Leitsatz (amtlich)
Ändern sich nach Herausgabe eines Anlageprospekts Umstände oder Bedingungen, welche zu einer Verzögerung des Projekts oder zu einer Verminderung der für einen Abschreibungszeitraum in Aussicht gestellten Verlustzuweisung führen können, sind die Prospekthaftungsverantwortlichen verpflichtet, durch eine Prospektergänzung oder einen Warnhinweis Beitrittswillige jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Annahme der Beitrittserklärung hierüber zu unterrichten.
Normenkette
BGB § 276 a.F.; HGB § 161 Abs. 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG (Urteil vom 19.07.2001) |
LG Itzehoe |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil des 5. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen OLG in Schleswig v. 19.7.2001 aufgehoben und das Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des LG Itzehoe v. 18.8.1999 abgeändert.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 51.129,19 Euro nebst 8 % Zinsen seit dem 18.12.1998 Zug um Zug gegen Übertragung des Geschäftsanteils der Klägerin im Nominalbetrag von 100.000 DM an der P. GmbH & Co. Betriebs-KG, eingetragen im Handelsregister beim AG I. (HRA), zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagten mit der Annahme des vorstehend bezeichneten zu übertragenden Geschäftsanteils im Verzug befinden.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, die sich an einem Windparkprojekt beteiligt hatte, verlangt von den Beklagten Schadensersatz aus typisierter Prospekthaftung in Höhe ihrer Kommanditeinlage Zug um Zug gegen Übertragung ihres Gesellschaftsanteils.
Die Beklagten zu 1) bis 3) gründeten mit dem Zweck der Errichtung eines Windparks in H./S. die P. GmbH & Co. Betriebs-KG (im Folgenden: P. KG) und übernahmen eine Kommanditeinlage von jeweils 7.500 DM. Persönlich haftende Gesellschafterin war die P. Windpark H. GmbH, deren Gesellschafter und Geschäftsführer ebenfalls die Beklagten zu 1) bis 3) waren. Für das Projekt war zunächst ein Bauvorbescheid und am 30.9.1998 eine Baugenehmigung eingeholt worden. Zugleich war man über ein beauftragtes Ingenieurbüro wegen der zur Abnahme des erzeugten Stroms notwendigen Netzanbindung mit Schreiben v. 9.7.1998 an das örtliche Energieversorgungsunternehmen, die Sch. AG, herangetreten. Diese teilte mit Schreiben v. 30.7.1998 mit, dass die nur begrenzt zur Verfügung stehende Aufnahmekapazität für Windenergieleistung in der Reihenfolge der eingehenden Anträge vergeben werde, worauf das beauftragte Ingenieurbüro die für den Windpark H. gewünschte Anschlussleistung der Netzanbindung auf 12,86 MW bezifferte und als Termin für die Netzanbindung den 30.12.1998 bezeichnete. Die Sch. AG teilte hierauf mit Schreiben v. 3.9.1998 und weiterem Schreiben v. 18.9.1998 sowie mit Faxschreiben v. 29.9.1998 mit, dass sie aus Kapazitätsgründen für das vorgesehene Umspannwerk St. nur eine Einspeiseleistung von 3,4 MW zur Verfügung stellen könne und im Übrigen der Mitarbeiter K. der Sch. AG in Abrede stelle, zu einem früheren Zeitpunkt Angaben über eine höhere Einspeisekapazität des Umspannwerks St. gemacht zu haben. Daraufhin erhob die mit der Planung und Realisierung des Windparks beauftragte P. Pr. und B. mbH, deren line sellschafter und Geschäftsführer ebenfalls die Beklagten zu 1) bis 3) waren, am 16.10.1998 beim LG I. Klage auf Anschluss der acht line kraftanlagen an das Netz der Sch. AG, für die zwischenzeitlich eine line genehmigung vorlag.
Zwischenzeitlich hatte die mit der Werbung von Kommanditisten für die P. KG beauftragte Beklagte zu 4), die P. C. Unternehmensbeteiligungs mbH, deren Gesellschafter und line schäftsführer wiederum die Beklagten zu 1) bis 3) waren, einen Prospekt über das Beteiligungsangebot mit Stand Juni 1998 herstellen lassen und verbreitete diesen zur Werbung von zeichnungsinteressierten Kommanditisten. In dem Prospekt werden neben dem Windkraftprojekt selbst die P. Unternehmensgruppe, die beteiligten Gesellschaften, der Standort H. in S. sowie die zur Verwendung geplanten Windkraftenergieanlagen der Firma N. erläutert. U.a. wird Folgendes ausgeführt:
"Das Beteiligungsangebot im Überblick
Windpark
8 Windenergieanlagen N. je 1.300 kW Nennleistung ...
Errichtung
5 Windenergieanlagen bis zum 31.12.1998, weitere 3 im März 1999
Verlustzuweisung
193,1 % kumuliert in den ersten vier Jahren, davon 99,8 % in 1998 und 57,6 % in 1999, jeweils bezogen auf die geleistete Pflichteinlage."
Darüber hinaus steht unter der Überschrift "Chancen und Risiken" (S. 33 f.) u. a. das Folgende:
"Zeitpunkt der Inbetriebnahme
In diesem Prospekt wird entsprechend dem gegenwärtigen Planungsstand davon ausgegangen, dass eine Teilinbetriebnahme des Windparks von 5 Anlagen bis zum 31.12.1998 erfolgt. Weitere 3 Energiewindanlagen werden im März 1999 errichtet. Sollte es zu einer zeitlichen Verzögerung der geplanten Teilerrichtungen kommen, würde sich die prognostizierte Rendite vermindern. ...
Darüber hinaus können die mit dem regionalen Energieversorgungsunternehmen (SCH. AG) noch nicht abgeschlossenen Verhandlungen ebenfalls zu einer Verzögerung der Inbetriebnahme führen. Der Windpark soll an das Umspannwerk St. angeschlossen werden, das nach unserem derzeitigen Kenntnisstand über ausreichende Kapazitäten zur Aufnahme des erzeugten Stroms verfügt. ..."
Unter dem Stichwort "Die beteiligten Gesellschaften - weitere Vertragspartner" (S. 52 f.) ist neben den verschiedenen Firmen der P.-Gruppe unter dem Stichwort "Stromabnahme" die Sch. AG, R., aufgeführt.
Mit Beitrittserklärung v. 25.9.1998, angenommen durch die P. KG am 30.9.1998, erklärte die Klägerin ihre Beteiligung als Kommanditistin an der P. KG mit einer Bareinlage von 100.000 DM.
In der Folge kam es zu Lieferschwierigkeiten hinsichtlich der ersten fünf Windkraftanlagen, welche im Zeitraum v. 30.11.1998 bis 10.12.1998 errichtet werden sollten. Nachdem die Herstellerin zunächst am 27.11.1998 mitgeteilt hatte, dass im Jahr 1998 überhaupt keine Windenergieanlage mehr geliefert werden könnte, erfolgte auf Drängen der P. KG eine Auslieferung von zwei Windkraftanlagen in der 51. KW 1998, am 7.5.1999 wurde die dritte Anlage geliefert und im Juli 1999 wurden die restlichen fünf Anlagen errichtet.
Nachdem die P. KG die Klägerin mit Schreiben v. 4.12.1998 über die Schwierigkeiten mit der Netzanbindung und die nicht fristgerechte Lieferung der Windenergieanlagen informiert hatte, verlangte diese mit Anwaltsschreiben v. 16.12.1998 die Rückzahlung der geleisteten Kommanditeinlage.
Am 9.2.1999 schloss die P. KG mit der Sch. AG line nen Prozessvergleich, wonach sich die Sch. AG zur Abnahme des line zeugten Stromes i. H. v. 11,44 MW, in einem für den Betrieb der Gesamtanlage ausreichenden Umfang, verpflichtete.
Auf Grund der eingetretenen Verzögerung mit der Errichtung der Windkraftanlagen und der nicht rechtzeitig erfolgten Netzanbindung verminderte sich die in Aussicht gestellte Verlustzuweisung für das Jahr 1998 auf etwa 65 % anstelle der im Prospekt genannten 99,8 %.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Beteiligungsprospekt in verschiedenen Punkten unrichtige, irreführende und unvollständige Angaben enthalte, was den Beklagten bekannt gewesen sei. Unter anderem werde im Prospekt mit der Bezeichnung der Sch. AG als Vertragspartner der falsche Eindruck line weckt, dass die uneingeschränkte Netzanbindung der geplanten Windkraftanlagen bereits vertraglich vereinbart sei. Tatsächlich seien die Probleme mit der Einspeisekapazität des Umspannwerks St. bekannt gewesen, bevor die Klägerin ihren Beitritt beantragt habe; deshalb seien die Beklagten verpflichtet gewesen, den Prospekt zu korrigieren. Außerdem seien die in dem Prospekt angegebenen Erträge und Verlustzuweisungen nicht zu erreichen gewesen.
Die Beklagten sind demgegenüber der Auffassung, dass die Verweigerung einer uneingeschränkten Netzanbindung durch die Sch. AG line widrig gewesen und sie mit einem solchen Verhalten nicht hätten rechnen müssen. Zudem habe zwischen der P. KG und der Sch. AG ein vertragsähnliches Rechtsverhältnis bestanden. Von den Lieferschwierigkeiten des Windkraftanlagenherstellers hätten sie erst im November 1998 erfahren.
Das LG hat die Klage abgewiesen, da es keine schuldhaft oder vorwerfbar unrichtigen oder unvollständigen Angaben im Beteiligungsprospekt feststellen konnte, welche für den Beitragsentschluss der Klägerin erheblich gewesen seien. Die Berufung der Klägerin wurde durch das OLG zurückgewiesen.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des Urteils und zur Verurteilung der Beklagten.
I. Mit Recht hat das Berufungsgericht eine Verantwortlichkeit der Beklagten zu 1) bis 3) als Initiatoren und Gründungskommanditisten der P. KG für den Inhalt des Beteiligungsprospekts angenommen (st. Rspr., vgl. BGH v. 22.3.1982 - II ZR 114/81, BGHZ 83, 222 [223 f.] = MDR 1982, 644; Urt. v. 26.9.1991 - VII ZR 376/89, BGHZ 115, 214 [218] = MDR 1992, 157). Ebenso gilt dies für die von den Beklagten zu 1) bis 3) geführte Beklagte zu 4), welche entsprechend ihrem Aufgabenbereich in der P.-Unternehmensgruppe den Prospekt erstellt und verbreitet hat.
II. Entgegen der Ansicht des OLG waren die Beklagten verpflichtet, den Prospektinhalt zu ändern oder zumindest um einen deutlichen Warnhinweis zu ergänzen, als sich die Sch. AG erstmals weigerte, den geplanten Windpark in vollem Umfang an das Stromnetz anzubinden und damit die Realisierung des Projekts infrage stand.
1. Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Prospekthaftungsgrundsätzen hat der Prospekt über das Beteiligungsangebot, welcher im Allgemeinen die wesentliche Unterrichtungsmöglichkeit für einen Beitrittsinteressenten darstellt, ein zutreffendes und vollständiges Bild über sämtliche Umstände zu vermitteln, welche für die Anlageentscheidung von Bedeutung sind (BGH v. 6.10.1980 - II ZR 60/80, BGHZ 79, 337 [344 f.] = MDR 1981, 648; v. 5.7.1993 - II ZR 194/92, BGHZ 123, 106 [109 f.] = AG 1994, 32 = MDR 1993, 1068; Urt. v. 29.5.2000 - II ZR 280/98, ZIP 2000, 1296 [1297]). Ändern sich diese Umstände nach Herausgabe des Prospekts, so haben die Verantwortlichen davon durch Prospektberichtigung oder durch entsprechende Hinweise bei Abschluss des Vertrags Mitteilung zu machen (BGH v. 24.4.1978 - II ZR 172/76, BGHZ 71, 284 [291]; v. 5.7.1993 - II ZR 194/92, BGHZ 123, 106 [110] = AG 1994, 32 = MDR 1993, 1068).
Nach diesen Grundsätzen waren die Beklagten verpflichtet, nach der ersten schriftlichen Weigerung der im Prospekt als Vertragspartnerin bezeichneten Sch. AG, den vom Windpark erzeugten Strom nur zu einem Teil des geplanten Umfangs abzunehmen, Beitrittswillige hiervon zu unterrichten. Unabhängig davon, ob die Weigerung der Sch. AG, den Windpark vollumfänglich an das Stromnetz anzubinden, gerechtfertigt war oder nicht, und selbst wenn sie hierbei gegen Vorschriften des Stromeinspeisungsgesetzes verstoßen haben sollte, drohte dadurch eine zumindest nicht unerhebliche Verzögerung des Projekts und der Aufnahme der Stromerzeugung, wenn nicht sogar das Scheitern des Gesamtprojekts als solches.
2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, die Beklagten seien deswegen nicht zu einem Hinweis an Anlageinteressenten verpflichtet gewesen, weil die Auffassung der Sch. AG erkennbar fehlerhaft gewesen sei und darüber hinaus der Prospekt einen Hinweis enthalten habe, dass noch kein verbindliches Angebot des örtlichen Energieversorgungsunternehmens vorliege.
a) Maßgeblich ist zunächst, dass auch eine rechtswidrige Weigerung eines Energieversorgungsunternehmens schon deswegen einen mitteilungspflichtigen Umstand darstellt, weil sich daraus ein möglicherweise langer Rechtsstreit entwickeln kann, wodurch, wie hier, der Projektbeginn zumindest verschoben wird und als Folge auch die von den Anlegern erstrebten Abschreibungssätze nicht erreicht werden.
b) Auch der abstrakte Prospekthinweis, dass die Verhandlungen mit der Sch. AG noch nicht abgeschlossen seien, reichte zum Beitrittszeitpunkt der Klägerin nicht mehr zu einer vollständigen Aufklärung eines Anlegers aus, nachdem das Energieversorgungsunternehmen ausdrücklich eine umfassende Stromabnahme abgelehnt hatte und damit die Verhandlungen praktisch gescheitert waren. Dass danach auch die Beklagten nicht mehr mit einer planmäßigen Umsetzung des Projekts rechneten, ergibt sich deutlich aus einem Telefaxschreiben des Beklagten zu 2) als Geschäftsführer der P. KG v. 9.12.1998, wonach mit einer Netzanbindung erst ab Mitte 1999 kalkuliert wurde. Dem entsprach auch die nur zögerliche Errichtung der restlichen sechs Windkraftanlagen ab Mai 1999.
III. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats entspricht es der Lebenserfahrung, dass ein Prospektfehler für die Anlageentscheidung ursächlich geworden ist (BGH v. 6.10.1980 - II ZR 60/80, BGHZ 79, 337 [346] = MDR 1981, 648; v. 24.5.1982 - II ZR 124/81, BGHZ 84, 141 [148] = MDR 1982, 825; Urt. v. 14.7.2003 - II ZR 202/02, BGHReport 2003, 1275 = ZIP 2003, 1651 [1653]). Entscheidend ist insoweit, dass durch unzutreffende oder unvollständige Information des Prospekts in das Recht des Anlegers eingegriffen worden ist, in eigener Entscheidung und Abwägung des Für und Wider darüber zu befinden, ob er in das Projekt investieren will oder nicht (BGH, Urt. v. 29.5.2000 - II ZR 280/98, ZIP 2000, 1296 [1297]; Urt. v. 14.7.2003 - II ZR 202/02, BGHReport 2003, 1275 = ZIP 2003, 1651 [1653]). Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin bei vollständiger Aufklärung sich dennoch für die Anlage entschieden hätte, sind von den Beklagten nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich, so dass die weiteren Einwendungen der Klägerin gegen den Prospektinhalt dahinstehen können.
Fundstellen