Leitsatz (amtlich)
Wird die Feststellung der Pflicht zum Ersatz künftigen Schadens aus einer bereits eingetretenen Rechtsgutsverletzung beantragt, so reicht für das Feststellungsinteresse die Möglichkeit eines Schadenseintritts aus, die nur verneint werden darf, wenn aus der Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen.
Normenkette
ZPO § 256
Verfahrensgang
LG Cottbus |
Brandenburgisches OLG |
Tenor
Auf die Revision der Kläger zu 2) und zu 3) wird das Teil- und Grundurteil des 4. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 5. November 1999 insoweit aufgehoben, als die Anträge auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für materielle Schäden der Kläger zu 2) und zu 3) mit einer Haftungsquote von 1/5 abgewiesen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Kläger machen Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 25. Mai 1994 geltend, bei welchem die Ehefrau des Klägers zu 1) und Mutter der Kläger zu 2) und zu 3) als Fahrerin eines PKW getötet wurde, nachdem sie nach links in eine bevorrechtigte Straße eingebogen und dort mit dem Kraftfahrzeug des Beklagten zu 1) zusammengestoßen war, dessen Haftpflichtversicherer die Beklagte zu 2) war. Der im Jahre 1985 geborene Kläger zu 2) war Beifahrer im Wagen seiner Mutter; er wurde bei dem Unfall selbst verletzt und erlebte den Tod seiner Mutter mit. Der beim Unfallgeschehen nicht anwesende Kläger zu 3) ist 1980 geboren.
Die Kläger haben ein unfallursächliches, schuldhaft verkehrswidriges Verhalten des Beklagten zu 1) behauptet und die Verurteilung der Beklagten zum Ersatz bezifferten materiellen Schadens, zur Zahlung von Schmerzensgeld an die Kläger aus eigenem und aus ererbtem Recht, des weiteren zur Entrichtung von Schadensersatzrenten wegen entgangenen Unterhalts begehrt sowie die Feststellung der Pflicht der Beklagten beantragt, ihnen allen künftig entstehenden materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen. Hinsichtlich des Feststellungsantrags haben die Kläger zu 2) und zu 3) auf psychische Störungen, insbesondere Depressionen, abgestellt, die sie durch den Unfalltod ihrer Mutter erlitten hätten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Oberlandesgericht durch Teil- und Grundurteil – unter Zurückweisung der Berufung im übrigen – die Klageanträge hinsichtlich des bezifferten materiellen Schadensersatzbegehrens sowie der Unterhaltsrenten dem Grunde nach zu 1/5 für gerechtfertigt erklärt. Der Senat hat die Revision der Kläger, mit der sie ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiterverfolgt haben, nur insoweit angenommen, als die Anträge auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für materielle Schäden der Kläger zu 2) und zu 3) mit einer Haftungsquote von 1/5 abgewiesen worden sind.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hält die – allein noch im Streit befindlichen – Feststellungsanträge der Kläger zu 2) und zu 3) für unzulässig. Die Kläger hätten sich für ihr Feststellungsbegehren ausschließlich auf andauernde unfallbedingte Störungen der Psyche (Depressionen) berufen. Soweit sich diese Anträge auf die Ersatzpflicht für hieraus resultierende finanzielle Belastungen (Arztbehandlungen, Medikamente) bezögen, mangele es der Klage an dem erforderlichen Feststellungsbedürfnis. Die Kläger hätten weder hinreichend dargetan, daß bei ihnen psychische Störungen mit Krankheitswert aufgetreten seien, noch sei ersichtlich, daß mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit dem Auftreten solcher Beeinträchtigungen zu rechnen sei. Insoweit sei zu berücksichtigen, daß in den zurückliegenden Jahren für keinen der Kläger entsprechende Kosten angefallen seien. Sollte es dementgegen künftig zu unfallbedingten psychischen Erkrankungen der Kläger kommen, stünde der Geltendmachung diesbezüglicher Ansprüche eine Rechtskraft des Urteils nicht entgegen.
II.
Die Beurteilung des Berufungsgerichts zu den Feststellungsanträgen der Kläger zu 2) und zu 3) hält den Angriffen der Revision nicht stand. Die Überlegungen im Berufungsurteil, die teilweise auf nicht verfahrensfehlerfrei zustande gekommenen Feststellungen beruhen, tragen die Verneinung des Feststellungsinteresses und die Abweisung dieser Anträge als unzulässig nicht.
1. Das Berufungsgericht geht beanstandungsfrei davon aus, daß die Anträge der Kläger zu 2) und zu 3) auf die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten ausschließlich für Schäden aus psychischen Störungen mit Krankheitswert, insbesondere Depressionen, gerichtet sind. Es geht insoweit um von diesen beiden Klägern befürchtete künftige materielle Beeinträchtigungen, die aus einer unfallbedingten Gesundheitsbeschädigung im Hinblick auf das traumatische Erlebnis des Todes ihrer Mutter resultieren könnten.
2. Das Feststellungsinteresse im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO hinsichtlich eines solchen – vorliegend allein noch auf § 7 Abs. 1 StVG gegründeten – Schadensersatzanspruchs, der noch nicht abschließend mit der Leistungsklage geltend gemacht werden kann, ist grundsätzlich dann zu bejahen, wenn der Anspruchsgegner seine haftungsrechtliche Verantwortlichkeit in Abrede stellt und durch die Klageerhebung einer drohenden Verjährung nach § 14 StVG i.V.m. § 852 BGB entgegengewirkt werden soll. Geht es dabei wie hier um den Ersatz erst künftig befürchteten Schadens aufgrund einer nach Behauptung der Kläger bereits eingetretenen Rechtsgutsverletzung, so setzt das Feststellungsinteresse weiter die Möglichkeit dieses Schadenseintritts voraus; diese ist zu verneinen, wenn aus der Sicht der Kläger bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines derartigen Schadens wenigstens zu rechnen (vgl. z.B. Senatsurteil BGHZ 116, 60, 75 m.w.N.); entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann im Rahmen der Zulässigkeit nicht darüber hinaus eine hinreichende Schadenswahrscheinlichkeit gefordert werden.
Ein in solcher Weise zulässig gestellter Feststellungsantrag ist begründet, wenn die sachlich-rechtlichen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs vorliegen, also insbesondere ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff in ein nach § 7 Abs. 1 StVG geschütztes Rechtsgut des Geschädigten gegeben ist, der zu den für die Zukunft befürchteten Schäden führen kann. Ob darüber hinaus im Rahmen der Begründetheit eine gewisse Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts zu verlangen ist (vgl. dazu z.B. Senatsurteil vom 15. Juli 1997 – VI ZR 184/96 – VersR 1997, 1508, 1509 m.w.N.; BGH, Urteile vom 15. Oktober 1992 – IX ZR 43/92 – BGHR ZPO § 256 Abs. 1 Schadensersatz 2 und vom 23. April 1991 – X ZR 77/89 – NJW 1991, 2707, 2708), bedarf unter den Umständen des Streitfalls keiner abschließenden Entscheidung. An der Erforderlichkeit eines solchen zusätzlichen Begründungselements hat der Senat Zweifel jedenfalls für den Fall, daß – wie hier – Gegenstand der Feststellungsklage ein befürchteter Folgeschaden aus der Verletzung eines deliktsrechtlich geschützten absoluten Rechtsguts ist (vgl. hierzu auch von Gerlach, VersR 2000, 525, 531 f.).
3. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze durfte das Berufungsgericht nicht ohne weitere Sachaufklärung zu einer vollständigen Abweisung der Feststellungsanträge der Kläger zu 2) und zu 3) gelangen, sie insbesondere nicht mangels Feststellungsinteresses für unzulässig erachten. Die Revision rügt zu Recht, daß sich das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang verfahrensfehlerhaft nicht hinreichend mit entscheidungserheblichem Sachvortrag und Beweisangeboten der Kläger auseinandergesetzt hat.
a) Die Kläger haben in der Berufungsbegründung vorgetragen, beim Kläger zu 2), der habe miterleben müssen, wie seine Mutter verstarb, und der noch vergeblich versucht habe, ihr zu helfen, sie aus dem Auto zu ziehen und mit ihr zu sprechen, seien nach dem Unfall psychisch bedingte Lähmungserscheinungen aufgetreten; er habe das Unfallereignis nach wie vor nicht verarbeitet und leide unter Alpträumen. Für diesen Vortrag wurde Beweis angetreten unter anderem durch das (sachverständige) Zeugnis der Psychologin Prof. Dr. R. sowie des Arztes Dr. T..
Für den Kläger zu 3) wurde in der Berufungsbegründung behauptet – und in gleicher Weise wie beim Kläger zu 2) unter Beweis gestellt –, daß der Tod seiner Mutter bei ihm schwere depressive Verstimmungen ausgelöst habe und er heute noch unter dem Tod seiner Mutter leide; er habe sich nach dem Unfallereignis mehr und mehr verschlossen und sich noch nicht von dem unfallbedingten Trauma erholt.
b) Mit diesem Vorbringen haben die Kläger zu 2) und zu 3) nicht nur in hinreichend substantiierter Weise schlüssig eine unfallbedingte Gesundheitsbeeinträchtigung im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG vorgetragen, sondern auch – im Hinblick auf das Feststellungsinteresse – ausreichend dargetan und unter Beweis gestellt, weshalb sie aus ihrer Sicht den Eintritt künftiger Schäden aus dieser Rechtsgutsverletzung für möglich erachten.
aa) Daß durch ein Unfallgeschehen ausgelöste, traumatisch bedingte psychische Störungen von Krankheitswert, die sich etwa in Depressionen niederschlagen, eine Verletzung des geschützten Rechtsguts Gesundheit darstellen können, ist nicht zu bezweifeln und wird ersichtlich auch im Berufungsurteil nicht in Abrede gestellt (vgl. zu Fällen des Schockschadens sowie der Aktual- oder Unfallneurose z.B. BGHZ 132, 341, 344 m.w.N.).
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts waren von den Klägern zu 2) und zu 3) für das Vorliegen solcher gesundheitlichen Beeinträchtigungen und die Möglichkeit hieraus künftig resultierender, im Rahmen der auf die Beklagten entfallenden Haftungsquote von 1/5 ersatzfähiger Schäden keine weitergehenden Darlegungen erforderlich. Dabei darf nicht außer acht gelassen werden, daß derartige traumatische psychische Störungen mit Krankheitswert und mit negativen Folgen für ihre spätere körperliche und seelische Entwicklung bei Kindern, die – wie hier – im Alter von neun bzw. 14 Jahren mit dem plötzlichen Unfalltod ihrer Mutter konfrontiert werden oder ihn sogar, wie dies beim Kläger zu 2) der Fall war, unmittelbar miterlebt haben, von vornherein naheliegen; dies gibt besonderen Anlaß, die Anforderungen an die Erfüllung der Darlegungslast in angemessenen Grenzen zu halten, vor allem, soweit es im Hinblick auf das Feststellungsinteresse nur um die Möglichkeit künftiger Schäden geht. Das Berufungsgericht durfte dabei nicht entscheidend darauf abstellen, daß in den zurückliegenden Jahren – auch ausweislich der Bezifferung des bisher geforderten materiellen Schadensersatzes – für keinen der Kläger entsprechende Kosten angefallen seien. Vielmehr hätte das Berufungsgericht, bevor es zu einer vollständigen Abweisung der Feststellungsanträge der Kläger zu 2) und zu 3) gelangte, erst recht bevor es sie bereits mangels Feststellungsinteresses als unzulässig behandelte, auf der Grundlage des dargestellten Sachvortrags den Beweisangeboten nachgehen müssen.
III.
Das Berufungsurteil war daher, soweit die Anträge der Kläger zu 2) und zu 3) auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für materielle Schäden mit einer Haftungsquote von 1/5 abgewiesen worden sind, aufzuheben; die Sache war in diesem Umfang zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. v. Gerlach, Dr. Dressler, Dr. Greiner, Diederichsen
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 16.01.2001 durch Holmes, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 547103 |
BB 2001, 543 |
NJW 2001, 1431 |
BGHR 2001, 234 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2001, 371 |
DAR 2001, 155 |
MDR 2001, 448 |
NJ 2001, 426 |
NZV 2001, 167 |
VRS 2001, 174 |
VersR 2001, 874 |
ZfS 2001, 305 |
VRA 2001, 49 |