Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kammer 16 für Handelssachen, vom 17. Juli 1998 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagte betreibt Kaufhäuser, in denen sie auch Leistungen von Optikerfachgeschäften anbietet. Sie ließ Mitte Dezember 1996 vor dem Hintergrund des Beitragsentlastungsgesetzes vom 1. November 1996, nach dem die Kostenbeteiligung der gesetzlichen Krankenkassen an Brillengestellen mit Ablauf des 31. Dezember 1996 wegfiel, bundesweit nachstehende Anzeige erscheinen:
Die Beklagte richtete darüber hinaus im Dezember 1996 bundesweit ein Informationsschreiben an niedergelassene Augenärzte, in dem sie unter Bezugnahme auf die bevorstehende Leistungsänderung der gesetzlichen Krankenkassen gegenüber den gesetzlich Versicherten erklärte:
„Bei Vorlage einer Verordnung für 2 Brillengläser liefert die K. -Augenoptik nach wie vor eine komplette Brille. Das heißt also – auf Kundenwunsch zuzahlungsfrei – zwei Gläser und eine Brillenfassung aus unserem Null-Tarif-Sortiment.”
Anfang 1997, nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung, verhielt sich die Beklagte gegenüber ihren Kunden wie werblich angekündigt.
Die Klägerin, die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V., hat die vorstehende Werbeaussage, das genannte Informationsschreiben und das werbungsgemäße Verhalten der Beklagten beanstandet und sie auf Unterlassung in Anspruch genommen. Die Klägerin geht von einer unentgeltlichen Abgabe von Brillenfassungen an Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen aus und sieht hierin zum einen eine unzulässige Zugabe zu den Gläsern, zum anderen in der angegriffenen Werbung einen Fall des übertriebenen, wettbewerbswidrigen Anlockens. Die Klägerin meint, daß die Beschränkung des kassenrechtlichen Versorgungsanspruchs zum 1. Januar 1997 dazu führe, den Brillenerwerb durch Kassenmitglieder in ein gegenständlich vom Festpreis der Krankenkassen begrenztes Hauptgeschäft über den Erwerb und das Einschleifen der Brillengläser und ein weiteres Geschäft über den Erwerb des Brillengestells aufzuspalten.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen,
unter der Headline „K. bleibt beim Null-Tarif” und/oder „K. bleibt auch … (es folgt Jahreszahl) beim Null-Tarif” mit der Angabe zu werben oder durch Augenärzte werben zu lassen:
„Für Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen ist bei Verordnung von 2 Brillengläsern eine Brillenfassung aus unserem Null-Tarif-Sortiment im Festbetrag enthalten”
und/oder
- „Bei Vorlage einer Verordnung für 2 Brillengläser liefert die K. -Augenoptik nach wie vor eine komplette Brille. Das heißt also – auf Kundenwunsch zuzahlungsfrei – zwei Gläser und eine Brillenfassung aus unserem Null-Tarif-Sortiment”
und/oder
- Brillen, bestehend aus Fassung und handwerklich eingearbeiteten Gläsern, an den Kunden, ohne ihm die Fassung gesondert zu berechnen, abzugeben.
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt.
Mit der (Sprung-)Revision verfolgt die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die nach § 566a ZPO zulässige Sprungrevision hat Erfolg. Die Klage ist unbegründet.
I. Das Landgericht hat in der beanstandeten Anzeigenwerbung, der genannten Arztinformation und der Abgabe der so beworbenen Brillen einen Verstoß gegen die Zugabeverordnung gesehen. Dazu hat es ausgeführt:
Entgegen der Auffassung der Beklagten sei nach der maßgebenden Verkehrsanschauung das Tatbestandsmerkmal einer neben der Ware angekündigten und gewährten besonderen Leistung erfüllt. Hauptgeschäft sei vorliegend – entsprechend der den Versicherten bekannten Leistungsbeschränkung – der Erwerb von zwei Brillengläsern gegen entsprechende Vorlage einer Verordnung. Die Beklagte bewerbe und gewähre demnach neben der durch die Lieferung der Brillengläser erbrachten Leistung Brillenfassungen ohne besondere Berechnung und nur im Zusammenhang mit dem Erwerb der Gläser. Dieses Angebot der Beklagten sei geeignet, Kunden zum Abschluß eines Geschäfts gerade mit ihr zu bewegen; denn nur in diesem Fall seien für einen Kunden die Kosten einer Brillenfassung vermeidbar, die er bei deren Erwerb in anderen Optikergeschäften nach der Kostenschätzung zu tragen hätte.
Mit diesen Erwägungen kann das landgerichtliche Urteil nicht aufrechterhalten bleiben; denn das Unterlassungsbegehren der Klägerin gegen die Beklagte findet in § 2 i.V. mit § 1 ZugabeVO keine Stütze.
1. Eine Zugabe liegt vor, wenn eine Leistung ohne besondere Berechnung neben einer entgeltlich angebotenen Hauptware gewährt wird, der Erwerb der Nebenleistung vom Abschluß des Geschäfts über die Hauptware abhängig ist und dabei in der Weise ein innerer Zusammenhang besteht, daß die Nebenleistung mit Rücksicht auf den Erwerb der Hauptware gewährt wird und das Angebot wegen dieser Abhängigkeit objektiv geeignet ist, den Kunden in seiner Entschließung zum Erwerb der Hauptware zu beeinflussen. Eine Zugabe kann danach immer nur eine von der Hauptware verschiedene, zusätzlich in Aussicht gestellte oder gewährte Nebenleistung sein. Werden dagegen die beiden in Rede stehenden Waren oder Leistungen vom Verkehr als eine Einheit angesehen, ist eine Zugabe begrifflich ausgeschlossen (st. Rspr.; BGHZ 139, 368, 371 f. – Handy für 0,00 DM, m.w.N.). Dies hat das Landgericht nicht verkannt.
2. Das Landgericht hat angenommen, der angesprochene Verkehr verstehe die streitgegenständliche Werbung dahin, daß die Gläser die Hauptware und die Brillenfassung eine von dieser verschiedene Nebenware sei. Diese Annahme liegt nicht allein auf tatsächlichem Gebiet, sondern beruht offensichtlich auf einem bestimmten Verständnis des einschlägigen Sozialversicherungsrechts. Die Schlußfolgerung, die das Landgericht hieraus zieht, steht nicht im Einklang mit der Lebenserfahrung und ist als Fehler des materiellen Rechts auch im Verfahren der Sprungrevision (§ 566a Abs. 3 Satz 2 ZPO) zu berücksichtigen (vgl. BGHZ 106, 101, 104 – Dresdner Stollen I; BGH, Urt. v. 10.7.1997 – I ZR 201/95, GRUR 1998, 486, 487 = WRP 1998, 301 – Geburtstags-Angebot). Der hier maßgebende Letztverbraucher wertet den Gegenstand der angegriffenen Werbung als ein einheitliches Angebot. Der Senat hat in seinem Urteil vom 28. November 1996 „Brillenpreise II” (I ZR 197/94, GRUR 1997, 767, 770 = WRP 1997, 735) – in anderem rechtlichen Zusammenhang – bereits entschieden, daß die sozialversicherungsrechtliche Leistungsabgeltung bei Sehhilfen in ihrer unterschiedlichen Eintrittspflicht für Gläser einerseits, Brillenfassungen andererseits, die Verkehrsauffassung nicht präge. Daran hat sich auch durch das Beitragsentlastungsgesetz vom 1. November 1996 (BGBl. I S. 1631) nichts geändert. Schon mit dem Gesundheitsreformgesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I S. 2477) ist nach der sozialversicherungsrechtlichen Leistungsseite die einheitliche Ware Brille aus Kostendämpfungsgründen in ihren Hauptbestandteilen unterschiedlich behandelt worden (anders noch § 182 Abs. 1 Nr. 1b, § 182a Satz 1c, § 182g RVO), auch mit dem Ziel, bei Brillengestellen dem Wettbewerb durch das Zuschußsystem mehr Raum zu geben. Es ist vom Landgericht nicht festgestellt worden und auch nicht ersichtlich, daß die zum 1. Januar 1997 durch die weitere Leistungsbeschränkung lediglich vertiefte sozialversicherungsrechtliche Differenzierung das Verkehrsverständnis beeinflußt (vgl. auch BGH, Urt. v. 13.1.2000 – I ZR 271/97, Umdr. S. 7 – Null-Tarif, zur Veröffentlichung bestimmt; OLG Frankfurt WRP 1999, 951, 953). Der Hinweis auf die sozialversicherungsrechtliche Leistungsseite im Text unter der Bildmontage der beanstandeten Anzeige ist kein Ausdruck einer Aufspaltung des beworbenen einheitlichen Angebotes, sondern konkretisiert dieses nur.
II. Das angefochtene Urteil läßt sich auch nicht mit anderer Begründung aufrechterhalten (§ 563 ZPO).
1. Ein Verstoß gegen § 1 UWG durch ein verdecktes Koppelungsangebot scheidet schon deshalb aus, weil die Beklagte hier nicht mehrere Einzelwaren rechtlich zu einem Gesamtangebot verbunden, sondern nur eine, aus unselbständigen Bestandteilen zusammengesetzte Hauptware so beworben und feilgeboten hat.
2. Das Landgericht hat von seinem Standpunkt aus folgerichtig die Frage offengelassen, ob die beanstandeten Handlungen der Beklagten als übertriebenes Anlocken nach § 1 UWG zu untersagen sind. Auch das ist jedoch entgegen der vom Oberlandesgericht Hamburg (WRP 1999, 374) im vorausgegangenen Verfügungsverfahren vertretenen Auffassung zu verneinen; denn die angegriffene Werbung der Beklagten ist nicht geeignet, in übertriebener, sittenwidriger Weise Kunden anzulocken (ebenso bereits BGH, Urt. v. 13.1.2000 – I ZR 271/97, Umdr. S. 8 f. – Null-Tarif).
a) Die Anlockwirkung, die von einem attraktiven Angebot ausgeht, ist grundsätzlich nicht wettbewerbswidrig, sondern gewollte Folge des Leistungswettbewerbs. Ein wettbewerbswidriger Anlockeffekt kann erst durch den Einsatz zusätzlicher, unsachlicher Mittel entstehen. Kennzeichen solcher Mittel ist, daß sie nicht Preiswürdigkeit oder Qualität des Angebotes steigern, sondern Kunden von einer preis- und qualitätsbewußten Prüfung verschiedener Angebote durch werbendes Herausstellen leistungsfremder Vergünstigungen abhalten (BGH, Urt. v. 28.4.1994 – I ZR 68/92, GRUR 1994, 743, 745 = WRP 1994, 610 – Zinsgünstige Kfz-Finanzierung durch Herstellerbank; Urt. v. 25.9.1997 – I ZR 84/95, GRUR 1998, 500, 502 = WRP 1998, 388 – Skibindungsmontage; BGHZ 139, 368, 375 – Handy für 0,00 DM).
b) Mit Recht wendet sich die Revision gegen den Vorwurf der Klägerin, daß die beanstandete Werbung der Beklagten für den zuzahlungsfreien Erwerb von Brillen durch Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen mit Brillenfassungen aus einem für diesen Zweck vorgehaltenen Sortiment sich eines zusätzlichen, unsachlichen Anreizes bediene. Auch der Annahme einer leistungsfremden Vergünstigung als Lockmittel steht bereits entgegen, daß sich die angegriffene Werbeaussage ebenso wie die ältere Null-Tarif-Werbung des Augenoptikerhandwerkes auf die Lieferung von Brillen an Kassenmitglieder als einheitliches Angebot bezieht. Es ist nicht zu mißbilligen, wenn die Beklagte die bei Belieferung von Kassenmitgliedern mit ärztlich verordneten Sehhilfen gewährten Festbeträge der Kassen kalkulatorisch unterschreiten zu können glaubte und im Rahmen dieser Vergütung auch die in der sozialversicherungsrechtlichen Versorgung ausgesparten Brillengestelle zuzahlungsfrei an ihre versicherten Kunden mitliefern wollte. Die vom Oberlandesgericht Hamburg (WRP 1999, 374, 375) angenommene „Sogwirkung” der fortgesetzten Null-Tarif-Werbung vor dem geänderten sozialversicherungsrechtlichen Hintergrund mag nach allem zwar zutreffen. Es handelte sich nach den Umständen aber gleichwohl um nicht mehr als den zulässigen Ausdruck der Leistungsstärke, welche die Beklagte für sich in Anspruch nimmt und mit der sie auch werben darf (ebenso bereits BGH, Urt. v. 13.1.2000 – I ZR 271/97, Umdr. S. 9 – Null-Tarif).
III. Auf die Sprungrevision der Beklagten war demnach das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen (§§ 564, 565 Abs. 3 ZPO). Die Kosten des Rechtsstreits hat nach § 91 Abs. 1 ZPO die unterlegene Klägerin zu tragen.
Unterschriften
Erdmann, Starck, Pokrant, Büscher, Raebel
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 15.06.2000 durch Führinger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen