Entscheidungsstichwort (Thema)
Schuldhafter Vertrieb wettbewerbswidrig nachgeahmten Produkts. Auslieferung. Herkunftstäuschung. Zwischenhändler. Wettbewerbsrechtliche Haftung. Zeitpunkt. Schadensersatzanspruch
Leitsatz (amtlich)
Die wettbewerbsrechtliche Haftung für den Vertrieb wettbewerbswidrig nachgeahmter, für den Endabnehmer bestimmter Produkte beginnt bereits mit deren Auslieferung an den Zwischenhändler.
Normenkette
UWG § 1
Verfahrensgang
OLG Köln (Urteil vom 11.08.2000) |
LG Köln |
Tenor
Auf die Revision wird das Urteil des 6. Zivilsenats des OLG Köln v. 11.8.2000 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin befasst sich schwerpunktmäßig mit der Herstellung und dem Vertrieb von Porzellan- und Keramikerzeugnissen. Zu ihrer Produktpalette gehört auch ein Kaffee- und Tafelservice, das jetzt unter der Bezeichnung "Alt Luxemburg" angeboten wird. Das Dekor dieses Geschirrs, welches seit 1975 in unveränderter Aufmachung verwendet wird, beruht auf einem aus dem Jahre 1770 stammenden Entwurf.
Die T. Versand Aktiengesellschaft (im Folgenden: T.-AG) bot in der im August 1998 erschienenen Ausgabe ihres "T. Bestellmagazins" unter der Bezeichnung "Alt Lüneburg" Kaffee- und Tafelgeschirre an, die auch in den Filialen der T. GmbH (im Folgenden: T.-GmbH) erhältlich waren. Herstellerin des von den vorbezeichneten Unternehmen der T. -Gruppe im August 1998 angebotenen Geschirrs "Alt Lüneburg" war die Beklagte. Die Fertigung und Auslieferung der Produkte seitens der Beklagten erfolgte im Auftrag der T.-GmbH.
Die Klägerin sieht in der Produktion der Kaffee- und Tafelgeschirre "Alt Lüneburg" eine nach § 1 UWG unzulässige unlautere Nachahmung ihres Service "Alt Luxemburg". Sie hat die oben benannten Unternehmen der T. -Gruppe sowie die T. Holding Aktiengesellschaft erfolgreich auf Unterlassung des Angebots oder Inverkehrbringens des Geschirrs "Alt Lüneburg" und auf Auskunftserteilung in Anspruch genommen. Ferner wurde die Verpflichtung der in jenem Verfahren Beklagten zum Schadensersatz festgestellt (LG Köln - 31 O 738/98 = OLG Köln - 6 U 42/99).
Im vorliegenden Rechtsstreit geht die Klägerin gegen die Beklagte als Herstellerin des von der T.-AG und der T.-GmbH angebotenen und vertriebenen Geschirrs "Alt Lüneburg" vor. Sie hat die Beklagte ursprünglich auf Unterlassung des Herstellens, Inverkehrbringens oder Vertriebs dieses Kaffee- und Tafelgeschirrs sowie auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung in Anspruch genommen. Ferner hat die Klägerin die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung der Beklagten begehrt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LG hat sich die Beklagte strafbewehrt zur Unterlassung verpflichtet, unter der Bezeichnung "Alt Lüneburg" ein Kaffeeservice und/oder Tafelservice in der Aufmachung des streitgegenständlichen Dekors in den Verkehr zu bringen oder zu vertreiben. Daraufhin haben die Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich des Unterlassungsbegehrens in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.
Dem Klagebegehren auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie Feststellung der Schadensersatzverpflichtung der Beklagten hat das LG stattgegeben.
In der Berufungsinstanz hat die Klägerin sowohl den Auskunfts- und Rechnungslegungsantrag als auch ihr Begehren auf Feststellung der Schadensersatzverpflichtung der Beklagten zeitlich auf den Zeitraum ab 1.8.1997 beschränkt.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen dahingehend abgeändert, dass die Beklagte Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen hat, in welchem Umfang sie seit dem 1.8.1998 unter der Bezeichnung "Alt Lüneburg" ein Kaffeeservice und/oder Tafelservice in den Verkehr gebracht oder vertrieben hat. Die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung hat das Berufungsgericht dementsprechend auf seit dem 1.8.1998 von der Beklagten begangene Verletzungshandlungen begrenzt.
Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Auskunftserteilung, Rechnungslegung sowie Feststellung der Schadensersatzverpflichtung der Beklagten weiter, soweit das Berufungsgericht dem nicht entsprochen hat.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die von der Beklagten hergestellten und in den Verkehr gebrachten Kaffee- und Tafelgeschirre des Dekors "Alt Lüneburg" stellten sich unter dem Gesichtspunkt der vermeidbaren betrieblichen Herkunftstäuschung i. S. v. § 1 UWG als wettbewerbswidrige Nachahmungen des Porzellans "Alt Luxemburg" der Klägerin dar. Die Klägerin könne daher von der Beklagten dem Grunde nach Auskunft und Rechnungslegung sowie die Feststellung verlangen, dass die Beklagte zum Ersatz des Schadens verpflichtet sei, der ihr aus dem Inverkehrbringen oder dem Vertrieb des Geschirrs "Alt Lüneburg" entstanden sei oder noch entstehen werde.
Die der Klägerin zustehenden Ansprüche seien allerdings erst ab dem 1.8.1998 begründet, da für den Beginn der Haftung der Beklagten der Zeitpunkt der ersten bekannten Verletzungshandlung maßgeblich sei. Im Streitfall sei dieser Zeitpunkt auf die Aufnahme des Geschirrs "Alt Lüneburg" in das im August 1998 erschienene "T. Bestellmagazin" zu datieren, mit dem das Angebot und der Vertrieb des angegriffenen Porzellans bundesweit begonnen worden sei.
II. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Klägerin stünden die dem Grunde nach gerechtfertigten Ansprüche auf Auskunftserteilung, Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzverpflichtung erst ab 1.8.1998 zu, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat - für die revisionsrechtliche Beurteilung bindend - angenommen, dass der Klägerin aus § 1 UWG i. V. m. § 242 BGB dem Grunde nach Ansprüche auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung gegen die Beklagte zustehen, da die Beklagte sich durch das Inverkehrbringen oder den Vertrieb des Geschirrs "Alt Lüneburg" in der streitgegenständlich angegriffenen Gestaltung gegenüber der Klägerin schadensersatzpflichtig gemacht hat (vgl. BGH, Urt. v. 26.11.1987 - I ZR 123/85, MDR 1988, 467 = GRUR 1988, 307 [308] - Gaby). Der revisionsrechtlichen Beurteilung unterliegt das Berufungsurteil nur, soweit darin abweichend vom Antrag der Klägerin, die Schadensersatzfeststellung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung ab dem 1.8.1997 begehrt hat, auf den Zeitpunkt des 1.8.1998 abgestellt und das weiter reichende Begehren abgewiesen worden ist.
Das Berufungsgericht ist dabei von dem von der Revision nicht in Frage gestellten Grundsatz der Rechtsprechung des Senats ausgegangen, wonach ein Schadensersatzanspruch, der - wie hier - aus dem (schuldhaften) Vertrieb oder sonstigem Inverkehrbringen eines wettbewerbswidrig nachgeahmten Produkts hergeleitet wird, grundsätzlich frühestens ab dem Zeitpunkt des Beginns der behaupteten Verletzungshandlungen begründet sein kann. Nach dieser Rechtsprechung bedürfen die der Vorbereitung des Schadensersatzanspruchs dienenden Hilfsanträge auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung der zeitlichen Beschränkung auf den Zeitpunkt, für den eine Verletzungshandlung erstmalig schlüssig vorgetragen ist. Ob und wann eine solche begangen worden ist, hat - als anspruchsbegründende Tatsache - der Gläubiger im Prozess schlüssig vorzutragen (vgl. BGH, Urt. v. 26.11.1987 - I ZR 123/85, MDR 1988, 467 = GRUR 1988, 307 [308] - Gaby; BGH, Urt. v. 21.3.1991 - I ZR 158/89, MDR 1988, 467 = GRUR 1992, 523 [525] = WRP 1991, 575 - Betonsteinelemente; Urt. v. 29.9.1994 - I ZR 114/84, MDR 1988, 467 = GRUR 1995, 50 [54] - Indorektal/Indohexal).
2. Mit Erfolg wendet sich die Revision gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, wonach die erste Verletzungshandlung der Beklagten auf den 1.8.1998 zu datieren sei, weil die Aufnahme des Geschirrs "Alt Lüneburg" in das T. Bestellmagazin, mit der der bundesweite Vertrieb des angegriffenen Porzellans begonnen habe, im August 1998 erfolgt sei. Die von der Klägerin erstrebte Vorverlagerung der ersten bekannten Verletzungshandlung der Beklagten auf den 1.8.1997 hat das Berufungsgericht für unbegründet erachtet, da sich der Zeitpunkt, ab dem die Beklagte mit der Auslieferung des Geschirrs "Alt Lüneburg" an die T.-AG und die T.-GmbH begonnen habe, mangels konkreter Anhaltspunkte nicht mit der gebotenen Zuverlässigkeit bestimmen lasse. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg.
a) Das Berufungsgericht hat nicht verkannt, dass es für den Beginn der Haftung der Beklagten darauf ankommt, wann diese das Geschirr "Alt Lüneburg" in den Verkehr gebracht bzw. mit dem Vertrieb begonnen hat. Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten ist dies bereits vor dem 1.8.1998 in erheblichem Umfang geschehen. Das hätte das Berufungsgericht - wie die Revision mit Recht rügt - berücksichtigen müssen. Der Ansicht der Revisionserwiderung, eine wettbewerbsrechtliche Haftung wegen Vertriebs wettbewerblich eigenartiger Produkte komme erst in Betracht, wenn die Ware an die Endabnehmer abgesetzt werde, da erst diese einer Herkunftstäuschung erlägen, kann nicht beigetreten werden. Das wettbewerbswidrige Verhalten der Beklagten liegt darin, dass diese mit dem Vertrieb der beanstandeten Erzeugnisse von wettbewerblicher Eigenart die Gefahr der Täuschung über deren Herkunft begründet. Ob der Zwischenhändler dieser Täuschung erliegt, ist dabei ohne Belang.
Die Beklagte hat in ihrer Berufungsbegründung v. 8.3.2000 vorgetragen, sie mache sich den gesamten Sachvortrag der Beklagten (Unternehmen der T. -Gruppe) des unter dem Aktenzeichen 6 U 42/99 bei dem OLG Köln geführten Rechtsstreits zu Eigen. Dies gelte insbesondere für deren Berufungsbegründung v. 7.6.1999, die sie ihrer Berufungsbegründung als Anlage beifüge. Aus der von der Beklagten in Bezug genommenen Berufungsbegründung ergibt sich, dass die Unternehmen der T. -Gruppe bereits vor dem 1.8.1998 mit dem Vertrieb des Geschirrs "Alt Lüneburg" begonnen hatten, nämlich während einer ab dem 29.7.1998 stattfindenden so genannten Pilotphase. Ab diesem Zeitpunkt hat die T.-AG im Versandhandel 5.365 Kaffee-Service (20-teilig), 1.940 Kaffeeservice (21-teilig) sowie 5.170 Tafel-Service der streitbefangenen Art abgesetzt. Darüber hinaus sind schon vor dem 29.7.1998 in den T. -Pilot-Filialen 293 Kaffee-Service (20-teilig), 93 Kaffee-Service (21-teilig) und 239 Tafel-Service verkauft worden.
Da der Vertrieb des in Rede stehenden Geschirrs durch die T. -Unternehmen nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten bereits vor dem 1.8.1998 begonnen hatte, musste die Auslieferung seitens der Beklagten an T. ebenfalls vor diesem Zeitpunkt stattgefunden haben. Denn erfahrungsgemäß hat das eine Verkaufsaktion durchführende Unternehmen die Waren bei einem bundesweiten Angebot zu einem großen Teil bereits auf Lager, bevor der Verkauf beginnt.
b) Ferner hätte das Berufungsgericht beachten müssen, dass es der Klägerin mangels Einblicks in die Vertrags- und Lieferbeziehungen der Beklagten zu den Unternehmen der T. -Gruppe nicht möglich ist, den genauen Zeitpunkt zu benennen, zu dem die Beklagte mit der Auslieferung der beanstandeten Ware an T. begonnen hatte. Da auf Grund des eigenen Vorbringens der Beklagten und erfahrungsgemäß davon ausgegangen werden muss, dass sie das in Rede stehende Geschirr bereits in einem erheblichen Zeitraum vor dem 1.8.1998 in großem Umfang an T. geliefert hatte, ist es nahe liegend, der Klägerin die geltend gemachten Ansprüche schon vor dem vom Berufungsgericht angenommenen Zeitpunkt zuzubilligen. Den genauen Zeitpunkt wird das Berufungsgericht nach erneuter Würdigung aller Umstände des Streitfalls festzustellen haben. Dabei weist der Senat darauf hin, dass der vorliegende Fall im Blick auf die konkret behauptete Zuwiderhandlung zu einem früheren Zeitpunkt als vom Berufungsgericht angenommen, dem Senat keinen Anlass gibt, seine Rechtsprechung zur Reichweite des Auskunftsanspruchs auf einen dem festgestellten Verletzungszeitpunkt vorgelagerten Zeitraum (vgl. dazu BGH, Urt. v. 26.11.1987 - I ZR 123/85, MDR 1988, 467 = GRUR 1988, 307 [308] - Gaby; BGH v. 25.2.1992 - X ZR 41/90, BGHZ 117, 264 [278 f.] = MDR, 1988, 467 - Nicola; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 8. Aufl., Kap. 38 Rz. 7 m. w. N.) neu zu überdenken.
III. Danach war auf die Revision der Klägerin das Berufungsurteil aufzuheben, soweit das Berufungsgericht zu deren Nachteil erkannt hat. Im Umfang der Aufhebung war die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Fundstellen
NJW-RR 2003, 1482 |
EWiR 2003, 1263 |
GRUR 2003, 892 |
ZAP 2003, 1105 |
MDR 2003, 1431 |
WRP 2003, 1220 |