Normenkette
BGB §§ 195, 199, 826, 852; ZPO §§ 561-562
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Entscheidung vom 26.10.2021; Aktenzeichen 12 U 274/20) |
LG Ulm (Entscheidung vom 16.07.2020; Aktenzeichen 4 O 176/20) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten zu 2 wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 26. Oktober 2021, soweit es zum Nachteil der Beklagten zu 2 ergangen ist, im Kostenpunkt und unter I. und II. der Entscheidungsformel aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten zu 2 wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Ulm vom 16. Juli 2020, soweit es zum Nachteil der Beklagten zu 2 ergangen ist, abgeändert und unter 1. bis 4. der Entscheidungsformel dahin neu gefasst, dass die Klage gegen die Beklagte zu 2 abgewiesen wird.
Der Kläger trägt für sämtliche Instanzen die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger macht nach dem Kauf eines vom sogenannten Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs Schadensersatzansprüche geltend.
Rz. 2
Er erwarb 2012 von einem Autohaus einen gebrauchten Audi A4 Avant 2.0 TDI für 20.350 €. Das von der (früheren) Beklagten zu 1, die nach der insoweit in zweiter Instanz erklärten Klagerücknahme nicht mehr am Rechtsstreit beteiligt ist, hergestellte Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten zu 2 entwickelten und hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet. Die Motorsteuerungssoftware erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchlief. In diesem Fall bewirkte sie eine im Vergleich zum Normalbetrieb erhöhte Abgasrückführungsrate, wodurch die Grenzwerte für Stickoxidemissionen der Abgasnorm Euro 5 auf dem Prüfstand eingehalten werden konnten. Im Oktober 2015 verpflichtete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) die Beklagte zu 2, bei allen betroffenen Fahrzeugen unzulässige Abschalteinrichtungen zu entfernen. Im Jahr 2017 forderte das KBA den Kläger auf, ein Software-Update auf seinem Fahrzeug aufspielen zu lassen.
Rz. 3
Mit der im Jahr 2020 erhobenen Klage hat der Kläger Ersatz des Kaufpreises unter Abzug einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten verlangt. Das Landgericht hat der Klage weitgehend stattgegeben. Die auf vollumfängliche Klageabweisung gerichtete Berufung der Beklagten zu 2 hat nur teilweise Erfolg gehabt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte zu 2 ihren Berufungsantrag weiter, soweit das Berufungsgericht zu ihrem Nachteil entschieden hat.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die Revision hat Erfolg.
A.
Rz. 5
Die Revision ist uneingeschränkt statthaft. Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Beschränkung der Revisionszulassung auf die Frage, ob es - mit Relevanz für den Beginn der Verjährung - als grob fahrlässig anzusehen sei, wenn Nachforschungen dazu unterlassen würden, ob in einem Fahrzeug die in der Ad-hoc Mitteilung vom 22. September 2015 beschriebene beanstandete Steuerungssoftware verwendet werde, ist unwirksam und damit wirkungslos (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20, NJW 2022, 321 Rn. 17; Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 365/21, NJW 2022, 1311 Rn. 10; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 16 f., zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
B.
Rz. 6
Die Revision ist auch in der Sache begründet.
I.
Rz. 7
Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - ausgeführt, dem Kläger stehe ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zu. Der Anspruch sei nicht verjährt. Verjährungsbeginn sei der Schluss des Jahres 2017. Es stelle kein grob fahrlässiges Verhalten dar, wenn der Erwerber eines Fahrzeugs, in das ein von der Beklagten zu 2 entwickelter und hergestellter Motor eingebaut sei, in den Jahren 2015 und 2016 - ohne informiert worden zu sein - keine eigenen Nachforschungen unternommen habe, um die Betroffenheit seines Fahrzeugs vom sogenannten Dieselskandal zu überprüfen. Die Beklagte zu 2 habe in der Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 ausdrücklich darauf hingewiesen, sie arbeite mit Hochdruck daran, die Abweichungen zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb mit technischen Maßnahmen zu beseitigen, und stehe deswegen in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem KBA. Angesichts dieser Ankündigung habe ein Erwerber darauf vertrauen dürfen, dass sich die Beklagte zu 2 im Falle der Betroffenheit des Fahrzeugs bei ihm melde und die angekündigten technischen Maßnahmen durchführe. Damit sei es in dieser Situation nicht grob fahrlässig, keine weiteren Nachforschungen zur Frage der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs angestellt zu haben. Dass der Kläger bereits 2015 positive Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs gehabt habe, sei nicht bewiesen. Der als Partei vernommene Kläger habe ausgeführt, vor der Aufforderung durch das KBA im Jahr 2017 habe er der Presse entnommen, dass es "um die Volkswagen AG" gehe. Er habe sodann detailliert und glaubhaft erklärt, wie er reagiert "und sein Fahrzeug erfolglos auf ‚Anzeichen‘ (Hinweise) bezüglich des Einbaus eines VW-Motors untersucht habe".
II.
Rz. 8
Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Der Anspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB, dessen Voraussetzungen das Berufungsgericht ansonsten zutreffend bejaht hat, ist entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts verjährt.
Rz. 9
1. Die Verjährung des Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre. Sie beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
Rz. 10
2. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB seien für den im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB im Jahr 2012 entstandenen Anspruch nicht schon im Jahr 2016, sondern erst im Jahr 2017 erfüllt gewesen, ist von Rechtsfehlern beeinflusst.
Rz. 11
a) Dass der Kläger aufgrund der Medienberichterstattung schon vor dem Jahr 2017 allgemeine Kenntnis vom sogenannten, die Volkswagen AG betreffenden Dieselskandal hatte, hat das Berufungsgericht festgestellt und wird von der Revisionserwiderung nicht in Abrede gestellt. Dies genügt, soweit die allgemeine Kenntnis des Klägers vom sogenannten Dieselskandal in Rede steht, auch mit Blick auf die (frühere) Beklagte zu 1.
Rz. 12
b) Unzutreffend ist aber die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe nicht vor dem Jahr 2017 ohne grobe Fahrlässigkeit von der Betroffenheit seines eigenen Fahrzeugs Kenntnis erlangen müssen.
Rz. 13
Zwar unterliegt die tatrichterliche Beurteilung, ob einer Partei der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zu machen ist, der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur dahin, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze gewürdigt worden ist und ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 2013 - XI ZR 498/11, BGHZ 196, 233 Rn. 32; Urteil vom 29. Juli 2021 - VI ZR 1118/20, BGHZ 231, 1 Rn. 13; Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 679/21, juris Rn. 25). Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs ist die Würdigung des Berufungsgerichts indessen rechtsfehlerhaft.
Rz. 14
Denn das Berufungsgericht hat bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Acht gelassen, die allein den Schluss zulassen, dem Kläger sei bereits im Jahr 2016 der Vorwurf der grob fahrlässigen Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zu machen. Das Landgericht hat, ohne dass das Berufungsgericht insoweit abweichende Feststellungen getroffen hätte, festgestellt, ab dem Jahr 2015 habe für den Kläger die Möglichkeit bestanden, die Betroffenheit seines Fahrzeugs vom sogenannten Dieselskandal auf einer von den Beklagten eingerichteten Internetplattform zu überprüfen. Das Berufungsgericht hat eine Unterrichtung der Öffentlichkeit durch die Beklagte zu 2 mittels Ad-hoc-Mitteilung vom 22. September 2015 festgestellt, die sich, was der Senat trotz des Fehlens einer wörtlichen Wiedergabe des Wortlauts der Ad-hoc-Mitteilung in den Gründen des Berufungsurteils nach § 559 ZPO berücksichtigen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2021 - VI ZR 486/20, juris Rn. 9 f.), auf den VW-Konzern einschließlich der Fahrzeuge von Tochtergesellschaften wie der (früheren) Beklagten zu 1 bezog (dazu auch BGH, Urteil vom 17. Februar 2022 - III ZR 276/20, juris Rn. 20). Aufgrund dieser Umstände hatte der Kläger nach den Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof nach Erlass des Berufungsurteils herausgearbeitet und näher dargelegt hat (s. nur BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 679/21, juris Rn. 21 ff.; Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 692/21, juris Rn. 22 ff.; Urteil vom 21. Februar 2022 - VIa ZR 8/21, WM 2022, 731 Rn. 34 ff.), jedenfalls bis Ende des Jahres 2016 Veranlassung, die Betroffenheit seines eigenen Fahrzeugs zu ermitteln. Dass der Kläger in den Jahren 2015 und 2016 kein Anschreiben des KBA erhielt, begründete kein berechtigtes Vertrauen darauf, sein Fahrzeug sei nicht betroffen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 679/21, juris Rn. 32). Ebenso wenig kann der Kläger damit gehört werden, er habe von der Berichterstattung durch die Beklagte zu 2 nicht auf die Betroffenheit auch von Fahrzeugen der (früheren) Beklagten zu 1 schließen müssen.
Rz. 15
c) Dem Kläger, der Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal im Allgemeinen hatte und dem hinsichtlich der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs ab dem Jahr 2016 grob fahrlässige Unkenntnis anzulasten ist, war es im Jahr 2016 auch zumutbar, Klage zu erheben und seinen Anspruch gegen die Beklagte zu 2 aus §§ 826, 31 BGB gerichtlich geltend zu machen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 679/21, juris Rn. 36 mwN).
III.
Rz. 16
Das Berufungsurteil, mit dem das Berufungsgericht der Beklagten zu 2 das Berufen auf die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB gegen die Inanspruchnahme aus §§ 826, 31 BGB rechtsfehlerhaft versagt hat, unterliegt danach der Aufhebung (§ 562 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Anspruch aus §§ 826, 31 BGB war bei Erhebung der Klage im Jahr 2020 verjährt. Andere, nicht verjährte Ansprüche bestehen nicht. Ein Anspruch nach §§ 826, 852 Satz 1 BGB scheidet mangels Vermögensmehrung der Beklagten zu 2 aus. Sie hat allenfalls einen wirtschaftlichen Vorteil aus der Herstellung und Veräußerung des Motors erlangt. Durch das spätere Inverkehrbringen des nicht von ihr entwickelten und hergestellten Fahrzeugs, in das der Motor eingebaut wurde, hat sie dagegen nichts erlangt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 679/21, juris Rn. 43 mwN). Die Sache ist daher im Sinne der Abweisung der Klage gegen die Beklagte zu 2 zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
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Wille |
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Fundstellen