Leitsatz (amtlich)
Nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. setzt der Beginn der Widerspruchsfrist die Überlassung des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation nach § 10a VAG a.F. voraus. Wird durch die Benennung nur des Erhalts des Versicherungsscheins der unzutreffende Eindruck erweckt, der Fristbeginn werde allein daran geknüpft, ist die Widerspruchsbelehrung fehlerhaft (Fortführung der Senatsurteile vom 15. März 2023 - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 14 m.w.N. und vom 27. April 2016 - IV ZR 200/14, juris Rn. 11 m.w.N.; st. Rspr. Abgrenzung zu Senatsurteil vom 17. Januar 2024 - IV ZR 19/23, juris).
Normenkette
BGB §§ 242, 812 Abs. 1 S. 1; VVG § 5a Abs. 2 S. 1 Fassung: 2001-07-13; VAG § 10a Abs. 1 S. 1 a.F. Fassung: 2003-12-10
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 21.07.2022; Aktenzeichen 3 U 330/21) |
LG Gießen (Entscheidung vom 29.10.2021; Aktenzeichen 2 O 143/21) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 21. Juli 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 13.181,37 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger begehrt die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines Rentenversicherungsvertrages.
Rz. 2
Er beantragte am 16. September 2004 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten den Abschluss des Versicherungsvertrages nebst Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung und erhielt hierzu mit Begleitschreiben vom 1. Oktober 2004 den Versicherungsschein vom selben Tag. Versicherungsbeginn war der 1. November 2004; das Ende der Beitragszahlungen und der Aufschubzeit war für den 31. Oktober 2036 vereinbart. Vorgesehen war außerdem das Recht auf vorgezogene, der Höhe nach garantierte Teilrenten bzw. Teilkapitalabfindungen zu festgelegten Terminen jeweils im November 2016, 2022, 2029 und 2036. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten übersandte dem Kläger den Versicherungsschein, die Verbraucherinformation und die Allgemeinen Versicherungsbedingungen als Anlage eines einseitigen Policenbegleitschreibens nebst einer Seite mit "wichtigen Hinweisen". Das Begleitschreiben enthielt, teilweise in Fettdruck, die Bitte, die "Wichtigen Hinweise auf der nächsten Seite" zu beachten. Dort befand sich folgende Widerspruchsbelehrung:
"Wie Ihnen bereits auf Grund unseres Hinweises im Versicherungsantrag bekannt ist, können Sie innerhalb einer bestimmten Frist nach Erhalt des Versicherungsscheins dem Versicherungsvertrag uns gegenüber in Textform widersprechen. Bitte beachten Sie hierzu, dass auf Grund einer Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) die Widerspruchsfrist ab dem 01.10.2004 von 14 auf 30 Tage verlängert wurde. Diese Regelung gilt selbstverständlich auch für Ihren Vertrag. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs."
Rz. 3
Dem Anschreiben war außerdem eine dritte Seite beigefügt, welche die beigefügten Anlagen auflistete. Der Kläger zahlte die vereinbarten Beiträge. Zum 1. November 2016 nahm er die Teilkapitalabfindung in Anspruch und die Beklagte zahlte 5.969 € an ihn aus. Mit Schreiben vom 9. Oktober 2020 erklärte er den Widerspruch gegen den Versicherungsvertrag. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück.
Rz. 4
Mit der Klage begehrt der Kläger Auszahlung des bei Erklärung des Widerspruchs aktuellen Fondsguthabens, die Rückzahlung der sogenannten Nicht-Sparanteile sowie eine Nutzungsentschädigung, hierauf lässt er sich den faktischen Versicherungsschutz und die im Jahr 2016 an ihn ausgezahlte Teilkapitalabfindung anrechnen und beziffert den Betrag insgesamt mit 13.181,37 €. Nach Auffassung des Klägers ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Er habe den Widerspruch noch im Jahr 2020 erklären können. Die Widerspruchsfrist nach § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) sei insbesondere wegen inhaltlicher Mängel der Widerspruchsbelehrung nicht in Gang gesetzt worden, die fristauslösenden Unterlagen seien nicht zutreffend bezeichnet.
Rz. 5
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt er sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 6
Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Rz. 7
I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts könne sich der Kläger nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht mehr auf sein Widerspruchsrecht berufen. Zwar sei es ihm angesichts der fehlerhaften Belehrung nicht schon wegen widersprüchlichen Verhaltens verwehrt, sein Widerspruchsrecht noch geltend zu machen. In der Belehrung im Policenbegleitschreiben sei entgegen § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. nicht ausdrücklich auf den Erhalt des Versicherungsscheins und der Unterlagen nach § 5a Abs. 1 VVG a.F., nämlich der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation hingewiesen worden. Die Belehrung nenne als relevant für den Fristbeginn lediglich den Erhalt des Versicherungsscheins.
Rz. 8
Im Fall nicht ordnungsgemäßer Belehrung könne der Versicherer zwar grundsätzlich kein schutzwürdiges Vertrauen in Anspruch nehmen. Im Einzelfall könne sich jedoch etwas Anderes ergeben, wenn der Versicherungsnehmer über die "normale" Vertragsdurchführung hinaus durch sein Verhalten den Eindruck erweckt habe, den Vertrag unbedingt fortsetzen zu wollen; es müssten besonders gravierende Umstände vorliegen. Das sei hier der Fall. Das Zeitmoment sei gegeben; der Kläger habe den Versicherungsvertrag über 16 Jahre durchgeführt. Hinsichtlich des Umstandsmoments sei zu berücksichtigen, dass er schon vier Jahre vor der Widerspruchserklärung mit der Teilkapitalabfindung eine nicht unerhebliche Erfüllungsleistung der Beklagten entgegengenommen habe, womit er die berechtigte Erwartung der Beklagten auf eine weitere Erfüllungswahl und Fortsetzung des Vertrages geweckt habe. Hinzukomme, dass der Kläger trotz des geringfügigen Fehlers der Widerspruchsbelehrung ausreichend über den Beginn der Widerspruchsfrist informiert war, so dass sich der nur verhältnismäßig geringfügige Fehler in der Widerspruchsbelehrung nicht ausgewirkt haben könne, zumal er den Versicherungsschein und die weiteren Unterlagen nach § 5a Abs. 1 VVG a.F. zusammen mit dem Policenbegleitschreiben unstreitig erhalten habe. Zu berücksichtigen sei weiter, dass die Inanspruchnahme des Widerspruchsrechts zweckwidrig allein der Renditeoptimierung gedient habe.
Rz. 9
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Ein Anspruch auf bereicherungsrechtliche Rückabwicklung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB kann dem Kläger nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung versagt werden.
Rz. 10
1. Nach den revisionsrechtlich allerdings nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer den Kläger nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Die Widerspruchsbelehrung in dem maßgeblichen Übersendungsschreiben ist fehlerhaft, weil sie die fristauslösenden Unterlagen nicht zutreffend benennt. Nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. setzt der Beginn der Widerspruchsfrist die Überlassung des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation nach § 10a VAG in der seinerzeit geltenden Fassung voraus. Hier wird durch die Benennung nur des Erhalts des Versicherungsscheins der unzutreffende Eindruck erweckt, der Fristbeginn werde nur daran geknüpft (vgl. Senatsurteil vom 27. April 2016 - IV ZR 200/14, juris Rn. 11). Dem Versicherungsnehmer soll mit der Widerspruchsbelehrung jedoch klar und unmissverständlich vor Augen geführt werden, unter welchen Voraussetzungen er widersprechen kann (vgl. Senatsurteil vom 15. März 2023 - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 14 m.w.N.).
Rz. 11
Etwas anderes kann im Einzelfall ausnahmsweise nur dann anzunehmen sein, wenn die Widerspruchsbelehrung - anders als hier - etwa unter Einbeziehung des Gesamtinhalts des Policenbegleitschreibens dem Versicherungsnehmer noch ausreichend deutlich macht, welche Unterlagen ihm vorliegen müssen, damit die Widerspruchsfrist beginnt, wie der Senat dies im Urteil vom 17. Januar 2024 angenommen hat (IV ZR 19/23, juris Rn. 13 f.; vgl. auch Senatsbeschlüsse vom 12. Juli 2016 - IV ZR 558/15, juris Rn. 8; vom 30. Juni 2015 - IV ZR 16/14, juris Rn. 8). Der entscheidende Unterschied in jenem Verfahren zu dem hier zu beurteilenden Fall liegt darin begründet, dass dort in dem Policenbegleitschreiben auf der ersten Seite ausdrücklich auf die Übersendung von Versicherungsschein, Allgemeinen Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen hingewiesen und der Beginn der Widerspruchsfrist in der Widerspruchsbelehrung an den "Zugang dieses Schreibens" geknüpft war. Im Streitfall wird für den Fristbeginn hingegen nur auf den Versicherungsschein abgestellt und die weiteren Unterlagen werden lediglich in einer Liste von insgesamt acht Anlagen auf der dritten Seite genannt, ohne dass klar würde, auf welche von diesen es für den Fristbeginn ankommt.
Rz. 12
2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist der geltend gemachte Rückforderungsanspruch nach dessen bisherigen Feststellungen nicht ausnahmsweise aufgrund des Vorliegens besonders gravierender Umstände nach § 242 BGB wegen rechtsmissbräuchlicher Ausübung des Widerspruchsrechts ausgeschlossen.
Rz. 13
a) Nach der Rechtsprechung des Senats kann zwar auch bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerspruchsbelehrung die Geltendmachung des Widerspruchsrechts ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen und damit unzulässig sein, wenn besonders gravierende Umstände des Einzelfalles vorliegen, die vom Tatrichter festzustellen sind. Dementsprechend hat der Senat bereits tatrichterliche Entscheidungen gebilligt, die in Ausnahmefällen mit Rücksicht auf besonders gravierende Umstände des Einzelfalles auch dem nicht oder nicht ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer die Geltendmachung eines Bereicherungsanspruchs verwehrt haben (Senatsurteil vom 19. Juli 2023 - IV ZR 268/21, VersR 2023, 1151 Rn. 9 m.w.N.; zur Veröffentlichung in BGHZ 238, 32 vorgesehen; st. Rspr.). Allgemein gültige Maßstäbe dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine fehlerhafte Belehrung der Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung des Widerspruchsrechts entgegensteht, können nicht aufgestellt werden. Vielmehr obliegt die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall dem Tatrichter. Auch in Fällen eines fortbestehenden Widerspruchsrechts kann die Bewertung des Tatrichters in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht (Senatsurteile vom 19. Juli 2023 aaO Rn. 10 m.w.N.; vom 15. März 2023 - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 13 m.w.N.; st. Rspr.).
Rz. 14
b) Danach genügen die bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht zur Annahme besonders gravierender Umstände.
Rz. 15
aa) Soweit das Berufungsgericht in seine Gesamtwürdigung als einen von drei Umständen einbezogen hat, der Belehrungsmangel sei verhältnismäßig geringfügig gewesen und habe sich im konkreten Fall nicht ausgewirkt, hat es damit einen Gesichtspunkt berücksichtigt, der zwar dazu führen kann, dass das Widerspruchsrecht unabhängig vom Vorliegen besonders gravierender Umstände wegen widersprüchlichen Verhaltens ausgeschlossen ist, der aber nicht zugleich einen besonders gravierenden Umstand im genannten Sinne darstellt. Nach den Grundsätzen, die der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 19. Dezember 2019 (Rust-Hackner u.a., C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, EU:C:2019:1123 = NJW 2020, 667) zur Fehlerhaftigkeit der Belehrung über das Vertragslösungsrecht aufgestellt hat und denen der Senat folgt (Urteil vom 15. Februar 2023 - IV ZR 353/21,BGHZ 236, 163 Rn. 14), wäre es unverhältnismäßig, es dem Versicherungsnehmer zu ermöglichen, sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen, wenn ihm durch die fehlerhafte Belehrung nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Rücktritts- bzw. Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben (EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 aaO Rn. 79; Senatsurteil vom 15. Februar 2023 aaO Rn. 14). Weitere Voraussetzungen müssen daneben für einen Ausschluss des Widerspruchsrechts nicht erfüllt sein.
Rz. 16
Führt die tatrichterliche Überprüfung der Widerspruchsbelehrung - wie hier - hingegen zu dem Ergebnis, dass der Versicherungsnehmer nicht nur geringfügig fehlerhaft in diesem Sinne belehrt worden ist, kann derselbe Belehrungsfehler auch keinen besonders gravierenden Umstand darstellen, der einen Ausschluss des Widerspruchsrechts nach Treu und Glauben rechtfertigt. Es entspricht in diesem Zusammenhang gefestigter Senatsrechtsprechung, dass die - wie hier - fehlende zutreffende Benennung der fristauslösenden Unterlagen keinen marginalen Fehler darstellt, sondern in § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. ausdrücklich gefordert wird und eine wesentliche Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Belehrung ist (vgl. Senatsurteile vom 28. September 2016 - IV ZR 192/14, VersR 2016, 1484 [juris Rn. 19]; vom 24. Februar 2016 - IV ZR 201/14, juris Rn. 16; vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 27, 32; st. Senatsrspr.). Anders als das Berufungsgericht meint, ist es insoweit auch ohne Belang, ob dem Kläger mit dem Versicherungsschein die weiteren erforderlichen Unterlagen zugingen. Dieser Umstand ändert nichts an der inhaltlichen Fehlerhaftigkeit der Belehrung, sondern betrifft allein die Auswirkung derselben auf den konkreten Fall. Für die Frage der Ordnungsgemäßheit der Belehrung kommt es auf derartige Kausalitätsfragen nicht an (vgl. Senatsurteil vom 29. Juli 2015 - IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 25; st. Senatsrspr.).
Rz. 17
bb) Ferner begründet im Streitfall auch die vom Berufungsgericht angenommene und in die Gesamtwürdigung einbezogene alleinige Motivation des Klägers, mit der Erklärung seines Widerspruchs eine Renditeoptimierung zu erlangen, keinen besonders gravierenden Umstand. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in dem Urteil vom 19. Dezember 2019 (Rust-Hackner u.a., C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18, EU:C:2019:1123 = NJW 2020, 667) zu einer nationalen Regelung, nach der Vergütungszinsen auf Beträge, die der Versicherungsnehmer nach seinem Rücktritt vom Vertrag wegen ungerechtfertigter Bereicherung zurückverlange, in drei Jahren verjährten, betont, bei der Beurteilung der Bedürfnisse des Versicherungsnehmers sei auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen. Vorteile, die der Versicherungsnehmer aus einem verspäteten Rücktritt ziehen könnte, blieben außer Betracht. Ein solcher Rücktritt würde nämlich nach Auffassung des Gerichtshofs nicht dazu dienen, die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers zu schützen, sondern dazu, ihm eine höhere Rendite zu ermöglichen oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrages und dem Satz der Vergütungszinsen zu spekulieren (EuGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 aaO Rn. 112, 120; vgl. Senatsbeschluss vom 21. September 2022 - IV ZR 300/20, VersR 2022, 1571 Rn. 12). Im Einklang damit hat der Senat bei der Rückabwicklung fondsgebundener Lebensversicherungen dem Versicherer die Berufung auf den Entreicherungseinwand zugebilligt und dem Versicherungsnehmer eine risikofreie Spekulation dergestalt verwehrt, dass er die Gewinnchance nutzt und Fondsverluste im Nachhinein zu Lasten der Versichertengemeinschaft beseitigt (vgl. Senatsbeschluss vom 21. September 2022 aaO; Senatsurteil vom 21. März 2018 - IV ZR 353/16, r+s 2018, 233 Rn. 25 m.w.N.). Weitergehende Einschränkungen eines fortbestehenden Widerspruchsrechts sind daraus auch für den Streitfall nicht abzuleiten (vgl. Senatsurteil vom 6. September 2023 - IV ZR 93/22, juris Rn. 19).
Rz. 18
cc) Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht zwar nicht verkannt, dass nach der Senatsrechtsprechung ein langer Zeitablauf nicht dazu führt, dass an das Umstandsmoment geringere Anforderungen zu stellen sind. Der lange Zeitablauf ist aber - anders als das Berufungsgericht meint - auch nicht im Rahmen der Gesamtwürdigung besonders gravierender Umstände, die ein Vertrauen der Beklagten in den Bestand des Versicherungsvertrages begründen und den erklärten Widerspruch als grob widersprüchliches Verhalten erscheinen lassen durften, miteinzubeziehen.
Rz. 19
dd) Da die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts wegen des Wegfalls der genannten fehlerhaft in die Gesamtwürdigung einbezogenen Umstände keinen Bestand hat, kann offen bleiben, ob die vom Kläger in Anspruch genommene Teilkapitalabfindung mit nachfolgender Fortzahlung der Beiträge im Einzelfall einen besonders gravierenden Umstand zu begründen vermag, der zu einer Verwirkung des Widerspruchsrechts nach Treu und Glauben führt, was das Berufungsgericht ebenfalls offen gelassen hat.
Rz. 20
III. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht hat zunächst im Rahmen der ihm obliegenden tatrichterlichen Würdigung festzustellen, ob auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Senats in ihrer Gesamtheit besonders gravierende Umstände des Einzelfalls vorliegen mit der Folge, dass die Geltendmachung des Widerspruchsrechts ausnahmsweise Treu und Glauben widersprechen könnte.
Prof. Dr. Karczewski |
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Harsdorf-Gebhardt |
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Dr. Brockmöller |
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Dr. Bußmann |
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Dr. Bommel |
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Fundstellen
Haufe-Index 16225194 |
NJW 2024, 1108 |
NJW 2024, 8 |
WM 2024, 498 |
WuB 2024, 251 |
DZWir 2024, 400 |
JZ 2024, 208 |
JZ 2024, 209 |
VuR 2024, 199 |
ZfS 2024, 266 |