 (Bl. 13 d. A.) ersichtlich. Ferner hat es die Beklagte zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von EUR 10.000,- an die Klägerin verurteilt.

Wegen des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt, mit welcher sie weiterhin Abweisung der Klage verfolgt. Sie rügt die fehlerhafte Bewertung der Zulässigkeit der Klage durch das Landgericht. Dieses habe der Klägerin einen Unterlassungsanspruch zuerkannt, obwohl deren Rechtsschutzbegehren tatsächlich auf Vornahme von Handlungen, nämlich der einmaligen Entfernung zu einem bestimmten Zeitpunkt bereits existierender Beitrage von der Plattform der Beklagten gerichtet sei. Ferner habe das Landgericht mit dem Urteilstenor zu 1. durch eigenmächtige Streichungen an dem Klageantrag zu Ziffer 1.III. ein Aliud zuerkannt und damit gegen die Vorgabe des § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO verstoßen. Des Weiteren fehle es dem Tenor an der Bestimmtheit. Unklar sei, was unter "einem Foto der Klägerin" zu verstehen sei. Die notwendigen technischen Parameter in Bezug auf die von der Klägerin aufgezeigte Definition "identischer Inhalte" lasse sich der Anlage K1, auf welche das Urteil auf Seite 14 abstelle, nicht entnehmen. Soweit das Landgericht den Streit, was unter Kerngleichheit zu verstehen sei, in das Vollstreckungsverfahren verlagere, lasse es vollkommen die Interessen unbeteiligter Nutzer der Plattform der Beklagten außer Blick, welche bei einer Entfernung von zu vielen Inhalten (sog. Overblocking) tangiert seien. Schließlich verkenne das Landgericht, dass der Klageantrag zu Ziffer 1.III. auf eine künftige Leistung ziele, ohne dass die Voraussetzungen des § 259 ZPO erfüllt seien.

Zu Unrecht habe das Landgericht der Klägerin einen (beschränkten) Unterlassungsanspruch zuerkannt. Das Landgericht habe bereits die anwendbaren Prüfungsmaßstäbe für die Rechtsanwendung grundlegend verkannt. Die Überlegungen, die den Bundesgerichtshof im Bereich der Bildberichterstattung zur Ablehnung der Anwendung ...

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