Leitsatz (amtlich)
Zur Zulässigkeit einer "Saldoklage", mit der Mietrückstände aus einem mehrere Jahre umfassenden Zeitraum geltend gemacht werden.
Normenkette
ZPO § 253
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 23.02.2012; Aktenzeichen 2-11 S 248/11) |
AG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 18.08.2011; Aktenzeichen 33 C 3948/10) |
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil der 11. Zivilkammer des LG Frankfurt/M. vom 23.2.2012 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als bezüglich der Nutzungsentschädigung (17.948,28 EUR nebst Zinsen) und der Widerklage zum Nachteil der Kläger erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision und der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Zwischen den Parteien bestand ab dem Jahr 1999 bis Ende 2003 ein befristeter Mietvertrag über eine Wohnung der Kläger in F. . Die Beklagten bewohnten die Wohnung nach Beendigung des Mietverhältnisses bis zur Rückgabe am 31.3.2010 weiter. Bis November 2009 zahlten sie als Grundmiete weiterhin den ursprünglich vereinbarten Betrag von 1.431 EUR monatlich, ferner im Dezember 2009 Beträge i.H.v. 2.170,46 EUR und 2.306,56 EUR sowie im März 2010 i.H.v. 2.306,56 EUR.
Rz. 2
Die Kläger begehren, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, für den Zeitraum Januar 2007 bis März 2010 Nutzungsentschädigung i.H.v. 17.948,48 EUR nebst Zinsen. Sie machen unter Berufung auf ein von ihnen vorgelegtes Privatgutachten geltend, dass die ortsübliche Vergleichsmiete für die Wohnung seit Beendigung des Mietverhältnisses 1.918 EUR monatlich betrage und die Beklagten nach § 546a Abs. 2 ZPO zum Schadensersatz verpflichtet seien, soweit die von ihnen gezahlte Miete dahinter zurückbleibe. Die Beklagten verlangen widerklagend Auszahlung der Guthaben aus den von den Klägern erteilten Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2007 bis 2009, insgesamt 7.060,09 EUR nebst Zinsen. Gegen diese Forderung haben die Kläger mit der von ihnen für die Jahre 2005 und 2006 beanspruchten (restlichen) Nutzungsentschädigung aufgerechnet.
Rz. 3
Das AG hat die Klage als unzulässig abgewiesen und die Kläger auf die Widerklage zur Zahlung von 7.060,09 EUR nebst Zinsen verurteilt. Das LG hat die hiergegen gerichtete Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgen die Kläger die auf Zahlung von 17.948,48 EUR nebst Zinsen gerichtete Klage und den Antrag auf Abweisung der Widerklage weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die Revision hat Erfolg.
Rz. 5
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 6
Die auf Nutzungsentschädigung gerichtete Klage sei unzulässig, weil sie den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit der erhobenen Forderungen nicht genüge. Es reiche nicht aus, dass die Kläger den Rückstand aus dem Jahr 2007 mit 5.340,49 EUR, für 2008 mit 5.836,80 EUR, für 2009 mit 4.207,74 EUR und für 2010 mit 2.553,34 EUR angegeben hätten. Vielmehr sei die Verteilung der Beträge auf die einzelnen Monate mitzuteilen; ohne diese Informationen sei die Klage nicht hinreichend bestimmt oder zumindest bestimmbar. Selbst wenn man annehmen wolle, dass die Kläger die Differenz zwischen der behaupteten ortsüblichen Vergleichsmiete von 1.918 EUR monatlich und den tatsächlichen Zahlungen verlangen wollten, ergebe sich nur für das Jahr 2008 der tatsächlich verlangte Betrag von 5.836,80 EUR als Differenz. Hinzu komme noch, dass der im Vorprozess vom Gericht beauftragte Sachverständige die ortsübliche Vergleichsmiete mit lediglich 1.567,70 EUR monatlich angegeben habe. Das neue Vorbringen der Kläger zur Berechnung und Aufschlüsselung der begehrten Nutzungsentschädigung könne gem. § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht berücksichtigt werden, weil davon auszugehen sei, dass das AG in der mündlichen Verhandlung auf die Ergänzungsbedürftigkeit des Vorbringens hingewiesen habe und die Ergänzung des Sachvortrags aus Nachlässigkeit unterblieben sei.
Rz. 7
Die Widerklage sei in vollem Umfang begründet. Die von den Beklagten insoweit erhobenen Forderungen auf Auszahlung der Guthaben aus den Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2007 bis 2009 seien nicht durch die von den Klägern erklärte Aufrechnung erloschen. Die Aufrechnung sei unzulässig und damit wirkungslos, weil die zur Aufrechnung gestellten Forderungen mangels Angabe der auf jeden Monat entfallenden Einzelbeträge nicht hinreichend bestimmt seien.
II.
Rz. 8
Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die auf Zahlung restlicher Nutzungsentschädigung gerichtete Klage ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts zulässig. Anders als das Berufungsgericht meint, ist auch die von den Klägern gegenüber der Widerklageforderung erklärte Aufrechnung nicht wegen Unbestimmtheit der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderungen unwirksam.
Rz. 9
1. Bezüglich der Entscheidung des Berufungsgerichts zur Klage beanstandet die Revision jedenfalls im Ergebnis zu Recht, dass das Berufungsgericht den in der Berufungsinstanz gehaltenen Vortrag der Kläger zur Aufgliederung der Klageforderung gem. § 531 ZPO zurückgewiesen hat. Dabei ist es unerheblich, ob die Kläger in der ersten Instanz auf die erforderliche Aufschlüsselung ihrer Forderung hingewiesen worden sind und ob eine lediglich in den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils erfolgte Dokumentation des Hinweises ausreicht (vgl. dazu BGH, Urt. v. 22.9.2005 - VII ZR 34/04, BGHZ 164, 166, 172 f.). Denn eine im Hinblick auf § 253 Abs. 2 ZPO vorgenommene nähere Aufgliederung der Klageforderung ist nach der Rechtsprechung des BGH kein neues Angriffs- und Verteidigungsmittel, sondern gehört zum Angriff selbst (BGH, Urt. v. 14.1.1993 - VII ZR 118/91, NJW 1993, 1393 unter II 1; sowie v. 21.11.1996 - VII ZR 187/95, NJW 1997, 870 unter II 1, 2, jeweils zu § 528 ZPO a.F.) und bedarf daher nicht der Zulassung nach § 531 ZPO.
Rz. 10
2. Dem Berufungsgericht kann aber auch schon insoweit nicht gefolgt werden, als es angenommen hat, die Klage genüge mangels Aufschlüsselung des für jeden einzelnen Monat geltend gemachten Rückstands nicht den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 2 ZPO und sei deshalb unzulässig.
Rz. 11
a) Allerdings wird in der Rechtsprechung der Instanzgerichte und in der mietrechtlichen Literatur die Auffassung vertreten, dass eine Klage, mit der für einen bestimmten Zeitraum (restliche) Mietrückstände eingeklagt werden, nur zulässig sei, wenn der für jeden einzelnen Monat begehrte Rückstand beziffert werde; eine sog. Saldoklage werde dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 ZPO nicht gerecht und sei deshalb unzulässig (OLG Brandenburg GE 2006, 1169 und GE 2007, 444; LG Berlin, GE 2009, 717; AG Köln WuM 2008, 676, 677; Sternel, Mietrecht Aktuell, 4. Aufl., Rz. XIV 49; Kinne in Kinne/Schach/Bieber, Miet- und Mietprozessrecht, 6. Aufl., II Rz. 122; vgl. auch Bub/Treier/Fischer, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., VIII Rz. 25; a.A. wohl OLG Düsseldorf, ZMR 2005, 943, das nur die Schlüssigkeit einer "Saldoklage" erörtert). Diese Auffassung teilt der Senat nicht.
Rz. 12
b) Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs enthalten. Damit wird der Streitgegenstand abgegrenzt und zugleich die Grundlage für eine etwa erforderlich werdende Zwangsvollstreckung geschaffen. Daran gemessen ist ein Klageantrag grundsätzlich hinreichend bestimmt, wenn er den erhobenen Anspruch konkret bezeichnet, dadurch den Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) absteckt, Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung (§ 322 ZPO) erkennen lässt, das Risiko eines Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abwälzt und schließlich eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren erwarten lässt (BGH, Urt. v. 14.12.1998 - II ZR 330/97, NJW 1999, 954 unter I 2a m.w.N.).
Rz. 13
Werden in einer Klage mehrere Ansprüche erhoben, sind deshalb grundsätzlich die für jeden Anspruch geforderten Teilbeträge anzugeben; insb. ist bei einer Teilleistungsklage, mit der mehrere selbständige Ansprüche geltend gemacht werden, genau anzugeben, wie sich der eingeklagte Betrag auf die einzelnen Ansprüche verteilen soll und in welcher Reihenfolge diese Ansprüche zur Entscheidung des Gerichts gestellt werden sollen (BGH, Urt. v. 22.5.1984 - VI ZR 228/82, NJW 1984, 2346 unter II 1a aa; v. 27.11.1996 - VIII ZR 311/95, NJW-RR 1997, 441 unter II 1a; v. 17.7.2008 - IX ZR 96/06, NJW 2008, 3142 Rz. 7).
Rz. 14
c) Den so beschriebenen Anforderungen sind die Kläger indes - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - gerecht geworden. Denn sie haben ihre Forderung damit begründet, dass ihnen für den gesamten streitigen Zeitraum eine monatliche Nutzungsentschädigung in Höhe der von ihnen auf 1.918 EUR bezifferten ortsüblichen Vergleichsmiete zugestanden habe und die Beklagten von dem sich daraus ergebenden Gesamtbetrag einen Betrag in Höhe der Klageforderung (17.948,28 EUR) schuldig geblieben seien. Sie haben damit keine Teilforderung geltend gemacht, sondern die gesamte von ihnen noch beanspruchte Nutzungsentschädigung für den streitigen Zeitraum eingeklagt. Dieser einheitliche (Gesamt-)Anspruch ist hinreichend bestimmt. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind diese Angaben nicht deshalb ungenügend, weil die Kläger nicht für jeden einzelnen Monat aufgeschlüsselt haben, welcher Betrag unter Berücksichtigung der von den Beklagten geleisteten Zahlungen jeweils noch als restliche Nutzungsentschädigung begehrt wird. Diese Angaben sind nicht erforderlich, weil sie weder für den Entscheidungsumfang des Gerichts (§ 308 ZPO) noch zur Ermittlung der Rechtskraft einer späteren gerichtlichen Entscheidung oder eine Zwangsvollstreckung von Bedeutung sind.
Rz. 15
Denn für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es allein darauf an, ob den Klägern, wie von ihnen geltend gemacht, für den streitigen Zeitraum als Nutzungsentschädigung ein Betrag i.H.v. 1.918 EUR monatlich zusteht und inwieweit die von den Beklagten erbrachten Zahlungen dahinter zurückbleiben. Das Interesse der Beklagten, nicht durch vermeidbare Ungenauigkeiten mit dem Risiko des Unterliegens belastet zu werden, sind schon deshalb nicht betroffen, weil es für den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits ohne Bedeutung ist, wie die erbrachten Zahlungen auf einzelne Zeitabschnitte innerhalb des streitigen Zeitraums zu verteilen sind.
Rz. 16
d) Anders als das Berufungsgericht offenbar meint, ist es für die Zulässigkeit der Klage ohne Bedeutung, ob sich bei Zugrundelegung der von den Klägern beanspruchten ortsüblichen Vergleichsmiete von monatlich 1.918 EUR nach Abzug der - unstreitigen - Zahlungen der Beklagten ein geringerer als der von den Klägern geforderte Gesamtbetrag ergibt, denn dies ist eine Frage der Begründetheit der Klage. Das gleiche gilt für die unterschiedlichen Angaben der Parteien zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete als Grundlage der Berechnung der von den Klägern begehrten Nutzungsentschädigung.
Rz. 17
3. Auch die Annahme des Berufungsgerichts, dass die von den Klägern gegenüber der Widerklageforderung erklärte Aufrechnung mangels Aufschlüsselung der begehrten restlichen Nutzungsentschädigung für die Jahre 2004 und 2005 auf die einzelnen Monate unwirksam sei, ist von Rechtsfehlern beeinflusst. Denn die Kläger haben vorgetragen, dass die Beklagten für diesen Zeitraum eine monatliche Nutzungsentschädigung i.H.v. 1.918 EUR schuldeten und hierauf im Jahr 2004 und 2005 jeweils Beträge i.H.v. 5.836,80 EUR schuldig geblieben seien. Der so ermittelte Saldo genügt zur Individualisierung der zur Aufrechnung gestellten Forderungen. Dass diese die Hauptforderung übersteigen, ist unschädlich; soweit die Kläger eine Erklärung, in welcher Reihenfolge die Aufrechnung erfolgen sollte, nicht abgegeben haben, ergibt sich die Tilgungsreihenfolge aus § 396 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. § 366 Abs. 2 BGB (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 19.11.2008 - XII ZR 123/07, BGHZ 179, 1 Rz. 15).
III.
Rz. 18
Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben, soweit hinsichtlich der Nutzungsentschädigung und der Widerklage zum Nachteil der Kläger entschieden worden ist; es ist daher insoweit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif, weil das Berufungsgericht - vor dem Hintergrund der von ihm vertretenen Auffassung folgerichtig - keine Feststellungen zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete bzw. der Nutzungsentschädigung für die Wohnung der Beklagten im streitigen Zeitraum getroffen hat. Der Rechtsstreit ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Fundstellen