Staat darf Windparkbetreiber zur finanziellen Beteiligung von Bürgern verpflichten
Die Entscheidung des BVerfG betrifft zwar zunächst ein Gesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern, hat aber bundesweite Bedeutung für die Errichtung von Windparks. Nach dem Urteil des BVerfG bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine verpflichtende finanzielle Beteiligung von Bürgern und Kommunen an Windparks mit dem Ziel, die Akzeptanz von Windkraftanlagen in der Bevölkerung zu erhöhen
Verfassungsbeschwerde gegen Bürgerbeteiligungsgesetz
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde war das „Bürger- und Gemeindebeteiligungsgesetz“ (BüGembeteilG) des Landes Mecklenburg-Vorpommern aus dem Jahr 2016, wonach die Betreiber von Windkraftanlagen gesetzlich verpflichtet sind, betroffenen Bürgern und Kommunen eine finanzielle Beteiligung anzubieten. Die mit diesem Gesetz vom Land verfolgten Gemeinwohlziele des Klimaschutzes, des Schutzes von Grundrechten vor Beeinträchtigungen durch den Klimawandel und der Sicherung der Stromversorgung bewertet das höchste deutsche Gericht als so gewichtig, dass der mit der Beteiligungspflicht verbundene schwerwiegende Eingriff in die Berufsfreiheit der Vorhabenträger gerechtfertigt ist.
Die wesentlichen gesetzlichen Bestimmungen
Das BüGembeteilG sieht vor, dass in Mecklenburg-Vorpommern Windenergieanlagen nur durch spezielle Projektgesellschaften, die ausschließlich den Zweck der Erzeugung von Windenergie verfolgen, errichtet und betrieben werden dürfen.
- Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 BüGembeteilG ist die Projektgesellschaft verpflichtet, den „Kaufberechtigten“ mindestens 20 % der Anteile an der Projektgesellschaft anzubieten.
- Kaufberechtigt sind Personen, die in einer Entfernung von nicht mehr als 5 km vom Standort des Windparks leben sowie
- Gemeinden, auf deren Gebiet sich die Anlage befindet oder die sich nicht mehr als 5 km vom Standort des Windparks entfernt befinden.
- Alternativ kann der Vorhabenträger als wirtschaftliches Surrogat für die Beteiligung den Gemeinden, die auf eine Beteiligung verzichten, die jährliche Zahlung einer Ausgleichsangabe und den Anwohnern den Erwerb eines Sparprodukts anbieten, deren Höhe bzw. Verzinsung sich nach dem Ertrag der Projektgesellschaft bemisst.
Windenergieunternehmen rügt Verletzung von Grundrechten
Die Beschwerdeführerin ist ein Unternehmen der Windenergiebranche, das einen Antrag auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für einen Windpark in Mecklenburg-Vorpommern gestellt hat. Das Unternehmen rügt, dass die obligatorischen Beteiligungsvorschriften das Unternehmen in seiner Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG, in der durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt Eigentumsfreiheit sowie die nach Art. 3 Abs. 1 GG erforderliche abgabenrechtliche Belastungsgleichheit verletzen.
Land hatte die erforderliche Gesetzgebungskompetenz
Das BVerfG stellte in seiner Entscheidung zunächst klar, dass das Land die Gesetzgebungskompetenz zum Erlass des BüGembeteilG hatte. Das Gesetz schaffe insbesondere kein neues Gesellschaftsrecht, das vom Bund im Rahmen des zur konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis des Bundes gehörenden Recht der Wirtschaft gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG bereits umfassend geregelt sei. Vielmehr sei das Gesetz dem ebenfalls zum Wirtschaftsrecht gehörenden Segment Energiewirtschaft zuzuordnen. Nicht zuletzt im Hinblick auf der im „Erneuerbare Energien Gesetz“ enthaltenen Öffnungsklausel zugunsten landesrechtlicher Regelungen zur Bürgerbeteiligung und zur Steigerung der Akzeptanz für den Bau neuer Windenergieanlagen bestehe hier keine Sperrwirkung bundesrechtlicher Regelungen gemäß Art. 72 Abs. 1 GG.
Abgabenregelung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden
Dies gilt nach der Bewertung des Senats auch für die nach dem BüGembeteilG bestehende Option der Projektgesellschaften zur Zahlung einer Abgabe. Diese Abgabe sei keine Steuer im Sinne des Art. 105 GG, denn sie diene allein dem Zweck, die Akzeptanz neuer Windenergieanlagen bei den Einwohnerinnen und Einwohnern der Gemeinden zu verbessern. Mit dieser Zielsetzung unterfalle die Abgabe ebenfalls der Sachgesetzgebungskompetenz des Energiewirtschaftsrechts nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG. Die Regelung verletze auch nicht den Grundsatz der abgabenrechtlichen Gleichheit gemäß Art. 3 GG. Die Regelung sei zum Schutz vor schädlichen Folgen des Klimawandels geeignet, erforderlich und angemessen.
Erheblicher Eingriff in die Berufsfreiheit
Nach der Entscheidung des Gerichts weist der Eingriff in die Berufsfreiheit der Vorhabenträger eine beträchtliche Intensität auf. Die Pflicht zur Gründung von Projektgesellschaften nehme ihnen die Möglichkeit, Windparks durch ihr eigenes Unternehmen oder in einer ihnen zweckdienlich erscheinenden Art und Weise zu betreiben. Die unternehmerische Gestaltungsfreiheit werde auch durch die Pflicht zur Veräußerung von mindestens 20 % der Anteile erheblich eingeschränkt.
Gewichtige Gemeinwohlbelange rechtfertigen Grundrechtseinschränkung
Dem Eingriff in die Berufsfreiheit der Beschwerdeführerin stehen nach der Bewertung des Senats Gemeinwohlbelange von erheblichem Gewicht gegenüber. Die mit dem Gesetz bezweckte Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien diene dem Gemeinwohlziel des Klimaschutzes gemäß Art. 20a GG, dem Schutz von von Leben und Gesundheit der Bürger gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sowie dem Schutz des Eigentums gemäß Art. 14 Abs. 1 GG. Es sei inzwischen wissenschaftlicher Konsens, dass ohne eine Verringerung des Ausstoßes von CO2 und einer Eindämmung der Erderwärmung diesen Grundrechten in Zukunft erhebliche Gefahren drohen.
Eigentumsrechte nicht verletzt
Im Übrigen sah das BVerfG in den gesetzlichen Regelungen keinen Eingriff in die durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentumsfreiheit, weil dieses Grundrecht hier durch das sachnähere Grundrecht der Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG verdrängt werde. Enteignenden Charakter im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG hätten die Regelungen nicht.
Sicherung der Stromversorgung als Gemeinwohlziel
Schließlich betonte das BVerfG das Gemeinwohlziel der Sicherung der Stromversorgung. Die Stromversorgung werde umso besser gesichert, je mehr Strom aus in Deutschland verfügbaren erneuerbaren Energien erzeugt werde, die den aus dem Verbrauch fossiler Energieträger gewonnenen Strom ersetzen und den Anteil der Eigenversorgung an der Stromversorgung steigern.
Grundrechtseingriffe verhältnismäßig
Vor diesem Hintergrund bewertete das BVerfG die Regelungen des Gesetzes zur Beteiligung der Bürger und Kommunen im Hinblick auf die Eingriffe in die Grundrechte der Beschwerdeführerin als mit dem Verhältnismäßigkeitsgebot vereinbar. Der Eingriff in die Grundrechte der Beschwerdeführerin werde auch dadurch gemildert, dass es dem Vorhabenträger freigestellt sei, den kaufberechtigten Anwohnerinnen und Anwohnern den Erwerb eines Sparprodukts anzubieten. Auf diese Weise könnten sie die aus der Gesellschafterstellung einer Vielzahl von Einwohnern möglicherweise erwachsenden Belastungen vermeiden.
Operative Geschäftsentscheidungen der Projektgesellschaften werden nicht tangiert
Schließlich betonte der Senat, dass nach der gesetzlichen Regelung weder die Anwohner noch die Gemeinden Einfluss auf das eigentliche operative Kerngeschäft der Projektgesellschaft nehmen könnten. Für die Projektgesellschaften entstünden im Ergebnis lediglich verkraftbare Schmälerungen ihrer Rendite.
Informationsverpflichtungen teilweise unverhältnismäßig
Einen weniger bedeutenden Teil des Gesetzes beanstandeten die Verfassungsrichter allerdings als verfassungswidrig. Die in dem Gesetz vorgesehenen sehr aufwendigen Informationspflichten der Vorhabenträger gegenüber der Bevölkerung und den Gemeinden bewerteten die Verfassungsrichter für den Fall, dass die Vorhabenträger den Gemeinden anstelle des Anteilserwerbs die Zahlung einer Abgabe anbieten möchten, als unverhältnismäßig.
BVerfG würdigt Pilotfunktion des BüGembeteilG
Gemeinwohlverstärkend wirkt sich nach Auffassung des BVerfG aus, dass die Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien durch das BüGembeteilG länderübergreifenden Pilotcharakter habe. Deutschlandweit stoße der Ausbau der Windenergie an Land auf erhebliche Akzeptanzprobleme. Nach einer verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Einschätzung des Gesetzgebers könnten diese Akzeptanzprobleme durch lokal verankerte, auf das jeweilige Projekt bezogene Gesellschaften unter kommunaler und bürgerschaftlicher Teilhabe verringert werden. Das Gesetz könne daher als Modell für vergleichbare Regelungen zur Sicherung einer akzeptanzsteigernden bürgerschaftlichen kommunalen Beteiligung am Ausbau der Windenergie dienen.
Entscheidung von bundesweiter Bedeutung
Die Bundesregierung und insbesondere das Bundesumweltministerium begrüßten die Entscheidung und betonten die Gestaltungsfreiräume, die damit auch anderen Bundesländern und dem Bund im Hinblick auf die zum Teil noch fehlende Akzeptanz der Bevölkerung hinsichtlich des Ausbaus der erneuerbaren Energien durch Windräder (Stichwort: Abstandsregelungen) nach dieser Entscheidung eröffnet würden.
(BVerfG, Beschluss v. 23.3.2022, 1 BvR 1187/17)
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