Leitsatz (amtlich)
Einem Fahrzeughersteller, der für die Konstruktion des von ihm hergestellten Fahrzeugs Motoren fremder Hersteller verwendet, obliegen auch insoweit die Sorgfaltspflichten eines Herstellers (Anschluss an BGH, Urteil vom 5. Juli 1960 - VI ZR 130/59, VersR 1960, 855, 856; Urteil vom 3. Juni 1975 - VI ZR 192/73, NJW 1975, 1827, 1828; Urteil vom 14. Juni 1977 - VI ZR 247/75, VersR 1977, 839).
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 2. Juli 2021 im Kostenpunkt und mit Ausnahme der Entscheidung zu den bis einschließlich dem 6. Januar 2020 begehrten Zinsen insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht auf die Berufung der Beklagten das Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 3. Juni 2020 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 17. Juli 2020 abgeändert, die Klage insgesamt abgewiesen und die Berufung des Klägers wegen weiterer 2.181,16 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 7. Januar 2020 zurückgewiesen hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Der Kläger kaufte am 30. November 2016 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten VW Touareg V6 TDI. Den in dem Fahrzeug implementierten Dieselmotor hatte die Audi AG entwickelt und produziert. Die Beklagte hatte die EG-Typgenehmigung (Schadstoffklasse Euro 6) erwirkt und die EG-Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt. Der Motor ist mit einer Software zur Manipulation der Abgaswerte auf dem Prüfstand ausgestattet. Weiter verfügt die Motorsteuerungssoftware des Fahrzeugs über ein Thermofenster.
Rz. 3
Der Kläger verlangt, gestützt auf die Prüfstands-Software und das Thermofenster, von der Beklagten, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den das Fahrzeug betreffenden Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat der Klage unter dem Gesichtspunkt einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung zum großen Teil - unter Klageabweisung im Übrigen - stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 40.571,97 € (Kaufpreis abzüglich einer unter Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km berechneten Nutzungsentschädigung) nebst Prozesszinsen seit dem 6. Januar 2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen.
Rz. 4
Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er Zahlung von weiteren 2.181,16 € zuzüglich Verzugszinsen seit dem 1. Mai 2018 ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt verlangt hat, hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
Die Revision hat zum überwiegenden Teil Erfolg.
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Rz. 7
Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Zwar sei der im Fahrzeug verbaute Motor mit einer Motorsoftware ausgestattet, die im Prüfstand dafür sorge, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Stickoxidwerte eingehalten würden, während die Wirkung des Emissionskontrollsystems im realen Fahrbetrieb in unzulässigem Umfang verringert werde. Eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB scheide aber aus, weil der Kläger nicht hinreichend substantiiert dargelegt habe, dass die im Sinne von § 31 BGB für die Beklagte verantwortlich Handelnden die manipulative Überlistung der EG-Typgenehmigungsbehörde durch die eingesetzte Motorsoftware gekannt und gebilligt hätten. Die Beklagte sei in die Entwicklung der Motorsteuerungssoftware und des Motors selbst nicht eingebunden gewesen. Es sei ohne weiteres denkbar, dass ihr seitens der Audi AG der Motor ohne Aufklärung über den Einsatz der Motorsteuerungssoftware und ihre Funktionsweise überlassen worden sei.
Rz. 8
Einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV hat das Berufungsgericht nicht geprüft.
II.
Rz. 9
Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
Rz. 10
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
Rz. 11
2. Das Berufungsgericht hat es jedoch rechtsfehlerhaft unterlassen, auf mögliche Ansprüche des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen eines fahrlässigen Verhaltens der Beklagten einzugehen. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ). Danach kann dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.). Dagegen hat das Berufungsgericht weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
Rz. 12
Das Urteil ist jedoch insoweit aus anderen Gründen richtig, § 561 ZPO, als das Berufungsgericht auf die Berufung der Beklagten Zinsen für den 6. Januar 2020 versagt und auf die Berufung des Klägers Zinsen bis einschließlich dem 6. Januar 2020 nicht gewährt hat. Der Kläger hat die Beklagte mit seiner Mahnung vom 23. April 2018 nicht in Verzug gesetzt, weil er von der Beklagten Zahlung des gesamten Kaufpreises ohne Berücksichtigung von Nutzugsvorteilen gefordert und damit einen weit übersetzten Leistungsumfang geltend gemacht hat und die Beklagte aufgrund dieses Schreibens den wirklich geschuldeten Leistungsumfang nicht zuverlässig ermitteln konnte (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 1990 - XI ZR 217/89, NJW 1991, 1286, 1288; Urteil vom 9. Februar 1993 - XI ZR 88/92, ZIP 1993, 421, 423 f.; Urteil vom 12. Juli 2006 - X ZR 157/05, NJW 2006, 3271, 3272). Prozesszinsen schuldet die Beklagte aus § 291 BGB aufgrund der Zustellung der Klage am 6. Januar 2020 erst ab dem 7. Januar 2020 (BGH, Urteil vom 26. September 2022 - VIa ZR 124/22, WM 2022, 2398 Rn. 31 mwN).
IV.
Rz. 13
Im Übrigen ist das Berufungsurteil in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Das Berufungsgericht hat keine tragfähigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage eine deliktische Haftung der Beklagten wegen einer jedenfalls fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint werden könnte. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Rz. 14
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben. Dabei wird es zu beachten haben, dass dem Fahrzeughersteller, der für die Konstruktion des von ihm hergestellten Fahrzeugs Motoren fremder Hersteller verwendet, auch insoweit die Sorgfaltspflichten eines Herstellers obliegen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1960 - VI ZR 130/59, VersR 1960, 855, 856; Urteil vom 3. Juni 1975 - VI ZR 192/73, NJW 1975, 1827, 1828; Urteil vom 14. Juni 1977 - VI ZR 247/75, VersR 1977, 839).
Menges |
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Möhring |
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Krüger |
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Wille |
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Liepin |
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Fundstellen
Haufe-Index 16031250 |
BB 2023, 2690 |
NJW 2023, 8 |
NJW-RR 2024, 293 |
WM 2023, 2190 |
JZ 2023, 711 |
VRS 2024, 122 |
VRR 2024, 2 |