Leitsatz (amtlich)
Zur Frage des Verjährungsbeginns mit Schluss des Jahres 2015 infolge grob fahrlässiger Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB in einem sogenannten Dieselfall (hier: EA 189).
Normenkette
BGB § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 23. März 2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auf Schadensersatz in Anspruch.
Rz. 2
Er erwarb im August 2011 von einem Dritten ein von der Beklagten hergestelltes Fahrzeug VW Tiguan TDI als Gebrauchtwagen zum Preis von 25.150 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 (EU 5) ausgestattet. Der Motor enthielt eine Software, durch welche auf dem Prüfstand beim Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus geringere Stickoxidwerte erzielt wurden als im realen Fahrbetrieb ("Umschaltlogik").
Rz. 3
Ab Ende September 2015 informierte die Beklagte die Öffentlichkeit in Form von Pressemitteilungen darüber, dass der Motor EA 189 mit einer Abschalteinrichtung versehen sei, die vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als nicht ordnungsgemäß angesehen werde und daher zu entfernen sei. Zeitgleich war der sogenannte Dieselskandal Gegenstand einer umfassenden Medienberichterstattung. Die Öffentlichkeit wurde ferner durch das KBA über das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei Fahrzeugen mit dem Dieselmotor EA 189 informiert. Anfang Oktober 2015 schaltete die Beklagte eine Webseite frei, auf der durch Eingabe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer überprüft werden konnte, ob ein konkretes Fahrzeug mit der Abschalteinrichtung versehen ist. Dies wurde ebenfalls in einer Pressemitteilung bekannt gegeben und war Gegenstand einer umfangreichen Medienberichterstattung.
Rz. 4
Mit seiner im Dezember 2019 eingegangenen und im Februar 2020 zugestellten Klage hat der Kläger die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zahlung von Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten verlangt. Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.
Rz. 5
Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
Die Revision hat Erfolg.
I.
Rz. 7
Die Revision ist unbeschränkt zulässig.
Rz. 8
Das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision im Tenor seines Urteils ohne Einschränkungen ausgesprochen. Allerdings kann sich eine Zulassungsbeschränkung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch aus den Entscheidungsgründen ergeben, sofern die Beschränkung klar und eindeutig ist. Das ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn sich die vom Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbständigen Teil des Streitstoffs stellt, der Gegenstand eines Teilurteils oder eines eingeschränkt eingelegten Rechtsmittels sein kann. Hingegen genügt die bloße Angabe des Grundes für die Zulassung der Revision nicht, um von einer Zulassungsbeschränkung auszugehen (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20 Rn. 16, MDR 2022, 28; Urteil vom 29. September 2020 - VI ZR 449/19 Rn. 12, GRUR 2021, 106; jeweils m.w.N.).
Rz. 9
Den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils ist eine Beschränkung der Revisionszulassung nicht mit hinreichender Klarheit zu entnehmen. Das Berufungsgericht hat die Revision beschränkt auf die „Problemkreise“ zugelassen, ob es aufgrund der allgemeinen Bekanntheit und der breiten medialen Berichterstattung über den "Abgasskandal" als grob fahrlässig im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB anzusehen sei, wenn ein Erwerber eines hiervon betroffenen Fahrzeugs im Jahr 2015 keine Erkundigungen bezüglich der Betroffenheit seines Fahrzeugs eingeholt habe, und ob § 852 BGB auf Konstellationen wie die vorliegende anwendbar sei, da diese Fragen grundsätzliche Bedeutung hätten. Das lässt eine Beschränkungsabsicht nicht eindeutig erkennen, zumal eine Beschränkung der Revisionszulassung auf die Verjährungsfrage unzulässig und damit wirkungslos wäre (BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20 Rn. 17, MDR 2022, 28; Beschluss vom 10. Februar 2011 - VII ZR 71/10 Rn. 11, NZBau 2011, 354). Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Berufungsgericht die Zulassung in unzulässiger Weise einschränken wollte (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Februar 2011 - XI ZR 291/09, juris).
II.
Rz. 10
Das Berufungsgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - ausgeführt, dem Anspruch des Klägers auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung stehe die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen. Die Voraussetzungen für den Beginn der Verjährung hätten bereits im Jahr 2015 vorgelegen, so dass die Verjährungsfrist Ende des Jahres 2015 zu laufen begonnen und mit dem Schluss des Jahres 2018 geendet habe. Dass der Sachverhalt des sogenannten Dieselskandals bereits ab September 2015 in der Medienberichterstattung omnipräsent gewesen sei, bestreite der Kläger nicht. Er bringe vielmehr vor, nicht Adressat der Ad-hoc-Mitteilung gewesen zu sein, die überdies keine Rückschlüsse auf den konkreten Sachverhalt zugelassen habe. Die Ad-hoc-Mitteilung und eine gleichlautende Pressemitteilung der Beklagten vom 22. September 2015 seien objektiv geeignet gewesen, das Vertrauen potentieller Käufer von Gebrauchtwagen mit VW-Dieselmotoren in eine vorschriftsgemäße Abgastechnik zu zerstören. Die anschließende Berichterstattung über die Anordnungen des KBA gegenüber der Beklagten hätten erwarten lassen, dass ein Misslingen der Herstellung des von der Behörde geforderten vorschriftsmäßigen Zustands - auch für die Fahrzeughalter - nicht folgenlos bleiben werde.
Rz. 11
Jedenfalls mit der Information einer breiten Öffentlichkeit ab Ende September 2015 hätten sich auch dem Kläger als Eigentümer eines zuvor erworbenen, mit dem Dieselmotor EA 189 ausgestatteten Kraftfahrzeugs die für den Verjährungsbeginn maßgeblichen Tatsachen aufdrängen müssen. Der Kläger habe gewusst, welches Fahrzeug er fahre, dass es mit einem Dieselmotor ausgestattet sei und wer dessen Hersteller sei. Durch die auch in der Medienberichterstattung verbreitete Möglichkeit einer Abfrage auf der Herstellerwebseite habe er ab Oktober 2015 unter Eingabe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer des eigenen Fahrzeugs zu überprüfen vermocht, ob dieses Fahrzeug mit der streitgegenständlichen Software zur Abgasmanipulation ausgestattet sei. Dass er diese naheliegende und unschwer zugängliche Informationsquelle nicht genutzt habe, erscheine nach Lage des Falles geradezu unverständlich. Auch ohne von den Behörden oder der Herstellerin individuell und unmittelbar durch direktes Anschreiben darauf aufmerksam gemacht worden zu sein, sei es vor diesem Hintergrund grob fahrlässig gewesen, sich die Information der Schadensbetroffenheit des eigenen Fahrzeugs nicht schon Ende September 2015 beschafft zu haben, obwohl die Nachforschungen zum Erfolg geführt hätten. Die durch diese Berichterstattung allgemein und auch dem Kläger bekannten Tatsachen hätten ausgereicht, den Schluss nahe zu legen, dass der Einbau der unzulässigen Motorsteuerungssoftware auf Täuschung der zuständigen Genehmigungsbehörde gerichtet gewesen sei und auf einer am Kosten- und Gewinninteresse ausgerichteten Strategieentscheidung der Beklagten beruhe. Die Klageerhebung sei schon im Jahre 2015 zumutbar gewesen.
Rz. 12
Eine Hemmung der Verjährung vor Ablauf der Verjährungsfrist sei nicht erfolgt, da die Klage erst Ende 2019 eingereicht und im Februar 2020 zugestellt worden sei. Schließlich stehe dem Kläger auch kein Anspruch nach § 852 BGB zu, weil er das Fahrzeug nicht als Neu-, sondern als Gebrauchtwagen erworben und die Beklagte daher nichts auf seine Kosten erlangt habe.
III.
Rz. 13
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 14
1. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden. Rechtsfehlerhaft ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass dem Schadensersatzanspruch des Klägers gemäß §§ 826, 31 BGB die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede entgegensteht. Hierbei ist revisionsrechtlich zugunsten des Klägers zu unterstellen, dass die im Februar 2020 erfolgte Zustellung der im Dezember 2019 bei Gericht eingereichten Klage demnächst im Sinne von § 167 ZPO erfolgt ist.
Rz. 15
a) Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist für den Schadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31 BGB drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
Rz. 16
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, der Kläger hätte die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis ohne grobe Fahrlässigkeit im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB bereits im Jahr 2015 erlangen müssen.
Rz. 17
b) Wie der Bundesgerichtshof bereits wiederholt entschieden hat, genügt es in Fällen der vorliegenden Art für den Beginn der Verjährung gemäß § 199 Abs. 1 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom "Diesel-" bzw. "Abgasskandal" im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2021 - VI ZR 212/20 Rn. 14, juris; Beschluss vom 15. September 2021 - VII ZR 294/20 Rn. 6, juris; Urteil vom 17. Dezember 2020 - VI ZR 739/20 Rn. 20 ff., NJW 2021, 918).
Rz. 18
aa) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht allerdings aufgrund der gebotenen tatrichterlichen Würdigung (§ 286 Abs. 1 ZPO) die allgemeine Kenntnis des Klägers vom sogenannten Diesel- oder Abgasskandal rechtsfehlerfrei festgestellt. Die insoweit erhobene Revisionsrüge, das Berufungsgericht habe fehlerhaft aus dem Umstand der omnipräsenten Berichterstattung auf die allgemeine Kenntnis des Klägers geschlossen, trifft nicht zu.
Rz. 19
(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - VI ZR 1118/20 Rn. 18 f., WM 2021, 1665) darf allerdings von der festgestellten Öffentlichkeitsarbeit der Beklagten und des KBA sowie der sich hieran anschließenden umfangreichen Medienberichterstattung über den sogenannten Dieselskandal nicht ohne Weiteres auf eine grob fahrlässige Unkenntnis der jeweiligen Klagepartei im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB geschlossen werden. Hierzu bedarf es vielmehr zumindest in einem ersten Schritt noch der ergänzenden Feststellung, dass die Klagepartei diese Berichterstattung wahrgenommen und damit allgemein vom sogenannten Dieselskandal Kenntnis erlangt hat. Denn ohne diesen Zwischenschritt knüpfte der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit letztlich rechtsfehlerhaft an die unterbliebene Kenntnisnahme des Klägers von der Medienberichterstattung über den sogenannten Dieselskandal an. Die Feststellung der allgemeinen Kenntnisnahme der Klagepartei vom sogenannten Dieselskandal ist Sache des Tatrichters, der seine diesbezügliche Überzeugung am Maßstab des § 286 Abs. 1 ZPO zu bilden hat. Es bedarf mithin keines naturwissenschaftlichen Kausalitätsnachweises und auch keiner an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der verbleibenden Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.
Rz. 20
(2) Diesen Anforderungen wird das Berufungsurteil gerecht. Das Berufungsgericht hat unangegriffen festgestellt, die aufgrund der breiten medialen Berichterstattung über den Abgasskandal "allgemein und auch dem Kläger bekannten" Tatsachen hätten den Schluss nahegelegt, dass in den von der Beklagten hergestellten Dieselmotoren eine unzulässige, auf Täuschung der Genehmigungsbehörde gerichtete Motorsteuerungssoftware eingebaut sei. Darin findet die tatrichterliche Überzeugungsbildung ihren Ausdruck, dass der Kläger aufgrund der breiten medialen Berichterstattung im Jahre 2015 (allgemein) Kenntnis vom Dieselskandal hatte. Das Berufungsgericht hat sich hierbei gerade nicht auf einen bloßen Rückschluss aus der "Omnipräsenz" der Medienberichterstattung auf eine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers - der seine allgemeine Kenntnis vom Dieselskandal im Übrigen mit der Revision nicht in Abrede stellt, sondern lediglich bemängelt, diese Kenntnis sei nicht ausreichend festgestellt - im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB beschränkt. Es hat vielmehr ersichtlich aus der Gesamtheit der von ihm in diesem Zusammenhang gewürdigten Umstände - darunter demjenigen, der Kläger habe nicht bestritten, dass der Sachverhalt des sogenannten Dieselskandals bereits ab September 2015 in der Medienberichterstattung omnipräsent war, er habe unter anderem vorgebracht, nicht Adressat der Ad-hoc-Mitteilung der Beklagten gewesen zu sein, die überdies keine Rückschlüsse auf den konkreten Sachverhalt zugelassen habe - die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger vom sogenannten Dieselskandal allgemein wusste. Die Revision bringt nichts vor, was diese tatrichterliche Würdigung als solche in Zweifel ziehen könnte.
Rz. 21
bb) Das Berufungsgericht ist indes zu Unrecht von einer - gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB der positiven Kenntnis gleichstehenden - grob fahrlässigen Unkenntnis des Klägers von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs im Zeitraum bis Ende 2015 ausgegangen.
Rz. 22
(1) Die tatrichterliche Beurteilung, ob einer Partei der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis zu machen ist, unterliegt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur dahin, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denk- und Erfahrungssätze gewürdigt worden ist und ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - VI ZR 1118/20 Rn. 13, WM 2021, 1665; Urteil vom 17. Dezember 2020 - VI ZR 739/20 Rn. 16, NJW 2021, 918; Urteil vom 4. Juli 2019 - III ZR 202/18 Rn. 15, WM 2019, 1441; Urteil vom 17. Juni 2016 - V ZR 134/15 Rn. 11, NJW 2017, 248; Urteil vom 26. Februar 2013 - XI ZR 498/11 Rn. 32, BGHZ 196, 233). Unter Berücksichtigung dieses Prüfungsmaßstabs ist die Würdigung des Berufungsgerichts, wonach den Kläger der den Verjährungsbeginn auslösende Vorwurf grober Fahrlässigkeit im Sinne von §199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB spätestens mit dem Schluss des Jahres 2015 trifft, nicht frei von Rechtsfehlern.
Rz. 23
(a) Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder dasjenige nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - VI ZR 1118/20 Rn. 14, WM 2021, 1665; Urteil vom 8. Mai 2014 - I ZR 217/12 Rn. 39, BGHZ 201, 129; Urteil vom 11. Oktober 2012 - VII ZR 10/11 Rn. 16, BauR 2013, 117 = NZBau 2012, 783; Urteil vom 14. Januar 2010 - VII ZR 213/07 Rn. 17, BauR 2010, 618 = NZBau 2010, 236).
Rz. 24
Dabei bezieht sich die grob fahrlässige Unkenntnis ebenso wie die Kenntnis auf Tatsachen, auf alle Merkmale der Anspruchsgrundlage und bei der Verschuldenshaftung auf das Vertretenmüssen des Schuldners. Dagegen ist grundsätzlich nicht vorausgesetzt, dass der Gläubiger hieraus die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - VI ZR 1118/20 Rn. 15, WM 2021, 1665). Ausreichend ist, wenn dem Gläubiger aufgrund der ihm grob fahrlässig unbekannt gebliebenen Tatsachen hätte zugemutet werden können, zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegen eine bestimmte Person aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos Klage - sei es auch nur in Form einer Feststellungsklage - zu erheben (BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - VI ZR 1118/20 Rn. 15, WM 2021, 1665; Urteil vom 26. Mai 2020 - VI ZR 186/17 Rn. 20, NJW 2020, 2534; Urteil vom 16. Mai 2017 - X ZR 85/14 Rn. 40, MDR 2017, 1200).
Rz. 25
Den Geschädigten trifft dabei im Allgemeinen weder eine Informationspflicht noch besteht für ihn eine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist die Initiative zur Klärung vom Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten. Inwieweit der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das Unterlassen einer solchen Ermittlung ist nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Gläubigers als unverständlich erscheinen lassen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein, so dass er aus verständiger Sicht gehalten ist, die Voraussetzungen des Anspruchs aufzuklären, soweit sie ihm nicht ohnehin bekannt sind (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 - VI ZR 1118/20 Rn. 16, WM 2021, 1665; Urteil vom 26. Mai 2020 - VI ZR 186/17 Rn. 21 f., NJW 2020, 2534; Urteil vom 15. März 2016 - XI ZR 122/14 Rn. 34, WM 2016, 780; Urteil vom 11. Oktober 2012 - VII ZR 10/11 Rn. 16, BauR 2013, 117 = NZBau 2012, 783).
Rz. 26
(b) Nach diesen Maßstäben war der Kläger nicht bereits im Jahr 2015 zur Vermeidung des Vorwurfs grober Fahrlässigkeit gehalten zu ermitteln, ob sein Fahrzeug von dem sogenannten Dieselskandal betroffen war.
Rz. 27
Selbst wenn es dem Kläger, wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist, noch in dem verbleibenden - kurzen - Zeitraum seit Bekanntwerden des sogenannten Dieselskandals und der Freischaltung der von der Beklagten gestellten Online-Plattform im Oktober 2015 bis zum Jahresende möglich gewesen sein sollte, die Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs zu ermitteln, liegt darin, dass der Kläger in dem genannten Zeitraum hiervon keinen Gebrauch machte, kein schwerwiegender Obliegenheitsverstoß in eigenen Angelegenheiten. Mit Rücksicht darauf, dass die Beklagte seit September 2015 mit zahlreichen Informationen an die Öffentlichkeit getreten war und auch weitere Erklärungen angekündigt hatte, war ein Zuwarten des Klägers zumindest bis zum Ende des Jahres 2015, was das Berufungsgericht nicht hinreichend in Bedacht genommen hat, nicht schlechterdings unverständlich.
IV.
Rz. 28
Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist mangels Entscheidungsreife zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Pamp |
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C. Fischer |
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