Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Wiedergabe der Berufungsanträge, Darstellung des Tatbestands oder Bezugnahme und zweifelsfreie und einfache Erkennbarkeit der tatsächlichen Grundlagen aus dem Tatbestand der erstinstanzlichen Entscheidung als notwendige Voraussetzungen des Berufungsurteils
Leitsatz (amtlich)
a) Zu den Anforderungen an ein Berufungsurteil, gegen das (hier: nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde) die Revision stattfindet (Fortführung von Senatsbeschluss: BGH, Beschl. v. 13.8.2003 - XII ZR 303/02, BGHZ 156, 97 ff. = BGHReport 2003, 1298 m. Anm. Moehren = MDR 2004, 44).
b) Zur Notwendigkeit eines Tatbestandes und der Wiedergabe der zweitinstanzlichen Anträge in einem der Revision oder der Nichtzulassungsbeschwerde unterliegenden Urteil in einem Berufungsverfahren, für das nach § 26 Nr. 5 EGZPO die am 31.12.2001 geltenden Vorschriften der Zivilprozessordnung weitergelten.
Normenkette
ZPO n.F. § 543 Abs. 1 Nr. 2, § 540 Abs. 1; ZPO a.F. § 543 Abs. 1-2
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 08.11.2002; Aktenzeichen 65 S 65/02) |
AG Berlin-Schöneberg |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der Zivilkammer 65 des LG Berlin v. 8.11.2002 aufgehoben.
Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die übrigen Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Das Berufungsgericht hat auf mündliche Verhandlung v. 23.8.2002 ein Urteil des AG, das auf mündliche Verhandlung v. 1.11.2001 ergangen war, auf die Berufung der Klägerin geändert und die Beklagte zur Zahlung von weiteren 140.372,17 EUR nebst Zinsen verurteilt. Die weiter gehende Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung der Beklagten hat es zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.
Von der Darstellung des Tatbestandes hat das Berufungsgericht unter Hinweis auf § 543 Abs. 1 BGB a.F. abgesehen. Ferner enthält das Urteil weder eine Bezugnahme auf die erstinstanzliche Entscheidung oder auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen, noch gibt es die Berufungsanträge der Parteien wieder.
Die Beklagte hat Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, um das Berufungsurteil mit der beabsichtigten Revision in vollem Umfang anzugreifen. Nach deren Zulassung durch Senatsbeschluss v. 13.8.2003 (BGH v. 13.8.2003 - XII ZR 303/02, BGHZ 156, 97 ff. = BGHReport 2003, 1298 m. Anm. Moehren = MDR 2004, 44) verfolgt sie dieses Ziel weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass auf das Berufungsverfahren noch die am 31.12.2001 geltenden Vorschriften der Zivilprozessordnung anzuwenden waren. Denn die letzte mündliche Verhandlung vor dem AG war noch vor dem 1.1.2002 geschlossen worden, so dass nach § 26 Nr. 5 EGZPO auch für die Abfassung des Berufungsurteils noch das alte Verfahrensrecht maßgebend war. Hingegen ist auf die Revision - ebenso wie schon zuvor auf die Nichtzulassungsbeschwerde - das neue Verfahrensrecht anzuwenden, weil die mündliche Verhandlung, auf die das Berufungsurteil erging, nicht vor dem 1.1.2002 stattfand (§ 26 Nr. 7 EGZPO).
Richtet sich das Berufungsverfahren - wie hier - nach dem am 31.12.2001 geltenden Verfahrensrecht, bedarf es der Wiedergabe der Berufungsanträge und außerdem der Darstellung des Tatbestandes, zumindest aber der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils, wenn gegen das Berufungsurteil die Revision stattfindet, § 543 Abs. 2 S. 2 ZPO a.F. Gleiches gilt, wenn gegen deren Nichtzulassung in diesem Urteil die Nichtzulassungsbeschwerde stattfindet (BGH v. 13.8.2003 - XII ZR 303/02, BGHZ 156, 97 [100] = BGHReport 2003, 1298 m. Anm. Moehren = MDR 2004, 44; BGHZ 156, 216 ff.; Urt. v. 12.11.2003 - VIII ZR 360/02, n.v.).
Der vom Berufungsgericht in der Sache vertretene rechtliche Standpunkt kann nämlich nur bei Kenntnis des tatsächlichen Streitstoffes nachvollzogen werden. Ist aus dem Urteil nicht ersichtlich, von welchem Sach- und Streitstand das Gericht ausgegangen ist, welches Rechtsmittelbegehren die Parteien verfolgt haben und welche tatsächlichen Feststellungen der Entscheidung zu Grunde liegen, kann auch nicht überprüft werden, ob diese frei von Verfahrensfehlern getroffen wurden und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen des Berufungsgerichts im Einklang mit den bisherigen Rechtsprechungsgrundsätzen stehen. Damit fehlt es an den notwendigen Voraussetzungen, die dem Revisionsgericht auf eine Nichtzulassungsbeschwerde hin die Prüfung ermöglichen, ob das Berufungsgericht aus einem der in § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO genannten Gründe die Revision hätte zulassen müssen.
Ist dem Urteil nicht zuverlässig zu entnehmen, um welchen Sachverhalt es geht, kann dem Revisionsgericht nicht angesonnen werden, diesen selbst zu ermitteln und festzustellen, um abschließend beurteilen zu können, ob die Nichtzulassungsbeschwerde begründet ist. Die Ermittlung und Feststellung des Sachverhalts war bisher nicht Aufgabe des Revisionsgerichts (BGH v. 30.1.1979 - VI ZR 154/78, BGHZ 73, 248 [252]) und kann es auch nach neuem Recht nicht sein. Denn auch nach dem ab 1.1.2002 geltenden Verfahrensrecht müssen die tatsächlichen Grundlagen, von denen das Berufungsgericht ausgegangen ist, aus dem Berufungsurteil ersichtlich sein, um dem Revisionsgericht im Falle der Nichtzulassung der Revision die Überprüfung auf die Zulassungsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO zu erlauben (BGH v. 13.8.2003 - XII ZR 303/02, BGHZ 156, 97 [102] = BGHReport 2003, 1298 m. Anm. Moehren = MDR 2004, 44; Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 540 Rz. 6).
2. Dies gilt auch und erst recht für das Revisionsverfahren nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH zu § 543 ZPO a.F. ist ein mit der Revision angreifbares Berufungsurteil grundsätzlich aufzuheben, wenn es keinen Tatbestand enthält (BGH v. 30.1.1979 - VI ZR 154/78, BGHZ 73, 248 ff.).
Allerdings kann ausnahmsweise von einer Aufhebung und Zurückverweisung aus diesem Grunde abgesehen werden, wenn sich die notwendigen tatsächlichen Grundlagen der Entscheidung zweifelsfrei aus den Urteilsgründen ergeben (BGH, Urt. v. 1.2.1999 - II ZR 176/97, WM 1999, 871 = NJW 1999, 1720, unter I 1, m.w.N.; Urt. v. 6.6.2003 - V ZR 392/02, BGHReport 2003, 1128 = MDR 2003, 1170 = FamRZ 2003, 1273). Ein solcher Ausnahmefall ist hier aber entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht gegeben.
a) Das angefochtene Berufungsurteil enthält nicht nur keinen Tatbestand, sondern nimmt nicht einmal auf den Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils Bezug, so dass auch nicht § 543 Abs. 2 S. 2 ZPO a.F. eingreift.
Ist aber nach dieser Vorschrift schon die Bezugnahme auf den Tatbestand der erstinstanzlichen Entscheidung nur zulässig, wenn die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht hierdurch nicht wesentlich erschwert wird, kann es bei dem hier vorliegenden umfangreichen Streitstoff auch nicht genügen, wenn sich der vom Berufungsgericht zu Grunde gelegte Sachverhalt - wie hier - zwar möglicherweise weitgehend, aber jedenfalls nur mühsam und mosaiksteinartig aus den Entscheidungsgründen rekonstruieren lässt.
Insbesondere ist dem Berufungsurteil zwar zu entnehmen, dass die Beklagte der Klageforderung offenbar einen in einem Parallelverfahren geschlossenen Vergleich entgegenhält, und dass das Berufungsgericht diesen Vergleich anders auslegt als die erste Instanz. Da aber nicht einmal der Wortlaut und der Kontext dieses Vergleichs wiedergegeben werden, ist es schon nicht möglich, diese Auslegung nachzuvollziehen.
b) Hiervon abgesehen enthält das Berufungsurteil keine hinreichend zuverlässigen Angaben zu den Berufungsanträgen. Deren Aufnahme in das Berufungsurteil ist aber sogar nach dem neuen § 540 ZPO, der eine weit gehende Entlastung der Berufungsgerichte bei der Urteilsabfassung bezweckt, nicht entbehrlich (BGH v. 26.2.2003 - VIII ZR 262/02, BGHZ 154, 99 [100 ff.] = MDR 2003, 765 = BGHReport 2003, 629; v. 30.9.2003 - VI ZR 438/02, BGHZ 156, 216 [218] = BGHReport 2004, 272 m. Anm. Schultz = MDR 2004, 289).
Die angefochtene Entscheidung lässt allenfalls erahnen, aber nicht zuverlässig erkennen, was die Berufungsklägerin mit ihrem Rechtsmittel erstrebt hatte. Zwar könnte der Aussage, dass die Klägerin gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von 474.544,11 DM Mietzins und Nebenkosten für die Zeit von November 1996 bis Februar 1998 habe, i.V.m. der einleitenden Aussage, dass die Berufung der Klägerin i.H.v. weiteren 274.544,11 DM begründet sei, durch Rückrechnung die Vermutung entnommen werden, dass das AG der Klage (nur) i.H.v. 200.000 DM stattgegeben hatte. Dem steht aber entgegen, dass die Gründe der angefochtenen Entscheidung in sich widersprüchlich sind. Einerseits hält das Berufungsgericht einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Mietzins und Nebenkosten i.H.v. 474.544,11 DM zzgl. 2.360,80 DM kapitalisierter Zinsen bis zum 1.3.1998 für gerechtfertigt, spricht andererseits lediglich weitere 140.372,17 EUR = 274.544,10 DM nebst Zinsen ab 2.3.1998 zu. Schon deshalb lässt sich auch durch Rückrechnung, die im Übrigen angesichts ihres hier erforderlichen Umfangs einem Revisionsgericht nicht angesonnen werden kann, nicht zuverlässig ermitteln, in welcher Höhe die Klägerin in erster Instanz obsiegt hatte und welchen ursprünglich begehrten Betrag sie mit ihrem Rechtsmittel weiterverfolgte oder welchen Betrag sie ggf. im Wege der Klageerweiterung in zweiter Instanz insgesamt begehrte. Dies gilt insb. für den Betrag der offenbar i.H.v. mehr als 2.360,80 DM verlangten kapitalisierten Zinsen. Auch anhand der ausgeworfenen Kostenquote lässt sich allenfalls die Größenordnung des Klagebegehrens überschlägig abschätzen. Das genügt nicht.
Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
BGHZ 2006, 376 |
NJW 2005, 2858 |
BGHR 2005, 1408 |
JR 2006, 122 |
WM 2005, 1967 |
MDR 2005, 1426 |