Leitsatz (amtlich)
a) Ist die auf § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO gestützte Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Gericht der ersten Instanz verfahrensfehlerhaft erfolgt, weil das Berufungsgericht über den Anspruchsgrund nicht vollständig selbst befunden hat, und war die Aufhebung und Zurückverweisung gem. § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 ZPO veranlasst, da das Erstgericht ein unzulässiges Teilurteil erlassen hat, so ist das Berufungsurteil vom Revisionsgericht aufzuheben, weil die Bindungswirkung der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für das Erstgericht in den Fällen des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO einerseits und des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 ZPO andererseits unterschiedlich weit reicht. In diesem Fall kann das Revisionsgericht die Sache direkt - unter Aufhebung des Ersturteils - an das erstinstanzliche Gericht zurückverweisen.
b) Die Wahrnehmung rettungsdienstlicher Aufgaben ist im Freistaat Sachsen (Sächsisches Gesetz über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz - SächsBRKG) der hoheitlichen Betätigung zuzurechnen. Für Fehler des Notarztes bei einem Rettungsdiensteinsatz haften in Sachsen die Rettungszweckverbände bzw. die Landkreise und Kreisfreien Städte, die sich nicht zu einem Rettungszweckverband zusammengeschlossen haben.
Normenkette
BGB § 839A; ZPO § 538 Abs. 2; SächsBRKG § 3 Nr. 3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten zu 1) und die Berufungen des Klägers und seiner Streithelferin werden das Urteil des 4. Zivilsenats des OLG Dresden vom 14.2.2017 und das Teilurteil der 4. Zivilkammer des LG Chemnitz vom 27.7.2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittelzüge, an das LG zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger nimmt die Beklagten unter dem Vorwurf der fehlerhaften Behandlung während eines Notarzteinsatzes auf Schadensersatz, Schmerzensgeld und die Feststellung der Einstandspflicht in Anspruch.
Rz. 2
Der am 17.7.2010 geborene Kläger verbrühte sich am Abend des 12.12.2011 mit heißem Tee den Kopf-, Hals- und Brustbereich. Seine Eltern verständigten die Rettungsleitstelle Annaberg des erstbeklagten Landkreises und forderten ärztliche Hilfe an. Daraufhin traf ein Rettungswagen ein, den die Beklagte zu 3), eine Fachärztin für Innere Medizin, als verantwortliche Notärztin begleitete. Während des Einsatzes wurde der Beklagte zu 2), ein Facharzt für Anästhesie, zur Intubation des Klägers hinzugezogen. Nachfolgend zeigten sich bei dem Kläger u.a. eine anoxische Hirnschädigung, eine hypoxisch ischämische Enzephalopathie, ein Hirnödem und eine armbetonte spastische Tetraparese. Der Kommunale Schadensausgleich als Versicherer des Beklagten zu 1) leistete im Jahre 2013 ohne Anerkennung einer Rechtspflicht Abschlagszahlungen an den Kläger auf den immateriellen Schaden (Schmerzensgeld) i.H.v. insgesamt 80.000 EUR, welche der Beklagte zu 1) im Wege der Widerklage aufgrund einer entsprechenden Ermächtigung des Versicherers zurückverlangt.
Rz. 3
Der Kläger hat geltend gemacht, die Beklagten zu 2) und 3) hätten ihre ärztlichen Pflichten verletzt. Sie hätten insb. nicht für eine ordnungsgemäße Überwachung der Vitalfunktionen des Klägers während des Transports zum Krankenhaus gesorgt und deshalb nicht bemerkt, dass sich der Tubus disloziert habe, wodurch es zu einer Sauerstoffunterversorgung des Klägers und dem nachfolgenden Hirnschaden gekommen sei. Der Beklagte zu 1) hafte in seiner Eigenschaft als Träger des Rettungsdienstes nach Amtshaftungsgrundsätzen. Die Beklagten zu 2) und 3) seien aus Behandlungsvertrag sowie gem. § 823 Abs. 1 und 2 BGB ersatzpflichtig.
Rz. 4
Die Beklagten haben ihre Passivlegitimation in Abrede genommen und einen schadenskausalen Behandlungsfehler bestritten. Die Haftung für etwaige Notarztfehler richte sich nach Amtshaftungsgrundsätzen, so dass eine persönliche Haftung der Beklagten zu 2) und 3) ausgeschlossen sei. Der Beklagte zu 1) hafte nicht, da die Sicherstellung der notärztlichen Versorgung im Rettungsdienst im Freistaat Sachsen nicht den Trägern des Rettungsdienstes, sondern den Krankenkassen und ihren Verbänden sowie den Verbänden der Ersatzkassen zugewiesen sei. Passivlegitimiert sei nach dem Sächsischen Gesetz über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz (SächsBRKG) allein die Arbeitsgemeinschaft Sächsischer Krankenkassen und Verbände der Krankenkassen für die notärztliche Versorgung (ARGE NÄV), die Streithelferin des Klägers. Die Beklagten zu 2) und 3) hätten pflichtgemäß gehandelt.
Rz. 5
Das LG hat mit Teil-Endurteil die Klage gegen den Beklagten zu 1) abgewiesen und den Kläger auf die Widerklage verurteilt, an den Beklagten zu 1) 80.000 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Auf die Berufungen des Klägers und seiner Streithelferin hat das OLG das Ersturteil aufgehoben und die Sache an das LG zurückverwiesen.
Rz. 6
Hiergegen wendet sich der Beklagte zu 1) mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die Revision ist begründet.
I.
Rz. 8
Das Berufungsgericht (GesR 2017, 232) hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Entgegen der Ansicht des LG sei der erstbeklagte Landkreis als Träger des bodengebundenen Rettungsdienstes für die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche passivlegitimiert. Der Rettungsdienst sei im Freistaat Sachsen öffentlich-rechtlich ausgestaltet. Der Notarztdienst sei Bestandteil des Rettungsdienstes. Die Notärzte würden in Sachsen nicht von der Streithelferin des Klägers angestellt oder mit den Aufgaben der Notfallrettung betraut, sondern von den Rettungszweckverbänden bzw. von den Landkreisen und Kreisfreien Städten, die sich nicht zu einem Rettungszweckverband zusammengeschlossen haben, hier also vom Beklagten zu 1). Die Rechtslage im Freistaat Sachsen sei insofern nicht mit der in Thüringen, wo für Behandlungsfehler des Notarztes die Kassenärztliche Vereinigung hafte, vergleichbar. Da das LG - insofern folgerichtig - von einer Beweisaufnahme zum Haftungsgrund abgesehen habe, sei der Rechtsstreit im Hinblick auf den Beklagten zu 1) weder dem Grunde noch der Höhe nach zur Entscheidung reif. Insoweit sei die Sache gem. § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO an das LG zurückzuverweisen. Es sei eine umfangreiche Beweisaufnahme durchzuführen und den Parteien solle nicht eine Instanz genommen werden.
II.
Rz. 9
1. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung in einem maßgeblichen Punkt nicht stand. Das prozessuale Vorgehen des Berufungsgerichts entsprach nicht den Anforderungen des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO.
Rz. 10
a) Zwar war der für die Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO erforderliche Antrag sowohl vom Kläger als auch von seiner Streithelferin gestellt worden; ein Hilfsantrag genügte (vgl. z.B. BGH, Urt. v. 5.7.2011 - II ZR 188/09, WM 2011, 1631 Rz. 6). Auch stritten die Parteien - entgegen der Meinung der Revision - nicht allein über den Umfang der Klageforderung, sondern auch über den Umfang der Widerklageforderung, nämlich über die berechtigte Höhe des dem Kläger möglicherweise zustehenden Schmerzensgeldanspruchs.
Rz. 11
b) Das Berufungsgericht hätte jedoch, wie die Revision zu Recht beanstandet, vor einer Zurückverweisung an das LG nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO über den Anspruchsgrund vollständig - also nicht nur über die Passivlegitimation des Beklagten zu 1) - befinden müssen.
Rz. 12
aa) Hat das Erstgericht die Klage aus einem bestimmten sachlichen Grund abgewiesen, erachtet das Berufungsgericht diese Entscheidung für unzutreffend und hält es daher eine weitere materiell-rechtliche Prüfung auch des Anspruchsgrundes für erforderlich, so darf es die Sache insoweit nicht in den ersten Rechtszug zurückverweisen; vielmehr muss es über den Grund des Anspruchs insgesamt selbst entscheiden (Senat, Urt. v. 21.2.1991 - III ZR 169/88, NJW 1991, 1893 m.w.N.; BGH, Urt. v. 11.3.2004 - VII ZR 282/03, ZfBR 2004, 452; Heßler in Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 538 Rz. 44).
Rz. 13
bb) Dies hat das OLG vorliegend aber nicht getan, sondern sich auf die Bejahung der Passivlegitimation des erstbeklagten Landkreises beschränkt. An der vollständigen Erledigung des Anspruchsgrundes wäre es nicht unter dem Gesichtspunkt eines eigenen unzulässigen Teilurteils (§ 301 ZPO) gehindert gewesen. Denn bei ihm war lediglich die Klage gegen den Beklagten zu 1), nicht aber auch die Klage gegen die Beklagten zu 2) und 3), angefallen. Zudem hätte es die Klage gegen die Beklagten zu 2) und 3) an sich ziehen können (s. dazu etwa BGH, Urt. v. 12.1.1994 - XII ZR 167/92, NJW-RR 1994, 379, 381; v. 12.1.1999 - VI ZR 77/98, NJW 1999, 1035, 1036; Heßler in Zöller, a.a.O., Rz. 55, jeweils m.w.N.).
Rz. 14
c) Mangels vollständiger Erledigung des Anspruchsgrundes war es dem Berufungsgericht mithin versagt, eine Aufhebung und Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO auszusprechen.
Rz. 15
2. Allerdings waren die Aufhebung des Ersturteils und die Zurückverweisung der Sache an das LG gem. § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 ZPO veranlasst, weil das LG ein unzulässiges Teilurteil erlassen hat.
Rz. 16
a) Ein Teilurteil darf auch bei grundsätzlicher Teilbarkeit des Streitgegenstands nur ergehen, wenn die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen - auch infolge abweichender Beurteilung durch das Rechtsmittelgericht - ausgeschlossen ist. Eine Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ist namentlich dann gegeben, wenn in einem Teilurteil eine Frage entschieden wird, die sich dem Gericht im weiteren Verfahren über andere Ansprüche oder Anspruchsteile noch einmal stellt oder stellen kann. Das gilt auch insoweit, als es um die Möglichkeit einer unterschiedlichen Beurteilung von bloßen Urteilselementen geht, die weder in Rechtskraft erwachsen noch das Gericht nach § 318 ZPO für das weitere Verfahren binden. Eine solche Gefahr besteht namentlich bei einer Mehrheit selbstständiger prozessualer Ansprüche, wenn zwischen den prozessual selbstständigen Ansprüchen eine materiell-rechtliche Verzahnung besteht oder die Ansprüche prozessual in ein Abhängigkeitsverhältnis gestellt sind. Eine materiell-rechtliche Verzahnung kann bei objektiver Häufung inhaltlich zusammenhängender Anträge, aber auch bei Klagen gegen mehrere Personen (subjektive Klagehäufung) auftreten. Ein Teilurteil über die Klage gegen einen von mehreren einfachen Streitgenossen ist daher in der Regel unzulässig, wenn die Möglichkeit besteht, dass es in demselben Rechtsstreit, auch im Instanzenzug, zu einander widersprechenden Entscheidungen kommt. Zwar muss gegenüber einfachen Streitgenossen grundsätzlich keine einheitliche Entscheidung getroffen werden. Eine Teilentscheidung ist aber nur zulässig, wenn sie unabhängig von der Entscheidung über den restlichen Verfahrensgegenstand ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn das Teilurteil nur auf Gründen beruht, die ausschließlich diesen Streitgenossen berühren (s. zu alldem BGH, Urt. v. 12.1.1999 - VI ZR 77/98, NJW 1999, 1035; v. 17.2.2004 - VI ZR 39/03, NVwZ 2004, 1526, 1527; v. 20.12.2016 - VI ZR 395/15, NJW 2017, 1745 f Rz. 7 und vom 21.11.2017 - VI ZR 436/16, NJW 2018, 623 f Rz. 7, jeweils m.w.N.).
Rz. 17
b) Gemessen an diesen Grundsätzen hat das LG ein unzulässiges Teilurteil erlassen. Zwar hat es die Klage gegen den Beklagten zu 1) aus Gründen abgewiesen, die allein die generelle haftungsrechtliche Verantwortlichkeit als Träger des Rettungsdienstes für Fehler der eingesetzten Notärzte - in Abgrenzung zur Passivlegitimation der Streithelferin des Klägers - betreffen. Diese Frage ist für die Haftung der Beklagten zu 2) und 3) gegenüber dem Kläger, die dieser auf den Abschluss eines Behandlungsvertrags und eine delikts-rechtliche Haftung der Beklagten zu 2) und 3) nach § 823 Abs. 1 und 2 BGB stützt, an sich nicht relevant. Allerdings besteht die Möglichkeit von Divergenzen über gemeinsame präjudizielle Vorfragen bei einer abweichenden Beurteilung der Passivlegitimation des Beklagten zu 1) durch das Berufungsgericht. Bejaht das Berufungsgericht nämlich - wie auch hier - die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des Beklagten zu 1), so müsste es über den Anspruchsgrund abschließend entscheiden und hierbei auch die Frage nach dem Vorliegen von Pflichtverletzungen der Beklagten zu 2) und 3) beantworten, die wiederum - gerade aus der Sicht des LG, das insoweit gemeint hat, Beweis erheben zu müssen - eine Voraussetzung für den Erfolg der Klage gegen letztere sein könnte. Die Gefahr einander sich widersprechender Entscheidungen konnte daher nicht ausgeschlossen werden.
Rz. 18
c) Das Berufungsgericht muss auch ohne entsprechenden Vortrag der Parteien von Amts wegen prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass eines Teilurteils durch das Erstgericht - die unverzichtbar sind und nicht der Verfügung der Parteien unterliegen - eingehalten worden sind (s. nur BGH, Urt. v. 12.1.1999, a.a.O.; v. 11.5.2011 - VIII ZR 42/10, BGHZ 189, 356, 361 Rz. 19 m.w.N.). Demnach rechtfertigt sich die Entscheidung des Berufungsgerichts im Ergebnis aus § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 ZPO.
Rz. 19
3. Gleichwohl ist das Berufungsurteil auf die Revision des Beklagten zu 1) aufzuheben, weil die Bindungswirkung der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts für das LG in den Fällen des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO einerseits und des § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 ZPO andererseits unterschiedlich weit reicht.
Rz. 20
a) Die Rechtsauffassung des nach § 538 Abs. 2 ZPO zurückverweisenden Berufungsgerichts bindet das erstinstanzliche Gericht entsprechend § 563 Abs. 2 ZPO (nur) insoweit, als seine Beurteilung der Aufhebung und Zurückverweisung unmittelbar zugrunde liegt (s. etwa BGH, Urt. v. 1.3.2016 - VI ZR 437/14, NJW 2016, 1648, 1652 Rz. 33 m.w.N.; vgl. auch BGH, Beschl. v. 10.8.2005 - XII ZR 97/02, NJOZ 2005, 3983, 3985). Eine Aufhebung nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 ZPO beruht allein auf der Auffassung des Berufungsgerichts, dass das erstinstanzliche Gericht ein unzulässiges Teilurteil erlassen habe. Weitergehende rechtliche Ausführungen des Berufungsgerichts - wie hier: zur Passivlegitimation des Beklagten zu 1) - würden das Erstgericht hingegen nicht binden. Eine Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO entfaltet demgegenüber für das erstinstanzliche Gericht Bindungswirkungen für sämtliche den Anspruchsgrund betreffenden rechtlichen Ausführungen des Berufungsgerichts, hier also insb. die Darlegungen zur Passivlegitimation des Beklagten zu 1).
Rz. 21
b) Somit bedarf das Berufungsurteil der Aufhebung, soll der Eintritt einer zu weit gehenden Bindungswirkung für das Erstgericht, wie hier geboten, verhindert werden.
Rz. 22
4. Die Sache ist indes nicht an das Berufungsgericht, sondern - unter gleichzeitiger Aufhebung des Ersturteils - an das LG zurückzuverweisen, weil es ein unzulässiges Teilurteil erlassen hat (§ 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 ZPO). Die Zurückverweisung kann in einem solchen Fall im Hinblick auf § 563 Abs. 3 ZPO direkt vom Revisionsgericht an das erstinstanzliche Gericht erfolgen (vgl. BGH, Urt. v. 12.1.1994 - XII ZR 167/92, NJW-RR 1994, 379, 380 f.; v. 11.5.2011 - VIII ZR 42/10, BGHZ 189, 356, 365 Rz. 29; v. 21.11.2017 - VI ZR 436/16, NJW 2018, 623, 624 Rz. 12 m.w.N.). Zwar käme auch eine Zurückverweisung an das Berufungsgericht in Betracht, weil dieses zur Beseitigung des Verfahrensfehlers des LG den im ersten Rechtszug anhängig gebliebenen Teil des Rechtsstreits an sich ziehen und darüber mitentscheiden könnte. Eine solche Verfahrensweise wäre hier aber nicht sachdienlich, denn sie hätte zur Folge, dass ohne sachlich gerechtfertigten Grund praktisch der gesamte Prozess - ggf. nebst umfangreichen Beweiserhebungen - erst in zweiter Instanz beginnen würde.
Rz. 23
5. Für den weiteren Prozessverlauf weist der Senat darauf hin, dass er - in Übereinstimmung mit der Ansicht des Berufungsgerichts - den erstbeklagten Landkreis für passivlegitimiert hält.
Rz. 24
a) Die Wahrnehmung rettungsdienstlicher Aufgaben ist im Freistaat Sachsen der hoheitlichen Betätigung zuzurechnen.
Rz. 25
aa) Bezüglich des landesrechtlich geregelten Rettungsdienstes ist maßgeblich, ob dieser öffentlich-rechtlich organisiert ist oder nicht (s. etwa Senat, Urt. v. 9.1.2003 - III ZR 217/01, BGHZ 153, 268, 270 f [Bayern]; v. 16.9.2004 - III ZR 346/03, BGHZ 160, 216, 218 ff. [Bayern]; v. 12.1.2017 - III ZR 312/16, BGHZ 213, 270, 272 ff. Rz. 9 ff. [Thüringen]). Nach § 1 Abs. 1 des Sächsischen Gesetzes über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz (SächsBRKG) ist Zweck dieses Gesetzes der wirksame Schutz der Bevölkerung. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SächsBRKG umfasst der Rettungsdienst Notfallrettung und Krankentransport als öffentliche Aufgabe. In § 2 Abs. 2 Satz 2 SächsBRKG wird Notfallrettung beschrieben als die in der Regel unter Einbeziehung von Notärzten erfolgende Durchführung von lebensrettenden Maßnahmen bei Notfallpatienten, die Herstellung ihrer Transportfähigkeit und ihre unter fachgerechter Betreuung erfolgende Beförderung in das für die weitere Versorgung nächstgelegene geeignete Krankenhaus oder die nächstgelegene geeignete Behandlungseinrichtung. § 3 Nr. 3 SächsBRKG bestimmt die Rettungszweckverbände und die Landkreise und Kreisfreien Städte, die sich nicht zu einem Rettungszweckverband zusammengeschlossen haben, zu den Aufgabenträgern für den bodengebundenen Rettungsdienst. Nach § 31 SächsBRKG werden Notfallrettung und Krankentransport auf Grundlage eines öffentlich-rechtlichen Vertrages durchgeführt.
Rz. 26
bb) Die Teilnahme eines Notarztes bei einem rettungsdienstlichen Einsatz stellt sich hiernach als Ausübung eines öffentlichen Amts i.S.d. Art. 34 Satz 1 GG dar.
Rz. 27
b) Im amtshaftungsrechtlichen Sinne "anvertraut" wird den Notärzten ihre hoheitliche Betätigung im Rettungsdienst nicht durch die Arbeitsgemeinschaft Sächsischer Krankenkassen und Verbände der Krankenkassen für die notärztliche Versorgung (ARGE NÄV), die Streithelferin des Klägers, sondern durch die Rettungszweckverbände bzw. durch die Landkreise und Kreisfreien Städte, die sich nicht zu einem Rettungszweckverband zusammengeschlossen haben. Der Beklagte zu 1) hat sich insoweit erst nach dem streitgegenständlichen Vorfall mit Wirkung ab 1.1.2013 mit der Kreisfreien Stadt Chemnitz zum Rettungszweckverband C. -E. zusammengeschlossen.
Rz. 28
aa) Nach Art. 34 Satz 1 GG trifft bei Pflichtverletzungen eines Amtsträgers die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Entscheidend ist mithin, wer dem Amtsträger das Amt, bei dessen Ausübung er fehlerhaft handelte, anvertraut, wer mit anderen Worten dem Amtsträger die Aufgabe, bei deren Wahrnehmung die Amtspflichtverletzung erfolgte, übertragen hat. Es haftet daher im Regelfall die Körperschaft, die den Amtsträger angestellt und ihm damit die Möglichkeit der Amtsausübung eröffnet hat. Steht der Amtsinhaber nicht als Beamter oder Behördenangestellter in einem dauernden Dienstverhältnis zu einer Körperschaft, ist er also nicht bei einem öffentlich-rechtlichen Dienstherrn beschäftigt, haftet die Körperschaft, die ihm durch Übertragung hoheitlicher Befugnisse ein öffentliches Amt anvertraut und ihm damit die Eigenschaft eines Beamten im haftungsrechtlichen Sinn verliehen hat. Entscheidend ist dann, wer dem Amtsträger die konkrete - fehlerhaft erfüllte - Aufgabe anvertraut hat (Senat, Urt. v. 12.1.2017, a.a.O., S. 274 Rz. 13 m.w.N.).
Rz. 29
bb) Gemäß diesen Grundsätzen ist der erstbeklagte Landkreis als Anstellungskörperschaft anzusehen. Anders als im Freistaat Thüringen (s. dazu Senatsurteil vom 12.1.2017, a.a.O., S. 274 ff. Rz. 14 ff.) sind die Kommunen bzw. die von ihnen gebildeten Rettungszweckverbände im Freistaat Sachsen umfassende Träger der Aufgabe "bodengebundener Rettungsdienst".
Rz. 30
(1) Dies ergibt sich aus § 3 Nr. 3 SächsBRKG. Im Gegensatz zu § 5 Abs. 1 Satz 2 des Thüringer Rettungsdienstgesetzes (ThürRettG) enthält die Bestimmung der Aufgabenträger in § 3 SächsBRKG keine ausdrückliche Herausnahme der notärztlichen Versorgung aus dem Aufgabenbereich der Kommunen (bzw. der von ihnen gebildeten Zweckverbände).
Rz. 31
(2) Zwar bestimmt § 28 Abs. 2 Satz 1 SächsBRKG ähnlich wie § 7 Abs. 1 Satz 1 ThürRettG, dass die Krankenkassen und ihre Verbände sowie die Verbände der Ersatzkassen (in Thüringen: die Kassenärztliche Vereinigung) die notärztliche Versorgung im Rettungsdienst "sicherstellen". Während der Thüringer Gesetzgeber jedoch - auch ausweislich der Entstehungsgeschichte des Thüringer Rettungsdienstgesetzes - keine Differenzierung zwischen "Sicherstellung/Sicherstellungsträger" und "Aufgabe/Aufgabenträger" vorgenommen hat (s. dazu Senatsurteil vom 12.1.2017, a.a.O., S. 276 ff. Rz. 18 ff.; vgl. auch inzwischen die ausdrückliche Bezeichnung der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen als Aufgabenträger in § 5 Abs. 1a ThürRettG), kann solches für die Rechtslage in Sachsen nicht festgestellt werden. Entsprechende Anhaltspunkte ergeben sich hier, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, insb. nicht aus der Gesetzgebungsgeschichte. Der Gesetzentwurf der Sächsischen Staatsregierung (LT-Drucks. 3/9866) spricht im Zusammenhang mit § 28 Abs. 2 SächsBRKG von dem Zweck, die Krankenkassen und ihre Verbände "in die Pflicht zu nehmen" und zu gewährleisten, "dass Entscheidungen zur Notarztversorgung und deren Vorbereitung und Umsetzung von allen Krankenkassen mitgetragen werden". Die Landkreise und Kreisfreien Städte "bleiben weiterhin Träger des Rettungsdienstes. Die Krankenkassen übernehmen lediglich die Bereitstellung der Notärzte für die Landkreise und die Kreisfreien Städte. Das bedeutet, dass die Krankenkassen künftig den Trägern des Rettungsdienstes die Notärzte zur Mitwirkung im Rettungsdienst bereitstellen" (so der Berichterstatter des federführenden Innenausschusses Bandmann [CDU] in der 2. und 3. Lesung des SächsBRKG im Sächsischen Landtag vom 26.5.2004, Plenarprotokoll 3/107, S. 7841). Dass mit der Sicher- bzw. Bereitstellung gewollt war, dass der jeweilige, von den kommunalen Rettungsleitstellen organisierte konkrete Rettungseinsatz, was die Tätigkeit des Notarztes anbetrifft, nunmehr Sache der Streithelferin sein sollte, diese - und nicht der Träger des Rettungsdienstes - dem Notarzt mithin die konkrete Notfallrettung "anvertraut", lässt sich hieraus nicht ablesen.
Rz. 32
(3) § 28 Abs. 2 Satz 3 SächsBRKG sieht vor, dass die Krankenkassen und ihre Verbände bei der Erfüllung des Sicherstellungsauftrags nach § 28 Abs. 2 Satz 1 SächsBRKG u.a. auch mit "den Trägern des Rettungsdienstes" koordinierend zusammenwirken. Demnach zählen die Krankenkassen und ihre Verbände - nach den Vorstellungen des Sächsischen Landesgesetzgebers - selbst nicht zu den (Aufgaben-)"Trägern des Rettungsdienstes". "Träger des Rettungsdienstes" sind vielmehr die Landkreise und Kreisfreien Städte bzw. die von ihnen gebildeten Rettungszweckverbände (§ 3 Nr. 3 SächsBRKG). Vor diesem Hintergrund bedeutet die Herausnahme der Sicherstellung der notärztlichen Versorgung aus der sachlichen Zuständigkeit der Landkreise und Kreisfreien Städte für den Rettungsdienst in § 7 Abs. 3 Nr. 1 SächsBRKG (dessen Fassung auf eine Beschlussempfehlung des Innenausschusses des Sächsischen Landtags zurückgeht, s. LT-Drucks. 3/10528 S. 7 unten) nicht, dass den Kommunen insoweit die Aufgabenträgerschaft für die konkrete Notfallrettung, d.h. "die in der Regel unter Einbeziehung von Notärzten erfolgende Durchführung von lebensrettenden Maßnahmen bei Notfallpatienten, die Herstellung ihrer Transportfähigkeit und ihre unter fachgerechter Betreuung erfolgende Beförderung in das für die weitere Versorgung nächstgelegene Krankenhaus" (§ 2 Abs. 2 i.V.m. § 3 Nr. 3 SächsBRKG) entzogen würde. Zwar haben bei der Fassung des § 7 Abs. 3 Nr. 1 SächsBRKG auch Haftungsfragen eine Rolle gespielt (vgl. die Änderungsanträge der SPD-Fraktion vom 27.4.2004 und der CDU-Fraktion vom 29.4.2004, Anlagen 5 und 6 zu LT-Drucks. 3/10528). Insoweit ging es aber um die in der Vergangenheit problematische Bereitstellung einer ausreichenden Anzahl von Notärzten vor allem im ländlichen Bereich, d.h. letztlich um Fragen der Vorfeldorganisation und nicht um Haftungsfragen im Zusammenhang mit einem ärztlichen Fehler bei einer konkreten Notfallrettung.
Rz. 33
Als den "Trägern des bodengebundenen Rettungsdienstes" obliegt den Landkreisen und Kreisfreien Städten sowie den von ihnen gebildeten Rettungszweckverbänden gem. § 28 Abs. 6 SächsBRKG nicht nur die Bestellung eines - mit Weisungsbefugnissen ausgestatteten (§ 11 Abs. 2 Satz 1 der Sächsischen Landesrettungsdienstplanverordnung) - "Ärztlichen Leiters Rettungsdienst". Auch vereinbaren sie mit den Kostenträgern einheitliche, leistungsgerechte Entgelte für den Rettungsdienst (§ 32 Abs. 1 Satz 1 SächsBRKG), und sie tragen die durch die Sicherstellung der notärztlichen Versorgung entstehenden Kosten als "Kosten des Rettungsdienstes" (§ 28 Abs. 2 Satz 4 SächsBRKG). Anders als in Thüringen (§ 35 ThürRettG) gibt es in Sachsen (§ 5 SächsBRKG) schließlich auch keine Differenzierung bei der Rechtsaufsicht (s. dazu Senatsurteil vom 12.1.2017, a.a.O., S. 277 Rz. 18).
Rz. 34
(4) Hiernach finden sich insgesamt keine genügenden Anhaltspunkte für die Annahme einer echten "Aufgabenspaltung", wie sie der Senat für die Rechtslage im Freistaat Thüringen angenommen hat (Senat, Urt. v. 12.1.2017, a.a.O., S. 274 ff. Rz. 14 ff.). Dementsprechend geht auch das Sächsische Staatsministerium des Innern (Erlasse vom 27.4.2004 und 6.8.2014, s. Ärzteblatt Sachsen 10/2014, S. 416 f.) von einer generellen haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit der Landkreise und Kreisfreien Städte (bzw. der von ihnen gebildeten Rettungszweckverbände) für notärztliche Behandlungsfehler im Rettungsdiensteinsatz aus. Dies wiederum trägt dem Gedanken Rechnung, dass für den Rettungsdiensteinsatz grundsätzlich ein Träger einheitlich haftungsrechtlich verantwortlich sein und ein Geschädigter dem Gesetz möglichst klar und eindeutig entnehmen können sollte, welche Anstellungskörperschaft für ihn als Gegner eines amtshaftungsrechtlichen Anspruchs in Betracht kommt. In § 3 SächsBRKG ist als "Aufgabenträger" und damit als solchermaßen "Verantwortlicher" indes - ohne Bereichsausnahme - die zuständige Kommune (§ 3 Nr. 3), nicht aber die ARGE NÄV erwähnt. Hierauf soll der Geschädigte sich denn auch verlassen dürfen.
Rz. 35
6. Von der Erhebung der Gerichtskosten für das Revisionsverfahren war gem. § 21 Abs. 1 GKG abzusehen.
Fundstellen
Haufe-Index 12475638 |
FamRZ 2019, 302 |
NVwZ-RR 2019, 245 |
FA 2019, 60 |
JZ 2019, 67 |
JZ 2019, 71 |
MDR 2019, 162 |
MedR 2019, 562 |
DVBl. 2019, 1474 |
GesR 2019, 652 |