Entscheidungsstichwort (Thema)
Begründung einer Revision mit der erfolgten Übertragung auf den Einzelrichter nur bei Willkür. Beschränkung der Revision bei sich gegenüber stehenden Ansprüchen auf einen der Ansprüche
Leitsatz (amtlich)
Die Revision kann grundsätzlich nicht auf eine erfolgte Übertragung auf den Einzelrichter gestützt werden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt bei verfassungskonformer Auslegung von § 526 Abs. 3 ZPO nur unter den engen Voraussetzungen der Willkür in Betracht.
Normenkette
ZPO § 526
Verfahrensgang
LG Lüneburg (Urteil vom 30.11.2005; Aktenzeichen 3 S 40/05) |
AG Celle (Urteil vom 21.03.2005; Aktenzeichen 11 C 677/04) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Lüneburg vom 30.11.2005 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
[1] Am 3.6.2003 kam es zu einem Verkehrsunfall, bei dem der Pkw der Klägerin, den ihr Ehemann fuhr, und der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherte Pkw der Beklagten zu 1), dessen Fahrerin und Halterin sie selbst war, beschädigt wurden. Die Klägerin hat von den Beklagten vollen Ersatz ihres Schadens verlangt und Zahlung von 1.685,54 EUR begehrt. Die Beklagte zu 1) hat im Wege der Widerklage von der Klägerin und deren Ehemann sowie dem Haftpflichtversicherer (als Drittwiderbeklagten) hälftigen Ersatz ihres Schadens von insgesamt 2.003 EUR verlangt und Zahlung von 1.001,50 EUR begehrt. Das AG hat nach Beweisaufnahme der Widerklage in vollem Umfang und der Klage i.H.v. 829,27 EUR stattgegeben und dabei jeweils eine Haftungsquote von 50 % zugrunde gelegt. Gegen dieses Urteil hat nur die Klägerin Berufung eingelegt und ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiterverfolgt. Das LG hat im ersten Termin als Kollegium über die Sache verhandelt und den Rechtsstreit später "im vermuteten Einverständnis der Parteien" der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen. Diese hat nach weiterer Beweisaufnahme eine Haftungsquote von 80 % zum Nachteil der Beklagten bejaht und diese als Gesamtschuldner zur Zahlung weiterer 663,42 EUR verurteilt. Mit der vom LG zugelassenen Revision erstreben die Beklagten die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
[2] Das Berufungsgericht bejaht die Zulässigkeit der Berufung und meint, es sei unschädlich, dass ein Rechtsmittel nur hinsichtlich der teilweisen Klageabweisung, nicht aber auch hinsichtlich der stattgebenden Entscheidung über die Widerklage eingelegt worden sei, denn hierbei handele es sich um zwei verschiedene Streitgegenstände. Zur Klärung dieser Rechtsfrage hat es die Revision zugelassen. In der Sache ist es der Auffassung, dass die Beklagte zu 1) den Verkehrsunfall überwiegend verschuldet habe und die Klägerin sich lediglich die Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs mit einer Quote von 20 % anrechnen lasse müsse.
II.
[3] Das angefochtene Urteil hält den Angriffen der Revision stand.
[4] 1. Die Revision ist insgesamt statthaft (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Es kann dahinstehen, ob das Berufungsgericht die Zulassung der Revision auf die Frage der Zulässigkeit der Berufung beschränken wollte, da eine solche Beschränkung jedenfalls unzulässig wäre. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kann die Revision nur auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs beschränkt werden, der Gegenstand eines selbständig anfechtbaren Teil- oder Zwischenurteils sein könnte oder auf den der Revisionskläger selbst seine Revision beschränken könnte (BGH v. 3.6.1987 - IVa ZR 292/85, BGHZ 101, 276, 278 = MDR 1987, 917; BGH, Urt. v. 20.5.2003 - XI ZR 248/02, MDR 2003, 1190 = BGHReport 2003, 961 = VersR 2003, 1396, 1397; v. 4.6.2003 - VIII ZR 91/02, BGHReport 2003, 1165 = MDR 2003, 1248 = NJW-RR 2003, 1192, 1193; v. 5.11.2003 - VIII ZR 320/02, MDR 2004, 468 = BGHReport 2004, 262 = NJW-RR 2004, 426 f.). Auf die Frage der Zulässigkeit der Berufung kann die Revision nicht wirksam beschränkt werden (BGH, Urt. v. 6.5.1987 - IVb ZR 52/86, MDR 1987, 921 = NJW 1987, 3264; v. 3.5.2001 - XII ZR 62/99, BGH v. 3.5.2001 - XII ZR 62/99, MDR 2001, 993 = BGHReport 2001, 695 = NJW 2001, 2259; v. 10.5.2005 - XI ZR 128/04, MDR 2005, 1182 = CR 2005, 645 = BGHReport 2005, 1209 = VersR 2006, 427, 428; Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 543, Rz. 10; Albers in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 65. Aufl., § 543, Rz. 10; a.A.: Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 546, Rz. 28; Musielak/Ball, ZPO, 5. Aufl., § 543, Rz. 11). Zwar kann über die Zulässigkeit der Berufung durch Zwischenurteil nach § 303 ZPO entschieden werden; dieses ist jedoch nicht selbständig, sondern nur zusammen mit dem Endurteil anfechtbar (BGH v. 25.11.1987 - IVa ZR 135/86, BGHZ 102, 232, 234 = MDR 1988, 298). Soweit es danach an einer wirksamen Beschränkung der Zulassung fehlt, ist allein die Beschränkung, nicht aber die Zulassung unwirksam. Das bedeutet, dass die Revision in einem solchen Fall unbeschränkt zugelassen ist (st.Rspr.; vgl. Senat, Urt. v. 4.4.2006 - VI ZR 151/05, BGHReport 2006, 1024 = MDR 2006, 1224 = VersR 2006, 931; BGH, Urt. v. 7.7.1983 - III ZR 119/82, MDR 1984, 207 = VersR 1984, 38, insoweit nicht in BGHZ 88, 85 abgedruckt; v. 20.5.2003 - XI ZR 248/02, MDR 2003, 1190 = BGHReport 2003, 961 - a.a.O.; v. 21.9.2006 - I ZR 2/04, BGHReport 2007, 1 - z. V. b.).
[5] 2. Die Revision rügt ohne Erfolg, dass die Einzelrichterin nicht befugt gewesen sei, anstelle des Kollegiums zu entscheiden, weil bereits im Haupttermin zur Hauptsache verhandelt worden sei (§ 526 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). Nach § 526 Abs. 3 ZPO kann ein Rechtsmittel nicht auf eine erfolgte Übertragung auf den Einzelrichter gestützt werden. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll der Übertragungsbeschluss unanfechtbar sein (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, 99). Die Revision kann daher nicht mit der Verfahrensrüge begründet werden, das Berufungsgericht habe die Voraussetzungen von § 526 Abs. 1 ZPO verkannt oder es liege ein Fehlgebrauch des Ermessens vor (Meyer-Seitz in: Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002 mit Zustellungsreformgesetz, § 526 ZPO, Rz. 15; Wieczorek/Schütze/Gerken, ZPO, 3. Aufl., § 526, Rz. 20; MünchKomm ZPO/Rimmelspacher, 2. Aufl., Aktualisierungsband, § 526, Rz. 33; HK-Wöstmann, ZPO, § 526, Rz. 11; vgl. aber Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 26. Aufl., § 526, Rz. 12; Musielak/Ball, ZPO, 5. Aufl., § 526 Rz. 9). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt bei verfassungskonformer Auslegung von § 526 Abs. 3 ZPO nur unter den engen Voraussetzungen der Willkür in Betracht, da in einem solchen Fall eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter und damit ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gegeben wäre (Wieczorek/Schütze/Gerken, a.a.O.). Dies wird von der Revision nicht geltend gemacht und ist vorliegend auch nicht ersichtlich. Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob ein Verstoß gegen § 526 Abs. 1 Nr. 4 ZPO durch Rügeverzicht geheilt werden kann (vgl. BGH v. 22.5.2001 - X ZR 21/00, BGHZ 147, 397, 400 = MDR 2001, 1372 = BGHReport 2001, 661).
[6] 3. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Berufung sei trotz der Beschränkung auf den Urteilsausspruch zur Klage zulässig, begegnet keinen Bedenken und wird von den Parteien im Revisionsrechtszug auch nicht mehr in Zweifel gezogen.
[7] a) Wie sich schon aus § 520 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ergibt, muss der Berufungskläger die ihm nachteilige erstinstanzliche Entscheidung nicht in vollem Umfang seiner Beschwer angreifen. Er kann das Rechtsmittel auf abgrenzbare Teile beschränken. So kann die Anfechtung auf einen von mehreren Streitgegenständen, aber auch auf einen quantitativ abgegrenzten Teil des Streitgegenstandes begrenzt werden (Zöller/Gummer/Heßler, a.a.O., § 520, Rz. 29). Bei einander gegenüberstehenden Ansprüchen ist eine Beschränkung der Anfechtung auf den einen oder anderen Anspruch zulässig, mag die Gegenforderung im Wege der Zurückbehaltung, der Aufrechnung oder der Widerklage geltend gemacht werden (BGH, Urt. v. 13.6.2001 - VIII ZR 294/99, MDR 2001, 1184 = BGHReport 2001, 896 = NJW-RR 2001, 1572 m.w.N.). Das gilt auch, wenn Gegenstand von Klage und Widerklage Forderungen aus demselben Lebenssachverhalt wie z.B. einem Verkehrsunfall sind. Dem steht nicht entgegen, dass bei einer Teilanfechtung die Entscheidung über den nicht angegriffenen Teil in Rechtskraft erwächst, denn diese erfasst nicht den Rest der geltend gemachten Ansprüche. Nach § 322 Abs. 1 ZPO reicht die Rechtskraft eines Urteils so weit, als über den erhobenen (prozessualen) Anspruch entschieden ist. Sie beschränkt sich auf den unmittelbaren Gegenstand des Urteils, d.h. auf die Rechtsfolge, die auf eine Klage oder Widerklage aufgrund eines bestimmten Sachverhalts bei Schluss der mündlichen Verhandlung den Entscheidungssatz bildet. Einzelne Urteilselemente, tatsächliche Feststellungen und rechtliche Folgerungen, auf denen die getroffene Entscheidung aufbaut, werden dagegen von der Rechtskraft nicht erfasst (Senat, Urt. v. 5.7.1977 - VI ZR 268/75, VersR 1978, 59 f.; BGH, Urt. v. 12.12.1975 - IV ZR 101/74, NJW 1976, 1095; v. 17.2.1983 - III ZR 184/81, MDR 1983, 734 = NJW 1983, 2032).
[8] b) Erwächst ein Urteil über zwei mit Klage und Widerklage geltend gemachte gegenseitige Ansprüche aus einem Verkehrsunfall nur hinsichtlich eines dieser Ansprüche in Rechtskraft, tritt dadurch hinsichtlich des Gegenanspruchs keine Bindungswirkung ein. Bei der Entscheidung über den noch anhängigen Anspruch kann das Gericht, wenn es zu einer anderen Bewertung des Lebenssachverhalts gelangt, eine von der Begründung des früheren Urteils abweichende Entscheidung treffen. Das gilt insb. für die Bemessung der Haftungsquote im Rahmen der gem. §§ 254 Abs. 1 BGB, 17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile. Dem steht nicht entgegen, dass bei der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ein Teilurteil gem. § 301 Abs. 1 ZPO grundsätzlich auch dann nicht ergehen dürfte, wenn es eine Frage entscheiden würde, die sich im weiteren Verfahren über einen anderen Anspruch noch einmal stellt, wenn es sich dabei nur um eine Vorfrage handelt, die nicht in Rechtskraft erwächst (BGH, Urt. v. 28.11.2002 - VII ZR 270/01, MDR 2003, 263 = BGHReport 2003, 304 = NJW-RR 2003, 303 f. m.w.N.). § 301 Abs. 1 ZPO regelt allein die Zulässigkeit gerichtlicher Entscheidungen. Aus dieser Vorschrift lässt sich eine Beschränkung der Dispositionsbefugnis der Parteien (vgl. §§ 253, 308, 520 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) nicht herleiten.
[9] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1696535 |
BGHZ 2007, 180 |
BB 2007, 521 |