Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Irreführung mit der Angabe „Tageszulassung mit 0 km” in einer Werbeanzeige für ein Neufahrzeug, das sechs Tage zugelassen war, im Straßenverkehr aber nicht benutzt worden ist.
Normenkette
UWG § 3
Verfahrensgang
LG Regensburg (Aktenzeichen 2 HKO 1411/96) |
OLG Nürnberg (Aktenzeichen 3 U 3710/96) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 9. September 1997 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als hinsichtlich des Unterlassungsantrags zu I c zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg – 2. Kammer für Handelssachen – vom 16. Oktober 1996 zurückgewiesen.
Von den Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens tragen der Kläger 4/7 und die Beklagte 3/7. Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Kläger.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet des gewerblichen Handels mit Kraftfahrzeugen.
Die Beklagte bewarb in der Ausgabe des S. Tageblattes vom 5. Januar 1996 (einem Freitag) u.a. einen Pkw „Corsa-Fun” zum Preis von 16.900,– DM, der in der Anzeige wie folgt beschrieben wurde (Anlage K 3 zur Klageschrift):
„Corsa-Fun
…
Tageszulassung mit 0 km …”
Der beworbene Pkw war am 4. Januar 1996 erstmals angemeldet und am 9. Januar 1996 wieder abgemeldet worden.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Werbung mit der Angabe „Tageszulassung” sei irreführend, weil der Verkehr bei einem mit dieser Angabe beworbenen Pkw erwarte, daß das Fahrzeug bis zur Abmeldung nur einen Tag zugelassen gewesen sei. Es sei für den Kunden nicht unerheblich, ob ein Fahrzeug nur einen oder mehrere Tage zugelassen gewesen sei. Deshalb müsse, was von Mitbewerbern auch getan werde, eine mehrtägige Zulassung als „Kurzzulassung” bezeichnet werden.
Der Kläger hat außer der Angabe „Tageszulassung”, um die es im Revisionsverfahren allein noch geht, eine Reihe weiterer Werbeaussagen in Werbeanzeigen der Beklagten beanstandet.
Er hat beantragt,
- die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs in Zeitungsanzeigen oder sonst werblich
- … (Klageanträge zu Ia und Ib)
- I c) für Kraftfahrzeuge mit Aussagen wie „Tageszulassung” zu werben, sofern das Fahrzeug bereits länger als einen Tag zugelassen war,
- … (Klageanträge zu Id bis Ig).
Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat geltend gemacht, es bestehe kein Erfahrungssatz des Inhalts, daß der Verkehr mit dem Begriff „Tageszulassung” die Erwartung verbinde, das Fahrzeug sei bis zur Abmeldung tatsächlich nur einen Tag zugelassen gewesen. Dieser Annahme stehe bereits entgegen, daß es bei der Abwicklung der Abmeldung bei den Zulassungsstellen zu zeitlichen Verzögerungen kommen könne. Der Verkehr verbinde mit dem Begriff „Tageszulassung” vielmehr die Vorstellung, daß das Fahrzeug lediglich wenige Tage zugelassen gewesen sei. Für den Käufer sei im übrigen allein maßgeblich, daß der beworbene Pkw nicht der verkehrsmäßigen Nutzung zugeführt worden sei.
Das Landgericht hat der Klage mit zwei Unterlassungsanträgen, die inzwischen nicht mehr im Streit sind, stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen.
Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht – unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen – die Beklagte u.a. auch nach dem Unterlassungsantrag zu Ic verurteilt.
Mit der (auf die Verurteilung gemäß dem Unterlassungsantrag zu Ic beschränkt zugelassenen) Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage auch insoweit, als sie nach dem Klageantrag zu Ic verurteilt worden ist. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat in der Werbung mit dem Hinweis „Tageszulassung” einen Verstoß gegen § 3 UWG gesehen, weil das beworbene Fahrzeug für mehrere Tage zugelassen gewesen sei. Dazu hat es ausgeführt:
Der Begriff „Tageszulassung” umfasse schon von seinem Wortlaut her keine Zulassung für mehrere Tage. Zudem verbänden potentielle Autokäufer mit dem in Rede stehenden Begriff ganz bestimmte Vorstellungen. Sie gingen davon aus, daß eine derartige Zulassung rein formal erfolge, um es dem Händler zu ermöglichen, gegenüber dem Hersteller Mindestabnahmemengen nachzuweisen und sich auf diese Weise einen Bonus zu sichern. Es sei dem Publikum bewußt, daß sich durch eine Tageszulassung an der Beschaffenheit des Fahrzeugs nichts ändere, es insbesondere nicht benutzt werde. Bei einem Weiterverkauf werde der Käufer des Pkws faktisch wie ein Erstbesitzer angesehen und könne einen Preis annähernd wie bei einem Verkauf aus erster Hand erzielen. Diese Möglichkeit werde bei einer Mehrtageszulassung eingeschränkt. Aus den Kraftfahrzeugpapieren sei nicht ersichtlich, daß das Fahrzeug von dem Erstbesitzer nicht genutzt worden sei. Es könne deshalb auch vermutet werden, daß der Wagen einige Tage gefahren und anschließend – egal aus welchen Gründen – an den Händler zurückgegeben worden sei. Mit dem unzutreffenden Gebrauch des Begriffs „Tageszulassung” erfolge daher eine Irreführung des Publikums, die geeignet sei, den Wettbewerb zwischen den Parteien wesentlich zu beeinträchtigen (§ 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG).
II. Die Revision hat Erfolg. Sie führt hinsichtlich des Unterlassungsantrages zu I c zur Wiederherstellung des die Klage insoweit abweisenden landgerichtlichen Urteils.
1. Das Berufungsgericht hat die Revision nur insoweit zugelassen, als es die Beklagte nach dem Unterlassungsantrag zu Ic verurteilt hat. Dagegen bestehen keine rechtlichen Bedenken. Für eine nach § 546 Abs. 1 ZPO wirksame Zulassungsbeschränkung genügt es, daß über den von der Revisionszulassung erfaßten Teil des prozessualen Anspruchs eine gesonderte Entscheidung unabhängig von dem übrigen Teil ergehen kann (vgl. BGHZ 130, 50, 59; BGH, Urt. v. 8.3.1995 – VIII ZR 156/94, BGHR-ZPO § 546 Abs. 1 Satz 1 – Beschränkte Revisionszulassung Nr. 17; Zöller/Gummer, ZPO, 21. Aufl., § 546 Rdn. 46). Das ist in bezug auf das mit dem Klageantrag zu I c verfolgte Unterlassungsbegehren der Fall.
2. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Verkehr erwarte bei der Werbung für Neufahrzeuge mit dem Begriff „Tageszulassung”, daß das beworbene Fahrzeug tatsächlich nur einen Tag zugelassen gewesen sei. Ob die gegen diese Beurteilung vorgebrachten Angriffe der Revision durchgreifen, kann offenbleiben. Denn selbst wenn nicht unerhebliche Teile des Verkehrs annehmen sollten, das beworbene Fahrzeug sei nur für einen Tag zugelassen gewesen, wäre ein derartiger Irrtum im Streitfall jedenfalls nicht relevant. Das Berufungsgericht hat die Frage der Relevanz zwar nicht ausdrücklich geprüft. Der Senat kann sie jedoch aufgrund des unstreitigen Sachverhalts und der in anderem Zusammenhang getroffenen Feststellungen selbst beantworten, ohne daß es einer Aufhebung und Zurückverweisung bedarf.
a) Eine irreführende Angabe ist nur dann wettbewerbsrechtlich relevant, wenn sie in dem Punkt und in dem Umfang, in dem sie von der Wahrheit abweicht, bei ungezwungener Auffassung geeignet ist, die Kaufentscheidung des Publikums – im Sinne einer allgemeinen Wertschätzung – zu beeinflussen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 2.5.1991 – I ZR 258/89, GRUR 1992, 70, 72 = WRP 1991, 642 – 40 % weniger Fett; Urt. v. 10.11.1994 – I ZR 201/92, GRUR 1995, 125, 126 = WRP 1995, 183 – Editorial I). Eine Werbeaussage ist danach grundsätzlich nur dann wettbewerbswidrig, wenn es nach der Lebenserfahrung naheliegt, daß die erzeugte Fehlvorstellung für die Kaufentscheidung eines nicht unbeachtlichen Teil des Verkehrs von Bedeutung ist. Vorausgesetzt ist hierbei jedoch, daß es sich um eine Werbeaussage handelt, die für die Kaufentscheidung des Verbrauchers nicht unwesentlich ist. Denn Aufgabe des Wettbewerbsrechts ist es nicht, den Verbraucher vor jedweder Fehlvorstellung zu schützen. Das Verbot der irreführenden Werbung gemäß § 3 UWG dient vielmehr allein der Wahrung schützenswerter Interessen, sei es des Verbrauchers, sei es des Mitbewerbers (vgl. BGH GRUR 1995, 125, 126 – Editorial I; Urt. v. 30.10.1997 – I ZR 127/95, GRUR 1998, 949, 951 = WRP 1998, 598 – D-Netz-Handtelefon).
b) Unter den im Streitfall gegebenen Umständen kann nicht angenommen werden, daß durch die beanstandete Werbeanzeige wettbewerbsrechtlich maßgebliche Interessen der Verbraucher verletzt werden.
aa) Die – im Zusammenhang mit der Frage der Eignung zur wesentlichen Beeinträchtigung i.S. des § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG angestellte – Erwägung des Berufungsgerichts, aufgrund der Bedeutung der Tageszulassung im Autohandel sowie des damit verbundenen Kaufanreizes für Verbraucher und der erheblichen Gefahr, daß Autohändler den Begriff der Tageszulassung immer weiter auslegten, könne die Auswirkung der beanstandeten Werbung der Beklagten, die mit einem Umsatz von 500 Neufahrzeugen jährlich eine nicht unbedeutende Marktstellung habe, auf das Wettbewerbsgeschehen erheblich sein, vermag die Relevanz der vom Berufungsgericht bejahten Irreführung des Verkehrs nicht zu begründen.
Tageszulassungen sind – wovon auch das Berufungsgericht ausgegangen ist – eine besondere Form des Neuwagengeschäfts. Der Kunde erwirbt in diesen Fällen ein fabrikneues Fahrzeug. Die Zulassung dient, anders als bei sogenannten Vorführwagen, nicht der Nutzung des Fahrzeugs. Tageszulassungen erfolgen insbesondere im Absatzinteresse des Händlers, der durch die Steigerung der Abnahmemenge in den Genuß höherer Prämien kommt, die er – in den nach dem Rabattgesetz zulässigen Grenzen – an den Endkunden weitergeben kann (BGH, Urt. v. 5.6.1996 – VIII ZR 7/95, NJW 1996, 2302, 2304 f.). Das ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch dem mit der Werbung angesprochenen potentiellen Autokäufer bewußt, der weiß, daß eine „Tageszulassung” aus den genannten Gründen nur rein formal erfolgt, ohne daß sich die Beschaffenheit des Fahrzeugs als Neufahrzeug dadurch ändert, es insbesondere nicht benutzt worden ist.
Dem Verkehr kommt es unter diesen Umständen nicht maßgeblich darauf an, ob das als Neuwagen beworbene Fahrzeug nur einen Tag oder für wenige Tage, also kurzfristig, zugelassen war. Für den potentiellen Autokäufer ist vielmehr entscheidend, daß es – dem Sinn und Zweck der sogenannten Tageszulassung entsprechend – noch nicht im Straßenverkehr genutzt wurde. Von letzterem ist auch im Streitfall aufgrund der Werbeangabe „Tageszulassung mit 0 km” und mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts auszugehen.
bb) Die Relevanz der Irreführung läßt sich auch nicht mit der vom Berufungsgericht in anderem Zusammenhang angestellten weiteren Erwägung bejahen, daß der Käufer eines Pkws mit mehrtägiger Zulassung entgegen der Ansicht der Beklagten erhebliche Nachteile habe.
Die Annahme des Berufungsgerichts, der Käufer eines wenige Tage zugelassenen Fahrzeugs erziele bei der Weiterveräußerung in der Regel einen geringeren Erlös als der Käufer eines nur einen Tag zugelassenen Pkws, weil vermutet werden könne, daß das Fahrzeug einige Tage gefahren und anschließend wegen eines Unfalls, eines Fabrikationsfehlers oder sonstigen in der Beschaffenheit des Fahrzeugs liegenden Fehlers wieder an den Händler zurückgegeben worden sei, findet in der allgemeinen Lebenserfahrung keine Stütze. Entscheidend ist für den durchschnittlich informierten und verständigen Autokäufer, daß er ein Neufahrzeug mit – wie beworben – „0 km” Laufleistung erwirbt. Dies kann er bei einem Weiterverkauf im allgemeinen durch Vorlage des Kaufvertrags auch nachweisen, so daß die vom Berufungsgericht befürchtete Benachteiligung des Käufers, der ein Neufahrzeug mit einer nur wenige Tage umfassenden Zulassung erworben hat, als verhältnismäßig gering einzuschätzen ist.
Auch der vom Berufungsgericht angeführte Gesichtspunkt, daß sich aufgrund der Erstzulassung rechtliche Nachteile – beispielsweise in bezug auf die Garantiefrist – für den Käufer ergeben können, ist für die Relevanz der Irreführung ohne Bedeutung, da die Dauer der Herstellergarantie im allgemeinen nicht davon abhängt, wie lange das Fahrzeug zum Verkehr zugelassen war.
Schließlich vermag auch der Hinweis der Revisionserwiderung, daß sich der Fristbeginn für die nach § 29 StVZO vorgeschriebene Fahrzeuguntersuchung nach dem Tag der Erstzulassung bestimmt, im Streitfall die Relevanz einer Irreführung nicht zu begründen. Abgesehen davon, daß es schon zweifelhaft erscheint, daß ein potentieller Autokäufer diesen Umstand bei seinem Kaufentschluß überhaupt mitberücksichtigt, betrug die Zulassung im konkreten Fall nur sechs Tage. Dieser kurze Zeitraum kann bei der Beurteilung der Relevanz der (hier unterstellten) Irreführung vernachlässigt werden.
III. Danach war auf die Revision der Beklagten das den Unterlassungsantrag zu I c abweisende landgerichtliche Urteil in diesem Umfang wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Erdmann, v. Ungern-Sternberg, Bornkamm, Pokrant, Raebel
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 13.01.2000 durch Walz Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 538561 |
BB 2000, 1491 |
NJW 2000, 2821 |
BGHR |
GRUR 2000, 914 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2000, 1767 |
ZAP 2000, 1124 |
DAR 2000, 400 |
MDR 2000, 1265 |
NZV 2000, 410 |
VRS 2000, 180 |
WRP 2000, 1129 |
RdW 2000, 562 |