Zweitbeschluss kann Beschlussaufhebung nicht aushebeln
Hintergrund: Wohnungseigentümer wiederholen aufgehobenen Beschluss
In einer Wohnungseigentümergemeinschaft hatten die Wohnungseigentümer die Jahresabrechnungen für die Jahre 2016 und 2017 beschlossen. Beide Beschlüsse wurden vom Amtsgericht hinsichtlich der Genehmigung der Heizkostenabrechnung wegen inhaltlicher Fehler rechtskräftig für ungültig erklärt.
In einer Eigentümerversammlung im Juni 2019 fassten die Eigentümer erneut Beschlüsse über die Jahresabrechnungen 2016 und 2017; im Hinblick auf die Heizkostenabrechnung waren diese Beschlüsse inhaltsgleich mit den zuvor für ungültig erklärten Beschlüssen.
Ein Wohnungseigentümer wendet sich mit der Anfechtungsklage gegen die neuen Beschlüsse (Zweitbeschlüsse). Er will erreichen, dass die Beschlüsse hinsichtlich der Heizkostenabrechnungen für ungültig erklärt werden. Während die Anfechtungsklage vor dem Amtsgericht Erfolg hatte, hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Nach dessen Auffassung stehen die rechtskräftigen Urteile der vorangegangenen Anfechtungsprozesse einer erneuten Beschlussfassung mit demselben Inhalt nicht entgegen.
Entscheidung: Zweitbeschlüsse nur eingeschränkt zulässig
Der BGH hebt das Urteil des Landgerichts auf und verweist die Sache zurück, damit das Landgericht nochmals prüfen kann, inwieweit die Zweitbeschlüsse ordnungsmäßiger Verwaltung widersprechen.
Allerdings ergibt sich nicht schon aus der Rechtskraft der Urteile der Vorprozesse, dass die Zweitbeschlüsse ordnungsmäßiger Verwaltung widersprechen. Die Rechtskraft erstreckt sich nämlich nur auf den konkreten, für ungültig erklärten Beschluss.
Auch ist eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) grundsätzlich berechtigt, über eine schon geregelte gemeinschaftliche Angelegenheit erneut zu beschließen. Dabei spielt es keine Rolle, aus welchen Gründen sie eine erneute Beschlussfassung für angebracht hält. Entscheidend ist allein, dass der Beschluss aus sich heraus einwandfrei ist, wobei allerdings jeder Wohnungseigentümer verlangen kann, dass der Zweitbeschluss schutzwürdige Belange aus Inhalt und Wirkungen des Erstbeschlusses berücksichtigt.
Identischer Zweitbeschluss nach erfolgreicher Anfechtung nur ausnahmsweise zulässig
Im vorliegenden Fall besteht die Besonderheit aber darin, dass die zweite Beschlussfassung Beschlüsse ersetzt, die zuvor durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung für ungültig erklärt worden sind. Dies schränkt die Möglichkeit, einen Zweitbeschluss zu fassen, ein.
Wurde ein Beschluss allein wegen eines formellen Beschlussmangels für ungültig erklärt, ist ein inhaltsgleicher Zweitbeschluss ohne Weiteres zulässig, wenn damit der formelle Beschlussmangel geheilt werden soll.
Wurde ein Beschluss hingegen wegen eines materiellen Beschlussmangels rechtskräftig für ungültig erklärt, darf ein im Kern inhaltsgleicher Zweitbeschluss nur gefasst werden, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, dass dieses Vorgehen ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht.
Dies kommt zum einen in Betracht, wenn der in dem Vorprozess benannte Beschlussmangel behoben worden ist. Ein solcher Fall liegt zum Beispiel vor, wenn im Vorprozess bemängelt wurde, dass für die beschlossene Auftragsvergabe nur ein Angebot vorliegt und dann nach Vorlage der gerichtlich geforderten Zahl von Angeboten im Kern dieselbe Auftragsvergabe beschlossen wird.
Ein Zweitbeschluss kann zudem dann ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, wenn sich die darauf bezogenen tatsächlichen Umstände geändert haben. Dies ist beispielsweise anzunehmen, wenn zwar weiterhin die in dem Vorprozess bemängelte Vorlage weiterer Angebote unterblieben ist, der Grund hierfür aber nachweislich darin liegt, dass trotz ausreichender Anfragen keine weiteren Angebote abgegeben wurden.
Schließlich kann auch die Änderung der rechtlichen Umstände zur Folge haben, dass ein derartiger Zweitbeschluss ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht. Eine solche Fallkonstellation ist zum Beispiel gegeben, wenn das Gericht im Vorprozess eine Rechtsansicht vertreten hat, die aufgrund einer nach Rechtskraft ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung als überholt anzusehen ist.
Beweislast bei der GdWE
Ist ein Beschluss wegen eines materiellen Beschlussmangels rechtskräftig für ungültig erklärt worden, besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein anschließend gefasster und im Kern inhaltsgleicher Zweitbeschluss ordnungsmäßiger Verwaltung widerspricht. Dann ist es Sache der GdWE, nachzuweisen, dass besondere Umstände die zweite Beschlussfassung erlaubten.
Unzulässiger Zweitbeschluss ist nur anfechtbar
Wird ein nach diesen Maßstäben unzulässiger Zweitbeschluss gefasst, hat dies nicht die Nichtigkeit des Beschlusses, sondern in der Regel lediglich dessen Anfechtbarkeit zur Folge. Nur in Ausnahmefällen kann ein derartiger Beschluss als evident rechtsmissbräuchlich und deshalb als nichtig anzusehen sein; das kann etwa in Betracht kommen, wenn eine mehrfache Beschlussfassung allein mit dem Ziel erfolgt, die Minderheit zu zermürben.
Minderheitenschutz muss gewährleistet bleiben
Ohne die Einschränkung der Möglichkeit, Zweitbeschlüsse zu fassen, wäre der Minderheitenschutz in der GdWE nicht gewährleistet. Eine Anfechtungsklage, die es einem oder mehreren Wohnungseigentümern ermöglicht, eine Beschlussfassung der Mehrheit überprüfen zu lassen, dient dem Minderheitenschutz im Einzelfall. Dies würde faktisch entwertet, wenn man ohne Weiteres einen identischen Zweitbeschluss zuließe. Dann wäre die Minderheit zu einer erneuten Anfechtung gezwungen und hätte durch die vorangegangene erfolgreiche Anfechtung nichts gewonnen. Eine derartige, die Verwirklichung des Minderheitenschutzes konterkarierende Vorgehensweise der GdWE widerspricht in aller Regel ordnungsmäßiger Verwaltung. Zudem darf die GdWE nicht sehenden Auges das Unterliegen in einem weiteren Anfechtungsverfahren mit entsprechender Kostenlast in Kauf nehmen.
(BGH, Urteil v. 10.2.2023, V ZR 246/21)
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