Entscheidungsstichwort (Thema)
Umfang der Rechtskraft des Urteils im Schmerzensgeldprozess
Leitsatz (amtlich)
Zum Umfang der Rechtskraft von Urteilen, die einer Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld stattgeben und eine Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftiger immaterieller Schäden (sog. immaterieller Vorbehalt) abweisen.
Normenkette
BGB § 253 Abs. 2; ZPO § 322 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Urteil vom 30.11.2004; Aktenzeichen 10 U 121/04) |
LG Rottweil (Entscheidung vom 26.04.2004; Aktenzeichen 3 O 336/01) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 10. Zivilsenats des OLG Stuttgart vom 30.11.2004 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin streitet mit der beklagten Haftpflichtversicherung um weiteren immateriellen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 14.2.1982. In einem Vorprozess hat ihr das LG R. nach außergerichtlicher Zahlung von 40.000 DM weitere 30.000 DM Schmerzensgeld zuerkannt, aber ihren Antrag auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz sämtlicher weiterer immaterieller Schäden mit Urteil vom 28.1.1993 abgewiesen, weil mit einer Verschlimmerung der unfallbedingten Armschädigung nicht zu rechnen sei. Die Klägerin hat dieses Urteil zwar zur Höhe des zuerkannten Schmerzensgeldbetrages erfolgreich angegriffen; die Abweisung des Feststellungsantrags war jedoch nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens.
Im vorliegenden (Folge-) Rechtsstreit hat das LG die Beklagte mit Versäumnisurteil zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldbetrags von 50.000 EUR verurteilt, auf den Einspruch der Beklagten dieses Versäumnisurteil aber aufgehoben und die Klage insoweit als unzulässig abgewiesen. Dem Anspruch der Klägerin auf Zahlung weiteren Schmerzensgeldes stehe die Rechtskraft der die Feststellungsklage abweisenden Entscheidung vom 28.1.1993 entgegen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht ihr unter Berücksichtigung ihrer Beeinträchtigungen bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung ein weiteres Schmerzensgeld von 20.000 EUR zugesprochen. Daneben hat es festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin weiteren immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit in deren Gesundheitszustand seit dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eine wesentliche Verschlechterung eintrete und insoweit eine wesentliche Erhöhung des Schmerzensgeldes gerechtfertigt sei. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht beschränkt auf die Entscheidung über den Schmerzensgeldanspruch zugelassene Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Klägerin könne wegen seit Dezember 1997 erstmals offenbar gewordener und seit Sommer 1998 verstärkt aufgetretener Spätfolgen des Unfalls ein weiteres Schmerzensgeld verlangen. Die Rechtskraft des die Klage auf Feststellung der Ersatzverpflichtung für sämtliche zukünftigen immateriellen Schäden abweisenden Urteils des LG R. und des allein eine Schmerzensgeldzahlung zuerkennenden Urteils des OLG stehe dem nicht entgegen. Die Spätfolgen seien für einen medizinischen Sachverständigen zum Zeitpunkt der rechtskräftig gewordenen Entscheidungen nicht vorhersehbar gewesen.
II.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand.
1. Die Revision ist nach Zulassung durch das Berufungsgericht wirksam auf den Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres immateriellen Schadens als rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffes beschränkt, über den gesondert hätte entschieden werden können (vgl. BGH, Urt. v. 9.12.2003 - VI ZR 38/03, BGHReport 2004, 611 = MDR 2004, 572 = VersR 2004, 388; BGH, Urt. v. 7.12.2004 - VI ZR 119/04, MDR 2005, 330 = CR 2005, 455 = BGHReport 2005, 418 m. Anm. Freyberger = VersR 2005, 381).
2. Frei von Rechtsfehlern ist die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld mit Urteil des LG R. vom 28.1.1993 und des OLG S. vom 13.7.1993 die Klägerin nicht daran hindert, für damals nicht vorhersehbare Spätfolgen des Unfalls ein weiteres Schmerzensgeld zu verlangen.
a) Verlangt ein Kläger für erlittene Körperverletzungen uneingeschränkt ein Schmerzensgeld, so werden durch den zuerkannten Betrag alle diejenigen Schadensfolgen abgegolten, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte (st.Rspr., vgl.: BGH, Urt. v. 11.6.1963 - VI ZR 135/62, VersR 1963, 1048 [1049]; Urt. v. 8.7.1980 - VI ZR 72/79, MDR 1981, 42 = VersR 1980, 975 f.; Urt. v. 24.5.1988 - VI ZR 326/87, MDR 1988, 951 = VersR 1988, 929 f.; Urt. v. 7.2.1995 - VI ZR 201/94, MDR 1995, 357 = VersR 1995, 471 [472]; Urt. v. 20.3.2001 - VI ZR 325/99, MDR 2001, 764 = BGHReport 2001, 480 = VersR 2001, 876; Urt. v. 20.1.2004 - VI ZR 70/03, MDR 2004, 701 = BGHReport 2004, 683 m. Anm. Jaeger = GesR 2004, 176 = VersR 2004, 1334 [1335]; Urt. v. 4.12.1975 - III ZR 41/74, VersR 1976, 440 [441]; vgl. auch: Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearbeitung 2005, § 253 Rz. 50; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 322 Rz. 161; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 322 Rz. 13; Diederichsen, VersR 2005, 433 [439]; von Gerlach, VersR 2000, 525 [530]; Heß, ZfS 2001, 532 [534]; kritisch: Gottwald in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 322 Rz. 126). Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet es, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Anspruchs aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen (BGH, Urt. v. 6.12.1960 - VI ZR 73/60, VersR 1961, 164 f.; Urt. v. 20.3.2001 - VI ZR 325/99, MDR 2001, 764 = BGHReport 2001, 480 = VersR 2001, 876; Urt. v. 20.1.2004 - VI ZR 70/03, MDR 2004, 701 = BGHReport 2004, 683 m. Anm. Jaeger = GesR 2004, 176 = VersR 2004, 1334 [1335]; Diederichsen, VersR 2005, 433 [439 f.]; von Gerlach, VersR 2000, 525 [530]). Solche Verletzungsfolgen, die zum Beurteilungszeitpunkt noch nicht eingetreten waren und deren Eintritt objektiv nicht vorhersehbar war, mit denen also nicht oder nicht ernstlich gerechnet werden musste und die deshalb zwangsläufig bei der Bemessung des Schmerzensgeldes unberücksichtigt bleiben müssen, werden von der vom Gericht ausgesprochenen Rechtsfolge nicht umfasst und können deshalb Grundlage für einen Anspruch auf weiteres Schmerzensgeld sein (vgl. BGH, Urt. v. 11.6.1963 - VI ZR 135/62; Urt. v. 8.7.1980 - VI ZR 72/79, MDR 1981, 42 = VersR 1980, 975 f.; Urt. v. 24.5.1988 - VI ZR 326/87, MDR 1988, 951 = VersR 1988, 929 f.; Urt. v. 20.3.2001 - VI ZR 325/99, MDR 2001, 764 = BGHReport 2001, 480 = VersR 2001, 876; Urt. v. 20.1.2004 - VI ZR 70/03, MDR 2004, 701 = BGHReport 2004, 683 m. Anm. Jaeger = GesR 2004, 176 = VersR 2004, 1334 [1335]; Urt. v. 4.12.1975 - III ZR 41/74, VersR 1976, 440 [441]; Beschl. v. 6.7.1955 - GSZ 1/55, BGHZ 18, 149 [167]; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 322 Rz. 135 [143]; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 322 Rz. 161; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 27. Aufl., § 322 Rz. 23, a.E.; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 322 Rz. 13, Vor § 322 Rz. 49; Diederichsen, VersR 2005, 433 [440]; Prütting/Gielen, NZV 1989, 329 [330]).
Ob Verletzungsfolgen im Zeitpunkt der Zuerkennung eines Schmerzensgeldes erkennbar waren, beurteilt sich nicht nach der subjektiven Sicht der Parteien oder der Vollständigkeit der Erfassung des Streitstoffes durch das Gericht, sondern nach objektiven Gesichtspunkten, d.h. nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines insoweit Sachkundigen (vgl. BGH, Urt. v. 24.5.1988 - VI ZR 326/87, MDR 1988, 951 = VersR 1988, 929 f.; Urt. v. 7.2.1995 - VI ZR 201/94, MDR 1995, 357 = VersR 1995, 471 [472]; OLG Köln ZfS 1992, 82; OLG Oldenburg v. 18.3.1997 - 5 U 141/95, OLGReport Oldenburg 1998, 358 = VersR 1997, 1541; OLG Köln v. 27.6.1996 - 1 U 2/96, OLGReport Köln 1996, 277 = VersR 1997, 1551; OLG Düsseldorf v. 6.5.1994 - 22 U 219/93, OLGZ 1994, 546 [548 f.]; OLG Koblenz v. 28.5.2004 - 5 W 367/04, OLGReport Koblenz 2005, 120 [121] = GesR 2004, 414; Musielak/Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 322 Rz. 52). Maßgebend ist, ob sich bereits in jenem Verfahren eine Verletzungsfolge als derart nahe liegend darstellte, dass sie schon damals bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden konnte (vgl. BGH, Urt. v. 8.7.1980 - VI ZR 72/79, MDR 1981, 42 = VersR 1980, 975 f.; Urt. v. 24.5.1988 - VI ZR 326/87, MDR 1988, 951 = VersR 1988, 929 f.; Urt. v. 7.2.1995 - VI ZR 201/94, MDR 1995, 357 = VersR 1995, 471 [472]; s. auch: BGH, Urt. v. 4.12.1975 - III ZR 41/74, VersR 1976, 440 [441]; OLG Stuttgart v. 25.6.1999 - 2 U 50/99, OLGReport Stuttgart 1999, 349 = MDR 1999, 1508 = NJW-RR 1999, 1590 [1591]; Kreft in BGB-RGRK, 12. Aufl., § 847 Rz. 51).
b) Nach diesen Grundsätzen, die die Revision nicht in Zweifel zieht, hat das Berufungsgericht im Streitfall zu Recht den Eintritt nicht vorhersehbarer Spätschäden bei der Klägerin bejaht mit der Folge, dass die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld im Vorprozess die nunmehr eingeklagten Spätschäden nicht umfasst.
aa) Das Berufungsgericht führt hierzu aus, den Entscheidungen von 1993 hätten ärztliche Beurteilungen und vor allem ein vom LG R. eingeholtes Gutachten des Prof. F. zugrunde gelegen, in denen die aufgrund eines Nervengefäßabrisses am rechten Arm aufgetretene Armplexuslähmung und der Beinaheverlust der Funktion des rechten Armes sowie der rechten Hand als wesentliche Unfallverletzungen hervorgehoben worden seien. Demgegenüber sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die bei der Klägerin durch neue physiologische Entwicklungen verursachten Spätfolgen des Nervenwurzelabrisses im Bereich des Rückenmarks erheblich schwerwiegender. Ursache seien mit Liquorflüssigkeit gefüllte Zysten bzw. Wurzeltaschen, die sich als Folge der Nervenwurzelausrisse nachträglich gebildet hätten. Die Zysten schafften eine Verbindung des Myelons (Rückenmark) zur Pleurakuppel. Bei Auslenkungen der Pleurakuppel insb. beim Husten, Niesen oder sogar bei tiefem Ein- und Ausatmen könne es zu einer Reizung und auch Verziehung des Myelons mit attackeartigen Schmerzzuständen kommen, die ab Ende 1998 bei der Klägerin zur völligen Erwerbsunfähigkeit geführt hätten. Eine solche Spätfolge sei 1993 für einen Sachkundigen nicht vorhersehbar gewesen. Bei gezieltem Nachforschen habe der gerichtliche Sachverständige zwar Literaturstellen aus den Jahren 1973, 1985, 1990 gefunden, die auf eine Myelopathie als Spätfolge eines Nervenwurzelausrisses hingewiesen hätten. Auf diese Literaturstellen habe er aber nur deshalb stoßen können, weil er gezielt nach einer Myelopathie als Folge eines Nervenwurzelausrisses befragt worden sei.
bb) Die auf diesen Feststellungen beruhende Beurteilung des Berufungsgerichts, die eingetretenen Spätfolgen seien 1993 aus objektiver Sicht eines Sachkundigen nicht so nahe liegend gewesen, dass sie bei den damaligen Schmerzensgeldentscheidungen hätten berücksichtigt werden können, ist nicht zu beanstanden. Die von der Revision angeführte Passage aus dem Gutachten F. im Vorprozess, "Die Gesamtfolgen dieses Unfallereignisses lassen aber sicher bei dieser jungen Frau komplexe Folgen zurück, die nicht mehr reparabel sind", weist entgegen der Auffassung der Revision schon sprachlich nicht auf objektiv erkennbare und im Einzelnen zu berücksichtigende künftige Spätfolgen, sondern allenfalls auf die zum damaligen Zeitpunkt bereits eingetretenen und als irreparabel angesehenen Körperschäden hin und rechtfertigt schon wegen der allgemein gehaltenen Formulierungen keine abweichende Beurteilung.
3. Das Berufungsgericht war unter den Umständen des Streitfalls auch durch die Abweisung der Feststellungsklage im Vorprozess nicht an einer stattgebenden Entscheidung über die Anträge der Klägerin auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes und auf Feststellung der Ersatzverpflichtung für künftige immaterielle Schädigungsfolgen gehindert.
a) Grundsätzlich ist eine erneute Klage unzulässig, wenn ihr Streitgegenstand mit dem eines rechtskräftig entschiedenen Rechtsstreits identisch ist (vgl. BGH, Urt. v. 22.11.1988 - VI ZR 341/87, MDR 1989, 346 = NJW 1989, 393 [394]; v. 19.11.2003 - VIII ZR 60/03, BGHZ 157, 47 [50, 53 f.] = BGHReport 2004, 409 m. Anm. Deichfuß; Urt. v. 17.2.1983 - III ZR 174/81, MDR 1983, 202 = NJW 1983, 2032; Urt. v. 9.4.1986 - IVb ZR 14/85, MDR 1986, 741 = NJW 1986, 2508; Urt. v. 17.3.1995 - V ZR 178/93, MDR 1995, 1062 = NJW 1995, 1757; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., Einf. § 322 Rz. 12; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 322 Rz. 10 [36 f.]; Musielak/Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 322 Rz. 9; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 322 Rz. 22 [39, 199]; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 27. Aufl., § 322 Rz. 11; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., Vor § 322 Rz. 19 [21]).
Ein Urteil auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schädigungsfolgen schließt daher grundsätzlich (vgl. aber; BGH, Urt. v. 28.9.1999 - VI ZR 195/98, MDR 1999, 1439 = VersR 1999, 1555) eine weitere derartige Feststellungsklage aus, die auf den Lebenssachverhalt gestützt wird, über den bereits entschieden worden ist (vgl. Gottwald in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 322 Rz. 38).
Wenn eine im Vorprozess entschiedene Rechtsfrage Vorfrage für die Entscheidung des nachfolgenden Rechtsstreits ist, so besteht die Rechtskraftwirkung in einer Bindung des Gerichts an die Entscheidung im Vorprozess (vgl. BGH, Urt. v. 22.11.1988 - VI ZR 341/87, MDR 1989, 346 = NJW 1989, 393 [394]; v. 19.11.2003 - VIII ZR 60/03, BGHZ 157, 47 [55] = BGHReport 2004, 409 m. Anm. Deichfuß; Urt. v. 17.2.1983 - III ZR 174/81, MDR 1983, 202 = NJW 1983, 2032; Urt. v. 17.3.1995 - V ZR 178/93, MDR 1995, 1062 = NJW 1995, 1757; Lüke in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 256 Rz. 73; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 322 Rz. 11 [13, 46 ff.]; Musielak/Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 322 Rz. 10; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 322 Rz. 204 f.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 27. Aufl., § 322 Rz. 9 f.; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 322 Rz. 19; vgl. auch: Zeuner, 50 Jahre BGH, Bd. III, 337 [341 f.], alle m.w.N.). Im Verhältnis eines vorausgegangenen Feststellungsurteils zu einer nachfolgenden Leistungsklage bedeutet dies, dass die Abweisung einer auf Feststellung einer Forderung erhobenen Klage in der Sache insoweit Rechtskraft für eine später auf dieselbe Forderung gestützte Leistungsklage schafft, als das mit ihr erstrebte Prozessziel unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr aus demselben Lebenssachverhalt hergeleitet werden kann, der der Feststellungsklage zugrunde gelegen hat (vgl. BGH, Urt. v. 24.6.1969 - VI ZR 48/67, NJW 1969, 2014 [2015]; Urt. v. 22.11.1988 - VI ZR 341/87, MDR 1989, 346 = NJW 1989, 393 [394]; Urt. v. 19.11.2003 - VIII ZR 60/03, BGHZ 157, 47 [54 f.] = BGHReport 2004, 409 m. Anm. Deichfuß; Lüke in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 256 Rz. 73; Musielak/Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 322 Rz. 58; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 322 Rz. 205; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 27. Aufl., § 322 Rz. 20; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 322 Rz. 41). Die rechtskräftige Abweisung der auf Feststellung eines Anspruchs gerichteten Klage stellt grundsätzlich das Nichtbestehen dieses Anspruchs rechtskräftig fest (BGH, Urt. v. 1.12.1993 - VIII ZR 41/93, MDR 1994, 261 = CR 1994, 409 = VersR 1994, 422 [424]; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 322 Rz. 39; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 322 Rz. 171; Musielak/Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 322 Rz. 58; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 322 Rz. 116; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 21. Aufl., § 256 Rz. 167; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 27. Aufl., § 256 Rz. 24; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 322 Rz. 12).
b) Diese Grundsätze erfahren jedoch eine Einschränkung in zeitlicher Hinsicht. Die Entscheidung des Gerichts stellt die Rechtslage im Regelfall nur für den Zeitpunkt zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung fest. Einigkeit besteht deshalb darüber, dass die Rechtskraft nicht daran hindert, sich zur Begründung einer neuen Klage auf Tatsachen zu berufen, die erst nach diesem Zeitpunkt entstanden sind (BGH, Urt. v. 12.7.1962 - III ZR 87/61, BGHZ 37, 375 [380 f.]; v. 17.2.1982 - IVb ZR 657/80, BGHZ 83, 278 [280] = MDR 1982, 562; v. 19.12.1991 - IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1 [5] = MDR 1992, 293; v. 19.11.2003 - VIII ZR 60/03, BGHZ 157, 47 [51 f.] = BGHReport 2004, 409 m. Anm. Deichfuß; Urt. v. 11.3.1983 - V ZR 287/81, MDR 1983, 1010 = NJW 1984, 126 [127]; Urt. v. 28.5.1986 - IVa ZR 197/84, MDR 1986, 1005 = VersR 1986, 756 [757]; Urt. v. 26.4.1990 - I ZR 99/88, MDR 1990, 981 = NJW 1990, 2469 [2470]; Urt. v. 17.3.1995 - V ZR 178/93, MDR 1995, 1062 = NJW 1995, 1757 [1758]; v. 14.7.1995 - V ZR 171/94, MDR 1996, 1292 = ZZP 109, 395 [397]; v. 13.11.1998 - V ZR 29/98, MDR 1999, 218 = NJW-RR 1999, 376 [377]; v. 2.3.2000 - IX ZR 285/99, MDR 2000, 780 = NJW 2000, 2022 [2023]; vgl. auch: BGH, Urt. v. 15.6.1982 - VI ZR 179/80, MDR 1983, 47 = VersR 1982, 877 [878]; Urt. v. 14.6.1988 - VI ZR 279/87, MDR 1988, 1048 = VersR 1988, 1139; Urt. v. 28.6.2005 - VI ZR 108/04, BGHReport 2005, 1342 = MDR 2005, 1363 = VersR 2005, 1159 [1160], m.w.N.; Gottwald in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 322 Rz. 140; Musielak/Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 322 Rz. 28; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 322 Rz. 236 ff.; Leipold, FS für Mitsopoulos, 1993, 797 [798]; Würthwein, ZZP 112, 447 [464]). Es kann insb. geltend gemacht werden, der in dem Vorprozess als nach dem damaligen Sachstand nicht begründet abgewiesene Anspruch sei inzwischen begründet geworden (BGH, Urt. v. 12.7.1962 - III ZR 87/61, BGHZ 37, 375; v. 2.12.1981 - IVb ZR 638/80, BGHZ 82, 246 [252] = MDR 1982, 392; Urt. v. 3.2.1982 - IVb ZR 601/80, MDR 1982, 655 = NJW 1982, 1284 [1285]; Urt. v. 28.5.1986 - IVa ZR 197/84, MDR 1986, 1005; v. 14.7.1995 - V ZR 171/94, MDR 1996, 1292 = ZZP 109, 395 [397]; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 21. Aufl., § 322 Rz. 240; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., Vor § 322 Rz. 53 [55 f.]). Allerdings kann der Geltendmachung nachträglich eingetretener und nicht vorhersehbarer Spätschäden die Rechtskraft des Feststellungsurteils vom 28.1.1993 entgegenstehen, wenn dieses auf einer Prognose beruht. Ob dies der Fall ist, entscheidet sich danach, über welchen Klagegrund im Erstprozess entschieden wurde. Die Entscheidung über einen Feststellungsantrag im Schmerzensgeldprozess kann auch nicht vorhersehbare Spätschäden umfassen. Der Senat hat bereits entschieden, dass solche Spätschäden Gegenstand einer Feststellungsklage sein können (vgl. BGH, Urt. v. 11.7.1989 - VI ZR 234/88, MDR 1990, 42 = VersR 1989, 1055 [1056]; v. 15.7.1997 - VI ZR 184/96, VersR 1997, 1508 [1509]; v. 16.1.2001 - VI ZR 381/99, MDR 2001, 448 = BGHReport 2001, 234 = VersR 2001, 874 [875]). Dies setzt allerdings voraus, dass entsprechend vorgetragen wird. Zum Klagegrund rechnen nicht Tatsachen, die im Vortrag des Klägers nicht einmal angedeutet sind, von seinem Standpunkt aus nicht vorgetragen werden mussten und auch bei natürlicher Anschauung nicht zu dem angesprochenen Lebenssachverhalt gehörten (vgl. BGH v. 19.12.1991 - IX ZR 96/91, BGHZ 117, 1 [6] = MDR 1992, 293). Das gilt erst recht, wenn sie nicht vorgetragen werden konnten, weil sie auch sachkundigen Personen objektiv (noch) nicht bekannt waren.
c) Nach den dargelegten Grundsätzen waren hier die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Vorprozesses auch in Fachkreisen unbekannten künftigen Folgeschäden vom Streitgegenstand der Feststellungsklage nicht umfasst.
Die Klägerin hatte im Vorprozess beantragt, "festzustellen, dass die Beklagten der Klägerin ... sämtliche weiteren ... immateriellen Schäden zu ersetzen haben, die im ursächlichen Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall vom 14.2.1982 stehen, ... ." Das LG hat auf der Grundlage dieses Vortrags die Klage abgewiesen, weil aufgrund der eingeholten Sachverständigengutachten und der Anhörung der Klägerin von einem Endzustand der Armschädigung auszugehen sei. Eine Besserung werde wahrscheinlich nicht eintreten, mit einer Verschlimmerung sei nicht zu rechnen. Dabei hat es andere Folgeschäden als die Armschädigung nicht in den Blick genommen und infolgedessen nicht über die später aufgetretenen, als Unfallfolge damals auch Sachkundigen objektiv nicht bekannten und von diesen nicht zu erwartenden Pseudomeningocelen entschieden. Es hat mithin die Feststellungsklage für unbegründet gehalten, weil es die Möglichkeit künftiger Verletzungsfolgen verneint hat. Von dieser Klageabweisung wird jedoch der nunmehr geltend gemachte Sachverhalt nicht erfasst, wonach solche für einen Sachkundigen nicht vorhersehbare unfallbedingte Verletzungsfolgen tatsächlich eingetreten sind. Deshalb sind solche für Fachkreise unbekannte und deshalb nicht voraussehbare Spätfolgen von der Abweisung der damaligen Feststellungsklage nicht umfasst. Dem steht die Entscheidung des erkennenden Senats vom 22.11.1988 (BGH, Urt. v. 22.11.1988 - VI ZR 341/87, MDR 1989, 346 = NJW 1989, 393) nicht entgegen. Diese befasst sich lediglich mit für Fachkreise vorhersehbaren künftigen Schadensfolgen.
Bei dieser Sachlage war die Klägerin nicht gehindert, im vorliegenden Verfahren geltend zu machen, dass entgegen der im Vorprozess gestellten Prognose damals sogar für Sachkundige nicht vorhersehbare Spätschäden tatsächlich entstanden und durch den Unfall verursacht sind.
4. Nach allem ist die Revision der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1496557 |
BGHR 2006, 812 |
EBE/BGH 2006, 3 |
NJW-RR 2006, 712 |
JurBüro 2006, 443 |
MDR 2006, 987 |
NZV 2006, 408 |
VRS 2006, 97 |
VersR 2006, 1090 |
NJW-Spezial 2006, 208 |
SVR 2006, 335 |
VRA 2006, 78 |
r+s 2006, 257 |
LL 2006, 451 |