Leitsatz (amtlich)
Der Geschäftsführer einer GmbH wird erst mit seiner Bestellung für die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen verantwortlich. Das pflichtwidrige Verhalten früherer Geschäftsführer kann ihm grundsätzlich nicht zugerechnet werden.
Normenkette
BGB § 823; StGB § 266a
Verfahrensgang
OLG Naumburg |
LG Halle (Saale) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 15. Februar 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den Beklagten als früheren Geschäftsführer der H. GmbH auf Schadensersatz wegen der Vorenthaltung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung für die Monate August und September 1995 in Höhe von noch 136.922,45 DM in Anspruch.
Die H. GmbH war mit der Abführung der Sozialversicherungsbeiträge für Juni 1995 in Rückstand geraten. Die Klägerin, eine einzugsberechtigte Krankenkasse, gewährte Vollstreckungsaufschub und Ratenzahlung ab September 1995, nachdem ihr die fristgerechte Leistung der laufenden Beiträge zugesichert worden war. Für die Monate August und September 1995 bezahlte die H. GmbH keine Löhne mehr. Der Beklagte wurde durch Gesellschafterbeschluß vom 29. August 1995 zum alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer bestellt. Am 18. September 1995 überwies die GmbH die erste Rate der gestundeten Beiträge i.H. von 40.000 DM. Die laufenden Beiträge für August, die am 15. September 1995 zur Zahlung fällig gewesen wären, wurden nicht bezahlt. Aufgrund von Vollstreckungsmaßnahmen erhielt die Klägerin bis zum 16. Oktober 1995 weitere Zahlungen, die sie mit den Rückständen für Juni und August 1995 verrechnete, so am 05. Oktober 1995 40.000 DM, am 15. Oktober 1995 80.000 DM und am 16. Oktober 1995 20.000 DM. Am 20. Dezember 1995 wurde das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der H. GmbH eröffnet. Es war bei Schluß der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz noch nicht beendet. Aus den Rückständen für August (67.620,37 DM) und September (69.302,08 DM) errechnete die Klägerin die Klagesumme in Höhe von 136.922,45 DM.
Gegen den in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht säumigen Beklagten ist antragsgemäß Versäumnisurteil ergangen. Dagegen hat der Beklagte fristgerecht Einspruch eingelegt.
Das Landgericht hat das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Die Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der Revision erstrebt der Beklagte weiterhin die Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hält den Schadensersatzanspruch auf der Grundlage des § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit den §§ 266 a Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB für begründet. Der Beklagte habe die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung für August 1995 in Höhe von 67.620,37 DM und für September 1995 in Höhe von 69.302,08 DM pflichtwidrig vorenthalten. Die Zahlungen in der Zeit vom 18. September 1995 bis 16. Oktober 1995 seien auf Vollstreckungsmaßnahmen zurückzuführen und hätten deshalb in der vorgenommenen Weise verrechnet werden dürfen. Der Beklagte könne sich nicht darauf berufen, daß die H. GmbH die Beitragszahlung für September 1995 nicht mehr habe erbringen können, da sie bereits zahlungsunfähig und verschuldet gewesen sei. Der Arbeitgeber habe durch besondere Maßnahmen, z.B. durch Bildung von Rücklagen, die Zahlung der Arbeitnehmeranteile sicherzustellen. Auch wenn der Beklagte erst im September 1995 – also im Zeitpunkt der Anmeldung seiner Geschäftsführerbestellung zum Handelsregister – für die Zahlungspflicht der bereits überschuldeten H. GmbH verantwortlich geworden sei, müsse er sich das Verhalten seiner Vorgänger zurechnen lassen. Jedenfalls habe er sich erkundigen müssen, ob Rücklagen für die zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge vorhanden seien. Ohne eine ausreichende Absicherung hätte er die Übernahme der Geschäftsführung ablehnen müssen. Die im Gesamtvollstreckungsverfahren zu erwartende Quote könne lediglich schadensmindernd berücksichtigt werden, da der Schaden bereits zum Zeitpunkt der Vorenthaltung der Arbeitnehmeranteile eingetreten sei. Sie decke außerdem den offenen Betrag nicht ab.
II.
Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat – was die Revision nicht angreift – zutreffend festgestellt, daß die von der Klägerin vorgenommene Verrechnung der Zahlungen der H. GmbH auf die Beitragsrückstände für Juni und August 1995 nicht beanstandet werden kann. Sie rügt aber mit Erfolg, daß das Berufungsgericht das Vorbringen des Beklagten zur Zahlungsunfähigkeit der H. GmbH im Zeitpunkt der Fälligkeit der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung für August und September 1995 für unerheblich gehalten hat.
a) Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings die Erfüllung des Tatbestandes des § 266 a Abs. 1 StGB durch den Beklagten nicht schon deshalb verneint, weil im August und September 1995 keine Löhne mehr ausbezahlt worden sind. Der dem Berufungsurteil zugrundeliegenden – zunächst umstrittenen – Auffassung hat sich der erkennende Senat in der Entscheidung vom 16. Mai 2000 (BGHZ 144, 311 ff., 316 f.) angeschlossen. Danach werden Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung auch für solche Zeiträume vorenthalten, in denen kein Lohn ausbezahlt wurde, solange noch finanzielle Mittel zur Verfügung standen, die für die Beitragszahlung ausgereicht hätten. Ist letzteres nicht mehr der Fall (und dies dem Arbeitgeber nicht anzulasten), sind allerdings die Voraussetzungen für die Strafbarkeit nicht gegeben (vgl. BGHZ aaO, 321).
b) Das Berufungsgericht hat den Vortrag des Beklagten, die H. GmbH sei im September 1995 bereits zahlungsunfähig und überschuldet gewesen, für nicht durchgreifend erachtet, weil es rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen der vorverlegten strafrechtlichen Verantwortlichkeit bei dem Beklagten für gegeben erachtet hat. Im Ansatz richtig ist es zwar davon ausgegangen, daß der Arbeitgeber auch dann haftet, wenn ihm die Entrichtung der Beiträge wegen Zahlungsunfähigkeit im Fälligkeitszeitpunkt unmöglich ist, ihm aber die Herbeiführung der Zahlungsunfähigkeit als (bedingt vorsätzliches) pflichtwidriges Verhalten zur Last gelegt werden muß (vgl. Senatsurteil, BGHZ 134, 304, 308 m.w.N. und Senatsurteil vom 14. November 2000 – VI ZR 149/99 – VersR 2001, 343, 344).
Zu Unrecht hat das Berufungsgericht aber dem Beklagten ein pflichtwidriges Verhalten früherer Geschäftsführer zugerechnet. Nach den tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil ist schon ein bedingt vorsätzlicher Pflichtverstoß der Vorgänger des Beklagten in der Geschäftsführung der H. GmbH nicht gegeben. Denn auch wenn im Juni 1995 die Arbeitnehmerbeiträge bei Fälligkeit nicht abgeführt wurden, folgt daraus nicht zwingend ein pflichtwidriges Verhalten der früheren Geschäftsführer der H. GmbH.
Vor allem jedoch übernimmt der Geschäftsführer die rechtliche Verpflichtung zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen erst mit seiner Bestellung. Zum einen können nämlich für den Beginn der Verantwortlichkeit des Geschäftsführers keine anderen Grundsätze gelten, als sie der Senat im Urteil vom 15. Oktober 1996 (BGHZ 133, 370, 376) für deren Beendigung aufgestellt hat. Hierauf wird im einzelnen Bezug genommen. Zum anderen würde die Zurechnung eines Verhaltens der Vorgänger und die hieraus resultierende Vorverlegung der Verantwortlichkeit des Beklagten auf die Zeit vor seiner Geschäftsführerbestellung die Strafbarkeit in einer Weise ausdehnen, die mit dem Wortlaut des § 266 a StGB nicht in Einklang zu bringen ist. Dies stünde in Widerspruch zu dem im Strafrecht geltenden verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG), das gewährleisten soll, daß jedermann vorhersehen kann, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist (BVerfGE 25, 269, 285; 26, 41, 42; 28, 175, 183; 37, 201).
Die Revision macht auch mit Recht geltend, daß das Berufungsgericht die Haftung des Beklagten daneben ohne ausreichende rechtliche Grundlage auf die Verletzung einer Erkundigungspflicht über Vorgänge vor der Übernahme seiner Geschäftsführertätigkeit gestützt hat.
2. Im übrigen kommt es für die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des Beklagten entscheidend darauf an, ob die H. GmbH im Augenblick der Fälligkeit der Sozialbeiträge noch zahlungsfähig war, weil die Unmöglichkeit normgemäßen Verhaltens die Tatbestandsmäßigkeit bei dem hier vorliegenden Unterlassungsdelikt entfallen läßt (vgl. Senatsurteile BGHZ 133, 370, 379 f.; vom 18. November 1997 – VI ZR 11/97 – VersR 1998, 468, 469 und vom 11. Dezember 2001 – VI ZR 350/00 – noch nicht veröffentlicht). Deshalb konnte die Zahlungsfähigkeit der H. GmbH zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge am 15. September und 15. Oktober 1995 nicht unaufgeklärt bleiben.
Entgegen der Auffassung der Revision fehlen im Berufungsurteil hierzu ausreichende Feststellungen. Die Revisionserwiderung weist zu Recht auf die Widersprüche im Beklagtenvortrag hin, die eine Zahlungsunfähigkeit der H. GmbH jedenfalls zweifelhaft erscheinen lassen. Hatte die H. GmbH bereits vor September 1995 wirtschaftliche Probleme und war ihre Kreditlinie ausgeschöpft, ist nämlich damit nicht zu vereinbaren, daß am 18. September 1995 40.000 DM an die Klägerin als erste Rate auf die Rückstände für Juni 1995 überwiesen werden konnten und weitere 140.000 DM im Vollstreckungsverfahren bis zum 16. Oktober 1995 bezahlt wurden. Auf die Zahlungsunfähigkeit der GmbH am 15. Oktober 1995, an dem die Beiträge für September 1995 fällig geworden sind, kann – entgegen der Ansicht der Revision – auch nicht deshalb geschlossen werden, weil der Beklagte am 18. Oktober 1995 den Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen der GmbH gestellt hat. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die H. GmbH aufgrund finanzieller Transaktionen nach dem 15. Oktober 1995 erst zum 18. Oktober 1995 zahlungsunfähig geworden ist.
3. Die Revision greift erfolgreich auch die Ausführungen im Berufungsurteil an, mit denen das Berufungsgericht den bedingten Vorsatz des Beklagten für das Vorenthalten der am 15. Oktober 1995 fälligen Septemberbeiträge bejaht hat. Es hat die Besonderheiten des vorliegenden Falls für die Beurteilung der subjektiven Tatseite verkannt.
Für den Vorsatz, wie ihn § 266 a Abs. 1 StGB voraussetzt, sind das Bewußtsein und der Wille erforderlich und ausreichend, die Beiträge bei Fälligkeit (trotz Zahlungsfähigkeit) nicht abzuführen (vgl. Senatsurteil vom 1. Oktober 1991 – VI ZR 374/90 – VersR 1991, 1378, 1379). Die Revision macht mit Recht geltend, daß die Zahlung von 40.000 DM am 18. September 1995 nicht die Annahme rechtfertigt, der Beklagte habe am 15. Oktober 1995 die Abführung der fälligen Arbeitnehmerbeiträge bewußt und gewollt unterlassen.
Die Klägerin hatte nämlich, nachdem der Beklagte die erste Rate in Höhe von 40.000 DM am 18. September 1995 überwiesen hatte, die H. GmbH am 20. September 1995 unter Vollstreckungsandrohung aufgefordert, die Beiträge für den Monat August 1995 zu zahlen. Dem landgerichtlichen Urteil, dessen Ausführungen sich das Berufungsgericht zu eigen gemacht hat, kann nicht entnommen werden, daß dem Beklagten der genaue Gegenstand und der Umfang des Vollstreckungsauftrages bekannt geworden wären. Die Annahme, der Beklagte habe vorsätzlich die Beiträge vorenthalten, setzt aber die Kenntnis voraus, daß die Klägerin die Ratenzahlungsvereinbarung aufgekündigt hatte und die Vollstreckung auch wegen der Junibeiträge betrieb. Nur dann war dem Beklagten bewußt, daß trotz der Zahlungen im Vollstreckungsverfahren nach wie vor ein Teil der Augustbeiträge und die Septemberbeiträge offen waren.
III.
Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann der Fall nicht abschließend entschieden werden. Das Urteil war deswegen aufzuheben und die Sache zur weiteren Aufklärung und erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Für das weitere Verfahren ist zu beachten, daß die Klägerin entsprechend den im Senatsurteil vom 11. Dezember 2001 (– VI ZR 350/00 – noch nicht veröffentlicht) dargelegten Grundsätzen die Beweislast für die Zahlungsfähigkeit der H. GmbH bei Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge trägt.
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Dressler, Dr. Greiner, Diederichsen, Stöhr
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 11.12.2001 durch Böhringer-Mangold, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 2002, 322 |
BB 2002, 537 |
DB 2002, 422 |
DStZ 2002, 195 |
NJW 2002, 1122 |
BGHR 2002, 372 |
EWiR 2002, 263 |
NZA 2002, 1400 |
NZG 2002, 288 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2002, 345 |
ZAP 2002, 382 |
ZIP 2002, 261 |
AP, 0 |
DZWir 2002, 245 |
KÖSDI 2002, 13227 |
MDR 2002, 453 |
NZI 2002, 229 |
NZI 2002, 46 |
VersR 2002, 319 |
GmbHR 2002, 208 |
StV 2002, 303 |
PP 2002, 36 |