Leitsatz (amtlich)
1. Der Notarzt in Sachsen (Sächsisches Gesetz über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz - SächsBRKG vom 24.06.2004 [SächsGVBl. S. 245]) übt ein öffentliches Amt aus.
2. Für Fehler des Notarztes bei einem Rettungsdiensteinsatz haften die Rettungszweckverbände und die Landkreise und kreisfreien Städte, die sich nicht zu einem Rettungszweckverband zusammengeschlossen haben.
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Urteil vom 27.07.2016; Aktenzeichen 4 O 1942/14) |
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufungen des Klägers und der Streithelferin wird das Teilurteil des LG Chemnitz vom 27.07.2016 - 4 O 1942/14 - aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das LG Chemnitz zurückverwiesen.
II. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf bis zu 500.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz, Schmerzensgeld und die Feststellung der Einstandspflicht wegen eines behaupteten Fehlers bei einem Notarzteinsatz in Anspruch.
Der am xx. xx. 2010 geborene Kläger verbrühte sich am Abend des 12.12.2011 mit heißem Tee den Kopf-, Thorax- und Halsbereich. Im Rahmen des nachfolgenden Notarzteinsatzes, an dem u.a. die Beklagten zu 2 und 3 beteiligt waren, wurde er intubiert. Nachfolgend zeigten sich bei ihm u.a. eine anoxische Hirnschädigung, eine hypoxisch ischämische Enzephalopathie, ein Hirnödem und eine armbetonte spastische Tetraparese. Der Kommunale Schadensausgleich als Versicherer des Beklagten zu 1 leistete ohne Anerkennung einer Rechtspflicht Abschlagszahlungen in Höhe von insgesamt 80.000,00 EUR.
Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagten zu 2 und 3 hätten bedingt vorsätzlich, zumindest aber grob fahrlässig ihre Pflichten als Behandler verletzt. Die Beklagte zu 3 habe es unterlassen, während des Transportes die Vitalparameter des Kläger zu überwachen. Der Beklagte zu 2 - der zur Intubation hinzugezogen worden war - hätte den Krankentransport begleiten müssen, um bei einer Dislozierung des Tubus eine erneute Intubation durchführen zu können. Hieraus folge eine Haftung der Beklagten zu 2 und 3 aus Behandlungsvertrag und Delikt. Der Beklagte zu 1 hafte in seiner Eigenschaft als Träger des Rettungsdienstes nach Amtshaftungsgrundsätzen. Er müsse jedenfalls für ein Fehlverhalten der Rettungsassistenten einstehen. Eine Haftung des Beklagten zu 1 folge zudem aus der Deckungszusage des KSA, die ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis darstelle. Die Widerklage der Beklagten zu 1 auf Rückzahlung von 80.000 EUR sei schon mangels Aktivlegitimation unbegründet. Im Übrigen sei der Kläger entreichert. Die Beklagte zu 1 habe in Kenntnis der Nichtschuld bezahlt. Schließlich sei der Rückzahlungsanspruch verjährt.
Die Beklagten vertreten die Auffassung, sie seien nicht passivlegitimiert. Die Haftung richte sich nach Amtshaftungsgrundsätzen, so dass eine persönliche Haftung der Beklagten zu 2 und 3 ausgeschlossen sei. Der Beklagte zu 1 hafte nicht, da die Sicherstellung der notärztlichen Versorgung im Rettungsdienst im Freistaat Sachsen nicht den Trägern des Rettungsdienstes, sondern den Krankenkassen und ihren Verbänden sowie den Verbänden der Ersatzkassen zugewiesen sei. Passivlegitimiert sei nach dem Sächsischen Gesetz über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz (vom 24.6.2004, SächsGVBl. S. 245, 647, zuletzt geändert durch Gesetz vom 10.8.2015 (SächsGVBl. S. 466) - SächsBRKG) allein die Arbeitsgemeinschaft Sächsischer Krankenkassen (ARGE NÄV -die Streithelferin-). Diese habe für den Abschluss von Einzelverträgen mit den Notärzten sowie Krankenhäusern Sorge zu tragen und erbringe auch die Voraussetzungen für die Vergütung und Abrechnung der von den Notärzten erbrachten Leistungen. Der Beklagte zu 1 hafte auch nicht für den mitfahrenden Rettungsassistenten. Dieser habe sich darauf verlassen können, dass die Beklagte zu 3 die Vitalparameter überwache. Im Übrigen liege kein Behandlungsfehler vor. Die Aktivlegitimation der Beklagte zu 1 für die Widerklage folge aus der Bevollmächtigung des KSA, den Anspruch im eigenem Namen im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft geltend zu machen. Zur Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Das LG Chemnitz hat mit Teil-Endurteil vom 27.07.2016 - auf das wegen der weiteren Einzelheiten ebenfalls Bezug genommen wird - die Klage gegen den Beklagten zu 1 abgewiesen und den Kläger verurteilt, an den Widerkläger 80.000,00 EUR zu bezahlen. Es hat die Auffassung vertreten, im Freistaat Sachsen obliege die Verantwortlichkeit für die notärztliche Versorgung nicht den kommunalen Gebietskörperschaften, sondern den Krankenkassen und ihren Verbänden.
Hiergegen haben der Kläger und die zum Zwecke der Berufung beigetretene Streithelferin Berufung eingelegt. Sie vertreten die...