Entscheidungsstichwort (Thema)
Tatsächlicher Anfall der Vorfälligkeitsentschädigung. Übernahme der Vorfälligkeitsentschädigung durch Käufer. Mietervorkaufsrecht. Vertrag zu Lasten Dritter. Vertragsentwurf. Schadensersatz
Leitsatz (redaktionell)
Wird bei Bestehen eines Mietervorkaufsrechts den Mietern lediglich ein Vetragsentwurf zur Kenntnis gebracht, wonach sie eine Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe einer konkreten Summe zu entrichten haben, während der Drittkäufer die Vorfälligkeitsentschädigung lediglich in der Höhe, in der sie auch entsteht zu übernehmen hat, kann dies zu einem Schadensersatzanspruch in Höhe der von den Mietern zu erbringenden Vorfälligkeitsentschädigung führen.
Normenkette
BGB a.F. §§ 570b, 510
Verfahrensgang
Thüringer OLG (Urteil vom 05.03.2002) |
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 5. März 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der Kosten der Streithilfe, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Durch einen von dem Streithelfer der Beklagten am 30. Januar 1996 beurkundeten Vertrag kauften die Kläger von der beklagten Stadt eine Eigentumswohnung, die sie bereits auf Grund eines Mietvertrages bewohnten. Zum vereinbarten Kaufpreis findet sich in Anlage 1 der Urkunde unter Nr. 4 folgende Regelung:
„4.1 Der Kaufpreis beträgt
a) |
für das Wohnungseigentum |
52.835,00 DM |
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in Worten … |
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b) |
für das Teileigentum (KFZ-Stellplatz) |
4.000,00 DM |
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in Worten … |
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c) |
für den Baukostenzuschuß Heizhaus |
8.441,00 DM |
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insgesamt somit |
65.276,00 DM |
in Worten … Darüber hinaus sind vom Käufer zu übernehmen die Vorfälligkeitsentschädigung, diese betragen bei Ablösung durch den Mieter DM 575/Qm, insgesamt also 40.446,00 DM. |
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Der Gesamtkaufpreis beträgt somit |
105.722,00 DM |
…
4.2 Die Kaufpreiszahlung erfolgt auf das Konto bei der …”
Der Vertrag wurde „in Ansehung der gesetzlichen Vorkaufsrechte” der Kläger geschlossen. Grund hierfür war der am 28. November 1995 notariell beurkundete Vertrag, mit dem die Beklagte an den Zeugen B. 123 Wohnungseigentumseinheiten – darunter auch die später an die Kläger veräußerte Wohnung – verkauft hatte. Die Regelung des Kaufpreises für diese Wohnung stimmt in beiden Kaufverträgen nur bis zur Angabe der Summe von 65.276,00 DM überein. Im Anschluß daran bestimmt der Kaufvertrag zwischen der Beklagten und B.:
„4.1 …
Darüber hinaus sind vom Käufer zu übernehmen die Vorfälligkeitsentschädigung, die auch durch Beibringung einer Freistellungserklärung für die Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung (…) für die Darlehen bei der D. erfolgen kann; diese betragen bei Ablösung durch den Mieter
DM 575/Qm, insgesamt also 40.446,00 DM
zahlbar auf das unter Ziff. 4.2 benannte Konto der Stadt B. L. …
Der Käufer hat der Verkäuferin entsprechendes Attestat der Finanzierungsgläubigerin bis zum 15. März 1996 beizubringen. Der Notar belehrt über das Zustimmungserfordernis der Gläubigerin. Hat der Käufer durch Zahlung der Ablösung auf das Konto der Stadt B. L. die Ablösung bewirkt, entfällt die Verpflichtung zur Beibringung des entsprechenden Attestat.
4.2 Die Kaufpreiszahlung erfolgt auf das Konto bei der …”
Die Kläger zahlten den Betrag von 105.722 DM auf das vereinbarte Konto der Beklagten. In der Folgezeit stellte sich heraus, daß die Gläubigerbank, deren Belastungen die Beklagte aus dem Verkauf der Wohnungen vorzeitig ablöste, keine Vorfälligkeitsentschädigung verlangte, weil ihr eine solche nicht zustand.
Die Kläger verlangen die Rückzahlung der 40.446 DM, die in der Vertragsurkunde als Anteil der Vorfälligkeitsentschädigung ausgewiesen sind. Sie sind der Ansicht, dieser Betrag sei nicht als Teil des Kaufpreises zu leisten, sondern nur für den Fall geschuldet, daß die Vorfälligkeitsentschädigung bei der Beklagten auch tatsächlich anfalle. Ihre Klage ist in beiden Tatsacheninstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat wegen der objektiven Innendivergenz des Berufungsurteils zum Berufungsurteil in V ZR 137/02 zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte und ihr Streithelfer beantragen, verfolgen die Kläger ihr Ziel der Klagestattgabe weiter.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht verneint einen Rückzahlungsanspruch, weil die Kläger nicht nachgewiesen hätten, daß die im Kaufvertrag mit der Beklagten aufgeführte Vorfälligkeitsentschädigung nur bei tatsächlichem Anfall geschuldet sei. Der Wortlaut der Vertragsurkunde spreche eindeutig für die Vereinbarung eines Gesamtkaufpreises unter Einschluß des Betrages für die Vorfälligkeitsentschädigung. Für eine Auslegung, die zu einem anderen Ergebnis führe, sei danach kein Raum. Zwar hätten die Kläger behauptet, bei Vertragsschluß sei davon ausgegangen worden, daß eine Vorfälligkeitsentschädigung nur dann zu zahlen sei, wenn sie auch tatsächlich anfalle. Der hierfür allein benannte Zeuge B. habe diese Behauptung aber nicht bestätigt.
Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
II.
1. Zu Recht geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, daß die Beklagte nicht aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB) zu einer Rückzahlung an die Kläger verpflichtet ist.
a) An einem Rechtsgrund für die Zahlung des umstrittenen Geldbetrages fehlt es nicht schon deshalb, weil nach dem wirklichen Willen der Parteien, der Anteil in Höhe von 40.446 DM nur für den Fall geschuldet sein sollte, daß die Beklagte tatsächlich mit einer entsprechenden Forderung der Gläubigerbank belastet wird. Einen solchen vom Inhalt der Vertragsurkunde abweichenden übereinstimmenden Willen der Parteien, dem Vorrang gegenüber dem Wortlaut der Urkunde zukommen würde (Senat, Urt. v. 7. Dezember 2001, V ZR 65/01, NJW 2002, 1038, 1039), hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Dies läßt Rechtsfehler nicht erkennen; auch die Revision wendet sich lediglich dagegen, daß das Berufungsgericht die Aussage des – von den Klägern selbst benannten – Zeugen B. als glaubhaft angesehen hat. Selbst ein Erfolg dieser Rüge könnte jedoch nichts an dem Ergebnis ändern, daß die insoweit beweisbelasteten Kläger (vgl. BGH, Urt. v. 11. September 2000, II ZR 34/99, NJW 2001, 144, 145; Urt. v. 13. November 2000, II ZR 115/99, NJW-RR 2001, 421) den Nachweis für einem vom Wortlaut der Vereinbarungen abweichenden Willen beider Vertragsparteien nicht erbracht haben.
b) Entgegen der Ansicht der Revision läßt sich der zwischen den Parteien geschlossene Kaufvertrag auch nicht dahin auslegen, daß die Kläger den auf die Vorfälligkeitsentschädigung entfallenden Zahlungsanteil nur im Fall einer tatsächlichen Inanspruchnahme der Beklagten durch die Darlehensgeberin schulden.
aa) Zwar kann nicht mit dem Berufungsgericht schon die Auslegungsbedürftigkeit des Kaufvertrages verneint werden; denn bei der Annahme eines eindeutig vereinbarten Kaufpreises wird außer acht gelassen, daß ein Teil der Zahlungen ausdrücklich zur „Ablösung” der „zu übernehmen(den) … Vorfälligkeitsentschädigung” zu leisten ist. Da das Berufungsgericht den maßgeblichen Auslegungsstoff nicht vollständig berücksichtigt hat, ist der Senat an dessen Verständnis nicht gebunden. Das Ergebnis der hiernach dem Senat ermöglichten Auslegung (st. Rspr., vgl. z.B. BGHZ 124, 39, 44 f; Senat, Urt. v. 14. Dezember 1990, V ZR 223/89, NJW 1991, 1180, 1181) weicht jedoch nicht von dem des Berufungsgerichts ab.
bb) In der Urkunde ist die Summe, die unter Einschluß des auf die Vorfälligkeitsentschädigung zu zahlenden Anteils ermittelt wird, ausdrücklich als „Gesamtkaufpreis” gekennzeichnet. Dieser Betrag war nach Eintritt der Fälligkeitsvoraussetzungen auf das Konto der Beklagten zu zahlen. Daß ein Zahlungsanteil der Vorfälligkeitsentschädigung zugewiesen ist, bleibt ohne Bedeutung, weil es sich hierbei nur um eines von mehreren in der Urkunde aufgeführten Einzelelementen handelt, aus denen sich neben den Anteilen für das Wohnungseigentum, für das Teileigentum und für den Baukostenzuschuß zum Heizhaus der Kaufpreis zusammensetzt. Hinweise dafür, daß die Zahlungsverpflichtung der Kläger hinsichtlich des fraglichen Betrages von dem tatsächlichen Entstehen eines Anspruchs der Gläubigerbank auf Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung durch die Beklagte abhängig sein sollte, finden sich nicht. Das gilt auch bei Beachtung des Grundsatzes einer beiderseits interessengerechten Auslegung (vgl. Senat, Urt. v. 16. April 1999, V ZR 37/98, WM 1999, 1715, 1716). Vielmehr waren die Belange der Kläger als Käufer gewahrt, weil für sie bereits bei Vertragsschluß kein Zweifel daran bestehen konnte – und nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch tatsächlich nicht bestand –, daß der als „Gesamtkaufpreis” ausgewiesene Betrag von 105.722 DM von ihnen als Gegenleistung für den Eigentumserwerb aufzubringen war, während sich das Interesse der Beklagten auf die Erzielung eines möglichst hohen Kaufpreises bei uneingeschränkter Verfügungsfreiheit über die vereinnahmten Gelder richtete. Es verbleibt demnach dabei, daß es grundsätzlich dem Verkäufer überlassen bleibt, in welcher Weise er mit dem von ihm vereinnahmten Kaufpreis, der Teil seines Vermögens geworden ist, verfährt; dies gilt selbst dann, wenn er entsprechende Absichten über die Verwendung der Gelder bei Vertragsschluß offenbart.
c) Hiernach scheidet eine ergänzende Vertragsauslegung ebenfalls aus. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn ein Vertrag wegen einer planwidrigen Unvollständigkeit eine Regelungslücke aufweist (st. Rspr., vgl. etwa BGHZ 127, 138, 142 m.w.N.). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Stand der Beklagten die gesamte Summe von 105.722 DM uneingeschränkt als Kaufpreis zu, so brauchten die Parteien für den Fall einer nicht geschuldeten Vorfälligkeitsentschädigung keine Regelung zu treffen.
d) Ein Bereicherungsanspruch steht den Klägern auch nicht wegen einer Reduzierung des geschuldeten Kaufpreises nach den Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu. Zwar kommt diese Anspruchsgrundlage nach dem hier weiterhin anwendbaren Recht aus der Zeit vor dem 1. Januar 2002 (Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB) in Betracht (vgl. BGHZ 109, 139, 144), ihre Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall jedoch nicht erfüllt. Die Parteien mögen die gemeinsame Erwartung geteilt haben, daß die Beklagte mit einer Vorfälligkeitsentschädigung belastet werde, auf dieser Vorstellung baut jedoch nicht – wie für die Annahme einer Geschäftsgrundlage erforderlich (BGHZ 128, 230, 236; 135, 333, 338) – der gemeinschaftliche Geschäftswille der Parteien auf. Die Kläger haben nichts anderes getan, als die von der Beklagten offengelegte Kalkulation, nach der ein bestimmter Teil des Kaufpreises zur Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung benötigt werden soll, zur Kenntnis zu nehmen. Die Motivation der Beklagten, den Kaufpreis nach bestimmten Aufwendungen aus Anlaß einer vorzeitigen Darlehensablösung zu bemessen, war für den Geschäftswillen der Kläger, die sich auf die Zahlung des geforderten Geldbetrages einlassen wollten, ohne Bedeutung.
2. Das Berufungsgericht hat jedoch nicht beachtet, daß den Klägern gegenüber der Beklagten ein Schadensersatzanspruch zustehen kann, der auf Zahlung der 40.446 DM gerichtet ist, die für die Vorfälligkeitsentschädigung ausgewiesen wurden.
a) Ihre rechtliche Grundlage findet diese Forderung in einer positiven Vertragsverletzung des Mietvertrages, der zwischen den Parteien vor dem Verkauf des Wohnungseigentums bestand (vgl. Staudinger/Sonnenschein, BGB [1997], § 570b Rdn. 43; Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 7. Aufl., § 570b BGB Rdn. 40; auch RGZ 170, 208, 213).
aa) Die Voraussetzungen eines Mietervorkaufsrechts der Kläger nach § 570b BGB a.F. waren unstreitig gegeben. Mithin traf die Beklagte als Vermieterin nach §§ 570b Abs. 2, 510 BGB a.F. bei Eintritt des Vorkaufsfalls die vertragliche Nebenpflicht, die Kläger über ihr Vorkaufsrecht zu unterrichten und ihnen den Inhalt des mit dem Zeugen B. geschlossenen Kaufvertrages mitzuteilen. Zur Erfüllung ihrer Mitteilungspflicht mußte die Beklagte den Klägern den richtigen und vollständigen Inhalt des Vertrages zur Kenntnis bringen (vgl. Senat, Urt. v. 29. Oktober 1993, V ZR 136/92, NJW 1994, 315; BGH, Urt. v. 23. Mai 1973, VIII ZR 57/72, NJW 1973, 1365; auch Heintz, Vorkaufsrecht des Mieters, 1998, Rdn. 393). Erforderlich war insbesondere eine erschöpfende Information der Kläger über die mit dem Drittkäufer vereinbarte Gegenleistung (vgl. Soergel/Huber, BGB, 12. Aufl., § 510 Rdn. 3).
bb) Insoweit ist die Beklagte ihren vertraglichen Verpflichtungen nicht nachgekommen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielten die Kläger wegen ihres Vorkaufsrechts lediglich einen Entwurf des später mit ihnen abgeschlossenen Kaufvertrages durch den Streithelfer zugesandt, der als Notar hierzu ersichtlich von der Beklagten beauftragt worden war. Das entspricht der – vom Berufungsgericht angeführten – Aussage des Zeugen B. und läßt auch im übrigen Rechtsfehler nicht erkennen. Die Gegenrüge des Streithelfers, wonach die behauptete Übersendung von Fotokopien des Vertrages mit dem Drittkäufer übergangen worden sei, geht damit ins Leere.
Der den Klägern hiernach zur Kenntnis gebrachte Vertragsentwurf wich in einem maßgeblichen Punkt von dem Kaufvertrag ab, der zuvor zwischen der Beklagten und dem Drittkäufer, dem Zeugen B., zustande gekommen war. Nach der Regelung des Kaufpreises in diesem Vertrag mußte der Drittkäufer zwar auch die Vorfälligkeitsentschädigung „übernehmen”. Zur Erfüllung dieser Verpflichtung war der Drittkäufer jedoch nicht zur Zahlung der später mit den Klägern vereinbarten 40.446 DM verpflichtet. Dieser Betrag wird ausdrücklich für eine „Ablösung durch den Mieter” genannt, sollte also – unter Außerachtlassung der Unwirksamkeit von Verträgen zu Lasten Dritter (vgl. BGHZ 61, 359, 361; 78, 369, 375) nur die Mieter bei Ausübung ihres Vorkaufsrecht treffen. Die „Übernahme” der Vorfälligkeitsentschädigung konnte den Drittkäufer mithin nur zur Zahlung des Betrages an die Beklagte verpflichten, den diese tatsächlich zur Erfüllung einer entsprechenden Forderung der Gläubigerbank benötigte. Zudem war dem Drittkäufer die Möglichkeit eingeräumt worden, sich durch „Beibringung einer Freistellungserklärung” einer Zahlungsverpflichtung wegen der Vorfälligkeitsentschädigung zu entziehen: Legte der Drittkäufer innerhalb vereinbarter Frist ein „Attestat der Finanzierungsgläubigerin” vor, mit dem diese die Beklagte von Forderungen wegen der vorzeitigen Kreditablösung befreite, so brauchte er über 65.276 DM hinaus keine Kaufpreiszahlungen mehr an die Beklagte zu erbringen. Weder diese Alternative noch eine – gemäß § 508 BGB a.F. anteilige – Zahlungsverpflichtung in Höhe des tatsächlich für eine Vorfälligkeitsentschädigung benötigten Betrages findet sich in dem Vertragsentwurf, der den Klägern zu ihrer Information gemäß §§ 570b Abs. 2, 510 BGB a.F. zugesandt wurde. Damit wurden die Kläger über den Inhalt des mit dem Drittkäufer geschlossenen Kaufvertrages unvollständig unterrichtet; denn sie konnten die Übersendung des Vertragsentwurfes im Hinblick auf ihr Vorkaufsrecht nur dahin verstehen, daß beide Verträge inhaltlich übereinstimmen sollten. Nachdem die Beklagte auf diese Weise ihre Mitteilungspflicht aus § 510 Abs. 1 BGB a.F. verletzte, bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob sie daneben auch noch ihre mietvertragliche Pflicht zur Unterrichtung über das Vorkaufsrecht (§ 570b Abs. 2 BGB a.F.) mißachtete, als sie den Klägern mit der Zusendung des Entwurfs den Abschluß eines eigenen Kaufvertrages nahelegte, während nach § 505 Abs. 1 BGB a.F. zur Ausübung des Vorkaufsrechts eine – formlose (BGHZ 144, 357, 360) – Erklärung gegenüber der Beklagten genügt hätte.
cc) Das Verschulden ihres Streithelfers, der nicht auf eine vollständige Information der Vorkaufsberechtigten achtete, muß sich die Beklagte nach § 278 BGB zurechnen lassen. Er war mit der Erfüllung der Verpflichtungen der Beklagten aus §§ 570b Abs. 2, 510 BGB a.F. betraut und wurde deshalb als ihr Erfüllungsgehilfe tätig (vgl. Senat, BGHZ 62, 119, 121).
b) Die geschilderte Pflichtverletzung kann zu einem Schaden der Kläger in Gestalt des um 40.446 DM erhöhten Kaufpreises geführt haben.
aa) Wegen der ungenügenden Unterrichtung durch die Beklagte haben sich die Kläger auf einen gesonderten Vertragsschluß zu eigenen Konditionen eingelassen. Sie wurden mithin gehindert, von dem ihnen als Vorkaufsberechtigten zustehenden Gestaltungsrecht (vgl. Senat, BGHZ 67, 395, 398) Gebrauch zu machen und durch eine Erklärung nach § 505 BGB a.F. einen Kaufvertrag mit der Beklagten mit dem Inhalt des Vertrages mit dem Drittkäufer zustande zu bringen. Wäre ein Kaufvertrag zwischen den Parteien zu den Bedingungen des Vertrages mit dem Drittkäufer B. begründet worden, so wäre die Verpflichtung der Kläger zur anteiligen Übernahme der Vorfälligkeitsentschädigung ins Leere gegangen und hätte für sie keinen weiteren finanziellen Aufwand zur Folge gehabt. Über die 65.276 DM hinaus hätten sie nämlich nur dann Zahlungen an die Beklagte geschuldet, wenn diese gegenüber ihrer Darlehensgeberin tatsächlich zur Leistung einer Vorfälligkeitsentschädigung verpflichtet gewesen wäre. An einer solchen Verpflichtung der Beklagten fehlte es aber unstreitig. Zudem hätte für die Kläger bei den Konditionen des Vertrages mit dem Drittkäufer die Möglichkeit bestanden, durch Vorlage einer Freistellungserklärung der Gläubigerbank die Kaufpreiszahlung auf 65.276 DM zu begrenzen. Da es der Beklagten bei Abschluß des Vertrages mit dem Drittkäufer allein darum ging, vor einer Inanspruchnahme wegen der vorzeitigen Kreditablösung gesichert zu sein, reichte hierfür die vorliegende Erklärung der Gläubigerbank aus, daß für die Rückzahlung des betreffenden Darlehens eine Vorfälligkeitsentgelt nicht berechnet werde.
bb) Nach dem bisherigen Vorbringen der Parteien ist die Pflichtverletzung der Beklagten für einen Schaden der Kläger in Höhe der streitgegenständlichen 40.446 DM ursächlich geworden. Es ist davon auszugehen, daß die Kläger bei Mitteilung des vollständigen Vertragsinhalts von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht hätten. Die Mitteilungspflicht des Vorkaufsverpflichteten aus § 510 BGB a.F. stellt eine vertragliche Aufklärungspflicht dar, die dazu bestimmt ist, den Berechtigten eine sachgerechte Entscheidung über bestimmte Geschäfte – nämlich über die Ausübung des Vorkaufsrechts – zu ermöglichen. Bei Verletzung solcher Pflichten spricht eine Vermutung für „aufklärungsrichtiges” Verhalten (BGHZ 111, 75, 81; 124, 151, 160; Senat, Urt. v. 26. September 1997, V ZR 29/96, NJW 1998, 302, 303). Demnach ist es Sache der Beklagten darzulegen und zu beweisen, daß der Kaufvertrag zwischen ihr und den Klägern mit dem vorliegenden (nachteiligen) Inhalt auch bei Mitteilung des vollständigen (vorteilhaften) Inhalts des Vertrages mit dem Drittkäufer zustande gekommen wäre. Allein aus den Umständen ergibt sich ein solcher Entschluß der Kläger noch nicht. Selbst wenn die Kläger annehmen mußten, die Gläubigerbank werde eine Vorfälligkeitsentschädigung verlangen können, stellte sich für sie ein Vertragsschluß zu den Konditionen des Drittkaufes als günstiger dar. Insbesondere brauchten sie nicht zu befürchten, von der Beklagten auf Zahlung des vollen Betrages einer Vorfälligkeitsentschädigung in Anspruch genommen zu werden. Da der Vertrag zwischen der Beklagten und dem Drittkäufer den Verkauf von 123 Eigentumseinheiten zum Gegenstand hatte, konnte die Kläger bei Erwerb nur einer dieser Wohnungen nach § 508 BGB a.F. auch nur eine – nach dem Verhältnis der Kaufpreise ermittelte (vgl. MünchKomm-BGB/Westermann, 3. Aufl., § 508 Rdn. 3) – anteilige Verpflichtung zur Zahlung auf die Vorfälligkeitsentschädigung treffen.
3. Das angefochtene Urteil hat danach keinen Bestand (§ 562 Abs. 1 ZPO). Es ist aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Von der im vorliegenden Fall durch § 563 Abs. 4 ZPO eröffneten Möglichkeit, in der Sache selbst zu entscheiden, sieht der Senat ab.
a) Ein Schadensersatzanspruch der Kläger besteht nur dann, wenn der zwischen der Beklagten und dem Drittkäufer B. am 28. November 1995 geschlossene Kaufvertrag wirksam zustande gekommen ist. Da auch bei § 570b BGB a.F. der Vorkaufsfall erst bei Wirksamkeit des Vertrages mit dem Dritten gegeben ist (Heintz, aaO, Rdn. 308), hätte für die Beklagte im Fall der Unwirksamkeit des Kaufvertrages mit B. schon keine Mitteilungspflicht nach §§ 570b Abs. 2, 510 BGB a.F. bestanden.
b) Vorliegend kommt eine Unwirksamkeit des Drittkaufes nach § 134 BGB in Betracht.
aa) Auch eine Vorschrift des Landesrechts kann ein Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB darstellen (vgl. Soergel/Hefermehl, BGB, 13. Aufl., § 134 Rdn. 5). Die Beklagte könnte mit dem Verkauf der Wohnung an B. zu einem – wie sie selbst behauptet – Preis deutlich unter dem Verkehrswert gegen ihre Verpflichtung aus § 67 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 der Thüringer Gemeinde- und Landkreisordnung (Thüringer Kommunalordnung – ThürKO –) in der hier maßgebenden Fassung vom 16. August 1993 (GVBl. 1993, 501) verstoßen haben, Vermögensgegenstände der Gemeinde in der Regel nur zum vollen Wert zu veräußern und Gemeindevermögen nicht zu verschenken. Ob diese Regelungen ein Verbotsgesetz enthalten, beantwortet sich – weil die Thüringer Kommunalordnung nur im Bezirk des Thüringer Oberlandesgerichts gilt – gemäß § 545 Abs. 1 ZPO nicht nach revisiblem Recht, (vgl. BGH, Urt. v. 4. April 1966, VIII ZR 102/64, LM § 354 HGB Nr. 5 zu § 71 Abs. 2 Satz 2 der Hessischen Gemeindeordnung vom 25. Februar 1952; Urt. v. 15. April 1998, VIII ZR 129/97, NJW 1998, 3058, 3059 zu § 56 Abs. 2 der Brandenburgischen Landkreisordnung). Auch der Umstand, daß Gesetze anderer Bundesländer vergleichbare Vorschriften enthalten (vgl. z. B. § 109 Abs. 1 Satz 2 der Hessischen Gemeindeordnung in der ab 1. April 1993 geltenden Fassung, GVBl. 1992 I, 534; § 90 Abs. 1 Satz 2 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 14. Juli 1994, GV NRW 1994, 666; Art. 75 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern in der Fassung vom 22. August 1998, GVBl. 1998, 796) macht § 67 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 ThürKO 1993 nicht revisibel. Hierfür müßte die Übereinstimmung bewußt und gewollt zum Zwecke der Vereinheitlichung herbeigeführt worden sein (BGHZ 118, 295, 298; BGH, Urt. v. 15. April 1998, aaO). Hingegen genügt die vorliegende nur tatsächliche Übereinstimmung selbst dann nicht, wenn aus der Gesetzgebung eines anderen Landes Rechtssätze oder Rechtsgedanken übernommen wurden, wie dies in den neuen Bundesländern häufig geschehen ist (BGH, Urt. v. 15. April 1998, aaO). Da es den Umständen nach zumindest nicht unwahrscheinlich ist, daß ohnehin weitere tatsächliche Feststellungen des Berufungsgerichts erforderlich sein werden, bleibt diesem aus Gründen der Prozeßökonomie (vgl. Senat, BGHZ 36, 348, 356) die Auslegung von § 67 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 ThürKO 1993 gemäß § 563 Abs. 4 ZPO überlassen.
bb) Das Berufungsgericht wird demnach zunächst prüfen müssen, ob § 67 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 5 ThürKO 1993 ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB entnommen werden kann. Von der Rechtsprechung wurde dies bereits für vergleichbare Regelungen in Art. 75 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern grundsätzlich bejaht (BayObLGZ 1983, 85, 91; 1995, 225, 226; 2001, 54, 56 f). Zudem hat es der Bundesgerichtshof für unentgeltliche Zuwendungen aus staatlichem (nicht kommunalem) Vermögen als naheliegend erachtet, daß der allgemeine Grundsatz, wonach der Staat nichts „verschenken” dürfe, als Verbotsgesetz anzusehen sei (BGHZ 47, 30, 39 f).
(1) Fehlt – wie hier – eine ausdrückliche Regelung, so ist die Frage, ob der in einem Rechtsgeschäft liegende Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führt, nach Sinn und Zweck der jeweiligen Verbotsvorschrift zu beantworten. Entscheidend ist, ob das Gesetz sich nicht nur gegen den Abschluß des Rechtsgeschäfts wendet, sondern auch gegen seine privatrechtliche Wirksamkeit und damit gegen seinen wirtschaftlichen Erfolg (BGHZ 118, 142, 144). Letzteres und damit das Vorliegen eines Verbotsgesetzes wird von der Rechtsprechung regelmäßig bejaht, wenn beide Vertragsparteien mit dem Vertragsschluß ein gesetzliches Verbot verletzen (BGHZ 78, 269, 271; 115, 123, 125; 143, 283, 287). Die Prüfung des Berufungsgerichts hat sich daher auf die Frage zu erstrecken, ob hier ein Verbot mißachtet ist, das sich nicht nur an die Gemeinde, sondern an beide Vertragsteile richtet. Sollte das Verbot nur die Gemeinde treffen, so führt ein Verstoß nur dann zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts nach § 134 BGB, wenn dem Verbot ein Zweck zugrunde liegt, der gleichwohl die Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäfts erfordert (BGHZ 78, 269, 271; 89, 369, 373; 143, 283, 287).
(2) Falls das Berufungsgericht vor diesem Hintergrund ein Verbotsgesetz bejaht, so sind dessen Voraussetzungen im einzelnen zu ermitteln. Bleibt der Kaufpreis nur geringfügig hinter dem Verkehrswert zurück, wird auch unter Berücksichtigung öffentlicher Interessen die Rechtsfolge einer Nichtigkeit schwerlich zu rechtfertigen sein. So hat auch der Bundesgerichtshof seine Erwägungen zum Vorliegen eines Verbotsgesetzes bei unentgeltlichen Zuwendungen aus staatlichem Vermögen auf der Grundlage einer Veräußerung zu einem „erheblich unter dem Verkehrswert liegenden Preis” angestellt (BGHZ 47, 30, 39). Auf der anderen Seite kann jedenfalls eine Veräußerung unterhalb des „vollen Wertes” (vgl. § 67 Abs. 1 Satz 2 ThürKO 1993) nicht voraussetzen, daß ein besonders grobes Mißverhältnis – mithin ein Verkehrswert, der knapp doppelt so hoch ist wie der Kaufpreis – vorliegt. Diesen Maßstab zieht die Rechtsprechung heran, um bei Prüfung eines wucherähnlichen, nach § 138 Abs. 1 BGB nichtigen Rechtsgeschäfts auf das subjektive Merkmal einer verwerflichen Gesinnung zu schließen (vgl. Senat, BGHZ 148, 298, 302 m.w.N.). Er taugt nicht, wenn es gilt, das Verschleudern von Vermögen der öffentlichen Hand zu verhindern, weil hier ein persönlich vorwerfbares Verhalten des Begünstigten keine Bedeutung erlangt.
(3) Gelangt das Berufungsgericht zu der Annahme eines inhaltlich näher bestimmten Verbotsgesetzes, so wird es dessen Verletzung im konkreten Fall zu prüfen haben. Hierbei wird es sich mit den Auswirkungen der aufsichtsbehördlichen Genehmigung (§ 67 Abs. 3 ThürKO 1993) vom 7. Dezember 1995 auseinandersetzen und ggf. – unter Beachtung des Beweisangebotes der Beklagten auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu dem von ihr behaupteten Verkehrswert in Höhe von 1.500 DM/m² – Feststellungen zum Verkehrswert des Wohnungseigentums zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit B. treffen müssen.
Unterschriften
Wenzel, Krüger, Klein, Gaier, Schmidt-Räntsch
Fundstellen
Haufe-Index 892985 |
ZfIR 2003, 263 |
NJOZ 2003, 842 |