Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung von Grundstücken aus der Bodenreform an landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften. Entsprechende Anwendung von Art. 233 § 11 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB
Leitsatz (amtlich)
Art. 233 § 11 Abs. 2 EGBGB regelt den Fall der Übertragung von Grundstücken aus der Bodenreform auf landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften nicht. Die Lücke der gesetzlichen Regelung ist durch eine entsprechende Anwendung von Art. 233 § 11 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB zu schließen.
Normenkette
EGBGB 1986 Art. 233 § 11 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 30. April 2002 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten um Grundstücke aus der Bodenreform.
Die Beklagte ist aus zwei landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften hervorgegangen, die bei Ablauf des 15. März 1990 als Eigentümerinnen von Grundstücken aus der Bodenreform im Grundbuch eingetragen waren. Der Bodenreformvermerk war eingetragen.
Der klagende Freistaat (Kläger) meint, die Grundstücke hätten den Rechtsvorgängerinnen der Beklagten nicht übertragen werden dürfen. Die Übertragungen hätten rückgängig gemacht werden müssen; die Grundstücke seien in den Bodenfonds zurückzuführen und in Volkseigentum im allgemeinen Sinne zu überführen gewesen. Sodann sei den Rechtsvorgängerinnen der Beklagten die Rechtsträgerschaft an den Grundstücken zu übertragen gewesen. Die unterlassene Rückführung der Grundstücke in den Bodenfonds führe in entsprechender Anwendung von Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EGBGB dazu, daß die Beklagte die Grundstücke dem Kläger aufzulassen habe.
Der Kläger hat die Verurteilung der Beklagten zur Auflassung und zur Bewilligung seiner Eintragung als Eigentümer der Grundstücke beantragt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der von im Berufungsurteil zugelassenen Revision verfolgt er seine Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht verneint einen Anspruch des Klägers auf Auflassung der Grundstücke. Es hat festgestellt, daß die Grundstücke den Rechtsvorgängerinnen der Beklagten übertragen worden sind. Es meint, für den geltend gemachten Anspruch fehle es an einer Grundlage. Einer entsprechenden Anwendung von Art. 233 § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EGBGB stehe entgegen, daß es an einer Lücke in den gesetzlichen Regelungen fehle, soweit landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften Grundstücke aus dem Bodenfonds übertragen worden seien.
II.
Die Revision ist nicht begründet. Ein Anspruch des Klägers auf Auflassung der Grundstücke besteht nicht. Art. 233 § 11 Abs. 2 EGBGB regelt den Fall der Übertragung von Grundstücken auf landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften nicht. Die Lücke der gesetzlichen Regelung ist durch eine entsprechende Anwendung von Art. 233 § 11 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB zu schließen. Auflassungsansprüche bestehen daher nur unter den Voraussetzungen von Art. 233 § 12 Abs. 1 EGBGB.
1. Ob ein Gesetz eine Regelungslücke enthält, ist danach zu bestimmen, ob nach dem Standpunkt des Gesetzes und dem mit ihm verfolgten Zweck eine Unvollständigkeit vorliegt (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl., S. 373). So verhält es sich, soweit landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften das Eigentum an Grundstücken aus dem Bodenfonds übertragen worden ist.
Art. 233 §§ 11 ff EGBGB regeln die Rechte und Ansprüche wegen aller Grundstücke, die bei Ablauf des 15. März 1990 im Grundbuch als aus der Bodenreform stammend gekennzeichnet waren (vgl. Senatsurt. v. 20. September 1996, V ZR 119/95, WM 1996, 2207, 2208; BT-Drucks. 12/2480, S. 87). Die Vorschriften enthalten keine Ausnahmen für Grundstücke, die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften übertragen worden sind. Dem entspricht die durch Art. 8 Nr. 2 Buchst. g des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes in das EGBGB vor Art. 233 § 11 EGBGB eingefügte Überschrift „Abwicklung der Bodenreform”. Art. 233 § 11 Abs. 1 Satz 1 EGBGB ist schon nach seinem Wortlaut nicht auf den Fall einer im Grundbuch nicht verlautbarten Übertragung eines Grundstücks auf eine natürliche Person beschränkt. Art. 233 § 11 Abs. 1 Satz 2 EGBGB nimmt im Grundbuch nicht vollzogene Rückführungen von Grundstücken aus genossenschaftlichem Eigentum in den Bodenfonds nicht aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift aus.
Zweck von Art. 233 §§ 11 ff EGBGB ist es, die in weiten Bereichen der ehemaligen DDR angetroffene, nicht auf die Eintragung natürlicher Personen beschränkte Vernachlässigung der Grundbuchführung für den Bereich der Grundstücke aus der Bodenreform zu bereinigen und die Unsicherheiten zu beseitigen, die sich aus der Unklarheit der Tragweite des Gesetzes über die Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform vom 6. März 1990 (GBl I S. 134) ergeben hatten. Hierzu wurde das Eigentum an allen nicht von Art. 233 § 11 Abs. 1 EGBGB erfaßten Grundstücken gemäß Art. 233 § 11 Abs. 2 EGBGB auf die bei Ablauf des 15. März 1990 als Eigentümer Eingetragenen bzw. ihre Erben übertragen [Staudinger/Rauscher, BGB [1996] Art. 233 § 11 EGBGB Rdn. 26].
Die gesetzlichen Bestimmungen gehen entsprechend dem Erkenntnisstand des Gesetzgebers bei Erlaß des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes von der Eintragung einer natürlichen Person im Grundbuch aus. Aus diesem Grund enthält Art. 233 § 11 Abs. 2 EGBGB keine Regelung der Frage, auf wen durch das Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz die Grundstücke übertragen wurden, als deren Eigentümer bei Ablauf des 15. März 1990 eine landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft im Grundbuch eingetragen war. Insoweit enthält das Gesetz eine Regelungslücke, wie die Revision zutreffend geltend macht.
2. Die Regelungslücke ist in entsprechender Anwendung von Art. 233 § 11 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB zu schließen. Ob ein Dritter die Auflassung verlangen kann, ist daher nach Art. 233 § 12 Abs. 1 EGBGB zu bestimmen. Die Nachzeichnung einer unterlassenen Rückführung eines Grundstücks in den Bodenfonds durch einen Auflassungsanspruch des Fiskus nach Art. 233 § 11 Abs. 3, § 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EGBGB findet insoweit nicht statt.
a) War bei Ablauf des 15. März 1990 eine lebende natürliche Person als Eigentümer eingetragen, wurde dem Eingetragenen durch Art. 233 § 11 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB das Eigentum an dem Grundstück mit Inkrafttreten des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes übertragen. Tatsächlich bewirkte die Übertragung eine Änderung der Zuordnung des Eigentums nur dann, wenn die Eintragung nicht mit der Eigentumslage übereinstimmte. War die Zuordnung des Grundstücks an den Eingetragenen durch die Behörden der DDR wirksam und hatte der Eingetragene das Eigentum an dem Grundstück bei Ablauf des 15. März 1990 auch nicht wieder verloren, führte Art. 233 § 11 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB nicht zu einem Wechsel des Eigentümers, sondern nur dazu, daß der bestehenden Eintragung eine neue Grundlage gegeben wurde. Das ist bei der Übertragung eines Grundstücks aus der Bodenreform auf eine bei Ablauf des 15. März 1990 existierende landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (vgl. zur Wirksamkeit derartiger Übertragungen Senatsurt. v. 26. November 1999, V ZR 34/99, WM 2000, 1067, 1068; Senatsbeschl. v. 8. März 2001, V ZR 197/00, WM 2001, 787) nicht anders als einer Übertagung auf eine natürliche Person. Die bestehende Eintragung erhielt mit Inkrafttreten des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes nur eine neue Grundlage.
b) Ansprüche, die auf die Zeit vor dem Inkrafttreten des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes zurückgehen, führen in den Fällen von Art. 233 § 11 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB nur unter den Voraussetzungen von Art. 233 § 12 Abs. 1 EGBGB zu einer Verpflichtung, das Eigentum einem Dritten aufzulassen. Hieran scheitern die von dem Kläger geltend gemachten Ansprüche.
Art. 233 § 12 Abs. 1 EGBGB zeichnet nicht die Zuteilungs- und Rückführungsgrundsätze der Besitzwechselverordnung nach. Die durch Art. 233 § 11 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1, § 12 Abs. 2 EGBGB geregelten Fragen der erbrechtlichen Nachfolge in ein Grundstück aus der Bodenreform und der Beachtung der Folgen einer solchen Nachfolge nach der Besitzwechselverordnung stellen sich bei Eintragung eines am Stichtag lebenden Begünstigten nicht. Eine Verpflichtung zur Auflassung besteht nach Art. 233 § 12 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB daher nur dann, wenn die Berichtigung des Grundbuchs durch die Eintragung desjenigen unterblieben ist, auf den das Eigentum durch eine Entscheidung des Rates des Kreises übertragen worden war. Diesem Fall wird durch Art. 233 § 12 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB die förmliche Übergabe eines Hofgrundstücks an einen Zuteilungsfähigen gleichgestellt, sofern über einen von ihm vor Ablauf des 15. März 1990 gestellten Übertragungsantrag nicht mehr entschieden worden ist. Liegen die Voraussetzungen eines Auflassungsanspruchs nach diesen Bestimmungen nicht vor, verbleibt das Grundstück dem Eingetragenen. So verhält es sich hier. Die Grundstücke waren bei Ablauf des 15. März 1990 weder einem Dritten übertragen worden, noch hatte ein Dritter einen Antrag auf ihre Übertragung als Hofgrundstücke gestellt.
3. Die Rechtsvorgängerinnen der Beklagten haben spätestens mit dem Inkrafttreten des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes gemäß Art. 233 § 11 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB das Eigentum an den Grundstücken erworben. Aus diesem Grund können die Angriffe der Revision auf die Feststellung des Berufungsgerichts, die Grundstücke seien den Rechtsvorgängerinnen der Beklagten aus dem Bodenfonds übertragen worden, dahingestellt bleiben. Auch das Fehlen einer Zuweisung der Grundstücke oder ihrer Übertragung auf die Rechtsvorgängerinnen der Beklagten würde nicht zu einem Auflassungsanspruch des Klägers führen (Art. 233 § 12 Abs. 1 EGBGB).
Unterschriften
Tropf, Klein, Lemke, Gaier, Schmidt-Räntsch
Fundstellen
Haufe-Index 892612 |
BGHR 2003, 370 |
BGHR |
Nachschlagewerk BGH |
VIZ 2003, 193 |
MDR 2003, 499 |
NJ 2003, 316 |
Rpfleger 2003, 238 |