Leitsatz (amtlich)
Erweist sich die Vereinbarung eines Zeitmietvertrags als unwirksam, weil die nach § 575 Abs. 1 Satz 1 BGB erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind, kann dem bei Vertragsschluss bestehenden Willen der Mietvertragsparteien, das Mietverhältnis nicht vor Ablauf der vorgesehenen Mietzeit durch ordentliche Kündigung nach § 573 BGB zu beenden, im Einzelfall dadurch Rechnung getragen werden, dass im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung an die Stelle der unwirksamen Befristung ein beiderseitiger Kündigungsverzicht tritt, der eine ordentliche Kündigung frühestens zum Ablauf der (unwirksam) vereinbarten Mietzeit ermöglicht (Bestätigung von BGH, Urt. v. 10.7.2013 - VIII ZR 388/12, NJW 2013, 2820).
Normenkette
BGB § 575
Verfahrensgang
LG Memmingen (Urteil vom 18.07.2012; Aktenzeichen 12 S 430/12) |
AG Neu-Ulm (Entscheidung vom 15.02.2012; Aktenzeichen 8 C 1540/10) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Memmingen vom 18.7.2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Beklagten sind Mieter einer Wohnung der Kläger in N. In dem am 10.11.2009 mit der Rechtsvorgängerin der Kläger geschlossenen "Zeit-Mietvertrag" ist vereinbart, dass das Mietverhältnis am 15.11.2009 beginnt und am 31.10.2012 endet.
Rz. 2
Nachdem sie am 19.7.2010 als neue Eigentümer der Wohnung im Grundbuch eingetragen worden waren, erklärten die Kläger mit Schreiben ihrer anwaltlichen Vertreter vom 28.7.2010 die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses zum 31.10.2010 wegen Eigenbedarfs. Zur Begründung des Eigenbedarfs gaben sie an, der in K. wohnende Bruder der Klägerin wolle seinen Lebensabend in N. verbringen. Die Beklagten zogen nicht aus der Wohnung aus.
Rz. 3
Mit ihrer Klage, die sie in der Berufungsinstanz zusätzlich auf eine am 27.4.2012 ausgesprochene, mit Zahlungsverzug begründete fristlose Kündigung stützen, nehmen die Kläger die Beklagten auf Räumung und Herausgabe der Wohnung in Anspruch. Das AG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist beim LG erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Beklagten ihr Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die Revision hat Erfolg. Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden, da die Kläger in der mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht anwaltlich vertreten waren. Inhaltlich beruht das Urteil indessen nicht auf der Säumnis, sondern einer Sachprüfung (BGH, Urt. v. 4.4.1962 - V ZR 110/60, BGHZ 37, 79, 81 ff.).
I.
Rz. 5
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Rz. 6
Das AG sei zu Recht davon ausgegangen, dass trotz der Bezeichnung "Zeit-Mietvertrag" ein auf unbestimmte Zeit geschlossenes Mietverhältnis vorliege, das wegen Eigenbedarfs der Kläger wirksam gekündigt worden sei.
Rz. 7
Zutreffend habe das AG angenommen, dass eine zeitliche Befristung des Mietverhältnisses vorliegend unwirksam sei, da ein in § 575 Abs. 1 Satz 1 BGB bestimmter Grund nicht angegeben worden sei. Zwar sei eine Umdeutung eines unwirksamen Zeitmietvertrags in einen befristeten Kündigungsausschluss denkbar. Dies sei jedoch vom AG mit der überzeugenden Erwägung verneint worden, dass die in § 2 Ziff. 2 des vorformulierten Mietvertrags vorgesehene Regelung eines Kündigungsverzichts nicht ausgefüllt worden sei.
II.
Rz. 8
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der von den Vorinstanzen gegebenen Begründung kann ein Anspruch der Kläger auf Räumung der Wohnung nicht bejaht werden.
Rz. 9
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die im Mietvertrag vorgesehene Befristung unwirksam ist. Denn die Befristung eines Mietverhältnisses über Wohnraum ist gem. § 575 Abs. 1 Satz 1 BGB nur zulässig, wenn der Vermieter die Räume nach Ablauf der Mietzeit als Wohnraum für sich oder seine Familien- oder Haushaltsangehörigen nutzen will oder die Absicht hat, die Räume zu beseitigen oder so wesentlich zu verändern oder instand zu setzen, dass die Maßnahmen durch eine Fortsetzung des Mietverhältnisses erheblich erschwert würden, und der Vermieter dem Mieter den Befristungsgrund bei Vertragsschluss schriftlich mitteilt. Jedenfalls an der letzteren Voraussetzung fehlt es im Streitfall.
Rz. 10
2. Von Rechtsirrtum beeinflusst ist hingegen die Annahme des Berufungsgerichts, infolge der Unwirksamkeit der Befristung greife die gesetzliche Rechtsfolge des § 575 Abs. 1 Satz 2 BGB ein, dass das Mietverhältnis als auf unbestimmte Zeit geschlossen gilt und unter den Voraussetzungen des § 573 BGB (auch) ordentlich gekündigt werden kann. Vielmehr ist durch die Unwirksamkeit der von den Parteien gewollten Regelung eine planwidrige Vertragslücke entstanden. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, ist die Lücke in derartigen Fällen im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) unter Berücksichtigung dessen zu schließen, was die Parteien redlicherweise vereinbart hätten, wenn ihnen die Unwirksamkeit der vereinbarten Vertragsbestimmung bekannt gewesen wäre (BGH vom 10.7.2013 - VIII ZR 388/12, NJW 2013, 2820 Rz. 12 ff. m.w.N.).
Rz. 11
Dies bedeutet für den Streitfall:
Rz. 12
Aus der Aufnahme der zeitlichen Befristung vom 15.11.2009 bis 31.10.2012 in den Mietvertrag vom 10.11.2009 wird der bei Vertragsschluss beiderseits bestehende Wille der Vertragsschließenden deutlich, dass das Mietverhältnis jedenfalls für diese Zeit Bestand haben sollte. Diesem Parteiwillen wird die an sich infolge der Unzulässigkeit der Befristung eintretende gesetzliche Rechtsfolge des § 575 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht gerecht; denn die Parteien wollten ersichtlich, dass das Mietverhältnis nicht vor Ablauf der Befristung durch Kündigung nach § 573 BGB beendet werden kann. Hätten die Parteien die Unwirksamkeit der von ihnen gewollten Befristung erkannt, hätten sie die dadurch entstandene Vertragslücke daher redlicherweise dahin geschlossen, dass an die Stelle der unwirksamen Befristung ein beiderseitiger Kündigungsverzicht in der Weise tritt, dass eine Kündigung frühestens zum Ablauf der vereinbarten Mietzeit möglich ist. Auf diese Weise wird das von beiden Vertragsparteien erstrebte Ziel einer Bindung für die im Vertrag bestimmte Zeit erreicht.
Rz. 13
Die Auffassung der Vorinstanzen, ein Kündigungsverzicht könne im Streitfall deshalb nicht angenommen werden, weil die Parteien die dafür vorgesehene Textstelle im vorformulierten Mietvertrag nicht ausgefüllt hätten, trifft nicht zu. Dass die Parteien § 2 Ziff. 2 des Mietvertrags nicht ausgefüllt haben, lässt keinen Rückschluss auf den Parteiwillen zu. Denn die Parteien hatten bei Vertragsschluss keinen Anlass, einen beiderseitigen Kündigungsverzicht zu vereinbaren, weil sie die vereinbarte Befristung (irrtümlich) für wirksam angesehen haben.
Rz. 14
Der Räumungsanspruch der Kläger kann auch nicht mit der Erwägung bejaht werden, die am 28.7.2010 zum 31.10.2010 ausgesprochene Kündigung habe das Mietverhältnis jedenfalls zum Ablauf der von den Parteien gewollten Bindungsfrist (31.10.2012) beendet; denn der Kündigungserklärung kann ein derartiger Wille der Kläger nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnommen werden, zumal sich der geltend gemachte Eigenbedarfsgrund zwischen dem 31.10.2010 und 31.10.2012 geändert haben kann (vgl. BGH, Urt. v. 12.1.1981 - VIII ZR 332/79, NJW 1981, 976 unter II 1e aa).
III.
Rz. 15
Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung kann der Senat nicht treffen, weil sich das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt konsequent - nicht mit der von den Klägern im Berufungsrechtszug erklärten fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs vom 27.4.2012 beschäftigt hat. Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
Fundstellen