Verfahrensgang
OLG Naumburg (Urteil vom 23.07.1998) |
LG Halle (Saale) (Urteil vom 21.11.1997) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 23. Juli 1998 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage mit dem Feststellungs- und Auskunftsantrag als unzulässig abgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird auf die Berufung der Klägerin das Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Halle vom 21. November 1997 teilweise dahin abgeändert, daß
- festgestellt wird, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser seit dem 20. Februar 1997 dadurch entstanden ist oder künftig noch entsteht, daß die Beklagte im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken im Wirtschaftsraum Halle in der Werbung für Computerartikel höherwertige Geräte abgebildet hat als textlich beworben und/oder zu dem angegebenen Preis abgegeben wurden,
- die Beklagte verurteilt wird, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, wo, wann und wie oft sie seit dem 20. Februar 1997 in der unter Ziffer 1 beschriebenen Form geworben hat, wobei die Auskunft nach Werbeträgern, Auflage der Werbeträger und Kalendervierteljahren aufzuschlüsseln ist.
Die Kosten des ersten und des zweiten Rechtszuges hat die Klägerin zu 10/13, die Beklagte zu 3/13 zu tragen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens werden der Klägerin zu 5/9, der Beklagten zu 4/9 auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Beide Parteien betreiben den Einzelhandel mit Computern und Computerzubehör. Die Klägerin hat ihren Sitz in Halle/Saale; sie gehört zur Media-Markt/Saturn-Gruppe. Die Beklagte ist ein bundesweit tätiges Unternehmen, das in zahlreichen Städten, darunter auch in Halle, Filialen unterhält.
Im Februar 1997 warb die Beklagte in einer – nachstehend im Ausschnitt wiedergegebenen – Beilage zur örtlichen Tagespresse für einen Flachbettscanner der Marke Mustek zum Preis von 399 DM:
Die Abbildung zeigt nicht den beworbenen Scanner von Mustek, sondern einen Flachbettscanner der Marke Hewlett Packard. Der abgebildete Scanner von Hewlett Packard kostete zum Zeitpunkt des Erscheinens der Werbung bei der Beklagten 999 DM.
Die Klägerin hat diese Werbung als irreführend beanstandet. Sie hat geltend gemacht, die Beklagte erwecke mit der Abbildung eines höherwertigen Scanners beim angesprochenen Verkehr den Eindruck eines Leistungsangebots, das dem tatsächlichen Angebot nicht entspreche. Der Verkehr gehe aufgrund der Werbung davon aus, einen Scanner von Hewlett Packard zum Preis von 399 DM erwerben zu können.
Die Klägerin hat beantragt,
- der Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken im Wirtschaftsraum Halle in der Werbung für Computerartikel höherwertige Geräte abzubilden als textlich beworben und/oder zu dem angegebenen Preis abgegeben werden,
- festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser seit dem 20. Februar 1997 durch die unter Ziff. 1 beschriebene Wettbewerbshandlung entstanden ist oder künftig noch entsteht,
- die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, wo, wann und wie oft sie seit dem 20. Februar 1997 in der unter Ziff. 1 beanstandeten Form geworben hat, wobei die Auskunft nach Werbeträgern, Auflage der Werbeträger und Kalendervierteljahren aufzuschlüsseln ist.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat eine mißbräuchliche Rechtsverfolgung der Klägerin eingewandt.
Eine Irreführung hat die Beklagte in Abrede gestellt. Sie hat vorgetragen, die beanstandete Abbildung sei nicht geeignet, die angesprochenen Verkehrskreise irrezuführen, weil der unkundige Verbraucher nicht erkenne, daß es sich bei dem abgebildeten Gerät um den Scanner von Hewlett Packard handele, während der kundige Verbraucher ohne weiteres erkenne, daß es sich nicht um das Angebot des Scanners von Hewlett Packard handeln könne.
Das Landgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Der Senat hat die Revision der Klägerin nur insoweit angenommen, als die Klage mit dem Feststellungs- und Auskunftsantrag als unzulässig abgewiesen worden ist. In diesem Umfang verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Das Berufungsgericht hat die Anträge auf Feststellung der Schadensersatzverpflichtung und Auskunftserteilung – in Übereinstimmung mit dem Landgericht – als unzulässig abgewiesen. Hierzu hat es ausgeführt:
Der Klägerin fehle wegen Vorrangs der Leistungsklage das für die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung erforderliche Rechtsschutzinteresse. Die Klägerin sei bereits bei Erhebung der Klage im Juni 1997 in der Lage gewesen, den ihr entstandenen Schaden zu beziffern, weil die Schadensentwicklung zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen gewesen sei und der Rückgang ihrer eigenen Verkaufszahlen bis Ende März 1997 einen (hinreichenden) Ansatz für eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO bilde.
Der Antrag auf Auskunftserteilung sei ebenfalls mangels eines Rechtsschutzinteresses unzulässig. Da die Klägerin die ihren Tätigkeitsbereich betreffende Werbung in den üblichen Zeitschriften genau beobachte, sei ihr bekannt, in welchem Umfang die Beklagte in der beanstandeten Weise geworben habe.
II. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Revision nicht stand. Sie führen im Umfang der Annahme zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Verurteilung der Beklagten gemäß den Klageanträgen.
1. Mit Recht wendet sich die Revision dagegen, daß das Berufungsgericht die Abweisung der Klage mit dem Feststellungsantrag bestätigt hat.
a) Der Klägerin fehlt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht das Rechtsschutzbedürfnis für den Feststellungsantrag. Die Revision macht zu Recht geltend, daß die eigenen Verkaufszahlen nur einen von mehreren Anhaltspunkten einer Schadensschätzung nach § 287 ZPO bilden und einen Vortrag zum Umfang der beanstandeten Werbemaßnahme nicht entbehrlich machen. Vielmehr ist die Klägerin zur Bezifferung des behaupteten Schadens auf die Erteilung von Auskünften über Zeitpunkt, Umfang und Intensität der beanstandeten Werbemaßnahme angewiesen (vgl. BGH, Urt. v. 14.11.1980 – I ZR 138/78, GRUR 1981, 286, 288 = WRP 1981, 265 – Goldene Karte I; Urt. v. 12.2.1987 – I ZR 70/85, GRUR 1987, 364, 365 = WRP 1987, 466 – Vier-Streifen-Schuh; Köhler in Köhler/Piper, UWG, 2. Aufl., vor § 13 Rdn. 128). Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin sei hierüber schon aufgrund eigener Marktbeobachtungen unterrichtet, stellt eine ungerechtfertigte Unterstellung dar, die weder in den getroffenen Feststellungen noch im Parteivorbringen eine Stütze findet.
b) Der Feststellungsantrag ist auch begründet. Das beanstandete Verhalten der Beklagten stellt eine irreführende Werbung nach § 3 UWG dar. Diese Beurteilung ist dem Senat anhand der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen sowie aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung möglich, zumal das Berufungsgericht im Rahmen der Prüfung eines mißbräuchlichen Verhaltens der Klägerin zum Ausdruck gebracht hat, daß es die in Rede stehende Scanner-Werbung der Beklagten für wettbewerbswidrig hält.
aa) Die beanstandete Werbung richtet sich in erster Linie an den Teil des Verkehrs, der – ohne Fachmann zu sein – schon einmal einen Scanner erworben hat oder sich mit dem Gedanken eines solchen Erwerbs trägt und deswegen den verschiedenen auf dem Markt befindlichen Geräten mit genauerem Blick begegnet. Diese Verkehrskreise werden das in der beanstandeten Werbung der Beklagten abgebildete hochpreisige Gerät wiedererkennen, zumal es über charakteristische Gestaltungsmerkmale verfügt. Hervorzuheben sind in dieser Hinsicht die lamellenförmig ausgebildeten Seitenwangen, wobei diese Lamellen an der Vorderseite – um die Bedienung des Deckels zu erleichtern – in einer konkav geschwungenen Einbuchtung zurücktreten, sowie die großen runden, deutlich sichtbaren Standfüße.
Bei Verbrauchern, die das abgebildete Gerät wiedererkennen, liegt auch die Gefahr einer Irreführung nahe. Zwar wird ein Teil dieser Verbraucher die Widersprüchlichkeit der Werbeangaben erkennen und annehmen, daß ein anderes als das angebotene Gerät abgebildet ist. Andere Verbraucher werden jedoch mit den Marken nicht vertraut sein und meinen, das häufig anzutreffende Gerät des Marktführers sei hier zum Preis von 399 DM zu haben. Wieder andere Verbraucher mögen mit der Werbung die Vorstellung verbinden, unter der Marke Mustek werde ein baugleiches Modell wie das des Marktführers Hewlett Packard angeboten. Schließlich wird auch der Teil der Verbraucher irregeführt, der an die flüchtige Betrachtung der – objektiv falschen – Werbung die Assoziation besonders günstiger Preise knüpft. Wie der Senat bereits entschieden hat, schützt § 3 UWG auch den flüchtigen Verbraucher, wenn es sich – wie bei dem hier in Rede stehenden Werbeprospekt – um eine Werbung handelt, die der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Verbraucher mit diesem Grad der Aufmerksamkeit wahrnimmt (vgl. BGH, Urt. v. 20.10.1999 – l ZR 167/97, GRUR 2000, 619, 621 = WRP 2000, 517 – Orient-Teppichmuster; Urt. v. 19.4.2001 – I ZR 46/99, GRUR 2002, 81, 83 = WRP 2002, 81 – Anwalts- und Steuerkanzlei; Urt. v. 7.6.2001 – I ZR 81/98, BGH-Rep. 2002, 76, 77 f. – Für'n Appel und n'Ei).
Wird auf der einen Seite im Rahmen des § 3 UWG – wie es geboten ist – das Bild eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbrauchers zugrunde gelegt, muß auf der anderen Seite doch gewährleistet sein, daß das Irreführungsverbot seine ureigenste Aufgabe zu erfüllen imstande ist, den Einsatz der Unwahrheit in der Werbung zu verhindern. Im Streitfall hat die Beklagte die Abbildung eines Scanners in die Anzeige aufgenommen, um den Eindruck zu vermitteln, das abgebildete Gerät könne zu dem angegebenen Preis von 399 DM erworben werden. Sie hat sich von dieser Angabe einen Vorteil versprochen; hieran muß sie sich festhalten lassen. Ein vernünftiger Grund, weswegen der Beklagten die Werbung mit einer eindeutig falschen Angabe gestattet werden sollte, ist nicht ersichtlich. Auch wenn die Verwendung der falschen Abbildung in ihrer Werbung für den Mustek-Scanner auf einem Versehen beruhen würde – wofür im Streitfall nichts ersichtlich ist –, läßt sich ein derartiger Fall in der Praxis nicht von dem gezielten Einsatz der Unwahrheit in der Werbung unterscheiden. Das Irreführungsverbot muß in der Lage sein, auch die durch nichts zu rechtfertigende dreiste Lüge zu erfassen, selbst wenn sie sich im äußeren Erscheinungsbild von der irrtümlichen Falschangabe nicht unterscheidet (vgl. BGH, Urt. v. 24.5.2000 – I ZR 222/97, GRUR 2001, 78, 79 = WRP 2000, 1402 – Falsche Herstellerpreisempfehlung).
bb) Die Fehlvorstellung, der ein maßgeblicher Teil der Verbraucher unterliegt, ist wettbewerbsrechtlich relevant. Der niedrige Preis, der angeblich für das abgebildete Gerät gilt, kann die Kaufentscheidung der Verbraucher beeinflussen. Die vermeintliche Günstigkeit des Angebots fordert zu einer näheren Befassung mit dem Angebot der Beklagten heraus und ist geeignet, auch Interessenten, die das Angebot der Beklagten ohne eine Abbildung des höherwertigen Scanners der Marke Hewlett Packard nicht besonders beachtet hätten, in ihr Geschäftslokal zu locken.
cc) Für die Feststellung einer Schadensersatzpflicht fehlt es auch nicht an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit eines Schadens. Hierfür ist erforderlich, aber auch ausreichend, daß nach der Lebenserfahrung ein Schaden mit einiger Sicherheit zu erwarten ist (vgl. BGH GRUR 2001, 78, 79 – Falsche Herstellerpreisempfehlung; BGH, Urt. v. 29.6.2000 – I ZR 29/98, GRUR 2000, 907, 911 = WRP 2000, 1258 – Filialleiterfehler). Hiervon kann in Fällen der Irreführung zwar nicht generell ausgegangen werden. Im Streitfall geht jedoch von der beanstandeten Werbung eine starke Anlockwirkung aus. Sie bezieht ihre Anziehungskraft daraus, daß ein hochwertiges Gerät scheinbar zu einem ungewöhnlich niedrigen, aus der Sicht der irregeführten Verbraucher nicht wiederkehrenden Preis angeboten wird. Unter diesen Umständen sind Auswirkungen auf die Absatzgeschäfte der Klägerin als hinreichend wahrscheinlich anzusehen (vgl. für den Fall einer unzulässigen Sonderveranstaltung BGH, Urt. v. 6.4.2000 – I ZR 114/98, GRUR 2001, 84, 85 = WRP 2000, 1266 – Neu in Bielefeld II).
2. Das Auskunftsbegehren ist als Hilfsanspruch zur Vorbereitung der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs nach §§ 3, 13 Abs. 6 Nr. 1 Satz 1 UWG zulässig und begründet. Es bestehen entgegen der Annahme des Berufungsgerichts keine Anhaltspunkte dafür, daß die Klägerin bereits über die Informationen verfügt, die sie auf diesem Wege von der Beklagten erhalten möchte.
III. Danach ist das angefochtene Urteil im Umfang der Annahme der Revision aufzuheben. Der Klage ist unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils insoweit stattzugeben, als die Klägerin die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung und Auskunftserteilung begehrt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Erdmann, Starck, Bornkamm, Büscher, Schaffert
Fundstellen
Haufe-Index 749322 |
BGHR 2002, 793 |