Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 4. September 2000 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines gewerblichen Mietvertrages. Die Beklagte, eine Getränkefirma, vermietete durch schriftlichen Mietvertrag vom 17. Juli 1989 ein Gaststättenanwesen einschließlich einer Garage und eines Pkw-Abstellplatzes, das sie von der Grundstückseigentümerin angemietet hatte, im Wege der Untervermietung an den Kläger. Als Nettomietzins waren ursprünglich für die Gaststättenräume 5.100 DM monatlich vereinbart zuzüglich 50 DM für die Garage und 20 DM für den Stellplatz. Als weitere Gegenleistung verpflichtete sich der Kläger, den erforderlichen Bedarf an Bier ausschließlich von der Beklagten zu beziehen und sich zu bemühen, einen monatlichen Umsatz von mindestens 18 hl zu erreichen. Bei einer Abnahme von weniger als 10 hl im Monat sollte der Kläger verpflichtet sein, einen pauschalierten Schadensersatz von 60 DM für jeden nicht bezogenen Hektoliter zu zahlen. Dagegen sollte sich der Mietzins für jeden bezogenen Hektoliter um 60 DM ermäßigen, allerdings höchstens für 18 hl monatlich. Das Mietverhältnis sollte erstmals zum 30. Juni 1994 kündbar sein. Ab 1. Januar 1993 erhöhte sich der monatliche Mietzins für die Gaststättenräume auf 5.200 DM netto.
1994 versuchte der Kläger, unmittelbar mit der Hauseigentümerin einen Mietvertrag über die Gaststätte abzuschließen und bot als monatlichen Mietzins 4.300 DM netto an. Zu einem entsprechenden Vertragsabschluß kam es aber nicht.
Mit Anwaltsschreiben vom 22. Dezember 1995 ließ der Kläger das Mietverhältnis zum 30. Juni 1996 kündigen. Ab 1. April 1996 nahm er von der Beklagten kein Bier mehr ab, für die Monate Mai und Juni 1996 bezahlte er auch keinen Mietzins mehr, nutzte die Gaststättenräume aber weiter.
Mit Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 29. April 1998 erklärte der Kläger die Anfechtung des Mietvertrages wegen arglistiger Täuschung. Außerdem vertritt er die Ansicht, der Mietvertrag sei als wucherähnliches Geschäft nichtig. Mit der Klage verlangt er die Rückzahlung des von ihm gezahlten Mietzinses, soweit der vereinbarte Mietzins den von ihm behaupteten ortsüblichen Mietzins übersteigt. Außerdem verlangt er einen Teil der für die Bierlieferungen gezahlten Beträge zurück. Er ist der Ansicht, daß auch insofern die vereinbarten Preise übersetzt gewesen seien. Insgesamt hat der Kläger mit der Klage ursprünglich die Zahlung von 379.750 DM (zuzüglich Zinsen) verlangt.
Die Beklagte hat Widerklage erhoben, mit der sie den Mietzins für die Monate Mai und Juni 1996 (insgesamt 12.336,36 DM) sowie Schadensersatz für zu wenig bezogenes Bier (insgesamt 12.092,62 DM) geltend macht.
Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. In der Berufungsinstanz hat der Kläger die Klage wegen 10.000 DM (zuzüglich Zinsen) zurückgenommen. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in NZM 2000,1059 veröffentlicht ist, hat die Entscheidung des Landgerichts teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 265.200 DM (zuzüglich Zinsen) zu zahlen. Die Entscheidung zur Widerklage hat es dahin abgeändert, daß der Kläger lediglich 4.784 DM (zuzüglich Zinsen) zu zahlen habe. Im übrigen hat es die Widerklage abgewiesen und die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten führt, soweit das Berufungsgericht zu ihrem Nachteil entschieden hat, zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Das Berufungsgericht führt aus, der Kläger könne den Vertrag schon deshalb nicht wegen Irrtums (§ 119 BGB) oder arglistiger Täuschung (§ 123 BGB) anfechten, weil er die Anfechtungsfristen der §§ 121 Abs. 1 BGB bzw. 124 Abs. 1 und Abs. 2 BGB nicht eingehalten habe. Der Vertrag sei aber als wucherähnliches Geschäft nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam. Aufgrund des nach der sogenannten indirekten Vergleichswertmethode erstatteten Gutachtens des Sachverständigen Dr. W. stehe fest, daß der angemessene, marktübliche Mietzins für das Gaststättenanwesen bei Abschluß des Mietvertrages 2.000 DM netto betragen habe. Da der vertraglich vereinbarte Mietzins von 5.100 DM netto mehr als 2 ½ mal so hoch sei, liege ein besonders grobes Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor, das eine verwerfliche Gesinnung der Beklagten indiziere. Da der Mietvertrag schon aus diesem Grunde unwirksam sei, könne offen bleiben, ob weitere Bestimmungen des Mietvertrages zu beanstanden seien und bei einer Gesamtwürdigung den Vertrag als sittenwidrig erscheinen ließen.
Da der Vertrag unwirksam sei, habe die Abrechnung nach den Regeln der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 f. BGB) zu erfolgen. Die Nutzungsvorteile, die der Kläger gehabt habe, seien entsprechend dem Sachverständigengutachten mit 2.000 DM netto monatlich zu bewerten. Soweit er einen höheren Mietzins gezahlt habe, habe er gegen die Beklagte einen Bereicherungsanspruch auf Rückzahlung der Differenz. Allerdings seien die Ansprüche des Klägers für die Zeit bis einschließlich Dezember 1991 verjährt. Für die Zeit von Januar 1992 bis April 1996 habe er insgesamt 269.200 DM gezahlt und könne 165.200 DM zurückverlangen. Soweit der Kläger geltend mache, die von der Beklagten geforderten und von ihm – dem Kläger – gezahlten Getränkepreise seien überteuert gewesen, sei die Klage jedoch unbegründet. Der Kläger habe nicht substantiiert dargelegt, daß die ihm in Rechnung gestellten Getränkepreise unangemessen und nicht üblich gewesen seien.
Da der Mietvertrag unwirksam sei, sei die Widerklage nur insofern begründet, als der Kläger für die Monate Mai und Juni 1996 die von dem Sachverständigen ermittelte angemessene Nutzungsentschädigung zu zahlen habe.
Diese Ausführungen halten, wie die Revision zu Recht geltend macht, einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
2. Zutreffend ist zwar der Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts, daß ein Vertrag als wucherähnliches Geschäft nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Mißverhältnis zueinander stehen und weitere sittenwidrige Umstände hinzukommen, z.B. eine verwerfliche Gesinnung des durch den Vertrag objektiv Begünstigten (st.Rspr., vgl. BGHZ 141, 257, 163 m.N.). Richtig ist ferner, daß die Rechtsprechung auch bei gewerblichen Mietverträgen ein auffälliges Mißverhältnis annimmt, wenn die vereinbarte Miete um knapp 100 % höher oder niedriger ist als der objektive Marktwert der Gebrauchsüberlassung (Bub in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl. II 715 a m.w.N.).
Die Revision macht aber zu Recht geltend, daß das Berufungsgericht den objektiven Marktwert der Gebrauchsüberlassung unzulässig ermittelt hat. Marktwert ist der übliche Wert, der für eine vergleichbare Leistung auf dem Markt zu zahlen ist. Bei Miet- und Pachtverhältnissen ist demnach der Marktwert der Nutzungsüberlassung regelmäßig anhand der Miete oder Pacht zu ermitteln, die für vergleichbare Objekte erzielt wird. Das Berufungsgericht stützt seine Annahme, der objektive Marktwert sei lediglich 2.000 DM netto im Monat gewesen, ausschließlich auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. W., der dieses Gutachten nach der sogenannten indirekten Vergleichswertmethode erstattet hat. Diese indirekte Vergleichswertmethode ist jedoch aus Rechtsgründen nicht geeignet, den zum Vergleich heranzuziehenden objektiven Mietwert zu ermitteln (Senatsurteil vom 13. Juni 2001 – XII ZR 49/99 – ZMR 2001, 788 = NJW 2002, 55).
Das Berufungsgericht meint demgegenüber, der Sachverständige habe ausnahmsweise die von ihm entwickelte indirekte Vergleichswertmethode anwenden dürfen, weil es ihm nicht gelungen sei, geeignete Vergleichsobjekte ausfindig zu machen. Dem kann nicht gefolgt werden.
Der Sachverständige hat mitgeteilt, er habe an 38 Gastgewerbebetriebe einen Fragebogen versandt, nur vier davon seien vollständig ausgefüllt und damit verwertbar zurückgesandt worden. Außerdem habe er den Leiter der Abteilung Gastgewerbe im Kreisverwaltungsreferat der Landeshauptstadt M. gebeten, ihm mindestens zehn Vergleichsbetriebe zu benennen, habe aber keine Antwort erhalten. Daraus durfte das Berufungsgericht noch nicht schließen, daß es in M. keine Vergleichsbetriebe gibt. Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen getroffen, die die Annahme rechtfertigen könnten, die vermieteten Gaststättenräume fielen in irgend einer Weise aus dem Rahmen des Üblichen und deshalb gebe es keine vergleichbaren Objekte. Bei dieser Sachlage durfte das Berufungsgericht den Versuch, den objektiven Marktwert anhand von Vergleichsobjekten durch einen Sachverständigen ermitteln zu lassen, noch nicht aufgeben. Notfalls hätte es einen anderen Sachverständigen beauftragen müssen.
Aber selbst wenn im konkreten Fall ausnahmsweise keine geeigneten Vergleichsobjekte gefunden werden könnten, wäre es nicht zulässig, zur Wertermittlung die sogenannte indirekte Vergleichswertmethode – eine aus Rechtsgründen hierzu ungeeignete Methode – heranzuziehen. In einem solchen Fall ist es vielmehr angebracht, einen mit der konkreten Marktsituation vertrauten Sachverständigen – z.B. einen erfahrenen Makler (vgl. Senatsurteil vom 13. Juni 2001 aaO S. 56) – beurteilen zu lassen, welche Miete für dieses besondere Objekt erzielt werden kann.
3. Die Sache muß an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, damit es die marktübliche Miete in zulässiger Weise ermitteln und anschließend tatrichterlich beurteilen kann, ob eine Gesamtwürdigung des Mietvertrages einschließlich der Nebenabreden (insbesondere der Bierbezugsverpflichtung, die nach dem Mietvertrag eine Auswirkung auf die zu zahlende Miete haben kann) ihn als wucherähnliches Geschäft im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB erscheinen läßt.
Unterschriften
Hahne, Gerber, Wagenitz, Bundesrichter Fuchs ist urlaubsbedingt verhindert zu unterschreiben. Hahne, Vézina
Fundstellen
NJW 2003, 285 |
NJW-RR 2002, 1521 |
NZM 2002, 822 |
GuG 2004, 368 |