Leitsatz (amtlich)
Die Rechtskraft eines klageabweisenden Versäumnisurteils macht die erneute gerichtliche Geltendmachung des Klageanspruchs in jedem Fall unzulässig; der Kläger kann sich im Zweitprozeß nicht darauf berufen, im Erstprozeß habe seinem Anspruch lediglich ein inzwischen behobenes vorübergehendes Hindernis (z.B. mangelnde Fälligkeit) entgegengestanden (Bestätigung von BGHZ 35, 338). Das gilt auch dann, wenn die rechtskräftige Klageabweisung auf einem Versäumnisurteil des Berufungsgerichts beruht, mit dem die Berufung des Klägers gegen ein kontradiktorisches klageabweisendes Urteil der ersten Instanz zurückgewiesen wurde.
Normenkette
ZPO §§ 322, 330
Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 11.02.2002) |
AG Berlin-Wedding (Urteil vom 25.06.2001; Aktenzeichen 19 C 121/01) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der Zivilkammer 51 des Landgerichts Berlin vom 11. Februar 2002 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Wedding vom 25. Juni 2001 (19 C 121/01) wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Darlehensrückzahlungsanspruch geltend, der schon einmal Gegenstand eines Rechtsstreits der Parteien war. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger behauptet, der Beklagten ein Darlehen in Höhe von 10.000 DM gewährt zu haben. Am 1. Oktober 1995 unterzeichneten beide Parteien eine Vereinbarung, nach der die Beklagte „die von Herrn H. K. geliehenen 10.000,– DM” erst dann zurückzahlen sollte, wenn sie nach dem Auszug aus einer von ihr bewohnten Mietwohnung die mit dem Vermieter für die Zurücklassung verschiedener Gegenstände vereinbarte Zahlung erhielte. Die Beklagte behauptet, das Darlehen nicht erhalten und die Vereinbarung vom 1. Oktober 1995 ungelesen unterschrieben zu haben. Sie hat die Vereinbarung im September 1997 angefochten.
Im Jahre 1997 erhob der Kläger Klage auf Rückzahlung des Darlehens. Das Amtsgericht wies die Klage ab und führte zur Begründung aus, die Fälligkeitsvoraussetzungen der Vereinbarung vom 1. Oktober 1995 lägen noch nicht vor. Das Landgericht wies die Berufung des Klägers durch Versäumnisurteil vom 29. Juni 1998 zurück, nachdem es den Kläger darauf hingewiesen hatte, daß die Klageforderung nicht fällig sei. Seinen Einspruch gegen das Versäumnisurteil nahm der Kläger am 16. November 1998 zurück.
Im November 1999 erhielt die Beklagte von ihrem ehemaligen Vermieter aufgrund eines Vergleichs einen Betrag von 5.000 DM. Daraufhin erhob der Kläger erneut Klage auf Zahlung von 10.000 DM nebst Zinsen. Das Amtsgericht hat diese Klage unter Hinweis auf die rechtskräftige Entscheidung des Vorprozesses als unzulässig abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Mit ihrer – zugelassenen – Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Die Klage sei zulässig, weil die Rechtskraft des Versäumnisurteils vom 29. Juni 1998 einer erneuten Klage auf Rückzahlung des Darlehens nicht entgegenstehe. Der Kläger habe nämlich mit der zwischenzeitlich eingetretenen Fälligkeit seiner Forderung eine neue Tatsache eingeführt, die geeignet sei, die rechtskräftig festgestellte Rechtslage zu seinen Gunsten zu verändern. Für kontradiktorische Urteile, in denen eine Klage wegen fehlender Fälligkeit abgewiesen worden sei, sei allgemein anerkannt, daß deren Rechtskraft einer neuen Klage nach Eintritt der Fälligkeit nicht entgegenstehe. Entgegen einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGHZ 35, 338), die berechtigte Kritik erfahren habe, könne aber auch bei einem gegen den Kläger ergangenen Versäumnisurteil die Rechtskraft der Entscheidung die Berücksichtigung neuer Tatsachen nicht ausschließen.
Die Klage sei auch begründet, weil die von der Beklagten am 1. Oktober 1995 unterzeichnete Erklärung ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis enthalte und die Beklagte daher mit ihren Einwendungen gegen Grund und Höhe des Rückzahlungsanspruchs ausgeschlossen sei. Die Anfechtung dieser Erklärung sei wirkungslos, weil der Beklagten kein Anfechtungsgrund zur Seite stehe. Die Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs ergebe sich aus der zwischenzeitlichen Zahlung des ehemaligen Vermieters der Beklagten.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist dem Amtsgericht darin zuzustimmen, daß die Rechtskraft des landgerichtlichen Versäumnisurteils vom 29. Juni 1998 der Zulässigkeit einer erneuten Klage auf Rückzahlung des Darlehens entgegensteht.
1. Im Vorprozeß ist der Streit der Parteien um den angeblichen Rückzahlungsanspruch des Klägers durch das genannte Versäumnisurteil beendet worden. Seit der Rechtskraft dieses Versäumnisurteils steht daher zwischen den Parteien rechtskräftig fest, daß dem Kläger der streitgegenständliche Darlehensrückzahlungsanspruch gegen die Beklagte nicht zusteht.
2. Eine Einschränkung dieser Rechtskraftwirkung dahin, daß mit dem Versäumnisurteil vom 29. Juni 1998 nur die Unbegründetheit der Klageforderung zum damaligen Zeitpunkt rechtskräftig feststehe und dies die Zulässigkeit einer erneuten, auf neue Tatsachen gestützten gerichtlichen Geltendmachung derselben Forderung unberührt lasse, ist nicht möglich.
a) Die Rechtskraftwirkung eines Urteils, mit dem die Klage wegen Fehlens eines bestimmten Tatbestandsmerkmals (z.B. mangelnde Fälligkeit des Anspruchs) als – zur Zeit – unbegründet abgewiesen wird, kann zwar dahin eingeschränkt sein, daß sie der späteren klageweisen Geltendmachung desselben Anspruchs mit der Begründung, daß das bisher fehlende Tatbestandsmerkmal nunmehr gegeben sei, nicht entgegensteht. Das setzt aber stets voraus, daß die Auslegung des Vorurteils ergibt, daß die Klage gerade wegen des Fehlens des Tatbestandsmerkmals, dessen Vorliegen in dem neuen Prozeß dargetan werden soll, abgewiesen worden ist (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BGHZ 35, 338, 340 f.; BGH, Urteil vom 28. September 2000 – VII ZR 57/00, NJW-RR 2001, 310; jeweils m.w.Nachw.). Eine derartige Feststellung läßt sich indes bei einem die Klage abweisenden Versäumnisurteil nicht treffen. Bei Säumnis des Klägers wird die Klage nicht auf Schlüssigkeit und Begründetheit geprüft, sondern ihre Abweisung erfolgt nach der gesetzlichen Regelung des § 330 ZPO (gegebenenfalls i.V. mit § 333 ZPO) allein aufgrund der Säumnis des Klägers mit der Wirkung, daß er mit seiner Klage schlechthin abgewiesen wird. Auf die Gründe des Klägers, das Versäumnisurteil gegen sich ergehen zu lassen, oder darauf, wie bei dem gegebenen Sach- und Streitstand im Falle eines kontradiktorischen Urteils die Entscheidung hätte lauten können oder müssen, kommt es dabei nicht an. Daher haben sowohl das Reichsgericht (RGZ 7, 395, 397 f.) als auch der Bundesgerichtshof (BGHZ 35, 338, 340 f.) es abgelehnt, die Rechtskraft eines klageabweisenden Versäumnisurteils in dem vom Berufungsgericht für richtig gehaltenen Sinne einzuschränken.
b) Dieser Rechtsprechung, die im juristischen Schrifttum neben Zustimmung (Johannsen LM ZPO § 330 Nr. 3; Zöller/Vollkommer, 23. Aufl. ZPO vor § 322 Rdn. 56; Blomeyer, Zivilprozeßrecht – Erkenntnisverfahren, 2. Aufl. S. 486; ebenso jedenfalls im Grundsatz MünchKomm-ZPO-Gottwald 2. Aufl. § 322 Rdn. 170) von mehreren Seiten auch Kritik (Zeuner JZ 1962, 497 f.; Dietrich ZZP 1971, 419 ff.; Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, S. 161 f.; Arens AcP 1973, 250, 264; Stein/Jonas/Leipold, 21. Aufl. ZPO § 322 Rdn. 253, 254; Musielak, 3. Aufl. ZPO § 322 Rdn. 54, 55; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl. S. 925) erfahren hat, schließt der erkennende Senat sich an. Die kritischen Stimmen, die hinsichtlich der Reichweite der von ihnen befürworteten Einschränkung der Rechtskraftwirkung von klageabweisenden Versäumnisurteilen weitgehend uneinig sind (vgl. z.B. einerseits Rosenberg/Schwab/Gottwald aaO m.w.Nachw. und andererseits Dietrich aaO S. 438), messen dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht die ihm zukommende Bedeutung bei. Wer als Beklagter in einen Rechtsstreit verwickelt wurde, muß sich mit der Rechtskraft eines klageabweisenden Urteils grundsätzlich darauf verlassen können, wegen desselben Anspruchs nicht erneut vor Gericht gezogen zu werden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nur dann gerechtfertigt, wenn aus dem rechtskräftigen Urteil ersichtlich und damit auch für den obsiegenden Beklagten erkennbar ist, daß die Klage allein deshalb abgewiesen wurde, weil ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal (z.B. die Fälligkeit des Anspruchs) nicht vorlag, das später jedoch noch eintreten kann. Ein klageabweisendes Versäumnisurteil, das allein auf der Säumnis des Klägers beruht und keine Begründung zur Sache enthält, erfüllt diese Voraussetzung für eine Einschränkung seiner Rechtskraftwirkungen nicht. Bei solchen Urteilen würde die Rechtskraftwirkung für die Beklagten entscheidend entwertet, wenn sie damit rechnen müßten, aus Gründen, die aus dem Urteil nicht ersichtlich sind, erneut wegen desselben Anspruchs in einen Rechtsstreit verwickelt zu werden.
Der erkennende Senat verkennt nicht, daß die von ihm für richtig gehaltene uneingeschränkte Rechtskraftwirkung klageabweisender Versäumnisurteile für einen Kläger, dessen Anspruch materiell-rechtlich nur ein vorübergehendes Hindernis (z.B. mangelnde Fälligkeit) entgegensteht, eine gewisse Härte mit sich bringen kann. Diese Härte wird jedoch durch die Einspruchsmöglichkeit des § 338 ZPO gemildert (Blomeyer aaO). Einem Kläger, der den eingeklagten Anspruch nicht endgültig verloren geben will, ist es zuzumuten, gegen ein etwa ergangenes Versäumnisurteil Einspruch einzulegen.
c) Im vorliegenden Fall steht daher die Rechtskraft des landgerichtlichen Versäumnisurteils vom 29. Juni 1998 der Zulässigkeit der Klage entgegen. Daran ändert es nichts, daß dieses Urteil ein Berufungsurteil war, mit dem die Berufung des Klägers gegen ein klageabweisendes kontradiktorisches Urteil des Amtsgerichts zurückgewiesen wurde. Da über das Schicksal der Klage im Vorprozeß erst durch das landgerichtliche Versäumnisurteil rechtskräftig entschieden wurde, kann auf die Gründe des amtsgerichtlichen Urteils nicht zurückgegriffen werden.
III.
Das Berufungsurteil war daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO).
Unterschriften
Nobbe, Bungeroth, Joeres, Mayen, Appl
Fundstellen
BGHZ 2004, 239 |
BGHZ |
BB 2003, 548 |
NJW 2003, 1044 |
BGHR 2003, 406 |
EWiR 2003, 441 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2003, 358 |
WuB 2003, 477 |
ZIP 2003, 823 |
JA 2003, 449 |
MDR 2003, 468 |
VersR 2003, 1190 |
ZZP 2003, 491 |
ArbRB 2003, 195 |
ZFE 2003, 125 |
JbBauR 2004, 392 |
KammerForum 2003, 162 |
LMK 2003, 116 |