Leitsatz (amtlich)
Bei verzögerter Freigabe eines hinterlegten Geldbetrages hat der Gläubiger in entsprechender Anwendung von § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB einen Anspruch auf Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe (Fortführung von BGHZ 167, 268).
Normenkette
BGB § 288 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Hagen (Urteil vom 05.10.2016; Aktenzeichen 3 S 46/16) |
AG Hagen (Entscheidung vom 15.06.2016; Aktenzeichen 144 C 10/16) |
Tenor
Die Revision des Beklagten und die Anschlussrevision der Klägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Hagen vom 5.10.2016 werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Revisionsrechtszugs tragen die Klägerin 5 vom Hundert und der Beklagte 95 vom Hundert.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über Verzugszinsen bei verzögerter Freigabe eines hinterlegten Betrages.
Rz. 2
Die Klägerin war zu 1/5, der Beklagte zu 4/5 Miteigentümer eines Grundstücks, das am 17.11.2011 zum Zwecke der Aufhebung der Gemeinschaft zwangsversteigert wurde. Von dem zu verteilenden Überschussbetrag hinterlegte das AG den auf die Klägerin entfallenden Anteil bei der Hinterlegungsstelle des AG, weil der Beklagte der Auszahlung an die Klägerin nicht zustimmte. Die Klägerin forderte den Beklagten zur Freigabe des hinterlegten Betrages auf, was dieser mit E-Mail vom 10.9.2012 ablehnte. Mit Urteil des LG Hagen vom 3.2.2015 wurde er verurteilt, der Auszahlung des hinterlegten Betrages an die Klägerin zuzustimmen. Nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils am 28.12.2015 ging der hinterlegte Betrag am 16.2.2016 bei der Klägerin ein.
Rz. 3
Die Klägerin begehrt nunmehr für den Zeitraum vom 10.9.2012 bis zum 16.2.2016 Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe aus dem hinterlegten Betrag. Das AG hat den Beklagten bei Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an die Klägerin Verzugszinsen für die Zeit vom 10.9.2012 bis einschließlich 28.12.2015i.H.v. 4.105,62 EUR zu zahlen und die Klägerin freizustellen von ihr vorgerichtlich entstandenen Anwaltskosten durch Zahlung von 492,54 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 21.1.2016 an die von der Klägerin beauftragte Anwaltssozietät. Auf die Berufung des Beklagten hat das LG den in der Hauptsache zu zahlenden Betrag auf 4.104,43 EUR herabgesetzt und die Zinsforderung bezüglich der vorgerichtlichen Anwaltskosten abgewiesen.
Rz. 4
Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter. Die Klägerin hat Anschlussrevision eingelegt mit dem Ziel einer Verzinsung der vorgerichtlichen Anwaltskosten ab dem 29.1.2016.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
Die Rechtsmittel sind zulässig, aber unbegründet.
I.
Rz. 6
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Der Anspruch auf Zinsen auf den hinterlegten Betrag ergebe sich dem Grunde nach aus einer analogen Anwendung des § 288 Abs. 1 BGB. Die Vorschrift des § 288 Abs. 1 BGB gelte zwar nach ihrem Wortlaut lediglich für Geldforderungen, sie finde aber entsprechend Anwendung auf Ansprüche, die auf Zustimmung zur Auszahlung hinterlegten Geldes an den Gläubiger gerichtet seien. Dies entspreche der Rechtsprechung des BGH zu § 288 Abs. 1 BGB in der bis zum 30.4.2000 geltenden Fassung (Urt. v. 25.4.2006 - XI ZR 271/05, BGHZ 167, 268), der auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Beschleunigung von Zahlungen vom 30.3.2000 (BGBl. I, 330) zum 1.5.2000 und des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001 (BGBl. I, 3138) zum 1.1.2002 zu folgen sei. Für Ansprüche, die nicht auf Zahlung von Geld, sondern auf Einwilligung in die Auszahlung von Geld gerichtet seien, weise § 288 Abs. 1 BGB eine Regelungslücke auf, die vom Gesetzgeber nicht gesehen worden sei und an deren Fortbestand sich daher nichts geändert habe. In diesen Fällen liege auch eine die Analogie rechtfertigende vergleichbare Interessenlage vor. Für den aus der Vorenthaltung von Geld erwachsenden (Zins-)Schaden sei es gleichgültig, ob die Vorenthaltung darauf beruhe, dass der Schuldner nicht zahle, oder darauf, dass der Schuldner die Auszahlung des Geldes seitens einer Hinterlegungsstelle durch Nichterteilung seiner Zustimmung verhindere. Dass der Gesetzgeber durch § 288 Abs. 1 BGB (auch) die Durchsetzung von Zahlungsansprüchen habe beschleunigen wollen, stehe der Gleichsetzung einer Nichtzahlung mit einer zu Unrecht verweigerten Zustimmung zur Auszahlung nicht entgegen. Die Klägerin habe auch Anspruch auf Zustimmung zur Freigabe des hinterlegten Geldes gehabt, was bereits aufgrund des rechtskräftigen Urteils des LG Hagen vom 3.2.2015 nach § 322 Abs. 1 ZPO bindend für den hier zu beurteilenden Zinsanspruch feststehe. Mit der Erfüllung dieses Anspruchs sei der Beklagte in Verzug gewesen, spätestens seit er durch seine E-Mail vom 10.9.2012 die Zustimmung zur Auszahlung des hinterlegten Betrages ernsthaft und endgültig i.S.v. § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB verweigert habe.
Rz. 7
Hinsichtlich der Höhe des Anspruches sei in Anwendung von § 187 Abs. 1 BGB ein Zinszeitraum erst ab dem Tag nach Zugang der Zahlungsverweigerung in der E-Mail vom 10.9.2012 zugrunde zu legen. Der Einwand des Beklagten, der Klägerin habe teilweise ein Anspruch auf Hinterlegungszinsen zugestanden, sei unerheblich, weil der Nachweis eines geringeren Schadens vom Gesetzgeber bewusst nicht vorgesehen worden sei, im Übrigen das AG für das Berufungsgericht bindend festgestellt habe, dass lediglich der hinterlegte Erlösanteil aus der Versteigerung an die Klägerin ausgekehrt worden sei.
Rz. 8
Der Klageantrag betreffend die außergerichtlichen Kosten der Klägerin sei dahin auszulegen, dass er auf Freistellung gerichtet sei. Ein solcher Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten stehe der Klägerin in geltend gemachter Höhe auch zu. Indes bestehe ein Anspruch auf Prozess- oder Verzugszinsen hinsichtlich des Freistellungsanspruches nicht, insoweit komme auch keine Analogie zu §§ 288 ff. BGB in Betracht.
II.
Rz. 9
Die zulässige Revision des Beklagten erweist sich als unbegründet. Nach den unangefochtenen Feststellungen befand sich der Beklagte mit der Zustimmung zur Freigabe des hinterlegten Geldes in Verzug. Er schuldet daher der Klägerin in entsprechender Anwendung des § 288 Abs. 1 BGB Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe.
Rz. 10
1. Der Beklagte war nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts verpflichtet, gegenüber der Hinterlegungsstelle des AG seine unbedingte Zustimmung zu erklären, dass der dort hinterlegte Anteil am zu verteilenden Erlös aus der Teilungsversteigerung an die Klägerin ausgezahlt wird. Dies zu tun hatte der Beklagte mit E-Mail vom 10.9.2012 ernsthaft und endgültig verweigert. Er befindet sich seither auch ohne vorangehende Mahnung der Klägerin in Verzug (§ 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB). Umstände, aufgrund derer der Beklagte diesen nicht zu vertreten hätte, sind weder vom LG festgestellt noch von der Revision geltend gemacht.
Rz. 11
2. Der Beklagte ist daher - wie das Berufungsgericht zutreffend gesehen hat - in entsprechender Anwendung von § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Zahlung der gesetzlichen Verzugszinsen in zuerkannter Höhe verpflichtet.
Rz. 12
a) Der Beklagte war zwar nicht mit einer Geldschuld, sondern mit der Abgabe einer Freigabeerklärung in Verzug, auf die § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB keine unmittelbare Anwendung findet. Ein Gläubiger hat aber in entsprechender Anwendung von § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB auch bei verzögerter Freigabe eines hinterlegten Geldbetrages einen Anspruch auf Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe. Dies gilt nicht nur für die bis zum 30.4.2000 geltende Fassung des § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl. BGH, Urt. v. 25.4.2006 - XI ZR 271/05, BGHZ 167, 268), sondern auch für die Neufassungen dieser Norm.
Rz. 13
Der Revision ist zuzugeben, dass aufgrund des vom Gesetzgeber bewusst eng gefassten Anwendungsbereichs des § 288 Abs. 1 BGB und mit Blick auf dessen gerade auf den Verzug mit einer Geldschuld bezogenen Schutzzweck die Vorschrift nicht auf alle Fälle angewendet werden kann, in denen mittelbar die Verschaffung von Geld geschuldet wird (BGH, Urt. v. 5.12.2012 - XII ZR 44/11, BGHZ 196, 1 Rz. 23). Der Senat hält jedoch daran fest, dass der Anspruch auf Einwilligung in die Auszahlung hinterlegten Geldes einer Geldschuld gleichzustellen ist. Insoweit besteht eine durch Analogie zu schließende Regelungslücke. Die von der Revision aufgegriffenen Bedenken hiergegen (vgl. Staudinger/Löwisch/Feldmann, BGB, 2014, § 288 Rz. 13; Soergel/Benicke/Nalbantis, BGB, 13. Aufl., § 288 Rz. 40; Ernst in MünchKomm/BGB, 7. Aufl., § 288 Rz. 13) erachtet der Senat für ebenso wenig durchgreifend wie die Überlegungen der Revision, nach der Neufassung des § 288 BGB sei eine die Analogie rechtfertigende vergleichbare Interessenlage nicht mehr gegeben.
Rz. 14
aa) Zunächst kann dahinstehen, ob es sich bei § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB um eine Ausnahmeregelung handelt (hierauf abstellend Staudinger/Löwisch/Feldmann, a.a.O.; Foerster ZMR 2009, 245, 251 Fn. 80), denn dies stünde jedenfalls hier einer analogen Anwendung nicht entgegen. Der Gesetzgeber hat selbst - wie der BGH in seiner Entscheidung vom 25.4.2006 näher ausgeführt hat (a.a.O. Rz. 14) - § 288 Abs. 1 BGB für analogiefähig erachtet. Der Regelung liegt seit jeher der Grundsatz zugrunde, dass die mit dem Besitz von Geld verbundenen Nutzungsmöglichkeiten auch ohne Substanzverbrauch in aller Regel geldwerte wirtschaftliche Vorteile bieten, deren Vorenthaltung rechtlich als Schaden anzusehen ist, der unabhängig von den Umständen des Einzelfalles mit einem Mindestzinssatz abzugelten ist (vgl. Motive, Mugdan II S. 34; BGH, Urt. v. 26.4.1979 - VII ZR 188/78, BGHZ 74, 231, 234 f.). Der Gläubiger soll einen Zinsschaden oder einen sonstigen Schaden gerade nicht beweisen müssen (Motive, Mugdan II S. 34). Wenn dem Schuldner statt "einer eigentlichen Geldschuld ... z.B. eine deponierte Menge Geldes vorenthalten wird" (Motive, Mugdan II S. 34), könne die Vorschrift zu den Verzugsfolgen bei Geldschulden entsprechend angewendet werden.
Rz. 15
bb) Der vom Gesetzgeber nicht in den Blick genommene Anspruch auf Einwilligung in die Auszahlung hinterlegten Geldes ist einer Geldschuld gleichwertig. Ob der Anspruch des Gläubigers unmittelbar auf Zahlung gerichtet ist oder auf Herausgabe einer aufgrund eines privatrechtlichen Verwahrvertrags deponierten "Menge Geldes" (wie schon in der Gesetzesbegründung angesprochen) oder - wie hier - auf Freigabe eines bei einer Hinterlegungsstelle im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Hinterlegungsverhältnisses zur Sicherung hinterlegten Geldbetrags, macht wertungsmäßig keinen Unterschied.
Rz. 16
Der Freigabeanspruch hat - wie bereits das RG entschieden hat (RG, JW 1912, 635 f; JW 1938, 3112) - einen Geldbetrag zum Gegenstand. Danach betrifft es lediglich die äußere Form, in der dieser Anspruch verwirklicht werden müsste, dass er nicht auf Zahlung von Geld, sondern auf Einwilligung zur Auszahlung von Geld geht. Dementsprechend hat der BGH die Freigabeforderung ihrem Gegenstand nach als gleichartig mit dem Anspruch auf Geldzahlung angesehen und folglich die Aufrechnung für zulässig erachtet (BGH, Urt. v. 19.10.1988 - IVb ZR 70/87, DNotZ 1989, 752, 753; Urt. v. 17.11.1999 - XII ZR 281/97, NJW 2000, 948, 950; Beschl. v. 17.1.2008 - III ZR 320/06, NJW-RR 2008, 556 Rz. 16). Diese Erkenntnis, die breite Zustimmung erfahren hat (z.B. OLG Karlsruhe NJW-RR 2002, 1225; Soergel/Schreiber, BGB, 13. Aufl., § 387 Rz. 6; Erman/Wagner, BGB, 15. Aufl., § 387 Rz. 11; Schlüter in MünchKomm/BGB, 7. Aufl., § 387 Rz. 34; Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 387 Rz. 9; NK-BGB/Wermecker, 3. Aufl., § 387 Rz. 25; BeckOGK-BGB/Skamel, 2017, § 387 Rz. 108; BeckOK/BGB/Dennhardt, 2017, § 387 Rz. 27.1; Pfeiffer in Prütting/Wegen/Weinrich, BGB, 12. Aufl., § 387 Rz. 15; vgl. auch Koenig/Fritsch, AO, 3. Aufl., § 226 Rz. 25; Jäger/Windel, InsO, § 94 Rz. 119; Brandes in MünchKomm/InsO/Lohmann, 3. Aufl., InsO § 94 Rz. 26; Uhlenbruck/Sinz, InsO, 14. Aufl., § 94 Rz. 29; a.A. Staudinger/Gursky, BGB, 2016, § 387 Rz. 93; Schmitz MDR 1989, 582), stützt die Gleichstellung des Anspruchs auf Einwilligung in die Auszahlung hinterlegten Geldes mit einer Geldschuld i.S.v. § 288 Abs. 1 BGB.
Rz. 17
Dieser Gleichstellung steht nicht entgegen, dass bei der Freigabe hinterlegten Geldes ein Dritter, der nicht Anspruchsgegner ist, die Auszahlung des geschuldeten Geldbetrags zu bewirken hat. Zwar kann in diesem Fall der Anspruchsgegner zu keinem Zeitpunkt selbst über das vorenthaltene Geld verfügen. Die Verzugsfolgen des § 288 Abs. 1 BGB greifen aber unabhängig davon, ob der Schuldner vorenthaltenes Geld gewinnbringend verwenden oder sonstige Vorteile daraus ziehen konnte.
Rz. 18
Auch hängt die zur Auszahlung des hinterlegten Geldbetrags führende Herausgabeanordnung, nachdem sie beantragt worden ist, allein von der Freigabeerklärung ab (vgl. § 22 des hier maßgeblichen HinterlG NRW). Damit wird der Nachweis der Empfangsberechtigung erbracht und die Herausgabe ist anzuordnen (§§ 21, 22 HinterlG NRW). Der Miteigentumsanteil der Klägerin an dem gem. § 753 Abs. 1 BGB versteigerten Grundstück setzte sich zunächst mit dem Zuschlag im Teilungsversteigerungsverfahren im Wege der dinglichen Surrogation an dem Versteigerungserlös fort (vgl. BGH, Beschl. v. 13.11.2013 - XII ZB 333/12, BGHZ 199, 71 Rz. 16 m.w.N.; v. 22.2.2017 - XII ZB 137/16, NJW 2017, 2544 Rz. 21). Der Beklagte war entsprechend den Feststellungen des Berufungsgerichts sodann zur Vornahme der für die Erlösverteilung erforderlichen Mitwirkungshandlungen verpflichtet. Der Klägerin wäre hieraus ein unmittelbar auf Auskehr des nach Abzug der Versteigerungskosten (§§ 180, 109 ZVG) und Berichtigung der gemeinschaftlichen Verbindlichkeiten (§§ 755, 756 BGB) verbleibenden Überschusses gerichteter Anspruch erwachsen. Dass der Beklagte durch die unberechtigte Verweigerung seiner Zustimmung hierzu eine Hinterlegung erforderlich gemacht hat (§ 117 Abs. 2 Satz 3 ZVG), mit der Folge, dass sich die Bruchteilsgemeinschaft am versteigerten Grundbesitz nunmehr an der Forderung gegen die Hinterlegungsstelle fortsetzte (BGH, Beschl. v. 22.2.2017, a.a.O., Rz. 25), nimmt dem Anspruch der Klägerin (aus §§ 749 Abs. 1, 752 Satz 1 BGB; vgl. BGH, Beschl. v. 22.2.2017, a.a.O., Rz. 30 f.) auf Abgabe der erforderlichen Einwilligung in die Auszahlung des beim AG hinterlegten Erlösanteils nicht den Charakter einer unmittelbar auf Erhalt des ihr zustehenden Erlösanteils gerichteten Forderung.
Rz. 19
cc) Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil das Gesetz Regelungen zu Hinterlegungszinsen kennt. Soweit im Rahmen der Teilungsversteigerung das Bargebot vom Zuschlag an zu verzinsen war (§ 49 Abs. 2 ZVG), fließen die Zinsen in den anteilig zu verteilenden Übererlös, dessen Auskehr an die Klägerin gerade verzögert wurde. Soweit darüber hinaus zunächst in § 8 der Hinterlegungsordnung vom 10.3.1937 und nach deren Aufhebung durch Gesetz vom 23.11.2007 (BGBl. I, 2614) in den Bundesländern Hessen, Saarland, Hamburg und Niedersachsen der hinterlegte Betrag verzinst wird, ist dies allein darin begründet, dass das hinterlegte Geld in das Eigentum des jeweiligen Landes übergeht. Eine Kompensation des Gläubigers, dem der Betrag während der Dauer der Hinterlegung vorenthalten bleibt, ist damit nicht angestrebt. Ob und inwieweit geleistete Hinterziehungszinsen auf den pauschalierten Schadensersatz des § 288 Abs. 1 BGB anzurechnen sein könnten, bedarf hier keiner Entscheidung, denn solche wurden nicht gezahlt (vgl. § 12 HinterlG NRW).
Rz. 20
dd) Die für die analoge Anwendung des § 288 Abs. 1 BGB maßgeblichen Gesichtspunkte haben sich nicht dadurch geändert, dass der Gesetzgeber durch das am 1.5.2000 in Kraft getretene Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30.3.2000 (BGBl. I, 330), durch das zum 1.1.2002 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001 (BGBl. I, 3138) und sodann durch das am 29.7.2014 in Kraft getretene Gesetz zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (BGBl. I, 1218), mit dem die Richtlinie 2011/7/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.2.2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. Nr. L 48/1 vom 23.2.2011) umgesetzt wurde, den gesetzlichen Verzugszins erhöht hat. Zutreffend führt das Berufungsgericht aus, dass der Gesetzgeber bei keinem der genannten Gesetze die Frage der Anwendbarkeit von § 288 Abs. 1 BGB auf den Anspruch auf Freigabe hinterlegten Geldes in den Blick genommen hat (vgl. BT-Drucks. 14/1246, 4 f.; BT-Drucks. 14/6040, 148; BT-Drucks. 18/1309, 19 f.).
Rz. 21
Entgegen der Auffassung der Revision hat sich der Gesetzeszweck nicht grundlegend dadurch gewandelt, dass durch eine Erhöhung der gesetzlichen Verzugszinsen die Zahlungsmoral verbessert werden sollte. Der aufgezeigte Regelungsgehalt des § 288 Abs. 1 BGB wird dadurch nicht in Frage gestellt. Seit jeher liegt der Sinn dieser Norm nicht nur in einer abstrakten Entschädigung des Gläubigers für die entbehrte Kapitalnutzung, sondern auch darin, den Schuldner zur alsbaldigen Erfüllung anzuhalten (BGH, Urt. v. 20.5.1985 - VII ZR 266/84, BGHZ 94, 330, 333). Bereits der historische Gesetzgeber hatte erkannt, dass der gesetzliche über dem marktüblichen Zins liegen müsse, zumal auch der Verzugsgläubiger zumeist selbst Schuldner sei und sich die Zinshöhe daher nicht allein an einem entgangenen Kapitalertrag orientieren dürfe (Protokolle, Mugdan II S. 509 f, 537).
Rz. 22
ee) Die Auffassung der Revision, § 288 Abs. 1 BGB sei auf den Anspruch auf Freigabe eines hinterlegten Betrages nicht anwendbar, findet entgegen dem Revisionsvorbringen keine Stütze in anderen Entscheidungen des BGH.
Rz. 23
Bereits in seinem Urteil vom 26.4.1979 (VII ZR 188/78, BGHZ 74, 231) hat der BGH eine entsprechende Anwendung von § 288 Abs. 1 BGB bejaht (konkret für die Bezifferung des Schadens aus schuldhafter Nichtbeschaffung eines langfristigen zinslosen Darlehens) und zur Begründung - wie die Revision selbst einräumt - auf die Nutzungsmöglichkeiten, die Geld bietet und die nach allgemeiner Lebensauffassung einen Vorteil darstellen, der seinerseits Geldwert hat, verwiesen. Im Beschluss vom 15.9.2005 (III ZR 28/05, NJW 2005, 3709) hat der BGH die Anwendbarkeit von § 288 Abs. 1 BGB auf einen auf die Herausgabe von Geld gerichteten Anspruch aus § 667 Alt. 2 BGB bejaht, obgleich es sich nicht um eine gewöhnliche Geldschuld handle. Er hat dies damit begründet, dass der Geldherausgabeanspruch nach § 667 Alt. 2 BGB bei der Aufrechnung wie eine "normale" Geldschuld behandelt werde, und damit, dass die Höhe des Verzugsschadens und damit das Bedürfnis nach dessen pauschalierter Berechnung nicht davon abhänge, ob der Schuldner die Mittel wirtschaftlich aus seinem eigenen Vermögen aufzubringen hat.
Rz. 24
Soweit der BGH in seinem Urteil vom 4.5.2005 (VIII ZR 94/90, NJW 2005, 2310) eine unmittelbare Anwendung von § 288 Abs. 1 BGB und im Urteil vom 5.12.2012 (XII ZR 44/11, BGHZ 196, 1) auch eine analoge Anwendung von § 288 Abs. 1 BGB geprüft und jeweils verneint hat, liegen dem Sachverhaltskonstellationen zugrunde, die mit der vorliegenden nicht vergleichbar sind. So ist die Notwendigkeit, einen Zinsschaden bei verweigerter Zustimmung zu einem Mieterhöhungsverlangen konkret darlegen zu müssen und nicht auf § 288 BGB zurückgreifen zu können, Folge der gesetzgeberischen Entscheidung, nach der dem Vermieter ein Anspruch auf den erhöhten Mietzins nicht von Gesetzes wegen zusteht, sondern eine entsprechende Änderung des Mietvertrags voraussetzt, so dass der Vermieter den Mieter zunächst auf Zustimmung zu dieser Änderung in Anspruch nehmen muss und nicht sogleich Zahlung verlangen kann (BGH, Urt. v. 4.5.2005, a.a.O.). Auch die Verpflichtung des Vermieters zur Erstellung einer Betriebskostenabrechnung ist nicht mit einem Anspruch vergleichbar, der unmittelbar darauf gerichtet ist, dem Gläubiger einen Geldbetrag zu verschaffen; vielmehr kann der Mieter von seinem Vermieter zunächst nur die Erstellung einer ordnungsgemäßen Betriebskostenabrechnung verlangen, während ein Rückerstattungsanspruch dem Mieter nur zusteht, soweit die geleisteten Nebenkostenvorauszahlungen durch die in dem betreffenden Abrechnungszeitraum tatsächlich angefallenen Nebenkosten nicht aufgezehrt sind (vgl. BGH, Urt. v. 5.12.2012, a.a.O., Rz. 24). Demgegenüber führt allein die Freigabe des hier hinterlegten Überschussbetrags aus einer Teilungsversteigerung durch den Beklagten dazu, einen der Höhe nach bereits bestimmten Geldzufluss bei der Klägerin zu bewirken, ohne dass es eines einer Vertragsänderung oder Abrechnung vergleichbaren Zwischenschritts bedürfte.
Rz. 25
b) Die Höhe des der Klägerin zugesprochenen Betrages begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken.
III.
Rz. 26
Die Anschlussrevision der Klägerin ist zulässig, bleibt aber ebenfalls ohne Erfolg.
Rz. 27
1. Trotz der nur zugunsten des Beklagten ergangenen Zulassungsentscheidung ist die Anschlussrevision statthaft (§ 554 Abs. 2 Satz 1 ZPO; vgl. BGH, Beschl. v. 23.2.2005 - II ZR 147/03, NJW-RR 2005, 651). Sie betrifft auch einen Lebenssachverhalt, der mit dem von der Revision erfassten Streitgegenstand in einem rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang steht (zu dieser Zulässigkeitsvoraussetzung vgl. BGH, Urt. v. 22.11.2007 - I ZR 74/05, BGHZ 174, 244 Rz. 36 ff.).
Rz. 28
2. Die Anschlussrevision ist unbegründet. Mit Recht hat das Berufungsgericht das Urteil des AG insoweit aufgehoben und die Klage abgewiesen, als gesetzliche Zinsen auf die vorgerichtlichen Anwaltskosten der Klägerin zuerkannt waren. Auf den von der Klägerin geltend gemachten Befreiungsanspruch findet § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB weder unmittelbare noch entsprechende Anwendung (vgl. BGH, Urt. v. 29.6.1994 - IV ZR 229/93, NJW-RR 1994, 1302, 1303; OLG Stuttgart, Urt. v. 4.10.2010 - 5 U 60/10, NJW-RR 2011, 239; Staudinger/Löwisch/Feldmann, a.a.O., § 288 Rz. 8; BeckOGK/Dornis, 2017, BGB § 288 Rz. 32; Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 288 Rz. 6).
Rz. 29
Es kann dahinstehen, unter welchen Voraussetzungen die Klägerin statt der Freistellung Zahlung an sich hätte verlangen können und ob § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB in allen Fällen anzuwenden wäre, in denen ein nach §§ 280, 286 BGB begründeter Befreiungsanspruch in einen Zahlungsanspruch übergegangen ist. Anders als etwa in dem der Entscheidung des BGH vom 9.7.2015 (I ZR 224/13, NJW-RR 2016, 155 Rz. 34) zugrunde liegenden Sachverhalt hat die Klägerin nicht auf Zahlung angetragen. Der Klageantrag, dessen Auslegung als Prozesshandlung vollen Umfangs der revisionsrechtlichen Nachprüfung unterliegt (vgl. BGH, Urt. v. 12.12.2014 - V ZR 53/14, NJW-RR 2015, 583 Rz. 8; v. 18.12.2015 - V ZR 160/14, NJW 2016, 863 Rz. 8; v. 4.10.2007 - I ZR 143/04, NJW 2008, 1384 Rz. 11 je m.w.N.; BeckOK-ZPO/Bacher, 2017, § 253 Rz. 58), richtet sich - wie das Berufungsgericht zutreffend gesehen hat - allein auf Freistellung von den vorgerichtlichen Anwaltskosten.
Fundstellen
BB 2017, 2818 |
NJW 2018, 1006 |
WM 2017, 2324 |
ZfIR 2017, 852 |
JZ 2018, 115 |
MDR 2018, 51 |
MDR 2018, 75 |
ZInsO 2017, 2614 |
ZNotP 2018, 58 |
FMP 2018, 27 |