Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsunfähigkeitzusatzversicherung. Pflicht des Versicherungsnehmers zur Offenbarung gewichtiger Gesundheitsbeeinträchtigungen. Bewertung der Zeugenaussage des Hausarztes
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 30. Januar 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Wegen behaupteter Berufsunfähigkeit infolge eines Tinnitusleidens in der Zeit von Mai 1998 bis Oktober 1999 verlangt der Kläger vom beklagten Versicherungsunternehmen Versicherungsleistungen aus einem Versicherungspaket, welches sich aus einer fondsgebundenen Lebensversicherung, einer flexiblen Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung und einer weiteren Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung für die Beitragsbefreiung im Versicherungsfall zusammensetzt. Diesen Versicherungsverträgen liegen Anträge des Klägers vom 30. Januar 1998 zugrunde.
Die Beklagte hält sich für leistungsfrei, nachdem sie im Mai 1999 den Rücktritt von den Versicherungsverträgen erklärt und diese hilfsweise wegen arglistiger Täuschung angefochten hat. Sie wirft dem Kläger vor, er habe bei Beantwortung der Gesundheitsfragen in den Versicherungsanträgen verschwiegen, daß er im Juli 1997 wegen eines komplexen Beschwerdebildes aus Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrgeräuschen und einer Magen-Darm-Störung ärztlich behandelt und – unter Verordnung zweitägiger Bettruhe, eines Tranquilizers und eines homöopathischen Medikaments – für zwei Tage krank geschrieben worden sei. Es habe sich insoweit um gefahrerhebliche, anzeigepflichtige Beschwerden gehandelt.
Der Kläger meint, die im Juli 1997 aufgetretenen Beschwerden seien die kurzzeitige Folge einer einmaligen beruflichen und persönlichen Belastungssituation gewesen. Im wesentlichen habe er Kopfschmerzen gehabt. Sie seien alsbald wieder abgeklungen und hätten auch nicht zu weiteren ärztlichen Behandlungen geführt. Sie seien deshalb nicht anzeigepflichtig gewesen.
Neben dem Zahlungsantrag auf Versicherungsleistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung in Höhe von 51.540 DM nebst Zinsen, über den noch nicht entschieden ist, hat der Kläger gemäß § 256 Abs. 2 ZPO die Feststellung begehrt, daß die drei genannten Versicherungsverträge fortbestehen. Über diesen Feststellungsantrag haben die Vorinstanzen vorab entschieden. Das Landgericht hat ihm stattgegeben, das Berufungsgericht hat ihn zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung.
I. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob über den Feststellungsantrag ein Teilurteil ergehen durfte, weil es den Antrag jedenfalls in der Sache für unbegründet hält. Es nimmt an, die drei Versicherungsverträge seien jeweils durch wirksamen Rücktritt der Beklagten beendet worden. Denn der Kläger habe in den Versicherungsanträgen seine Beschwerden, die ärztliche Behandlung und die zweitägige Krankschreibung im Juli 1997 schuldhaft verschwiegen. Es habe sich dabei – wie der Kläger auch erkannt habe – um gefahrerhebliche Umstände gehandelt. Sie seien nicht mehr als nur leichte Störungen einzustufen, welche die Annahmefähigkeit der Versicherungsanträge nicht eingeschränkt hätten, sondern als mäßige Störungen, welche bei Kenntnis des Versicherers einen 100%igen Risikozuschlag zur Folge gehabt hätten.
Nach der schriftlichen Zeugenaussage des Hausarztes habe dieser beim Kläger im Juli 1997 eine depressive psychovegetative Erschöpfung infolge einer reaktiven Symptomatik nach einer persönlichen Konfliktsituation diagnostiziert. Welcher Art die Gesundheitsstörungen des Klägers seinerzeit auch im organischen Bereich gewesen seien, ergebe sich mit Deutlichkeit daraus, daß der Hausarzt in diesem Zusammenhang „psychosomatische Beschwerden wie Kopfschmerzen, Magen-Darm-Störungen, Schwindel, Ohrgeräusche” genannt habe. Die vorgeschlagene leichte antidepressive Medikation habe der Kläger gerne angenommen, was belege, daß der Hausarzt mit dem Kläger über dessen Neigung zu depressiven Zügen gesprochen habe. Der Arzt habe zunächst eine kurzfristige Gabe von Benzodiazepin, eines Tranquilizers, und sodann die mittelfristige Einnahme eines Johanniskraut-Präparats vorgeschlagen. Das Benzodiazepin-Präparat sei rezeptiert, das Johanniskraut-Präparat ausgehändigt worden.
Die Ausführungen des Hausarztes zeigten im übrigen, daß sich die geklagten Beschwerden des Klägers in das Gesamtbild seiner Persönlichkeit einfügten und er generell dazu neige, auf Überforderungen oder Krisensituationen mit psychosomatischen Beschwerden zu reagieren.
II. Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Zwar hat nach der ständigen Rechtsprechung des Senats der künftige Versicherungsnehmer die in einem Versicherungsantragsformular gestellte Frage nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden grundsätzlich erschöpfend zu beantworten. Er darf sich daher bei seiner Antwort weder auf Krankheiten oder Schäden von erheblichem Gewicht beschränken, noch sonst eine wertende Auswahl treffen und vermeintlich weniger gewichtige Gesundheitsbeeinträchtigungen verschweigen. Doch findet diese weit gefaßte Pflicht zur Offenbarung ihre Grenze bei Gesundheitsbeeinträchtigungen, die offenkundig belanglos sind oder alsbald vergehen (Senatsurteile vom 26. Oktober 1994 – IV ZR 151/93 – VersR 1994, 1457 unter 3 b und vom 2. März 1994 – IV ZR 99/93 – VersR 1994, 711 unter 3 a).
Das Berufungsgericht hat seine Wertung, die Beschwerden des Klägers im Juli 1997 seien weder offenkundig belanglos noch kurzzeitig gewesen und der Kläger habe dies auch erkannt, vorwiegend auch darauf gestützt, daß sie von organischen Beschwerden wie Kopfschmerzen, Magen-Darm-Störungen, Schwindel und Ohrgeräuschen begleitet gewesen seien.
Es beruft sich auf die Antworten, die der Hausarzt des Klägers unter dem 21. April 1999 auf einem von der Beklagten übersandten Fragebogen gegeben hat. Dort wird einleitend jedoch sowohl nach der Tinnitus-Erkrankung des Klägers aus dem Jahre 1998 als auch nach der Behandlung im Jahre 1997 gefragt, was es im weiteren erschwert, die einzelnen Antworten einem der beiden Ereignisse jeweils eindeutig zuzuordnen. Auch die hier maßgebliche Frage Nr. 6 nach begleitenden Beschwerden konnte man sowohl auf den Gesundheitszustand des Klägers nach dem Tinnitus 1998 als auch auf die ärztliche Untersuchung im Juli 1997 beziehen. Die Antwort des Arztes war deshalb mehrdeutig. Er hat aber im Rahmen seiner späteren schriftlichen Zeugenaussage vom 26. Oktober 2000 ausdrücklich klargestellt, daß der Kläger am 10. Juli 1997 nicht über Schwindel, Ohrgeräusche, Kopfschmerzen oder Magen-Darm-Störungen geklagt habe, woraus folgt, daß diese Beschwerden erst im Zusammenhang mit der Tinnitus-Erkrankung im Jahre 1998 aufgetreten sind.
Darüber hat sich das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft hinweggesetzt. Denn entweder hat es bei seiner Beweiswürdigung die schriftliche Zeugenaussage vom 26. Oktober 2000 schlicht übersehen (§ 286 ZPO) oder es hat – was eher fernliegt – der schriftlichen Aussage keinen Glauben schenken oder eine untergeordnete Bedeutung beimessen wollen. Dann wäre es jedoch geboten gewesen, den Zeugen zuvor in mündlicher Verhandlung zu hören (vgl. dazu BGH, Urteile vom 19. Juni 2000 – II ZR 319/98 – NJW 2000, 3718 unter B II 1 a und vom 29. Oktober 1996 – VI ZR 262/95 – NJW 1997, 466 unter III 1 b; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO 24. Aufl. § 398 Rdn. 4 m.w.N.).
2. Auch die Annahme des Berufungsgerichts, es zeichne sich ein Gesamtbild der Persönlichkeit des Klägers ab, nach dem er generell dazu neige, auf Überlastung mit psychosomatischen Beschwerden zu reagieren, entbehrt einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Den schriftlichen Angaben des Hausarztes, auf die allein sich das Berufungsgericht stützt, sind keinerlei Tatsachen zu entnehmen, die eine solche Wertung tragen.
3. Auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht das angefochtene Urteil.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Berufungsgericht bei vollständiger und rechtsfehlerfreier Würdigung des Akteninhalts und insbesondere der Zeugenaussage des Hausarztes die Risikoerheblichkeit der verschwiegenen Beschwerden des Klägers anders bewertet und eine Obliegenheit zur Anzeige – oder zumindest ihre schuldhafte Verletzung durch den Kläger – insoweit verneint hätte. Denn der bloße Umstand, daß dem Kläger Arbeitsunfähigkeit für nur zwei Tage attestiert und leichte Medikamente verordnet worden sind, steht der Annahme einer Bagatellbehandlung jedenfalls nicht von vornherein entgegen.
III. Für die neue Verhandlung weist der Senat abschließend darauf hin, daß es für die Entscheidung auch darauf ankommen kann, was der Zeuge T., der möglicherweise Agent der Beklagten war, dem Kläger bei der Antragstellung erläutert hat.
Der Senat hat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO a.F. Gebrauch gemacht.
Unterschriften
Terno, Seiffert, Wend, Dr. Kessal-Wulf, Felsch
Fundstellen
Haufe-Index 928724 |
NJW-RR 2003, 1106 |
IVH 2003, 151 |