Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatzpflicht des Betreuers bei pflichtwidrigem Vertragsabschluss. Selbstständige Prüfungspflicht trotz Genehmigung des Vormundschaftsgerichts
Leitsatz (amtlich)
Zur Schadensersatzpflicht des Betreuers bei pflichtwidrigem Abschluss eines vom Vormundschaftsgericht genehmigten Vertrags.
Normenkette
BGB §§ 1833, 1908i Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Urteil vom 28.11.2000) |
LG Regensburg |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des OLG Nürnberg v. 28.11.2000 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das OLG zurückverwiesen.
Wert: 38.346 Euro (= 75.000 DM)
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin verlangt als Erbin ihrer Mutter von dem Beklagten als deren früherem Betreuer Schadensersatz wegen Verletzung seiner Amtspflichten.
Die Mutter der Klägerin, A. H., war Inhaberin des Baugeschäfts "H. H. -/Tiefbau"; tatsächlich wurde das Baugeschäft von deren Sohn G. H. geführt. Am 22.9.1995 wurde der Beklagte, von Beruf Rechtsanwalt, zum Betreuer der A. H. mit dem Aufgabenkreis "Führung des Handelsgeschäfts Fa. H. - und Tiefbau ... sowie die Vertretung in allen damit zusammenhängenden gerichtlichen und behördlichen Angelegenheiten einschließlich Postvollmacht" bestellt.
Auf eine vom Beklagten als Betreuer im November 1995 erhobene Klage wurde G. H. durch rechtskräftiges Versäumnisurteil verurteilt, eine Aufstellung aller Forderungen und Verbindlichkeiten des Baugeschäfts zu erstellen und herauszugeben. Am 29.11.1995 wurde eine H. Bau GmbH gegründet (Eintragung am 7.5.1996) und G. H. zu deren Geschäftsführer bestellt. Am 4.12.1995 schloss der Beklagte als Betreuer der A. H. mit G. H. als Geschäftsführer dieser GmbH einen Vertrag, den das Vormundschaftsgericht am 20.12.1995 genehmigte. In diesem Vertrag übertrug der Beklagte das bewegliche Inventar der Firma H. H. -/Tiefbau auf die GmbH; außerdem wurde bestimmt, dass die GmbH die laufenden Geschäfte der Firma H. H. -/Tiefbau fortführe, in deren Verträge eintrete und deren sämtliche Forderungen und Verbindlichkeiten übernehme. Am 10.3.1996 stellte der Beklagte den Antrag, über das Vermögen der Firma H. H. -/Tiefbau den Konkurs zu eröffnen. Am 29.11.1996 wurde über das Vermögen der H. Bau GmbH auf Antrag eines Drittgläubigers der Konkurs eröffnet; der (GmbH-) Konkursverwalter verwertete das der GmbH von der Firma H. H. -/Tiefbau übertragene Inventar (Maschinenpark sowie Arbeits- und Baumaterial), dessen Wert die Klägerin mit 850.000 DM beziffert.
A. H. verstarb am 19.4.1997 und wurde von der Klägerin und G. H. beerbt, der seinen Erbteil im Juni 1997 auf die Klägerin übertrug. Mit der Klage macht die Klägerin einen Teilbetrag des behaupteten Inventarwertes als Schadensersatz geltend.
Das LG hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Das OLG hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin, mit der diese die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das OLG.
1. Nach Auffassung des OLG hat der Beklagte mit dem Abschluss des Vertrags v. 4.12.1995 seine Pflichten als Betreuer der Frau A. H. nicht verletzt.
Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses hätten gegen die Firma H. H. -/Tiefbau erhebliche Verbindlichkeiten bestanden, die der Beklagte am 1.12.1995 gegenüber dem Vormundschaftsgericht mit 2.066.196,54 DM angegeben habe und deren genaue Höhe offen bleiben könne. Jedenfalls könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Beklagte über das Bestehen etwaiger Ansprüche der Baufirma gegen Dritte, wie sie von der Klägerin - wenn auch ohne nähere Substantiierung - behauptet und mit 2.496.986,61 DM beziffert würden, informiert gewesen sei. Der Beklagte habe bei Abschluss des Übergabevertrages damit rechnen müssen, dass den Verbindlichkeiten der Firma H. H. -/Tiefbau keine ausreichenden werthaltigen Forderungen gegenübergestanden hätten und das zu übertragende bewegliche Inventar den wesentlichen Vermögensgegenstand ausgemacht hätte. Deshalb sei der Beklagte keinesfalls gehalten gewesen, einen Eigentumsvorbehalt oder Sicherungseigentum zu vereinbaren: Abgesehen davon, dass sich sein Vertragspartner hierauf wohl kaum eingelassen hätte, hätte der Rückbehalt des Eigentums an diesen Gegenständen lediglich den Übergang der Verbindlichkeiten der Baufirma auf die GmbH bedeutet. Der Vertragsschluss wäre dann aber wegen Gläubigerbenachteiligung gem. § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig gewesen und hätte den Vorwurf der sittenwidrigen Schädigung von Gläubigern der GmbH gem. § 826 BGB begründet. In diesem Fall hätte die GmbH nämlich - jedenfalls nach dem Kenntnisstand des Beklagten - über keine nennenswerten Vermögensgegenstände verfügt, die dem Zugriff von Gläubigern zugänglich gewesen wären. Ein Vertrag jedoch, durch den der Schuldner (hier die GmbH) sein Letztes zur Gläubigerbefriedigung taugliches Vermögen einem bestimmten Gläubiger (hier der Betreuten) übertrage, sei regelmäßig sittenwidrig, wenn dadurch gegenwärtige oder künftige Gläubiger über die Kreditwürdigkeit des Schuldners getäuscht würden und beide Vertragspartner bei dieser Täuschung zusammengewirkt hätten.
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Unrichtig ist bereits die Annahme, die GmbH als Schuldnerin habe durch den Vertrag v. 4.12.1995 ihr "Letztes zur Gläubigerbefriedigung taugliches Vermögen einem bestimmten Gläubiger (hier die Betreute) übertragen". Zum einen hat das OLG zur Vermögenslage der GmbH im Zeitpunkt des Vertragsschlusses keine Feststellungen getroffen. Zum andern hat nicht die GmbH Vermögen auf die Betreute, sondern - gerade umgekehrt - die Betreute, gesetzlich vertreten durch den Beklagten, Vermögen auf die GmbH übertragen.
Rechtsirrig ist auch die Auffassung, ein Rückbehalt des Eigentums am Inventar der Firma H. H. -/Tiefbau hätte, wäre er im Vertrag v. 4.12.1995 vereinbart worden, aus der Tatsachensicht des Beklagten "lediglich den Übergang der Verbindlichkeiten der Baufirma auf die GmbH bedeutet" und - mit den Rechtsfolgen der §§ 138, 826 - den Vorwurf der Gläubigerbenachteiligung begründet. Dieser Auffassung liegt offenbar die Annahme zu Grunde, dass bereits mit dem Vertrag v. 4.12.1995 die Verbindlichkeiten der Firma H. H. -/Tiefbau auf die H. Bau GmbH übergegangen seien und - insoweit folgerichtig - ein Verbleib des Aktivvermögens bei der Betreuten deren Gläubiger um die Möglichkeit des Zugriffs auf dieses Vermögen gebracht hätte. Auch diese Annahme ist jedoch nicht richtig. Eine Übernahme der Verbindlichkeiten der Firma H. H. -/Tiefbau durch die H. Bau GmbH hätte, worauf das LG mit Recht hingewiesen hat, nach § 415 Abs. 1 S. 1 BGB einer Genehmigung der Gläubiger dieser Verbindlichkeiten bedurft. Eine solche Genehmigung ist nicht festgestellt; sie hätte, wäre sie erteilt worden, wohl auch den späteren Antrag des Beklagten, über das Vermögen der Firma H. H. -/Tiefbau den Konkurs zu eröffnen, erübrigt.
Die einen etwaigen Schadensersatzanspruch nach § 1908i i. V. m. § 1833 BGB begründende Pflichtverletzung des Beklagten liegt - was das OLG verkennt - gerade darin, dass der Beklagte mit dem Vertrag v. 4.12.1995 das Aktivvermögen des Baugeschäfts der von ihm betreuten A. H. auf die GmbH übertragen hat, ohne sicherzustellen, dass durch eine geeignete rechtliche Verknüpfung mit der Übertragung von Inventar der Firma H. H. -/Tiefbau auf die H. Bau GmbH eine wirksame - d. h.: von der Genehmigung des jeweiligen Gläubigers gedeckte - Übernahme von Verbindlichkeiten der Firma H. H. -/Tiefbau durch die H. Bau GmbH einhergeht. Da der Beklagte mit der H. Bau GmbH eine solche Vereinbarung nicht getroffen hat, beschränkte sich deren Gegenleistung für die Übertragung des Inventars durch die Firma H. H. -/Tiefbau auf die bloße - ungesicherte - Verpflichtung, ihrerseits die Firma H. H. -/Tiefbau von deren Verpflichtungen gegenüber deren Gläubigern freizustellen. Die mit dem Konkurs der H. Bau GmbH eingetretene mangelnde Realisierbarkeit dieser Verpflichtung begründet einen - vorhersehbaren - Schaden, für den der Beklagte nach § 1908i Abs. 1 S. 1i. V. m. § 1833 BGB einzustehen hat.
Eine etwaige Schadensersatzverpflichtung des Beklagten wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Vormundschaftsgericht den Vertrag v. 4.12.1995 genehmigt hat (vgl. BGH, Urt. v. 15.1.1964 - IV ZR 106/63, FamRZ 1964,199 und v. 5.5.1983 - III ZR 57/82, MDR 1984, 204 = FamRZ 1983, 1220); denn Vormundschaftsgericht und Betreuer haben, wie auch § 1829 Abs. 1 S. 2 BGB verdeutlicht, jew. eine selbstständige Prüfungspflicht. Zwar kann der Vormund durch eine Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ausnahmsweise vom Vorwurf pflichtwidrig schuldhaften Verhaltens entlastet werden - so etwa dann, wenn es bei der Genehmigung im Wesentlichen um Rechtsfragen geht, dem Vormundschaftsgericht alle für deren Beantwortung maßgebenden Tatsachen bekannt sind und der Betreuer, zumal wenn er juristisch nicht vorgebildet ist, deshalb davon ausgehen darf, beim Abschluss des genehmigten Rechtsgeschäfts pflichtgemäß zu handeln (Palandt/Diederichsen, BGB, 62. Aufl., § 1833 Rz. 6; Wagenitz in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 1833 Rz. 10).
So liegen die Dinge hier jedoch nicht. Der Maßstab der von einem Betreuer zu verlangenden Sorgfalt bestimmt sich nach dem Lebenskreis sowie nach der Rechts- und Geschäftserfahrung des Betreuers (für den Vormund: BGH, Urt. v. 15.1.1964 - IV ZR 106/63, FamRZ 1964,199; Palandt/Diederichsen, BGB, 62. Aufl., § 1833 Rz. 8; Wagenitz in MünchKomm/BGB, 4. Aufl., § 1833 Rz. 4). Der Beklagte war gerade im Hinblick auf seine Fachkunde als Anwalt zum Betreuer bestellt worden. Von einem Anwalt als Betreuer kann erwartet werden, dass er sich - erforderlichenfalls unter Zuhilfenahme von Fachliteratur - über die rechtlichen Risiken eines von ihm abzuschließenden Geschäfts vergewissert und im Interesse des Betreuten Vorkehrungen trifft, um erkennbare Risiken auszuschließen oder zu vermindern. Das gilt namentlich dann, wenn diese Risiken - wie hier - auf der Hand liegen. Die Frage, ob im vorliegenden Fall auch das Vormundschaftsgericht nach dem ihm mitgeteilten Sachverhalt diese Risiken und Abhilfemöglichkeiten erkennen musste, kann offen bleiben; auch wenn diese Frage zu bejahen wäre, würde dies den Beklagten nicht der Verpflichtung entheben, die von ihm als anwaltlichem Betreuer geschuldete Sorgfalt zu beobachten.
Einem Schadensersatzanspruch steht auch eine etwaige, bereits bei Vertragsschluss bestehende Überschuldung der Firma H. H. -/Tiefbau nicht entgegen. Das OLG meint zwar, dass eine solche Überschuldung "offensichtlich" auch tatsächlich vorhanden gewesen sei. Festgestellt hat es eine Überschuldung der Firma H. H. -/Tiefbau zu diesem Zeitpunkt damit jedoch noch nicht, weil es - wie aus den vorausgehenden Erörterungen in den Urteilsgründen folgt - zum einen das Vorhandensein von realisierbaren "etwaigen Ansprüchen" der Baufirma gegen Dritte nicht ausgeschlossen hat, zum anderen auch die Höhe der Verbindlichkeiten der Baufirma hat dahinstehen lassen. Das Berufungsurteil beschränkt sich insoweit vielmehr auf die Feststellung, dass der Beklagte nach seinem damaligen Kenntnisstand mit einer solchen Überschuldung rechnen musste. Im Übrigen würde auch eine bereits bestehende Überschuldung den Eintritt eines Schadens, der durch die Weggabe von Aktiva ohne entsprechenden Gegenwert bewirkt wird und im Anstieg des Negativ-Saldos begründet läge, nicht hindern (OLG Saarbrücken v. 24.10.2001 - 1 U 125/01-28, ZIP 2002, 130 [131]; vgl. auch BGHZ 59, 148 [150] und BGH v. 17.3.1987 - VI ZR 282/85, BGHZ 100, 190 [199] = AG 1987, 284 = GmbHR 1987, 304 = MDR 1987, 748).
3. Nach allem kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben. Der Senat vermag in der Sache nicht abschließend zu entscheiden, weil das OLG - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zu dem Schaden getroffen hat, welcher der A. H. aus der Pflichtverletzung des Beklagten entstanden ist. Die Zurückverweisung gibt dem OLG Gelegenheit, die erforderlichen Feststellungen nachzuholen.
4. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Der Beklagte hat geltend gemacht, dass ihm die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts im Vertrag v. 4.12.1995 nicht möglich gewesen sei, weil ein solcher Eigentumsvorbehalt auf die einzelnen beweglichen Wirtschaftsgüter hätte bezogen werden müssen, er - der Beklagte - jedoch keine Kenntnis davon erlangt habe, welche Gegenstände im Einzelnen der Firma H. H. -/Tiefbau gehörten. Auch dieser Vortrag könnte, würde er hinsichtlich der vom Beklagten behaupteten Unkenntnis unstreitig gestellt oder bewiesen, eine Schadensersatzpflicht des Beklagten aus zwei Gründen nicht hindern: Zum einen nicht, weil der Beklagte den Vertrag v. 4.12.1995 mit G. H. als Geschäftsführer der neu gegründeten H. Bau GmbH geschlossen hat, G. H. - nach dem eigenen Vortrag des Beklagten - aber das Baugeschäft seiner Mutter A. H. tatsächlich allein geleitet hat und, wie zu folgern ist, deshalb auch in der Lage gewesen wäre, die der Firma H. H. -/Tiefbau gehörenden Vermögensgegenstände, die nach dem beiderseitigen Vertragswillen auf die von ihm vertretene H. Bau GmbH übereignet werden sollten, im gemeinsamen Vertrag mit der vom Beklagten für notwendig erachteten Bestimmtheit zu bezeichnen; zum andern nicht, weil etwaige Zweifel an der Bestimmtheit der dinglichen Erklärungen im Vertrag v. 4.12.1995 geeignet wären, nicht nur die Wirksamkeit eines auf das Inventar bezogenen Eigentumsvorbehalts, sondern auch die erfolgte Übertragung des Eigentums an dem Inventar von der Firma H. H. -/Tiefbau auf die H. Bau GmbH infrage zu stellen. Wäre aber schon die Übertragung des Inventars der Firma H. H. -/Tiefbau auf die H. Bau GmbH unwirksam, hätte der Beklagte nicht deren Inbesitznahme durch die GmbH, erst Recht nicht deren Inanspruchnahme durch den später über das Vermögen der H. Bau GmbH eingesetzten Konkursverwalter widerspruchslos hinnehmen können, ohne - mit der Rechtsfolge des § 1908i Abs. 1 S. 1i. V. m. § 1833 BGB - seine Pflichten als Betreuer zu verletzen.
Fundstellen
Haufe-Index 1059048 |
NJW 2004, 220 |
BGHR 2004, 20 |
FuR 2004, 171 |
DNotI-Report 2003, 189 |
BtPrax 2004, 30 |
FPR 2004, 141 |
Rpfleger 2004, 97 |
ZErb 2004, 95 |
ZNotP 2004, 63 |
KammerForum 2004, 69 |
LMK 2004, 86 |