Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Hostproviders für rechtsverletztende Inhalte setzt konkrete Verdachtsmeldung voraus
Leitsatz (amtlich)
Ein Plattformbetreiber haftet für rechtsverletzende Inhalte (hier: Beanstandungen eines Antisemitismusbeauftragten) von Nutzern der Plattform nur, wenn die Beanstandungen eines Betroffenen - die richtig oder falsch sein können - so konkret gefasst sind, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptung des Betroffenen unschwer bejaht werden kann.
Normenkette
BGB §§ 823, 1004
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 14.12.2022; Aktenzeichen 2-03 O 325/22) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14.12.2022, Az. 2-03 O 325/22 abgeändert. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
Der Verfügungskläger hat die Kosten des Eilverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird in Abänderung der Festsetzung durch das Landgericht vom 14.12.2022 für das erstinstanzliche und auch für das zweitinstanzliche Verfahren auf EUR 30.000,- festgesetzt.
Gründe
I. Der Verfügungskläger (nachfolgend Kläger) ist Beauftragter der baden-württembergischen Landesregierung gegen Antisemitismus und ein registrierter Nutzer der von der Verfügungsbeklagten (nachfolgend Beklagten) betriebenen Kommunikationsplattform "(...)", auf welcher er den beruflichen Account "@(...)" nutzt.
Mit vorprozessualem Anwaltsschreiben vom 27.9.2022 (Anlage ASt 2/GA 53 ff) meldete der Kläger gegenüber der Beklagten eine Vielzahl von Beiträgen mit aus seiner Sicht rechtsverletzenden Inhalten, darunter die streitgegenständlichen Beiträge 1 bis 6, welche der Nutzer A, ein jüdischer Journalist, in der Zeit vom XX.XX. bis XX.XX.2020 über seinen Account @(...) verbreitet hatte, und forderte sie zur Entfernung und Unterlassung deren künftigen Verbreitung auf. Daraufhin entfernte die Beklagte drei der beanstandeten Beiträge. Die restlichen Meldungen wies sie zurück (vgl. Anlage ASt 3/GA 78 ff); ebenso wenig gab sie die geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. Am 28.9.2022 sperrte sie den Account @(...), hob diese Sperre am 3.10.2022 aber wieder auf. Mit der Freischaltung waren die nicht gelöschten Beiträge wieder abrufbar. Am 6.10.2022 sperrte die Beklagte diesen Account erneut. Der Drittnutzer A nahm einen beim Landgericht Stadt1 gestellten Antrag auf einstweilige Verfügung zur Wiederherstellung dieses Accounts am 21.11.2002 zurück.
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil unter Zurückweisung des Antrags des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 14.10.2022 im Übrigen die Beklagte strafbewehrt zur Unterlassung verpflichtet,
über die Internetplattform www.(...).com folgende Äußerungen von A in Bezug auf den Antragsteller zu verbreiten:
1. "Hat der antisemitische Bürokrat C @(...) eine Nähe zur Pädophilie, weil C Kontakt mit einer 'möglicherweise minderjährigen Asiatin' aufgenommen hat?",
wenn dies geschieht wie in dem Beitrag 6 des Nutzers @A vom XX.XX.2022 um 18:36 Uhr ersichtlich:
(Von der Darstellung der nachfolgenden Abbildung wird abgesehen - die Red.)
2. "C @(...) war auf der Suche nach 'einer minderjährigen Asiatin'",
"Duldet @(...) Cs sexuelles Fehlverhalten? Duldet Cs Frau D (...) sein sexuelles Fehlverhalten?.",
wenn dies geschieht wie in dem Beitrag 4 von @A vom XX.XX.2022 um 21:34 Uhr ersichtlich:
(Von der Darstellung der nachfolgenden Abbildung wird abgesehen - die Red.)
3. "Kollegen von Cs Frau D sagen, dass C @(...) einen Seitensprung gemacht hat. Seitensprung war mit E",
wenn dies geschieht wie in dem Beitrag 3 von @A vom XX.XX.2022 um 21:34 ersichtlich:
(Von der Darstellung der nachfolgenden Abbildung wird abgesehen - die Red.)
4. "Ich bekomme auch die 'persönlichen Daten' von dem Pack der Antisemiten um @(...) C",
"Ich kann die Namen der Antisemiten wie @(...) in meinem Artikel über Antisemitismus nennen",
wenn dies geschieht wie in dem Beitrag 1 von @A vom XX.XX.2022 um 19:24 Uhr ersichtlich:
(Von der Darstellung der nachfolgenden Abbildung wird abgesehen - die Red.)
5. "Das ist gut für mich und für dich als Antisemit und für das Pack von Antisemiten um @(...)",
wenn dies geschieht wie in dem Beitrag 2 von @A vom XX.XX.2022 um 19:30 Uhr ersichtlich:
(Von der Darstellung der nachfolgenden Abbildung wird abgesehen - die Red.)
sowie über die Internetplattform www.(...).com zu Ziffer I.1. bis 5. kerngleich und innerhalb eines Zeitraums von weniger als 24 Stunden mehr als 10fach durch einen einzelnen Nutzer wiederholte Äußerungen zu verbreiten.
Wegen des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen. Der Sachverhalt ist dahin zu ergänzen, dass den Beiträgen 1 und 2 der Beitrag des Drittnutzers "@(...)" vorausgegangen war, welcher wiederum eine Antwort war auf einen Beitrag von Rechtsanwalt F, und die sich beide zu der Be...