Leitsatz (amtlich)
a) Bei Ansprüchen aus § 831 Abs. 1 BGB ist § 4 Halbs. 2 HPflG nicht entsprechend anwendbar.
b) Im Rahmen der Betriebsgefahr, die sich der Halter eines Kraftfahrzeugs entgegenhalten lassen muss, wenn er Ersatz seines Unfallschadens nach § 823 Abs. 1 BGB verlangt, ist als ein die allgemeine Betriebsgefahr erhöhender Umstand auch das für den Unfall mitursächliche haftungsrelevante Verhalten des Fahrers zu berücksichtigen.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1, § 831 Abs. 1, § 254 Abs. 1; StVG § 7 Abs. 1; HPflG § 4 Hs. 2
Verfahrensgang
LG Görlitz (Urteil vom 19.03.2012; Aktenzeichen 2 S 76/11) |
AG Görlitz (Urteil vom 25.07.2011; Aktenzeichen 4 C 236/07) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Görlitz vom 19.3.2012 wird zurückgewiesen, soweit sie sich dagegen wendet, dass die Verurteilung der Beklagten zu 1) in Höhe eines Betrags von 1.444,82 EUR nebst Zinsen hieraus abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen worden ist, und im Übrigen als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Kläger mit Ausnahme der im Revisionsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten, die diese selbst trägt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 11.1.2007. Eine Straßenbahn der Beklagten zu 1), die vom Beklagten zu 2) gefahren wurde, stieß gegen einen zum Betriebsvermögen des Klägers gehörenden und von der Drittwiderbeklagten gefahrenen Pkw. Dieser hatte sich im Bereich der auf der Straße verlegten Schienen zum Linksabbiegen eingeordnet und war dort verkehrsbedingt zum Stehen gekommen.
Rz. 2
Das AG hat die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.889,64 EUR (zwei Drittel des ihm entstandenen Schadens) nebst Verzugszinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten zu zahlen. Die Beklagte zu 1) hat es darüber hinaus verurteilt, an den Kläger weitere 1.444,82 EUR nebst Verzugszinsen und weitere Anwaltskosten zu zahlen. Einer von der Beklagten zu 1) wegen ihres eigenen Schadens gegen den Kläger und die Drittwiderbeklagte erhobenen Widerklage hat das AG teilweise stattgegeben. Im Übrigen hat es Klage und Widerklage abgewiesen.
Rz. 3
Gegen dieses Urteil haben die Beklagten Berufung eingelegt. Sie haben beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern, soweit sie über den Betrag i.H.v. 1.444,82 EUR hinaus nebst Verzugszinsen und einem Teil der Anwaltskosten verurteilt worden sind. Das LG hat das amtsgerichtliche Urteil unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert, soweit die Beklagte zu 1) verurteilt worden ist, dem Kläger mehr als zwei Drittel des ihm entstandenen Schadens zu ersetzen, und soweit beide Beklagte hinsichtlich des zweiten Drittels der Hauptforderung gesamtschuldnerisch zur Zahlung von Zinsen für den Zeitraum vor Eintritt der Rechtshängigkeit verurteilt worden sind und die Beklagten eine Abänderung wegen der vorgerichtlichen Anwaltskosten beantragt haben; im Umfang der Abänderung hat es die Klage abgewiesen. Nach Rücknahme der Revision durch die Drittwiderbeklagte und der Revision des Klägers gegen die Beklagte zu 2) ist Gegenstand der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision des Klägers nur noch die vollständige Zurückweisung der Berufung des Beklagten zu 1).
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 4
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in juris veröffentlicht ist (LG Görlitz, Urt. v. 19.3.2012 - 2 S 76/11), hat ausgeführt, dem Kläger stehe dem Grunde nach gegen die Beklagte zu 1) aus § 1 Abs. 1 HPflG und gegen den Beklagten zu 2) aus § 823 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Schadensersatz zu, der - wie vom AG angenommen - wegen des dem Kläger zuzurechnenden Mitverschuldens der Drittwiderbeklagten nach §§ 9 StVG, 254 BGB mit zwei Dritteln des Gesamtschadens zu bemessen sei. Die vom AG vorgenommene Haftungsverteilung sei nicht zu beanstanden.
Rz. 5
Ein darüber hinausgehender Anspruch gegen die Beklagte zu 1) aus § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB auf Zahlung weiterer 1.444,82 EUR bestehe nicht, weil auch dieser Anspruch um den Haftungsanteil des Klägers von einem Drittel zu kürzen sei. Zwar treffe den Kläger selbst kein Mitverschulden. Jedoch sei dem Kläger das Mitverschulden der Drittwiderbeklagten in analoger Anwendung des § 4 HPflG zuzurechnen. Die Vorschrift des § 9 StVG, welche eine dem § 4 HPflG vergleichbare Regelung enthalte, gelte zwar nach vorherrschender Auffassung ausschließlich für die Haftung nach dem Straßenverkehrsgesetz; eine analoge Anwendung auf das Deliktsrecht werde abgelehnt. Dem könne aber jedenfalls in Bezug auf Ansprüche aus § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht gefolgt werden. Die vorherrschende Auffassung stütze sich auf das Urteil des BGH v. 30.3.1965 - VI ZR 257/63, VersR 1965, 523 f., wonach in der Verschuldenszurechnung nach § 9 StVG ein gewollter Ausgleich dafür liege, dass die Haftung des Kraftfahrzeugführers nach dem Straßenverkehrsgesetz anders als die Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB schon bei vermutetem Verschulden eingreife. Diese Begründung lasse sich nicht auf Ansprüche aus § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB übertragen, weil diese Vorschrift - wie § 18 StVG, aber anders als § 823 Abs. 1 BGB - eine Haftung für vermutetes Verschulden normiere. Zudem führe die Ablehnung der entsprechenden Anwendung von § 4 HPflG zu einem unbilligen Ergebnis, weil die Beklagte zu 1) dann auch in vollem Umfang haften müsste, wenn der Unfall alleine von der Drittwiderbeklagten zu vertreten wäre.
Rz. 6
Die Revision werde zugelassen, weil die analoge Anwendung des § 4 HPflG auf § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB klärungsbedürftig sei.
II.
Rz. 7
1. Die Revision ist teilweise als unzulässig zu verwerfen (§ 552 Abs. 1 ZPO).
Rz. 8
Sie ist unzulässig, soweit das Berufungsgericht dem Kläger hinsichtlich des zweiten Drittels der geltend gemachten Hauptforderung gegen die Beklagte zu 1) Zinsen nur für die Zeit ab Eintritt der Rechtshängigkeit und geringere vorgerichtliche Anwaltskosten zugesprochen hat. Diese Abänderungen werden zwar von dem auf Zurückweisung der Berufung gerichteten Revisionsantrag des Klägers umfasst. Seine Revision ist aber insoweit mangels Angabe von Revisionsgründen unzulässig (§ 551 Abs. 3). Bezieht sich die Revision auf mehrere Ansprüche im prozessualen Sinn, muss zu jedem Anspruch eine ausreichende Revisionsbegründung gegeben werden (BAG, Urt. v. 17.7.2007 - 9 AZR 819/06, NJW 2007, 3739 Rz. 31 f.). Die Revisionsbegründung des Klägers wendet sich ausschließlich dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten zu 1) im Umfang von mehr als zwei Dritteln der geltend gemachten Hauptforderung verneint hat. Diese Rüge erfasst die in Rede stehenden Teile der Ansprüche auf Ersatz von Zinsen und Anwaltskosten nicht.
Rz. 9
2. Soweit das Berufungsgericht dem Kläger den vom AG zuerkannten weitergehenden Ersatzanspruch gegen die Beklagte zu 1) im Umfang von mehr als zwei Dritteln des ihm unstreitig entstandenen Schadens aberkannt hat, hält dies einer revisionsrechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
Rz. 10
a) Nicht zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, der als solcher außer Streit stehende Anspruch des Klägers aus § 1 Abs. 1 HPflG sei um einen Mithaftungsanteil des Klägers von einem Drittel zu kürzen. Die zum Unfallhergang getroffenen Feststellungen und die auf dieser Grundlage vorgenommene Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verantwortungsbeiträge greift die Revision nicht an. Rechtliche Grundlage für die Haftungsverteilung bei der Anrechnung einer Mithaftung als Halter eines Kraftfahrzeugs oder als Betriebsunternehmer einer Bahn sind die Sonderregelungen der §§ 17 StVG, 13 HPflG (vgl. BGH, Urt. v. 8.3.1960 - VI ZR 113/58, VersR 1960, 632; Filthaut, Haftpflichtgesetz, 8. Aufl., § 4 Rz. 2). Bei Anwendung dieser Vorschriften ist die erfolgte Abwägung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Nach den vom Berufungsgericht gebilligten Ausführungen des AG zur Haftungsverteilung war der Kläger auch Halter des zu seinem Betriebsvermögen gehörenden Pkw. Dies stellt die Revision auch nicht in Frage. Der Umfang der Ersatzpflicht des Klägers und der Beklagten zu 1) hängt mithin nach §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 2, 4 StVG, §§ 1 Abs. 1, 13 Abs. 1, 2, 4 HPflG ebenfalls von einer Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge ab. Dabei ist auch nach diesen Vorschriften in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (vgl. BGH, Urt. v. 25.3.2003 - VI ZR 161/02, VersR 2003, 783, 785 f.; v. 13.12.2005 - VI ZR 68/04, VersR 2006, 369 Rz. 16; v. 16.10.2007 - VI ZR 173/06, VersR 2008, 126 Rz. 16).
Rz. 11
b) Mit Recht wendet sich die Revision allerdings gegen die Annahme des Berufungsgerichts, eine über den Anspruch aus § 1 Abs. 1 HPflG hinausgehende Haftung der Beklagten zu 1) gem. § 831 Abs. 1 BGB scheide deshalb aus, weil der Kläger sich in entsprechender Anwendung von § 4 Halbs. 2 HPflG ein Mitverschulden der Drittwiderbeklagten anrechnen lassen müsse, die als Fahrerin die tatsächliche Gewalt über das Fahrzeug ausübte.
Rz. 12
aa) § 4 HPflG gilt aufgrund seiner systematischen Stellung im Haftpflichtgesetz ausschließlich für die in diesem Spezialgesetz geregelten Haftpflichttatbestände (Filthaut, a.a.O., Rz. 16). Wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, ist die dem § 4 Halbs. 2 HPflG entsprechende Regelung in § 9 StVG nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats auf Ansprüche aus § 823 BGB nicht entsprechend anzuwenden, weil dies die vom Gesetzgeber gewollten Unterschiede beider Haftungssysteme verwischen würde (BGH, Urt. v. 30.3.1965 - VI ZR 257/63, VersR 1965, 523 f.; v. 25.3.1980 - VI ZR 61/79, VersR 1980, 740, 741, insoweit in BGHZ 76, 397 ff. nicht abgedruckt; v. 10.7.2007 - VI ZR 199/06, BGHZ 173, 182 Rz. 10 ff.; so auch OLG Hamm VersR 1996, 347 f.; König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 9 StVG Rz. 1; a.A. Klimke VersR 1988, 329, 330). Für § 4 Halbs. 2 HPflG und für weitere inhaltsgleiche Vorschriften in anderen Sondergesetzen, wie §§ 34 LuftVG, 27 AtomG, 118 BBergG, 11 UmweltHG, § 6 Abs. 1 ProdHaftG, § 32 Abs. 3 Satz 1 GenTG, kann nichts anderes gelten (vgl. Filthaut, a.a.O.; Geigel/Knerr, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., 2. Kap. Rz. 21; Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., § 254 Rz. 52; Soergel/Mertens, BGB, Stand: Juli 1990, § 254 Rz. 106; Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearbeitung 2005, § 254 Rz. 108; Wussow/Kürschner, Unfallhaftpflichtrecht, 15. Aufl., Kap. 55 Rz. 20).
Rz. 13
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts und der Revisionserwiderung kommt auch eine analoge Anwendung der genannten Vorschriften im Rahmen von Ansprüchen aus § 831 Abs. 1 BGB nicht in Betracht. Zwar kann allein die Erwägung, in den Einschränkungen der Haftung nach den Bestimmungen des Straßenverkehrsgesetzes, u.a. nach § 9 StVG, liege ein gewollter Ausgleich dafür, dass die Haftung des Kraftfahrzeugführers anders als nach § 823 BGB schon bei vermutetem Verschulden eintrete (Senat, Urt. v. 30.3.1965 - VI ZR 257/63, a.a.O.), die Ablehnung einer Analogie in Bezug auf Ansprüche aus § 831 Abs. 1 BGB nicht tragen, weil auch eine Haftung nach dieser Vorschrift schon bei einem nur vermuteten Verschulden des Geschäftsherrn eingreift. Eine analoge Anwendung der in den oben aufgeführten Sondergesetzen geregelten Haftungseinschränkung im Rahmen der allgemeinen deliktischen Ansprüche aus den §§ 823 ff. BGB ist jedoch auch dann abzulehnen, wenn diese Ansprüche schon bei einem vermuteten Verschulden eingreifen (vgl. BGH, Urt. v. 7.1.1992 - VI ZR 17/91, VersR 1992, 455, 456 zu § 832 BGB).
Rz. 14
Eine Analogie setzt voraus, dass das Gesetz eine Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen. Die Unvollständigkeit des Gesetzes muss "planwidrig" sein (vgl. BGH, Urt. v. 14.12.2006 - IX ZR 92/05, BGHZ 170, 187 Rz. 15 m.w.N.). Eine solche "planwidrige" Regelungslücke liegt bezüglich der Haftung aus § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht vor.
Rz. 15
Der Rechtssatz, dass bei einer Sachbeschädigung ein Verschulden des Inhabers der tatsächlichen Gewalt über die Sache einem Mitverschulden des geschädigten Eigentümers gleichsteht, geht zurück auf landesrechtliche Vorschriften über die Haftpflicht der Eisenbahnen aus dem 19. Jahrhundert (Verhandlungen des Reichstages 1909, Bd. 248, 5593, 5599). Der Rechtssatz wurde im Zuge einer reichseinheitlichen Regelung in § 3 des Gesetzes über die Haftpflicht der Eisenbahnen und Straßenbahnen für Sachschaden vom 29.4.1940 übernommen (RGBl. I S. 691) und sodann durch Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 16.8.1977 (BGBl. I, 1577, 1578) ohne inhaltliche Änderungen in das Haftpflichtgesetz überführt. Nach dem Vorbild der Eisenbahnhaftung wurde der Rechtssatz in § 9 des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 3.5.1909 (RGBl. I S. 437, 439), dem heutigen Straßenverkehrsgesetz, aufgenommen. Dabei hat der Gesetzgeber ausweislich der Amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs bewusst eine auf den Bereich dieses Gesetzes beschränkte Sonderregelung geschaffen, weil gegenüber der verschärften Haftpflicht des Automobilhalters das Verschulden des Inhabers der Sache billiger Weise nicht unberücksichtigt bleiben könne (Verhandlungen des Reichstages 1909, a.a.O.).
Rz. 16
Die Regelungen betreffend die Haftung für Eisenbahnen bzw. Kraftfahrzeuge sowie die entsprechende Regelung in § 20 des Luftverkehrsgesetzes vom 1.8.1922 (RGBl. I S. 681, 684), dem heutigen § 34 LuftVG, hat der Gesetzgeber bei der Schaffung weiterer spezialgesetzlicher Haftpflichttatbestände inhaltsgleich in § 27 des Atomgesetzes vom 23.12.1959 (BGBl. I, 814, 821), § 118 des Bundesberggesetzes vom 13.8.1980 (BGBl. I, 1310, 1343), § 6 Abs. 1 des Produkthaftungsgesetzes vom 15.12.1989 (BGBl. I, 2198, 2199), § 32 Abs. 3 Satz 1 des Gentechnikgesetzes vom 20.6.1990 (BGBl. I, 1080, 1092) und § 11 des Umwelthaftungsgesetzes vom 10.12.1990 (BGBl. I, 2634, 2636) übernommen. Auch aus den Begründungen zu den diesen Bestimmungen zugrunde liegenden Gesetzentwürfen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber einen Regelungsplan verfolgt hätte, der über den Bereich der jeweils spezialgesetzlich geregelten Haftpflichttatbestände hinausgegangen wäre (BT-Drucks. 3/759, 37, 8/1315 S. 144, 11/2447 S. 21, 11/5622 S. 34, 11/7104 S. 20).
Rz. 17
Dies ist auch nachvollziehbar, weil es sich - abgesehen von der Fahrerhaftung nach § 18 StVG - bei allen in Rede stehenden Haftungsnormen (§ 1 Abs. 1 HPflG, § 7 Abs. 1 StVG, § 33 Abs. 1 Satz 1 LuftVG, §§ 25 Abs. 1, 26 Abs. 1 Satz 1 AtomG, § 114 Abs. 1 BBergG, § 1 Abs. 1 ProdHaftG, § 32 Abs. 1 GenTG, § 1 UmweltHG) anders als bei § 823 BGB und § 831 BGB um Tatbestände der Gefährdungshaftung handelt, die unabhängig von einem rechtswidrigen und schuldhaften Handeln des Haftpflichtigen eingreifen. Im Übrigen hat der Gesetzgeber etwaige Billigkeitserwägungen, die für eine Übertragung der in den Spezialgesetzen bestehenden Regelungen auf den Bereich der Verschuldenshaftung sprechen könnten, im Rahmen der Änderungen des Schadensrechts durch das 2. Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19.7.2002 nicht zum Anlass genommen, an dieser Rechtslage etwas zu ändern (BGH, Urt. v. 10.7.2007 - VI ZR 199/06, a.a.O., Rz. 13; Geyer, NZV 2005, 565, 567).
Rz. 18
Soweit § 9 StVG aufgrund der Verweisung in § 18 Abs. 1 Satz 1 StVG auch im Rahmen der Fahrerhaftung anwendbar ist, die nur bei nachweislich fehlendem Verschulden ausgeschlossen ist (§ 18 Abs. 1 Satz 2 StVG), handelt es sich um einen speziellen Einzelfall. Die Verweisung ist Ausfluss der Grundentscheidung des Gesetzgebers, die Haftung des Fahrers in das spezialgesetzlich geregelte Haftungssystem des Straßenverkehrsgesetzes einzubeziehen und sie - abgesehen von der Exkulpationsmöglichkeit - durch den umfassenden Verweis auf die §§ 8 bis 17 StVG der Halterhaftung gleichzustellen (vgl. die Amtliche Begründung des Gesetzentwurfs, Verhandlungen des Reichstages 1909, Bd. 248, 5593, 5601). Daraus lassen sich hinsichtlich der Anwendbarkeit dieser Bestimmungen keine Schlüsse ziehen, die über den Kontext dieses umfassend geregelten speziellen Haftungssystems hinausgehen.
Rz. 19
c) Die Annahme des Berufungsgerichts, dass dem Kläger gegen die Beklagte zu 1) aus § 831 Abs. 1 BGB kein Anspruch auf Zahlung weiterer 1.444,82 EUR zusteht, erweist sich aber aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).
Rz. 20
Zwar trifft zu, dass der Kläger selbst keinen Fehler bei der Bedienung seines Kraftfahrzeugs gemacht hat, den er sich nach § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen müsste. Die Revisionserwiderung weist aber mit Recht darauf hin, dass sich nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats die Betriebsgefahr eines Kraftfahrzeugs in erweiternder Auslegung des § 254 BGB anspruchsmindernd auswirken kann, wenn sich der Geschädigte die Betriebsgefahr seines Kraftfahrzeugs dem Schädiger gegenüber zurechnen lassen muss (vgl. BGH, Urt. v. 20.1.1954 - VI ZR 118/52, BGHZ 12, 124, 128; v. 13.4.1956 - VI ZR 347/54, BGHZ 20, 259, 260 ff.; v. 5.4.1960 - VI ZR 49/59, VersR 1960, 636, 637; v. 30.5.1972 - VI ZR 38/71, VersR 1972, 959, 960; v. 10.7.2007 - VI ZR 199/06, BGHZ 173, 182 Rz. 16; s. auch BGH, Urt. v. 23.6.1952 - III ZR 297/51, BGHZ 6, 319, 320 ff.). Das ist der Fall, wenn der Geschädigte - wie im Streitfall der Kläger - zugleich als Halter des beschädigten Kraftfahrzeugs dem Schädiger gegenüber aus § 7 Abs. 1 StVG haftet. In einem solchen Fall ist im Rahmen der Betriebsgefahr, die sich der Halter entgegenhalten lassen muss, wenn er Ersatz seines Unfallschadens nach § 823 Abs. 1 BGB verlangt, als ein die allgemeine Betriebsgefahr erhöhender Umstand auch das für den Unfall mitursächliche haftungsrelevante Verhalten des Fahrers selbst dann zu berücksichtigen, wenn der Fahrzeughalter für dessen Verhalten nicht nach § 831 BGB einzutreten braucht (vgl. Senat, Urt. v. 20.1.1954 - VI ZR 118/52, a.a.O., 128 f.; Oetker in MünchKomm/BGB, 6. Aufl., § 254 Rz. 114; Staudinger/Schiemann, a.a.O., § 254 Rz. 108, 117). Darin zeigt sich, dass bei der hier vorliegenden Konstellation, bei der der geschädigte Eigentümer zugleich Halter des Kfz ist, bereits keine Regelungslücke vorliegt.
Rz. 21
Die danach auch im Rahmen eines möglichen Anspruchs aus § 831 Abs. 1 BGB gebotene Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge haben die Vorinstanzen - wie ausgeführt - bereits vorgenommen. Diese von der Revision nicht angegriffene Abwägung muss hinsichtlich aller konkurrierenden Ansprüche gleich ausfallen, weil bei der erweiternden Auslegung des § 254 BGB für die Schadensverteilung dieselben Maßstäbe maßgebend sind, wie bei den ihm nachgebildeten Vorschriften des § 17 Abs. 1 StVG und des § 13 Abs. 1 HPflG (vgl. Senat, Urt. v. 20.1.1954 - VI ZR 118/52, a.a.O., 129; v. 13.4.1956 - VI ZR 347/54, a.a.O., 263). Dies führt dazu, dass auch der Anspruch des Klägers aus § 831 Abs. 1 Satz 1 BGB um dessen Mithaftungsanteil von einem Drittel zu kürzen ist.
Fundstellen
NJW 2013, 3235 |
NJW 2013, 6 |
EBE/BGH 2013 |
ZAP 2013, 811 |
DAR 2013, 573 |
DAR 2014, 304 |
JZ 2013, 507 |
JuS 2014, 268 |
MDR 2013, 967 |
NZV 2013, 4 |
VRS 2013, 75 |
VersR 2013, 1013 |
ZfS 2013, 558 |
NJW-Spezial 2013, 714 |
VRA 2013, 147 |
r+s 2013, 401 |