Leitsatz (amtlich)
Der Besitzverlust, den der Besitzer einer Sache infolge einer (drohenden) Zwangsvollstreckung eines auf die Herausgabe der Sache gerichteten vorläufig vollstreckbaren Titels erleidet, lässt den Herausgabeanspruch nach § 985 BGB nicht entfallen und hat daher nicht die Erledigung der Hauptsache zur Folge.
Normenkette
BGB § 985
Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 28.03.2013; Aktenzeichen 10 S 118/12) |
AG Köln (Urteil vom 26.06.2012; Aktenzeichen 208 C 338/11) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Köln vom 28.3.2013 wird auf Kosten der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass unter Abänderung des Schlussurteils des AG Köln vom 26.6.2012 dessen Versäumnisurteil vom 10.10.2011 aufrechterhalten wird.
Von Rechts wegen
Tatbestand
I.
Rz. 1
Die Kläger sind Eigentümer einer Wohnung, die an Herrn W. vermietet war. Dieser wurde rechtskräftig zur Räumung und Herausgabe der Wohnung an die Kläger verurteilt. Die Beklagte - nach ihren Angaben Lebensgefährtin von Herrn W. - nutzte die Wohnung in der Folgezeit weiter.
Rz. 2
Die Kläger haben daraufhin gegen die Beklagte Klage auf Herausgabe der Wohnung erhoben. Gegen die Beklagte ist ein Versäumnisurteil ergangen, auf dessen Grundlage die Kläger die Wohnung im Wege der Zwangsvollstreckung geräumt haben. Nach dem Einspruch gegen das Versäumnisurteil haben die Kläger wegen der erfolgten Räumung die Erledigung der Hauptsache erklärt. Dem hat die Beklagte widersprochen.
Rz. 3
Das AG hat die Klage unter Aufhebung des Versäumnisurteils abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das LG festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist. Mit der von dem LG zugelassenen Revision will die Beklagte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erreichen. Die Kläger haben im Revisionsverfahren von ihrer Erledigungserklärung Abstand genommen und wollen die Aufrechterhaltung des Versäumnisurteils des AG erreichen. Mit dieser Maßgabe beantragen sie die Zurückweisung der Revision.
II.
Rz. 4
Das Berufungsgericht meint, den Klägern habe gegen die Beklagte ein Herausgabeanspruch nach § 985 BGB zugestanden. Ein Recht zum Besitz habe die Beklagte nicht schlüssig vorgetragen. Aus dem rechtskräftigen Räumungsurteil gegen den Mieter folge, dass dieser kein Recht zum Besitz mehr für sich in Anspruch habe nehmen können. Der Hinweis der Beklagten, dass sie schon länger mit dem Mieter in der Wohnung zusammengelebt und auch die Miete gezahlt habe, sei daher ohne Belang. Mit der Räumung der Wohnung sei eine Erledigung des Rechtsstreits eingetreten. Zwar sei eine Leistungsbewirkung im Rahmen der Zwangsvollstreckung grundsätzlich nicht als erledigendes Ereignis anzusehen. Für den Herausgabeanspruch nach § 985 BGB gelte aber etwas anderes, da auch eine unfreiwillige Aufgabe des Besitzes zum Verlust desselben führe. Im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung habe daher ein Besitz der Beklagten nicht mehr bestanden, so dass der Herausgabeanspruch nach § 985 BGB entfallen sei.
Entscheidungsgründe
III.
Rz. 5
Die Revision hat im Ergebnis keinen Erfolg.
Rz. 6
1. Das Berufungsgericht nimmt allerdings rechtsfehlerhaft an, dass die im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgte Räumung der Wohnung ein erledigendes Ereignis darstellt, infolge dessen die Klage unbegründet geworden ist.
Rz. 7
a) Die Hauptsache ist erledigt, wenn die Klage im Zeitpunkt des nach ihrer Zustellung eingetretenen erledigenden Ereignisses zulässig und begründet war und durch das Ereignis unzulässig oder unbegründet wurde (BGH, Urt. v. 17.7.2003 - IX ZR 268/02, BGHZ 155, 392, 395 m.w.N.).
Rz. 8
aa) Wird aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil, einem Arrestbefehl oder einer einstweiligen Verfügung vollstreckt, tritt nach der Rechtsprechung des BGH keine Erfüllung i.S.d. § 362 Abs. 1 BGB (BGH, Urt. v. 19.1.1983 - VIII ZR 315/81, BGHZ 86, 267, 269) und damit auch keine Erledigung ein. Dasselbe gilt für Leistungen, die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Titel erbracht werden (BGH, Urt. v. 8.5.1985 - IVa ZR 38/83, BGHZ 94, 268, 274; Beschl. v. 21.9.2005 - XII ZR 256/03, NJW-RR 2006, 16). Die Leistung erfolgt in beiden Fällen unter dem Vorbehalt des Rechtskrafteintritts (BGH, Urt. v. 19.1.1983 - VIII ZR 315/81, BGHZ 86, 267, 269), sofern der Schuldner nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt (MünchKomm/BGB/Fetzer, 6. Aufl., § 362 Rz. 28; MünchKomm/ZPO/Götz, 4. Aufl., § 708 Rz. 5; Musielak/Lackmann, ZPO, 10. Aufl., § 708 Rz. 4; Saenger/Kindl, ZPO, 5. Aufl., § 708 Rz. 2; Krüger, NJW 1990, 1208, 1210 f.). Daher stellt auch die Räumung im Wege der Zwangsvollstreckung keine Erfüllung des Rückgewähranspruchs nach § 546 Abs. 1 ZPO (BGH, Urt. v. 24.3.2004 - VIII ZR 188/03, NJW 2004, 1736, 1737) und damit kein die Hauptsache erledigendes Ereignis dar (BGH, Urt. v. 9.2.2011 - VIII ZR 155/10, NJW 2011, 1135 Rz. 11).
Rz. 9
bb) Für den Herausgabeanspruch nach § 985 BGB gilt nichts anderes.
Rz. 10
(1) Allerdings wird vertreten, dass jeder Besitzverlust zum Wegfall der Vindikationslage führe und deshalb auch der auf einer (drohenden) Zwangsvollstreckung eines vorläufig vollstreckbaren, auf die Herausgabe einer Sache gerichteten Titels beruhende Besitzverlust die Erledigung der Hauptsache zur Folge habe (Fritzsche in BeckOK/BGB, Edition 29, § 985 Rz. 10; Staudinger/Gursky, BGB [2013], § 985 Rz. 48, 55).
Rz. 11
(2) Diese Auffassung vermag jedoch nicht zu überzeugen. Ein sachgerechter Grund, die Rechtsfolgen einer Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Titel bei einem Herausgabeanspruch nach § 985 BGB abweichend von anderen Ansprüchen zu behandeln, ist nicht erkennbar. Der Streitgegenstand des Verfahrens wird mit der zwangsweisen Herausgabe der Sache nicht beseitigt. Sie erfolgt, wie andere Erfüllungshandlungen, unter dem Vorbehalt des Rechtskrafteintritts und soll nur für diesen Fall materiell-rechtliche Wirkungen entfalten. Das rechtfertigt es, bis zum Eintritt der Rechtskraft für den Herausgabeanspruch von einer fortbestehenden Vindikationslage zwischen den Parteien auszugehen (so im Ergebnis auch RG, HRR 1929 Nr. 104; OLG Düsseldorf, ZMR 2010, 677, 679; OLGR 2009, 341, 342; Palandt/Bassenge, BGB, 73. Aufl., § 985 Rz. 5; Baldus in MünchKomm/BGB, 6. Aufl., § 985 Rz. 153).
Rz. 12
Nur so lassen sich zudem Wertungswidersprüche insb. zu dem Herausgabeanspruch nach § 546 Abs. 1 BGB vermeiden. Bei diesem hat die zwangsweise Räumung einer Wohnung keine Erledigung der Hauptsache zur Folge (BGH, Urt. v. 9.2.2011 - VIII ZR 155/10, NJW 2011, 1135 Rz. 11). Konkurriert der Anspruch aus § 546 BGB, wie häufig, mit einem Anspruch aus § 985 BGB (vgl. dazu BGH, Urt. v. 22.11.1995 - VIII ZR 41/80, BGHZ 79, 232, 235), wäre es unverständlich, wenn die Vollstreckung aus einem stattgebenden Urteil den einen Anspruch unberührt, den anderen dagegen entfallen ließe.
Rz. 13
2. Der Antrag der Kläger, die Erledigung der Hauptsache festzustellen, war demnach unbegründet. Nachdem sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von ihrer Erledigungserklärung Abstand genommen und erklärt haben, ihren ursprünglichen Antrag weiterzuverfolgen, bleibt der Revision der Erfolg jedoch versagt.
Rz. 14
a) Die Kläger waren nicht gehindert, zu ihren ursprünglichen Anträgen zurückzukehren. Eine Erledigungserklärung ist frei widerruflich, solange sich die beklagte Partei ihr nicht angeschlossen und das Gericht keine Entscheidung über die Erledigung der Hauptsache getroffen hat. Bis zu diesem Zeitpunkt kann die klagende Partei regelmäßig - auch in der Revisionsinstanz - von der einseitig gebliebenen Erledigungserklärung Abstand nehmen und ohne das Vorliegen weiterer Voraussetzungen zu ihrem ursprünglichen Klageantrag zurückkehren. Die darin liegende Klageänderung ist nach § 264 Nr. 2 ZPO noch in der Revisionsinstanz zulässig, wenn - wie hier - der Sachverhalt, auf den sich die früheren Anträge stützen, vom Tatrichter bereits gewürdigt worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 7.6.2001 - I ZR 157/98, NJW 2002, 442 f.).
Rz. 15
b) Der ursprüngliche, auf Herausgabe der Wohnung gerichtete Antrag ist begründet. Die Kläger können als Eigentümer von der Beklagten die Herausgabe der Räume nach § 985 BGB verlangen, da ein Recht zum Besitz (§ 986 BGB) nicht dargelegt worden ist.
Rz. 16
aa) Rechtsfehlerhaft ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, dass sich dies bereits aus dem rechtskräftigen Räumungsurteil gegenüber dem Mieter W. ergibt. Dieses Urteil wirkt nur zwischen den Klägern und dem Mieter, nicht aber auch im Verhältnis zu der Beklagten (vgl. BGH, Urt. v. 12.7.2006 - XII ZR 178/03, NZM 2006, 699 Rz. 32; Urt. v. 21.4.2010 - VIII ZR 6/09, NZM 2010, 699 Rz. 9 zu § 546 BGB). Etwas anderes käme nur dann in Betracht, wenn die Beklagte erst nach Rechtshängigkeit der gegen den Mieter erhobenen Räumungsklage in den Besitz der streitbefangenen Sache gekommen wäre (vgl. § 325 Abs. 1 ZPO). Dies ist jedoch nicht festgestellt; die Revision zeigt auch keinen Vortrag hierzu auf.
Rz. 17
bb) Rechtsfehlerfrei stützt das Berufungsgericht seine Entscheidung aber zusätzlich darauf, dass die Beklagte ein Recht zum Besitz der Wohnung nicht dargelegt hat. Im Gegensatz zu einem Herausgabeanspruch nach § 546 BGB, bei dem der Vermieter die Darlegungs- und Beweislast für die Beendigung des Mietverhältnisses trägt (BeckOK/BGB/Ehlert, Edition 30, § 546 Rz. 33; MünchKomm/BGB/Bieber, 6. Aufl., § 546 Rz. 26), hat im Rahmen des § 985 BGB der Besitzer darzulegen und zu beweisen, dass ihm ein Recht zum Besitz zusteht (BGH, Urt. v. 25.9.1985 - VIII ZR 270/84, NJW-RR 1986, 282). Die Beklagte hätte daher darlegen müssen, dass das Mietverhältnis zwischen den Klägern und dem Mieter W. fortbestand und sie die Berechtigung zum Mitbesitz der Wohnung von dem Mieter ableitete. Schon an Ersterem - der Darstellung, dass der Mieter (weiterhin) zum Besitz berechtigt ist - fehlt es.
IV.
Rz. 18
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 6930785 |
NJW 2014, 2199 |
NJW 2014, 8 |
EBE/BGH 2014, 210 |
WM 2014, 1180 |
ZMR 2014, 707 |
ZfIR 2014, 492 |
JZ 2014, 420 |
JZ 2014, 422 |
JuS 2014, 942 |
MDR 2014, 921 |
MietRB 2014, 234 |
LL 2014, 567 |
MK 2014, 153 |
RÜ2 2015, 1 |