Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestimmung des Gegenstands anwaltlicher Tätigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Gegenstand anwaltlicher Tätigkeit, der durch den Auftrag des Autraggebers bestimmt wird, ist das Recht oder Rechtsverhältnis, auf das sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts bezieht.

 

Normenkette

BRAGO §§ 7, 118 Abs. 1 Nrn. 1-2

 

Verfahrensgang

LG Landshut (Urteil vom 29.01.2003; Aktenzeichen 12 S 2879/02)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Landshut v. 29.1.2003 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte den Klägern die Zahlung weiteren Anwaltshonorars schuldet.

Mit notariellem Vertrag v. 3.6.1992 erwarb die Beklagte von der später in Konkurs gefallenen W. Wo. GmbH (im Folgenden: Bauträger) ein Wohnungs- und Teilerbbaurecht an einer noch zu errichtenden Wohnanlage zu einem Gesamtpreis von 397.000 DM. Die Vertragsparteien erklärten in der Urkunde die dingliche Einigung; der Bauträger bewilligte und die Klägerin beantragte die Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch. Auf dem zu bebauenden Grundstück lasteten Buchgrundschulden im Nennbetrag von einer Mio. und 5,3 Mio. DM zu Gunsten der B. Bank Aktiengesellschaft (später B. bank AG; im Folgenden: H. bank). Für diese Grundpfandrechte hatte die H. bank mit Schreiben v. 26.11.1991 eine Lastenfreistellungsverpflichtung abgegeben. Der beurkundende Notar sollte den Vertrag u.a. erst dann dem Grundbuchamt zum Vollzug vorlegen, wenn der Bauträger ihm schriftlich mitgeteilt hatte, dass der geschuldete Kaufpreis bezahlt sei und die Lastenfreistellungserklärung der H. bank vorliege. Die Beklagte behielt einen Teil des vereinbarten Entgelts wegen mangelhafter Bauleistung ein.

Die Beklagte beauftragte die Kläger im Jahre 1993 mit der Wahrnehmung ihrer Interessen. Mit am 7.12.1994 bei den Klägern eingegangenem Schreiben nahm sie zu Ausführungen der Bevollmächtigten des Bauträgers Stellung. Mit Schreiben v. 2.1.1995 teilten die Kläger ihr daraufhin mit, dass sie "die Angelegenheit bezüglich Ihrer Wandelungsansprüche etc. noch einmal ausführlich überprüft" hätten. Im Ergebnis rieten sie von der Erhebung einer Wandelungsklage ab. Die Kläger, die auf Grund von Zwischenabrechnungen bereits 2.895,70 DM von der Beklagten erhalten hatten, stellten dieser nach Ende des Mandats mit Kostenrechnung v. 19.12.2001 aus einem Gegenstandswert von 397.000 DM u.a. für ihre "Tätigkeit auf Lastenfreistellung und Eigentumsübertragung gegenüber W. und dann anschließend H. bank" insgesamt (weitere) 4.000,51 EUR in Rechnung. Das AG hat der eingeklagten Geschäfts- und Besprechungsgebühr nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BRAGO einen Gegenstandswert von 270.000 DM, den Verkehrswert des Wohnungs- und Teilerbbaurechts, zu Grunde gelegt und die Beklagte unter Abweisung der weiter gehenden Klage zur Zahlung von 1.287,74 EUR nebst Zinsen verurteilt. Ihre hiergegen gerichtete Berufung blieb erfolglos. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag, die Klage insgesamt abzuweisen, weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

Die Kläger haben gegen die Beklagte aus § 611 BGB einen Anspruch auf Zahlung restlichen Anwaltshonorars in einer Höhe, die den ausgeurteilten Betrag übersteigt. Denn angefallen sind sowohl die Geschäftsgebühr (§ 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO) als auch die Besprechungsgebühr (§ 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO). Die jeweilige Mittelgebühr ist aus einem Gegenstandswert i.H.v. jedenfalls 178.711,41 EUR (349.529,14 DM) zu berechnen.

1. Das LG hat den Gegenstandswert allein im Blick auf die bei der H. bank zu erwirkende Pfandfreigabe bestimmt. Damit hat es jedoch den Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit verkannt (§ 7 Abs. 1 BRAGO).

a) Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit ist das Recht oder Rechtsverhältnis, auf das sich die Tätigkeit eines Rechtsanwalts bezieht. Dabei wird der Gegenstand durch den Auftrag des Auftraggebers bestimmt (BGH, Urt. v. 5.4.1976 - III ZR 95/74, LM § 7 BRAGO Nr. 2; v. 17.11.1983 - III ZR 193/82, MDR 1984, 561 = AnwBl. 1984, 501; v. 24.11.1994 - IX ZR 222/93, GmbHR 1995, 303 = MDR 1995, 319 = ZIP 1995, 118 [122]; v. 11.12.2003 - IX ZR 109/00, MDR 2004, 715 = BGHReport 2004, 487 = NJW 2004, 1043 [1045]; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl., § 7 Rz. 2).

b) Das Mandat, das die Beklagte den Klägern erteilt hatte, umfasste auch die Prüfung der Frage, ob eine Wandelungsklage Aussicht auf Erfolg hatte. Die Beklagte hat zwar hierzu wiederholt vorgetragen, dass sie von Anfang an beabsichtigt habe, die Wohnung zu behalten, ein Mandat, diese zurückzugeben, habe sie den Klägern nicht erteilt. Nicht bestritten hat sie jedoch, dass das am 7.12.1994 bei den Klägern eingegangene Schreiben von ihr stammt. Darin hatte sie an den Kläger zu 3) unter Hinweis auf die "unfertige Wohnung" die Fragen gerichtet: "Muss ich das alles einfach so hinnehmen? Hab ich als Verbraucher keinerlei Rechte?" Diese Fragen durften die Kläger auch als Auftrag verstehen, die Aussichten einer Wandelung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu prüfen. Sie sind daher zu Recht in ihrem Schreiben v. 2.1.1995 an die Beklagte ausführlich auf die Geltendmachung von Wandelungsansprüchen eingegangen.

c) Nach Sachlage wäre nicht eine Klage "auf" Wandelung gem. § 465 BGB a.F. zu erheben gewesen. Vielmehr hätte die Beklagte nach Abgabe einer Wandelungserklärung sofort auf Leistung klagen müssen. Dementsprechend haben die Kläger in ihrem bereits erwähnten Schreiben v. 2.1.1995 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein "Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises" wohl nicht realisiert werden könne. Verlangt der Käufer in einem solchen Fall sein Geld - hier: Den geleisteten Teilbetrag - zurück, so ist der Forderungsbetrag wertbestimmend (Staudinger/Honsell, BGB, 13. Bearb., § 465 Rz. 27; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl., § 3 Rz. 63; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., § 3 Rz. B II b 1; Schneider/Herget, Streitwertkommentar für den Zivilprozess, 11. Aufl., Rz. 5004, 5005; s. auch OLG Hamm v. 10.6.1999 - 22 W 13/99, OLGReport Hamm 2000, 17 = MDR 1999, 1225; Schwerdtfeger in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 3 Rz. 136). Dieser Betrag beläuft sich auf 178.711,41 EUR. Das ergibt sich aus der von den Klägern mit Schriftsatz v. 1.7.2002 vorgelegten Aufstellung des Bauträgers v. 11.4.1995, der die Beklagte in den Tatsacheninstanzen nicht widersprochen hat. Ob darüber hinaus für die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts in einem solchen Fall der volle Kaufpreis wertbestimmend ist, kann der Senat offen lassen.

2. Aus diesem Gegenstandswert ist die Geschäftsgebühr gem. § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO angefallen. Das Gleiche gilt für die Besprechungsgebühr gem. § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO: Aus den von den Klägern mit Schriftsatz v. 27.3.2002 vorgelegten Schreiben v. 23.5.1995 an die Bevollmächtigte des Bauträgers und an die Beklagte sowie aus den mit Schriftsatz v. 1.7.2002 vorgelegten weiteren Schreiben v. 11.1.1995 an die Beklagte und v. 19.7.1995 an die Bevollmächtigte des Bauträgers ergibt sich, dass der Kläger zu 3) wiederholt mit der Bevollmächtigten Besprechungen über tatsächliche oder rechtliche Fragen der Angelegenheit durchgeführt hat (vgl. BGH, Urt. v. 11.12.2003 - IX ZR 109/00, MDR 2004, 715 = BGHReport 2004, 487 = NJW 2004, 1043 [1047]; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRAGO, 15. Aufl., § 118 Rz. 8). Dass das Mandat in der Zwischenzeit die Frage einer Wandelung nicht mehr umfasste, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Ob auch die Besprechungen mit der H. bank auf den Gegenstandswert von 178.711,41 EUR bezogen werden können, kann somit dahinstehen.

3. An der rechtlich zutreffenden Einordnung des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit ist der Senat nicht durch den Umstand gehindert, dass die Beklagte keine dahin zielende Verfahrensrüge erhoben hat. Die Frage, was Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit war, betrifft die rechtliche Würdigung des zu beurteilenden Tatbestands, d.h. die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung dahin, ob die richtige Rechtsnorm richtig angewandt worden ist. An die geltend gemachten Revisionsgründe ist der Senat nicht gebunden (§ 557 Abs. 3 S. 1 ZPO; vgl. Wenzel in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., Aktualisierungsbd., § 557 Rz. 37 ff; Musielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 551 Rz. 10).

4. Werden die von den Klägern mit Kostenrechnung v. 19.12.2001 geltend gemachten 7,5/10-Geschäftsgebühr und 7,5/10-Besprechungsgebühr (§ 118 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BRAGO) aus einem Gegenstandswert von 178.711,41 EUR berechnet, ergibt sich - ausgehend von dem am 7.12.1994 geltenden Gebührenrecht (§ 134 Abs. 1 S. 1 BRAGO) - eine die bereits von der Beklagten geleistete Zahlung von 2.895,70 DM sowie den zuerkannten Betrag von 1.287,74 EUR übersteigende Summe. Dass die Zahlung der Beklagten auf den nämlichen Gegenstand erfolgt ist, der auch der Kostenrechnung v. 19.12.2001 zu Grunde liegt, ist von den Vorinstanzen zutreffend erkannt worden. Sie ist daher auf die mit dieser Kostenrechnung geltend gemachten Gebühren und Auslagen anzurechnen (§ 13 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BRAGO). Gleichwohl verbleibt zu Gunsten der Kläger ein Überschuss. Die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung greift nicht durch; das ergibt sich schon daraus, dass sie die Einrede nicht auf Gebührenansprüche bezogen hat, die Gegenstand der Kostenrechnung v. 19.12.2001 sind.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1176411

BGHR 2004, 1599

JurBüro 2005, 141

RVG-B 2004, 103

NJOZ 2004, 3624

RVG-Letter 2004, 115

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